Die HDP und die Geschehnisse des 4. November

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Ankara (IZ/Gastbeitrag). Wie die restliche Welt auch haben deutsche Medien sehr engagiert über die Razzien gegen Politiker der türkischen Oppositionspartei HDP berichtet. Doch kann man all das Geschriebene wirklich als Bericht, ja gar als sachlich, bezeichnen? Man muss doch eher schmunzeln.
Erneut versuchen deutsche Medien, die Razzien Erdogan persönlich in die Schuhe zu schieben. Auch versucht man, über jedes Ereignis in der Türkei zu spalten und lässt dabei die Zusammenhänge ganz außer Acht. Eine Kette von Ereignissen seit Sommer 2015 wird meisterhaft verschleiert, um das Bild des „Diktators“ Erdogan nicht zu zerstören.
Man sollte vorab wissen, dass während des Friedensprozesses die PKK ihr Versprechen, den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat zu beenden, nicht eingehalten hat. Außerdem wurde der Friedensprozess durch die PKK nach der Ermordung von zwei Polizisten am 22. Juli im Stadtteil Ceylanpinar in Sanliurfa, im Südosten der Türkei, sabotiert. Kurz danach hat die staatliche Gewalt verständlicherweise den Kampf gegen die Terrororganisation PKK wieder aufgenommen.
In den darauffolgenden Monaten haben sich HDP-Abgeordnete absichtlich provozierend verhalten und sich beispielsweise auf Beerdigungen von PKK-Selbstmordattentätern gezeigt. Und zwar von jenen Attentätern, die in Ankara, Bursa und auch vielen Städten in den südöstlichen Gebieten der Türkei Dutzende zivile (darunter auch Kinder) Opfer und auch Sicherheitskräfte auf dem Gewissen haben.
Kehren wir zur Aufhebung der Immunität zurück, erkennen wir, dass die westlichen – und leider insbesondere deutschen – Medien absichtlich immer so berichten, als sei nur die Immunität der HDP-Abgeordneten aufgehoben worden. Daher muss man wissen, und auch darüber berichten, dass von der Aufhebung der Immunität 51 CHP-, 49 HDP-, 27 AKP-, sieben MHP-Abgeordnete sowie ein Unabhängiger betroffen sind.
Gegen die heute Inhaftierten laufen schon seit Monaten gerichtliche Untersuchungen und Strafverfahren. Die 13 Betroffenen der HDP, von denen heute Nacht elf inhaftiert wurden, wurden schon vor Monaten ordentlich eingeladen, vor Staatsanwälten auszusagen. Nachdem sie nicht erschienen, war solch eine Razzia durchaus zu erwarten. Ob das einem Rechtsstaat widerspricht? Sicherlich nicht.
Auf der anderen Seite ist die Nähe, ja sogar die organische Bindung zur PKK, nicht nur eine Behauptung der türkischen Regierung, sondern wurde auch von führenden Politikern der HDP zugegeben. Figen Yüksekdag, Co-Vorsitzende der HDP, hat sich mehrmals dazu geäußert und offen erklärt, dass sie sich als Partei an die PKK, PYD und YPG anlehnen.
In dem Zusammenhang sollte über die bis kürzlich von der HDP regierten Gemeinden berichtet werden. Vor ein paar Monaten haben diese – um die 30 Städte – offen ihre Unabhängigkeit vom türkischen Staat bekundet. Danach war doch zu erwarten, dass der Staat seine Souveränität in Gefahr sehen und eingreifen wird. Doch leider wird in der westlichen beziehungsweise deutschen Presse auch wieder nur von einer Perspektive aus berichtet: und zwar aus der Perspektive einer weltweit als solche deklarierten Terrororganisation. Dabei wird Erdogan vorgeworfen, die Opposition mit staatlicher Gewalt zu unterdrücken, was eher eine politische Aussage als sachliche Berichterstattung ist.
All diese Gegebenheiten so leicht in die Schuhe des türkischen Präsidenten Erdogan schieben zu wollen, ihn als einen werdenden Diktator zu diffamieren, zeigt leider die populistische Seite der westlichen Presse. Aber nicht nur der Presse, sondern auch der Politik, die sich immer wieder gerne in die türkischen Angelegenheiten einmischt, wobei seitens aller politischen Lager in Deutschland vor Kurzem deutlich gemacht wurde, dass türkisch-politische Angelegenheiten in Deutschland nichts zu suchen hätten und diejenigen, die sich dafür interessierten, doch bitte in die Türkei auswandern sollten.
Ich denke, dass es in diesem Fall angebracht wäre, aus dem Werk „Im Weltinnenraum des Kapitals“ des Philosophen Peter Sloterdijk zu zitieren, um das Spiel der Türkei und Erdogan-bashenden „Qualitätsjournalisten“ der deutschen Medien aufzudecken und zu kritisieren, wenn sie denn noch tolerant genug sind: „Es liegt mir fern, die sinnvollen Momente einer solchen Sicht zu leugnen. Die Monopolisierung des Globalisierungsdiskurses durch Politologen und Sozialwissenschaftler, denen man die Fortsetzung des Journalismus mit griesgrämigen Mitteln verdankt, wäre aufs Ganze gesehen sehr gut erträglich, bliebe nur nicht die Tatsache, dass die Grundbegriffe dieser Debatten fast ausnahmslos unerkannte philosophische Termini sind, deren amateurhafter Gebrauch zu Suggestionen und Sinnverdrehungen führt. Wer ohne Rücksicht auf den Stand der Kunst philosophiert, betreibt letztlich immer das Geschäft eines Mythos, verdeckt oder offen, und nicht selten mit gefährlichen Konsequenzen. Zu den bemerkenswerten Nebenwirkungen der aktuellen paraphilosophischen Welle gehört die Proliferation von ungeprüften Behauptungen, die an den Grenzen der Nationalstaaten nicht mehr haltmachen. Raubkopien der Ahnungslosigkeit zirkulieren frei um die ganze Welt.“
Yasin Ali Salmaz arbeitet als politischer Berater in Ankara.