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Das ferne Ziel Mekka

Ausgabe 255

Foto: Archiv

„Wir rasten durch Mekka in japanischen Taxis. Wir führten internationale Ferngespräche via Telefon. Wir schauten NBA-Spiele auf dem Satellitenkanal und fuhren zur Ebene von ‘Arafat in deutschen Bussen (…). Zur gleichen Zeit bleiben die wesentlichen Riten unverändert. Wir drehten uns im Tawaf exakt auf die gleiche Art und Weise, wie man dies 1050 gemacht hat. In solchen Augenblicken ähnelten wir modernen Gefäßen, in die zeitlose Emotionen gegossen werden.“ (Michael Wolfe, amerikanischer Journalist und Autor)

Mekka – Fokus uralter Rituale

Die Hadsch – die jährliche wiederkehrende Reise von Pilgern zu den heiligen Stätten Mekkas und die von ihnen durchgeführten Rituale – ist eine uralte Institution, die auf den Propheten Ibrahim (Abraham) zurückgeht.

Diese „schwierige Reise“, die sie auf einer existenziellen Ebene auch heute noch ist, erinnert an eine Reihe von Ereignissen, als Ibrahim mit seiner Familie in Mekka weilte. Sie wurde durch die Offenbarung an den Propheten Muhammad bestätigt, gereinigt und zu einer der essenziellen fünf Säulen des Islam bestimmt.

Durch die ganze Geschichte hindurch zog es nicht nur Muslime zum Hause Allahs und dem Vollzug der dortigen Riten. Im Laufe der Jahrhunderte gab es auch immer wieder nichtmuslimische Reisende, die aus unterschiedlichen Motiven – Abenteuerlust, Neugier, wissenschaftliches Interesse oder Spionage – bemüht waren, direkte Erfahrungen an diesem besonderen Ort zu machen.

„Timbuktu, Peking, Bukhara, Medina und Mekka – dies waren jahrhundertelang ‘verbotene Städte’, die die Vorstellungskraft jener fesselten, die sie nicht erreichen konnten. Eines nach dem anderen verrieten die einstmals mysteriösen Orte ihre Geheimnisse, bis sie heute den meisten Reisenden offen stehen – mit Ausnahme von Mekka und Medina, den beiden heiligen Stätten des Islam“, schrieb Paul Lunde 1974 in einem Beitrag zum Thema für das „Saudi Aramco Magazine“.

Beide bleiben bis heute für Nichtmuslime verschlossen, die ihre festgelegten Bezirke nicht betreten dürfen. Pilger aus dem Ausland erhalten heute spezielle Einreisevermerke für die Hadsch oder die ‘Umra (die kleine Pilgerfahrt, die unabhängig vom Kalender durchgeführt werden kann).

Sie ermöglicht den Besuch von Mekka und Medina gleichermaßen. Kontrolliert werden sie, bevor man jene Bezirksgrenzen überschreitet, die vom Propheten festgelegt wurden.

In der Vergangenheit gab es immer wieder Versuche abenteuerlicher Natur, das Ziel der Hadsch zu erreichen, selbst wenn das Verbot ebenso strikt gehandhabt wurde und die Reise in das Hidschaz (der Heimatregion von Mekka und Medina) lang, schwierig und gefährlich war. Gelangen ihnen die Hinreise und die Heimkehr, erlangten sie in ihren Ländern durch die Veröffentlichung von Reiseaufzeichnungen einige Berühmtheit. Heutzutage würde man im – räumlich und geistig eng gewordenen – Westen solche Menschen wahrscheinlich als „illegale Einwanderer“ bezeichnen.

Zwischen dem 15. und dem frühen 20. Jahrhundert kamen einige mutige Reisende aus dem Westen nach Mekka. In dem bunten Haufen der Europäer, die es dorthin schafften, waren beispielsweise Ludovico di Varthema (italienischer Renaissance-Tourist und erster europäischer Nichtmuslim in Mekka), Hans Wilden (deutscher Söldner und Kriegsgefangener), Joseph Pitts (englischer Seemann und Kriegsgefangener der Osmanen, der später den Islam annahm), Domingo Badia Leblich alias Aly Bey (spanischer Spion im Dienste Frankreichs), Johann Ludwig Burckhardt (Schweizer Wissenschaftler und Entdecker von Petra, wurde auf Wunsch unter arabischem Namen auf einem muslimischen Friedhof in Kairo begraben), Professor Georg August Wallin (ein finnischer Forscher), natürlich Sir Richard Burton (ging 1853 auf die Hadsch, Übersetzer des arabischen Klassikers von „Tausendundeine Nacht“, und in den Adelsstand erhoben) und Snouck Hurgronje (niederländischer Orientalist und Theoretiker im Kolonialkrieg gegen aufständische Muslime in Niederländisch-Ostindien).

