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Fetisch, Ware und Verlangen

Ausgabe 256

Foto: katesokate | CC0 Public Domain

„Die große Schlacht um die Seele der muslimischen Welt wird nicht für Religion geführt, sondern für den Marktkapitalismus.“ (Vali Nasr, Autor & Obama-Berater)

(iz). Unendliche Märkte, endlose Warenwelten und das gute Gewissen der Kunden, mit dem Kauf etwas fürs Seelenheil getan zu haben. So oder ähnlich präsentiert sich der Geschäftszweig, der den oft bemühten Zusatz „halal/Halal“ besetzen konnte. Was heute nicht alles „halal“ sein will … von Produkten der Lebensmittelindustrie (die jedem Ernährungsberater das Fürchten lehren) bis zu Lingerie und dem Verbraucherkredit. Alles soll der dominanten Melange aus Verlangen, Fetisch und Konsum verfügbar gemacht werden und doch „religiös“ akzeptabel sein.

Agriculture and Agri-Food Canada berichtete, dass um 2011 alleine der Markt für „Halal-Lebensmittel“ auf 632 Milliarden US-Dollar jährlich angewachsen sein soll. Das bedeutet, dass bereits jetzt 17 Prozent des gesamten weltweiten Lebensmittelmarktes dieses Segment abdecken. „Multis wie Tesco, McDonald’s und Nestlé haben das erkannt und ihre Produktlinie erweitert.

Damit keine Missverständnisse aufkommen. Das soll keine moralinsaure Klage über „Konsum“ oder „Gewinn“ sein. Muslime waren seit Anbeginn als erfolgreiche Händler bekannt. Und im islamischen Recht hat sich ein umfangreicher Korpus der Bestimmungen für das Kaufen und Verkaufen entwickelt. Nur: Jene früheren Generationen kamen nie auf den Gedanken, ihren Waren den Anstrich des „Religiösen“ zu verpassen. Ihre Aufmerksamkeit galt der Frage, ob der Modus ihrer ökonomischen Aktivität islamrechtlich und vor Allah akzeptabel war.

Bisher fehlt es an kritischen Einordnungen des planetarischen „Halal-Business“. Wenn überhaupt werden Detailfragen wie „Halal-Standards“ diskutiert. Diese Lücke besetzt nun die US-amerikanische Professorin Faegheh Shirazi. In ihrem 2016 erschienen Band „Brand Islam. The Marketing and Commodification of Piety (Marke Islam. Das Marketing und die Inwertsetzung von Gottesfurcht)“ wirft die Forscherin einen eindrücklichen Blick auf eine neue Sache.

Ihr Ziel sei ein eigenständiger Beitrag im Feld der Kulturstudien. Sie wolle zeigen, wie unzählige Waren – von Lebensmitteln bis Kinderspielzeugen – als „halal“ oder „islamisch“ an muslimische Verbraucher vermarktet werden. Das findet sowohl in traditionell muslimischen Ländern statt, als auch in Staaten mit muslimischen Minderheiten. Laut Shirazi stellen im zweiten Fall diese Produkte und die mit ihnen einhergehende Glücksverheißung (in Zeiten von Ablehnung und Diskriminierung) zusätzlich ein Vehikel der Identitätsbildung dar.

Die Autorin interessiert sich auch für die psychologischen Aspekte des globalen Phänomens: „Dieses Buch konzentriert sich auf die Entwicklung und das Marketing von islamischen Waren, die ich als ‘Marke Islam’ betrachte. Dies geschieht auf der Ebene des Fetischs. Denn muslimische Verbraucher, vielleicht insbesondere diejenigen aus der Mittelklasse, verbinden eine mythische und religiöse Bedeutung mit etwas, das andernfalls als unnützes oder banales Objekt gilt.“ Denn im Halal-Business werden die Idee beziehungsweise „die Werte“ verdinglicht. Es gehe ihr, so Shirazi, nicht um die Geringschätzung aufrichtiger religiöser Motivation, sondern darum, aufzuzeigen, wie spirituelle Symbole des Islam in den Dienst der Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen gestellt würden.

Für die Forscherin ist dieser „Fetisch“ eine höchst erfolgreiche Marketingstrategie. Eine ihrer Mechanismen sei ein wachsender Trend, Kundenbindung zu belohnen, die ausschließlich mit dem Islam verbunden ist. „Diese Exklusivität hat einen neuen Typus der globalen Vernetzung, der gemeinsamen Produktion und Dienstleistung zu einem riesigen Konglomerat ermöglicht, die manche als das ‘Interland’ bezeichnen.“ Darin gebe es Produzenten, die formal „halal“ seien, andere hingegen würden betrügerisch als solche etikettiert.

Eines der – gewinnträchtigen – Missverständnisse ist die Verwechslung der Etikettierungen „halal“ und „islamisch“. Erstere sei, formalrechtlich, „islamrechtlich sanktioniert“, Letztere aber nicht notwendigerweise „halal“. Um sich als islamisch erlaubt zu qualifizieren, müsse das Produkt/die Dienstleistung durch eine entsprechende Autorität beglaubigt werden, beschreibt Faegheh Shirazi eines der Grundaxiome dieses Geschäftszweiges.

Kritische Juristen sehen den Trend, an jeder passenden oder unpassenden Stelle ein Prüfsiegel zu platzieren, mit mehr als nur gemischten Gefühlen. Im islamischen Recht gibt es keinen Zwang, etwas als „erlaubt“ zu kennzeichnen. Alles ist erlaubt, was nicht ausdrücklich und autorativ verboten ist. Gerade die Prophetengefährten sowie führende Gelehrte der formativen Phase der islamischen Rechtslehre hatten große Hemmungen, Dinge oder Handlungen als „erlaubt“ oder „verboten“ zu qualifizieren.

