Ausnahmen: Bedeutungen des aktuellen CIA-Folterberichts aus den Vereinigten Staaten

Ausgabe 235

(iz). Jede Zeit entwickelt ihre eigenen Prüfungen des Charakters. Auf der politischen Ebene gibt es für den aufmerksamen Beobachter also keine Ruhe. Alles fließt. Staaten entwickeln sich, verfügen über immer mehr Geld, mischen sich in den Alltag der Menschen ein, maßen sich an, mit neuen Techniken ihre Bürger zu überwachen. Dabei können auch moderne Staaten immer wieder in einen vorrechtlichen Zustand abgleiten, den Ausnahmezustand erklären und bewusst das Recht missachten.

Den eigentlichen Zustand eines Menschen, oder eines Staates, kann man am Besten außerhalb des Normalfalles, zum Beispiel in der Krise verstehen. Spätestens seit der Ausrufung des „Krieges gegen den Terror“ macht sich die westliche Öffentlichkeit hier keine Illusionen mehr. Auch Demokratien können das Recht brechen und das Lager als – wie Agamben erklärt – Teil des „Nomos der Moderne“ einrichten und betreiben.

Der vorliegende CIA-Bericht verdeutlicht die Eigendynamik im Kampf gegen den Unwert im Wertesystem, den Terroristen. Als unwertes Leben erfährt er keine menschliche Behandlung mehr und wird von der staatlichen Macht auf das nackte Leben reduziert. Und das Establishment hat davon – natürlich – nichts gewusst, rechtfertigt das eigene Wegsehen mit der Unvorstellbarkeit, dass Staaten genau dies tun.

Diese dialektische Überzeugung, dass im Kampf gegen das Böse, die eigene Seite das Gute repräsentieren muss, ist längst zerbrochen. Wie immer zeigt sich so erst in der Gefahr nicht nur der wahre Charakter von Systemen, sondern auch der von Menschen.

Es sind immer nur Einzelne, selten Parteien, die im entscheidenden Moment Charakter beweisen. Nach der Veröffentlichung des CIA-Berichtes zeigt sich dies deutlich. Die nahe liegende Reaktion, die Bestrafung der Täter zu fordern, ist nur für die Wenigsten die Konsequenz. In den USA steht für diese Art des souveränen Charakters der US-Senator McCain. Er ist kein Theoretiker der Menschenrechte, sondern ein Mann aus der politischen Praxis. Er hat als Soldat erfahren, was es heißt, Kriege zu führen und er weiß aus den Erfahrungen in seiner Kriegsgefangenschaft, was es bedeutet, keine Rechte mehr zu haben. In den USA ist er so zum Gewissen der Nation geworden. Ein Mann, der klarstellt, dass Folter ein Verbrechen ist.

In Deutschland mahnt man aus guten Gründen die Bezeugung des Charakters in Zeiten des Unrechts an. Gerade die Reaktionen auf den CIA-Folterbericht machen deutlich, wo wir hier stehen. Wer wagt – eventuell zum eigenen Nachteil –, hier, der Sache zuliebe die Bestrafung der Folterer zu verlangen? Jeder kann sich ein eigenes Urteil über den Zustand der politischen Klasse bilden. Man sollte aber auf jeden Fall honorieren, dass der Abgeordnete der Linken, Gregor Gysi, ein rechtsstaatliches Zeichen setzt und schlicht den Strafantrag gestellt hat. Die Beispiele Gysi und McCain zeigen, dass die Bildung eines Charakters in jedem politischen Lager möglich ist.