Die Schlacht um Mossul

Foto: US-Army | Lizenz: gemeinfrei

BERLIN/BAGDAD (GFP.com). Die Vereinten Nationen äußern “tiefe Beunruhigung” über die steigende Zahl ziviler Todesopfer in der Schlacht um Mossul. Recherchen bestätigen, dass den Luftangriffen der US-geführten Anti-IS-Koalition auf die Großstadt und ihre Vororte mittlerweile – wie befürchtet – zahlreiche Zivilisten zum Opfer gefallen sind. So sind am 21. Oktober in einem Dorf nahe der Millionenstadt acht Mitglieder einer Familie bei einer Attacke von US-Bombern getötet worden. In die Luftkriegführung der Anti-IS-Koalition ist die Bundeswehr mit Aufklärungs- und Tankflugzeugen involviert.
Darüber hinaus sind deutsche Offiziere im Luftwaffenhauptquartier auf dem US-Stützpunkt Al Udeid stationiert, das die Luftangriffe auch auf Mossul steuert. Bei Luftoperationen gegen die Stadt, die punktuell bereits seit November 2014 Ziel westlicher Militärschläge ist, sind in den letzten zwei Jahren laut Recherchen der US-NGO Airwars mehr als 450 Zivilpersonen zu Tode gekommen.
Darüber hinaus hat die Anti-IS-Koalition, der Deutschland angehört, bei ihrer Kriegführung in Syrien Uranmunition verschossen. Dies bestätigen die US-Streitkräfte. Uranmunition ist radioaktiv und hochgiftig; in Gebieten, in denen sie eingesetzt wurde, sind schwerste gesundheitliche Schäden verbreitet.
Mehr Bomben denn je
Die Vereinten Nationen äußern “tiefe Beunruhigung” über die steigende Zahl ziviler Todesopfer in der Schlacht um Mossul. Jüngste Berichte über Zivilisten, die in den Kämpfen umgekommen oder verletzt worden seien, seien höchst verstörend, erklärt die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe im Irak, Lise Grande. Grande äußert sich, nachdem die US-geführte Anti-IS-Koalition ihre Luftangriffe auf Mossul und die umliegenden Orte stark ausgeweitet hat.
Vom Beginn der Operationen am 17. Oktober bis einschließlich 1. November hätten westliche Kampfflieger mindestens 191 Attacken durchgeführt, wird eine Sprecherin des Air Forces Central Command zitiert; allein in den ersten drei Tagen des Angriffs auf Mossul habe man im Durchschnitt alle acht Minuten eine Bombe abgeworfen – deutlich mehr als in früheren Operationen gegen den IS. In die Luftkriegführung der Anti-IS-Koalition ist auch die Bundeswehr involviert, die sich mit Aufklärungs- und Tankflugzeugen am Kampf gegen Daesh beteiligt.
Die deutschen Tornados, die von der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik in den Einsatz starten, können Bilder aus Mossul und Umgebung liefern. Zudem sind deutsche Offiziere im taktischen US-Luftwaffenhauptquartier auf dem Stützpunkt Al Udeid in Qatar stationiert; von dort aus werden alle Luftangriffe der Anti-IS-Koalition gesteuert.
Zivile Todesopfer
Inzwischen liegen – trotz kriegsbedingt schwieriger Nachrichtenlage – die ersten Meldungen über zivile Todesopfer in der Schlacht um Mossul vor. Demnach sind Zivilisten unter anderem durch Artilleriebeschuss und durch Sprengfallen getötet worden. Berichten zufolge wurde der Angriff auf eine Moschee in Daquq unweit Kirkuk, bei dem am 21. Oktober mindestens 13 Frauen und Kinder zu Tode kamen und 45 verletzt wurden, aus der Luft geführt.
Für die Bombardierung eines Hauses in Fadhiliya bei Mossul, bei der acht Angehörige einer Familie ums Leben kamen, darunter drei Kinder, wird die US-Luftwaffe verantwortlich gemacht. In Fadhiliya hatte es bereits im Vorjahr bei westlichen Luftangriffen zivile Todesopfer gegeben; wie ein Offizier der Peschmerga berichtet, dessen Aufgabe die Beschaffung von Koordinaten für Luftangriffe in der Region ist, ist das betroffene Gebiet wegen der hohen Zahl von Zivilisten, die dort leben, auf Landkarten der Luftwaffe als besonders “sensibel” gekennzeichnet worden.
