Premiere für die USA

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In dem einst von deutschen Auswanderern gegründeten Ort Hamtramck in Michigan dominieren Muslime den Stadtrat. Für die USA ist das neu. Nicht so neu sind die Probleme für die Stadträte: Steuern, Müllabfuhr und Schneeräumung.
Hamtramck (dpa). Saad Almasmari und Anam Miah genießen ihren Hähncheneintopf mit Fladenbrot, eine jemenitische Spezialität. Die beiden Stadträte aus Hamtramck in Michigan verfolgen die Rede zur Lage der Nation von Präsident Barack Obama, die über den Bildschirm im Restaurant „Sheeba“ flimmert. Almasmari entdeckt die Kongressabgeordnete, die ihn zu diesem Anlass nach Washington einladen wollte. Sie schüttelt Obama die Hand. „Da hättest du dabei sein können“, sagt sein Kollege.
Aber der im Jemen geborene Almasmari schüttelt den Kopf – er hat an diesem Tag einen wichtigeren Termin: „Ich kann doch nicht meine erste Sitzung verpassen. Dafür wurde ich gewählt.“ Der neue Stadtrat von Hamtramck ist der vierte Muslim in dem sechsköpfigen Gremium. Damit hat die 22.000-Einwohner-Stadt in der Nähe von Detroit wahrscheinlich die erste Lokalregierung in den USA mit muslimischer Mehrheit.
Die USA verändern sich: Am Mittwoch besuchte Obama zum ersten Mal in seiner Amtszeit eine Moschee in den USA. Bei der Islamic Society in Baltimore hob der Präsident die Leistungen muslimischer Mitbürger hervor.
Für die Bewohner von Hamtramck ist es eher eine schrittweise Entwicklung als eine Sensation: Seit den 1990ern werden hier Muslime in die Stadtregierung gewählt. Von Deutschen gegründet, war Hamtramck einst vor allem wegen der Dodge-Autofabrik ein Magnet für europäische Migranten. „Wir sind heute stolz darauf, dass 26 Sprachen in unseren Schulen gesprochen werden“, sagt Bürgermeisterin Karen Majewski. „In den 1920ern waren es 60.“ Damals seien Polen die stärkste Bevölkerungsgruppe gewesen.
In Hamtramck leben dem Zensus zufolge knapp 54 Prozent Weiße – dazu werden auch Menschen aus dem Nahen Osten gezählt – 19 Prozent Afroamerikaner und 21,5 Prozent Asiaten. Einwohner schätzen, dass ein Drittel bis die Hälfte der Bewohner Muslime sind. Die ersten Muslime waren albanische Einwanderer in den 1960er Jahren, später folgten Menschen aus dem Jemen, Bangladesch und aus Bosnien. Es gibt auch Hindus und chaldäische Christen aus dem Irak.
Eine einheitliche muslimische Gemeinde existiere aber nicht, sagt Majewski. „Sie arbeiten nicht wirklich – eigentlich gar nicht – zusammen. Genauso wenig wie die Polen und die Italiener kooperieren.“ Sie erwartet auch nicht, dass die vier muslimischen Stadträte immer an einem Strang ziehen werden.
Als Kandidat habe Almasmari versucht, alle Bevölkerungsgruppen anzusprechen, sagt die Bürgermeisterin. „So muss das sein“, meint auch der frischgebackene Stadtrat. „Es geht nicht um eine bestimmte Religion oder Bevölkerungsgruppe.“ Seine Kampagne war klar: Ihm ging es um wirtschaftliche Entwicklung, die Schulen und das positive und friedliche Zusammenleben der Menschen in Hamtramck.
Die Autofabrik, einst Arbeitgeber für 40.000 Menschen, gibt es schon lange nicht mehr – wie Detroit hat auch Hamtramck Einwohner und Steuereinnahmen verloren. Doch die niedrigen Hauspreise ziehen Einwanderer an: „Man kann hier ein Haus kaufen und leben, egal ob man Englisch spricht oder nicht – und sich eine neue Zukunft aufbauen“, sagt Majewski. Etwaige Spannungen würden sich mit der Zeit verlieren.
An dem verschneiten Sonntagmorgen läuten die Kirchenglocken von St Florian. Hier wird fünfmal pro Woche eine polnische Messe abgehalten. Viele Familien mit polnischen Wurzeln aus den umliegenden Vororten kämen deswegen her, sagt eine Einwohnerin, Cindy Cervenak. Etwa 200 Gläubige sind in der Kirche, ein Folklore-Chor singt.
Vierzig Minuten später ertönt von der Moschee der Ruf zum Mittagsgebet. „Was lauter ist, hängt von der Windrichtung ab“, sagt Cervenak. In dem polnischen Viertel ihrer Kindheit sind heute Jemeniten ihre Nachbarn. Überhaupt erlebt die Stadt einen ständigen Kreislauf von Zu- und Wegzug. Die meisten Albaner sind weg, auch viele Jemeniten und Bangladescher zieht es in die Vorstädte. „Hamtramck ist ziemlich gut integriert“, sagt Cervenak. „Kulturell gesehen hat jeder seine eigenen Kirchen, Moscheen und Feste.“
In seiner ersten Stadtratssitzung diskutieren Almasmari und seine Kollegen über Reinigungsgebühren, die Grundsteuer und Schneeräumung. „Die Menschen waren froh, dass die Straßen geräumt waren“, sagt er. Die Arbeiter hatten die sechs Zentimeter Neuschnee schnell von den Straßen entfernt. Bevor er 2009 mit seiner Familie in die USA kam, hatte Almasmari noch nie Schnee gesehen. Er lernte Englisch und versuchte, sich zurechtzufinden. „Anfangs war es schwierig“, gibt er zu. „Aber wenn man das Leben hier versteht, kapiert, wie man einen Job kriegt und beginnt, die Sprache zu lernen, wird es leichter.“
Nach dem Ende der Sitzung schüttelt er viele Hände. Einen Mann begrüßt er mit Küssen auf die Wange, nach arabischer Tradition. Bevor er das Gebäude verlässt, eilt er nochmal zurück in den Sitzungssaal und schießt ein Erinnerungsfoto von seinem Namensschild auf dem Konferenztisch.