Einige kamen im Geiste wissenschaftlicher Forschung, andere waren auf der Suche nach noch unbekannten Regionen und einige Abenteurer handelten wie Aly Bey im Auftrage Dritter. Aber alle reisten zumindest dem Namen und ihrer äußeren Erscheinung nach als Muslime ein. Ein erheblicher Teil war aufrichtig am Islam interessiert und viele kehrten – ungeachtet der Motive – in der Regel tiefbewegt zurück. Durch das, was sie in Mekka sahen und erlebten.

Im Gegensatz zu heute gab es damals keine kommerzielle Reise- und Tourismusindustrie, die dem modernen Individualreisenden ein bisher unbekanntes Maß an Sicherheit und Bequemlichkeit hätte ermöglichen können. Nicht ein einziger dieser Abenteurer hätte es alleine und auf sich gestellt nach Mekka geschafft. Die meisten schlossen sich – wie die muslimischen Hadschis ihrer Zeit auch – Pilgerkarawanen an. Sie nahmen ihren Ausgangspunkt an strategischen Orten der islamischen Welt wie Kairo, Bagdad oder Damaskus. Auf ihrem Weg nahmen sie weitere Reisende auf, die für Nahrung, Schutz und Unterkunft bezahlen mussten. Andere Karawanen wurden mit Geschenken für die heiligen Stätten von den großen Herrschern der muslimischen Welt ausgestattet.

Der Weg war im buchstäblichen Sinne beschwerlich. Zu den größten Gefahren einer Hadsch zählten nicht nur Banditen, sondern vor allem ungebundene Beduinenstämme, die ihr Einkommen durch das Überfallen, Ausrauben und Töten von Pilgern erzielten. Selbst im 19. Jahrhundert noch überfielen Clans, die oft der wahhabitischen Bewegung aus dem Nadschd angehörten, die Karawanen auf dem Weg nach Mekka. Die Reise zu den heiligen Stätten wurde so zu einer Prüfung für den eigenen Glauben – nicht nur die Riten der Hadsch selbst, wie es heute der Fall ist.

Wenn wir den Chroniken Glauben schenken dürfen, war der Italiener Ludovico de Varthema – Zeitgenosse von Vasco da Gama und Leonardo da Vinci – der erste nichtmuslimische Europäer, der Mekka betrat. Das Vorwort zu seinen Reiseerinnerungen lässt den Schluss zu, dass er in seiner Neugier und seinem Abenteuersinn ein Vertreter der Renaissance war. 1500 segelte De Varthema von Venedig nach Alexandria. Über Kairo und Beirut ging er nach Damaskus, wo er zwei Jahre lang Arabisch lernte. Am 8. April 1503 schloss er sich in Verkleidung eines Syrers der Karawane in Richtung Mekka an.

Es war eine erschütternde Erfahrung, die das Leben mancher Mitreisender forderte. Aber als die Karawane Mekka erreichte, war der Italiener tief beeindruckt. Um die Kaaba herum gab es seinerzeit Märkte voller Waren, die für De Varthema Luxusprodukte waren. Ihn beeindruckte ebenso die Menge der Pilger – Muslime aus Äthiopien, Indien, Persien, Ägypten und Syrien. „Wahrlich, ich sah während der 20 Tage, die ich dort blieb, niemals so viele Menschen an einem Ort.“ Die Aufzeichnungen des Italieners sind die erste erhaltene und recht zuverlässige Beschreibung der Hadschriten in einer westlichen Sprache. Nachdem er Mekka verließ, war er auch der erste Europäer, der den Jemen besuchte.

Alle mussten sie – von De Varthema bis Hurgronje – sich der einen oder anderen Verkleidung bedienen, um nicht als Nichtmuslime erkannt zu werden. Der erste uns bekannte europäische Pilger, der Mekka ohne Verkleidung betrat, war ein englischer Muslim namens Herman Bicknell. Bicknell, gekleidet in Hosen und gebügeltem Hemd, dürfte so einige interessante Begegnungen gemacht haben, bis er – wie alle anderen – den rituellen Ihram anlegte. Unglücklicherweise hinterließ er keine Aufzeichnungen seiner Hadsch.

Bicknell war der Vertreter einer wachsenden Anzahl an Europäern, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts den Islam aufrichtig annahmen und als Muslime nach Mekka gingen. Der Anfang des nächsten Jahrhunderts sah ein Wachstum freundlich gesinnter Reisebeschreibungen von westlichen Pilgern wie Eldon Rutter, Harry St. John Philby, Lady Evelyn Cobbold (vielleicht die erste Westeuropäerin auf der Hadsch) und – einige Jahre später – Thomas J. Abercrombie. Abercrombie war ein Fotograf und Autor des „National Geographic“, der Muslim wurde, und die Hadsch im Auftrag des amerikanischen Magazins dokumentierte.

Für die weiterführende Lektüre:
Paul Lunde, The Lure of Mecca, Saudi Aramco Magazine, November 1974.
Ilja Trojanow, Zu den heiligen Quellen des Islam. Als Pilger nach Mekka und Medina, Malik Verlag, München 2004