Allerdings hat das Pentagon vor geraumer Zeit US-Bomberpiloten die Erlaubnis erteilt, bestimmte Luftangriffe auch dann durchzuführen, wenn mit bis zu zehn zivilen Todesopfern zu rechnen sei. Insgesamt sind in der Schlacht um Mossul bisher bei Luftangriffen der Anti-IS-Koalition laut Airwars, einer US-NGO, mindestens 20 Zivilisten zu Tode gekommen.
“Präzisionsschläge”
Insgesamt liegt die Zahl der Zivilpersonen, die seit den ersten Luftangriffen der US-geführten Anti-IS-Koalition auf Mossul im November 2014 von westlichen Bombern getötet wurden, um ein Vielfaches höher. In ihren offiziellen Darstellungen spreche die Koalition wie üblich “von Präzisionsschlägen, die nur den Feind töten”, konstatiert Airwars: “Die Realität der Menschen in Mossul sieht jedoch oft ganz anders aus.”
Airwars hat bisher 110 der insgesamt 1.906 Luftangriffe auf Mossul analysiert, die vor dem Beginn der Schlacht um Mossul am 17. Oktober 2016 durchgeführt wurden und bei denen rund 9.000 Bomben und andere Geschosse auf die Millionenstadt abgefeuert wurden. Dabei seien mehr als 450 Zivilisten getötet worden, berichtet Airwars – “der höchste Tribut einer einzelnen Stadt im Irak oder in Syrien”. Offiziell räumen US-Vertreter lediglich fünf zivile Todesopfer ein.
Sanktionen gefordert
Wegen der hohen Zahl ziviler Todesopfer bei Luftangriffen im Nahen Osten haben deutsche Politiker kürzlich harte Reaktionen gefordert; allerdings ging es nicht um westliche Bombardements im Krieg gegen den IS, sondern um russische und syrische Luftschläge auf Stellungen von Al Qaida und deren Verbündeten im Osten Aleppos.
So verlangte etwa die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, die Bundesregierung müsse “ein Verfahren zur Verhängung neuer Sanktionen gegen Russland für sein barbarisches Vorgehen in Syrien einleiten”. Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Bundestagsausschusses, erklärte: “Eine Folgen- und Sanktionslosigkeit schwerster Kriegsverbrechen wäre ein Skandal.” Weder Göring-Eckardt noch Röttgen haben sich bislang zu den Vorwürfen von Airwars oder zu den Warnungen der Vereinten Nationen bezüglich Mossul geäußert. Dabei ist in den Krieg gegen den IS auch die Bundeswehr involviert.
Uranmunition
Dies wiegt umso schwerer, als die Anti-IS-Koalition auch Uranmunition eingesetzt hat. Dies haben die US-Streitkräfte inzwischen gegenüber der UN-Nachrichtenagentur IRIN offiziell eingeräumt. Demnach feuerten US-Kampfflieger zumindest am 18. und am 23. November 2015 in Syrien mehr als 5.000 Geschosse mit abgereichertem Uran (Depleted Uranium, DU) ab. Abgereichertes Uran ist radioaktiv und gilt als überaus giftig. Uranpartikel, die sich beim Einschlag der Geschosse abspalten, werden eingeatmet oder gelangen über Nahrungsmittel in den menschlichen Körper.
Sie werden für schwerste gesundheitliche Schädigungen verantwortlich gemacht. In Gebieten, in denen DU-Geschosse eingesetzt wurden, sind solche Schädigungen breit nachgewiesen; im vergangenen Jahr schilderte eine Dokumentation des Bayerischen Rundfunks (BR) einen dramatischen “Anstieg an Krebserkrankungen, Totgeburten und erschreckende[n] Fehlbildungen bei Neugeborenen” in einer betroffenen Region – im Süden des Irak.
Wie IRIN unter Bezugnahme auf einst geheime, inzwischen aber freigegebene US-Dokumente bestätigt, sind allein 2003 im Irak rund 181.000 Urangeschosse eingesetzt worden. Im Krieg gegen den Irak im Jahr 1991 sollen es sogar annähernd 700.000 Geschosse gewesen sein. Weder eine Reinigung der verseuchten Gebiete noch andere Konsequenzen welcher Art auch immer sind je erfolgt.