Eine Minderheit …?

Ausgabe 228

„Nur die Islamische Zeitung hat durch den Idealismus ihrer Träger die Entwicklung nicht nur überstanden, sondern auch ihre stets kritische Unabhängigkeit bewahrt. (…) Während sich nämlich Integrationsbemühungen und -vereine dadurch auszeichnen, dass sie sich durch Erfolg selbst abschaffen, zeigt das Bestehen der Islamischen Zeitung, dass es schon mit dem Beginn der Integration ein Element gibt, welches über die Integration selbst hinausweist.“
(iz). Über mindesten zwei, wenn nicht gar drei Jahrzehnte waren deutsche Muslime die Sprecher des Islam in Deutschland. Im Süden war es vor allem Ahmed von Denffer, im Norden die Mitarbeiter des Islam Institutes. Hinzu kamen die wenigen deutschsprachigen Missionare der Ahmadiyya beziehungsweise einzelner Tariqat. Das Bild vom Muslim wurde durch Deutsche geprägt, die in den Medien und auf den Podien der evangelischen und katholischen Akademien für „den“ Islam das Wort ergriffen. Meist mussten sie ihren Glauben gegen Exilanten der verschiedensten Herkünfte verteidigen.
Dies war jedoch nur die eine Seite ihrer Bemühungen. Auf der anderen Seite rangen sie mit den Neuen, die noch nicht wussten, wohin sie gehörten, aber die (deutsche) Religionsfreiheit genossen, um welche Anpassung auch immer in die hiesige Gesellschaft rangen und politische Kultur kennenlernten. Es war eine mitunter mühselige Überzeugungsarbeit, dass ein Muslim auch in diesem Lande frei sich entfalten könnte.
Aus diesen Anstrengungen hat nur ein Ansatz über die Zeiten hinweg überlebt: die Islamische Zeitung. Was war geschehen? Warum setzten sich die Zeitschriften aus München beziehungsweise Soest nicht durch, sondern wurden durch die Zeitschriften der sich entwickelnden Verbände verdrängt? Es gibt keine schlüssige Antwort, die auch nur einen entscheidenden Faktor zu nennen vermag; zudem fand die Verschiebung von den Deutschen zu den Migranten über Jahre statt. Der deutsche Muslim musste nicht integriert werden.
Er war oder wurde eher zum Ärgernis, schließlich verriet er die Kultur der Mehrheit und war konvertiert. Die Öffentlichkeit akzeptierte eher einen Atheisten als jemanden, der eine neue Religion wählte. Und während ein Afrikaner oder Asiate als Kongolese oder Koreaner angesprochen wurde, blieb der Deutsche stets der Konvertit. So meinte die Mehrheit, dass man „den“ Islam am ehesten und original von einem geborenen Muslim kennenlernen könnte. Mit dem Heranwachsen der zweiten und dritten Generation standen zudem deutschsprachige Studentinnen und Studenten zur Verfügung, die bereit waren, sich im Dialog zu engagieren.
Gleichzeitig bauten engagierte kleine und größere Gruppen örtliche und bundesweite Strukturen in der Form von Vereinen und Verbänden auf, die einerseits die Verbindung zum Ursprungsland – der Heimat der ersten Generation – hielten und andererseits in der deutschen Gesellschaft ihre Stimme erheben konnten. Sie lernten sich in der hiesigen politischen Landschaft zurecht finden, was häufig zu einer die Öffentlichkeit irritierenden Konkurrenz führte.
In dieser Phase wurden die Deutschen die Berater im Hintergrund, die mit ihren vielfältigen privaten und beruflichen Verbindungen Lobbyisten spielen konnten. Vor allem Mitarbeiter des Islamarchivs erwiesen sich als Türöffner zu Fraktionen oder Institutionen. Mit der Gründung der Kölner Gesellschaft Muslimischer Sozial- und Gesellschaftswissenschaftler (GMSG) trat eine weitere Entwicklung in die Öffentlichkeit. Man wusste zwar schon vorher, dass junge Muslime bei Religionswissenschaftlern, Soziologen und Orientalisten studierten und Abschlussarbeiten mit islamischen Themen schrieben, aber nun wurde deutlich, dass sie mit diesen Arbeiten einen Beitrag zum Diskurs beziehungsweise zur Integration leisteten.
Die Freude über diese Entwicklung verdeckte einen entscheidenden Aspekt: Während sich die deutschen Muslime zum Beispiel um Übersetzungen des Qur’an sorgten oder um die demokratische Repräsentation der Minderheit kümmerten, fragten junge Muslime nach Halal-Lebensmittel. Sie verwiesen auf die Alltagsdiskriminierung im schulischen Raum. Hinzu kam der Gegensatz zwischen ihrem Erleben der deutschen Wirklichkeit und den Empfehlungen ihrer Eltern, des Imams in der Moschee, der Entfremdung von der Heimat der Großeltern und dem ungeliebten Wehrdienst in einem mehr oder weniger fremden Land, von dem man sich am liebsten frei kaufte, ohne gleich in der Bundeswehr Dienst zu leisten. Dennoch deutete sich ein Wandel an, der zu einer eigenständigen Mentalität führte.
In diesen Kontexten waren die deutschen Muslime schlicht inkompetent, das heißt überflüssig. Und hatten sie bei der Einrichtung des ersten islamischen Lehrstuhles in Münster noch eine wichtige Rolle übernommen, so stellte sich rasch heraus, dass sich die Verbände hier selbst zu helfen wussten. Sie hatten das Spiel gelernt. So harrte – nachträglich gesehen – noch eine einzige Aufgabe ihrer: Die Anpassung der islamischen Organisationen an die föderale Struktur der Bundesrepublik, was manche in den Vorständen der Verbände nur zähneknirschend zur Kenntnis nahmen. Die Erfolge der norddeutschen Schuren insbesondere der Schura in Niedersachsen und jener in Hamburg übten einen erheblichen Druck aus. Unter ihrem Schutz konnten selbst offiziell diskriminierte Gruppen an Gesprächen mit den Landesregierungen teilnehmen.
Und so wurden die deutschen Muslime zu einer Minderheit in der Minderheit der Muslime in Deutschland. Der Erfolg ihrer Arbeit machte sie überflüssig, zudem integrierten sich die neuen deutschen Muslime in die Strukturen der Mehrheit in der Weise, dass sie als Gruppe nicht mehr zu identifizieren waren und sind.
Nur die „Islamische Zeitung“ hat durch den Idealismus ihrer Träger die Entwicklung nicht nur überstanden, sondern auch ihre stets kritische Unabhängigkeit bewahrt. Es wäre interessant, wenn sich jemand diesem Phänomen im Rahmen einer Dissertation widmete. Während sich nämlich Integrationsbemühungen und -Vereine dadurch auszeichnen, dass sie sich durch Erfolg selbst abschaffen, zeigt das Bestehen der Islamischen Zeitung, dass es schon mit dem Beginn der Integration ein Element gibt, welches über die Integration selbst hinausweist.
Es scheint die Teilhabe am gesamtgesellschaftlichen Diskurs selbst zu sein. Daran hat es nie gefehlt.
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