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Kultur. Welche Kultur?

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Debattenbeitrag über den oft missverständlichen Begriff der „Kultur“, der Probleme beim Islamverständnis schafft. (iz). Nicht wenige wundern sich ernsthaft, wie man heute noch ernsthaft von „Kultur“ sprechen kann, wenn man […]

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Münchner Imam: Ramadan-Beleuchtung in 2024 betont kulturelle Vielfalt

ramadan-beleuchtung

In Frankfurt und Köln werden ab diesem Wochenende einige Straßen beleuchtet. Am Montag beginnt der Ramadan 2024. Ein Imam aus München kann sich dies auch an der Isar gut vorstellen.

München (KNA) Mehr Sichtbarkeit von muslimischem Leben ist nach Meinung des Münchner Imams Belmin Mehic unabdingbar. Er begrüße den Vorstoß für ein gemeinsames Fastenbrechen, sagte Mehic der „Süddeutschen Zeitung“ (Wochenende).

Foto: Fevziie, Shutterstock

Ramadan-Beleuchtung: Sichtbarkeit von muslimischem Leben

Die Idee, dass Stadt und ein geeigneter Verein zum gemeinsamen Iftar einladen könnten, hatten die Stadtrats-Fraktionen von Grünen, SPD und Linker in einem gemeinsamen Antrag vorgestellt.

Solche Veranstaltungen können laut Mehic zeigen, „dass die Muslime ein Teil dieser Gesellschaft sind“ und dass sie sich gern in die Gesellschaft einbrächten.

Mit derartigen Gesten werde indes nicht die gesamte Problematik gelöst, ergänzte der Imam, der im Vorstand des liberalen Münchner Forums für Islam sitzt und seit anderthalb Jahren auch Geschäftsführer des neu gegründeten Muslimischen Bildungswerks München ist.

Foto: Zentralrat der Muslime, Facebook

„Eine institutionelle Präsenz“

Es brauche zudem „eine institutionelle Präsenz“, doch es gebe in München „immer noch keine repräsentative Moschee“. Und weiter: „Es wäre auch bereichernd, wenn der Ramadan in unserer Stadt sichtbarer werden könnte“.

Der muslimische Fastenmonat beginnt am Montag und dauert in diesem Jahr bis zum 1. April. Kürzlich war bekannt geworden, dass die Stadt Frankfurt anlässlich des Fastenmonats erstmals ihre Fußgängerzone beleuchtet.

Im Kölner Stadtteil Ehrenfeld plant ein Verein ebenfalls eine Lichtinszenierung. Eine solche „visuelle Anerkennung“ unterstreiche nicht nur die Bedeutung des Ramadan für Muslime, sondern auch die „kulturelle Vielfalt und die Werte der Toleranz“, sagte Mehic.

Zugleich sei die gesellschaftliche Stimmung aufgeheizt. „Eine polarisierende Rhetorik rückt immer mehr in den Vordergrund“, beklagte der Imam. „Leider verändert sich deshalb auch der Blick vieler Menschen auf den Islam.

Antimuslimischer Rassismus ist kein Problem mehr der Ränder, sondern ein Problem der Mitte der Gesellschaft.“ Dies mache vielen Menschen zwar Angst, aber ein Rückzug aus der Gesellschaft sei „der falsche Weg“.

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Debatte um Rauswurf von Student nach Angriff

Streit Rauswurf Student Antisemitismus Debatte

Die Freie Universität Berlin wird dafür kritisiert, zu tolerant im Umgang mit Antisemitismus gewesen zu sein. Die Debatte über zukünftige Massnahmen bei Antisemitismus ist in vollem Gange.

(dpa/IZ) Nach dem mutmaßlichen Angriff auf einen jüdischen Studenten in Berlin steht der Freien Universität (FU) eine Kundgebung unter dem Titel „Solidarität mit Palästina“ bevor. Eine Privatperson habe für Donnerstag 100 Teilnehmer vor der großen Unimensa angemeldet, sagte eine Polizeisprecherin am Mittwoch. Die Frage, wie die FU mit der angemeldeten Demo umgehen will, ließ die Uni auf Anfrage zunächst offen.

Die Universität steht von mehreren Seiten in der Kritik, nachdem der 30-jährige jüdische Student Lahav Shapira am Wochenende mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus gekommen war. Ein 23-jähriger propalästinensischer Kommilitone soll ihn im Ausgehviertel in Berlin-Mitte geschlagen und getreten haben.