Die beteiligten Produzenten, Händler und Marketingfirmen machen sich, so Shirazi, das Verlangen aufstrebender muslimischer Eliten zunutze, durch den Konsum dieser Produkte „ihre Bindungen zur globalen muslimischen Gemeinschaft“ zu stärken. Der einfache Akt, Hamburger einer „halal-zertifizierten“ Fastfoodkette zu erstehen oder Kosmetik mit „Halal-Logo“ zu kaufen, könne sich psychologisch auswirken.

Die „Marke Islam“ und Kapitalismus gehen laut Faegheh Shirazi Hand in Hand. Clevere Vermarkter würden erkennen, dass die Kaufentscheidung eines Kunden, wenn sie bewusst und mit religiöser Identität verbunden ist, außergewöhnlich vorhersagbar ist. „Daher sind diese Verbraucher außergewöhnlich leicht zu manipulieren.“

Shirazi untersucht die neue Rolle, die Islam in diesem neuen Paradigma erhält: als eine „inwertgesetzte Religion“. Dort wird Gottesfurcht zum Marketing-Werkzeug und zu einem überzeugenden Mittel für den Verkauf von Waren und Dienstleistungen an die muslimische Zielgruppe. Auf der medialen Ebene, die die „Marke Islam“ begleitet, erhält der Din eine ganz neue Bedeutung. Die Autorin hat das Konzept der Inwertsetzung bewusst gewählt.

In ihrem Buch geht Faegheh Shirazi von einer „Kommerzialisierung des Islam“ aus. Sie untersucht den Prozess der Inwertsetzung unter „islamischen“ Vorzeichen und stellt sich die Frage, wie dieses Phänomen das religiöse, kulturelle und ökonomische Leben muslimischer Verbraucher verändert. „Es entstand eine neue Nachfrage nach islamischen Verbrauchsgütern, wo es vorher keine gab.

Dies resultierte in Produkten, die (…) unter den wachsamen Augen von Ayatollahs, ’Ulama und Muftis vermarktet werden.“ In dieser Gemengelage aus Profit und „religiöser“ Absegnung entstehen dann Phänomene, bei denen mechanische Schlachtanlagen von Tonbändern beschallt werden, auf denen „religiöse Formeln“ zu hören sind.

Es ist unfreiwillig komisch, dass die Idee einer „Halal-Wirtschaft“, die gemeinsam mit dem „Islamic Banking“ aus der Ideenschmiede des politischen Islam alter Schule kam, heute gerade und vor allem den globalen Clustern des globalisierten Kapitalismus zugutekommt. Sie ist längst zum Bestandteil des weltweiten Warenverkehrs geworden. Die alte Idee des politischen Islam, „den Westen“ mit seinen Methodologien und Techniken „einzuholen“, führt in dieser Perspektive zur weiteren Integration von Muslimen in dessen Produktions- und Konsumsphäre.

Mit dem wachsenden Wohlstand und einer relativ hohen Geburtenrate, so die Forscherin, gehe eine nennenswert gestiegene Kaufkraft einher. Konzerne wie Nestlé, Colgate-Palmolive, Carrefour und Unilever investierten erhebliche Ressourcen in den aufstrebenden muslimischen Markt. Ein Bericht von 2011 bezifferte Nestlés Verkäufe auf diesem Segment auf über drei Milliarden US-Dollar jährlich. 2014 bezifferte eine Konferenz über „Halal-Tourismus“ im andalusischen Granada diesen Markt (ohne Hadsch und ’Umra) auf mindestens 128 Milliarden US-Dollar.

Nicht nur globale Konzerne profitieren vom nicht mehr ganz so neuen Trend. Während es in muslimischen Ländern vor allem staatliche, halbstaatliche oder öffentliche Prüforganisationen sind, die die heiß begehrten und lukrativen Prüfsiegel vergeben, sitzen in westlichen Staaten Organisationen wie die US-amerikanische IFANCA am Hebel. Im November 2000 trat Muhammad Mazhar Husseini, Mitbegründer und leitender Direktor von IFANCA, zurück. Er kritisierte den Zertifizierungsprozess – den er selbst Jahrzehnte zuvor mit ins Leben rief. Im Rückblick sagte Hussein über sein ehemaliges Ziehkind: „Sie interessieren sich für das Berechnen von Gebühren, das Zertifizieren von Produkten und das Verdienen von Kommissionen.“

Religiöse Speisevorschriften sind zivilisationsgeschichtlich keine Seltenheit. Unüblich ist die bisher nicht gekannte Nachfrage nach religiös sanktionierten Lebensmitteln sowie ihre globale Distribution. Und unüblich ist die sehr neue Vorstellung, Waren oder Dienstleistungen müssten sich einem Prüfungsprozess unterziehen, um „halal“ zu sein. Das „Halal-Siegel, so der Gelehrte Imam Habib Bewley aus Kapstadt, zerstöre das Grundvertrauen der Muslime untereinander.

„Was im siebten Jahrhundert mit einigen (…) Versen begann, die die Absicht innehatten, den Einzelnen zum spirituellen und körperlichen Wohlergehen anzuhalten, wurde unerwartet in ein Phänomen des 21. Jahrhunderts transformiert. (…) Eine gigantische globale Lebensmittelindustrie entstand; angetrieben von betrügerischen Herstellern, ruinösen Mitbewerbern (…) und korrupten Politikern. Am Ende ist es der muslimische Verbraucher, ausgebeutet und verwirrt, der am meisten zu verlieren hat“, lautet eine der Quintessenzen von Faegeh Shirazi.