Forderung nach Exmatrikulation

Forderungen, etwa vom Zentralrat der Juden nach einer Exmatrikulation des Studenten, der seinen jüdischen Kommilitonen verprügelt haben soll, sieht Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra mit Skepsis. „Es ist ein hohes Grundrecht, das hier betroffen wäre von einer Exmatrikulation“, sagte die SPD-Politikerin dem RBB. Exmatrikulationen aus politischen Gründen lehne sie auch grundsätzlich ab. Wie die FU mitgeteilt hatte, ist nach derzeitiger Rechtslage in Berlin eine Exmatrikulation von Studierenden aus Ordnungsgründen nicht möglich.

FU-Präsident Günter Ziegler sagte: „Ich habe den Eindruck, dass wir nachschärfen müssen, zumindest in den Hilfsmitteln, die wir haben. Und dass das, was im Moment besteht, eben ein Hausverbot begrenzt auf drei Monate, möglicherweise für die Situationen, die wir haben, nicht reichen wird.“ Der wissenschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Adrian Grasse, will sich für eine Wiedereinsetzung des Ordnungsrechts starkmachen. Es brauche das Instrument der Exmatrikulation, um jüdische Studentinnen und Studenten zu schützen und deutlich zu machen, dass Antisemitismus an unseren Hochschulen keinen Platz habe.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte dem „Tagesspiegel“, die Leitung der Uni sei viel zu tolerant und lasse zu viel unkommentiert. Unter anderem eine Hörsaalbesetzung einer Gruppe namens „FU Students for a Free Palestine“ hatte im Dezember für Aufsehen gesorgt. Lior Steiner von der Jüdischen Studierendenvereinigung Berlin sagte dem RBB, sobald Israel das Existenzrecht abgesprochen werde und klar antisemitische Botschaften nach außen getragen würden, habe dies mit Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun. Mehrere Studierendenvereinigungen fordern zusammen mit der Jüdischen Studierendenunion Deutschland und dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft unter anderem den Ausschluss und das Verbot antisemitischer und extremistischer Gruppierungen am Campus.

Bundesministerin: Unis keine rechtsfreien Räume

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) rief Universitäten zu einem konsequenten Durchgreifen auf. Antisemitismus müsse klare Konsequenzen haben, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwoch). „Hochschulleitungen müssen daher von allen ihnen rechtlich zustehenden Möglichkeiten Gebrauch machen.“ Unterdessen ist der verletzte Lahav Shapira im Krankenhaus bestohlen worden, wie sein Bruder, der Comedian Shahak Shapira, auf der Plattform X berichtete. Hinweise auf eine gezielt gegen ihn gerichtete Tat gibt es aber bislang offenbar nicht. „Leider ist es unbefugten Personen gelungen, auf eine eigentlich verschlossene Station zu gelangen und bei insgesamt drei Patienten Eigentum zu entwenden“, zitierte die „B.Z.“ einen Charité-Sprecher.

Bekenntnisdruck

Bekenntnisdruck

Bekenntnisdruck: Ein Beitrag von Maximillian Steinbeis aus dem Verfassungsblog.de über die Frage nach der Distanzierung.

(Verfassungsblog.de). Darf ich Ihnen ein kleines Rätsel aufgeben? Von wem stammt das folgende Zitat? „Die hier lebenden Muslime haben Anspruch auf Schutz vor rechtsextremer Gewalt – zurecht. Wenn sie angegriffen werden, muss dieser Anspruch eingelöst werden. Und das gleiche müssen sie jetzt einlösen, wenn Jüdinnen und Juden angegriffen werden. Sie müssen sich klipp und klar vom Antisemitismus distanzieren, um nicht ihren eigenen Anspruch auf Toleranz zu unterlaufen.“

Interessantes Argument, nicht wahr? Der „Anspruch auf Schutz vor rechtsextremer Gewalt“ der „hier lebenden Muslime“ wird hier in einen merkwürdig zweideutigen Zusammenhang mit der Erfüllung eines Gegenanspruchs gestellt. Sie müssen etwas tun, um ihren eigenen Anspruch jedenfalls auf Toleranz, wenn nicht gar auf Schutz nicht aufs Spiel zu setzen. 

Sie, die „hier lebenden Muslime“, gehören der nationalen Schicksalsgemeinschaft der Holocaust-Erben nicht natürlicherweise an, bleiben immer ein bisschen verdächtig, ihre Loyalität zur bundesdeutschen Staatsräson immer ein bisschen zweifelhaft. Weshalb sie sich bekennen müssen. Nicht nur pflichtschuldig, nicht mit gekreuzten Fingern hinter dem Rücken, nicht verunklart durch irgendwelche postkolonialen Kontexte und Klügeleien, sondern ohne Wenn und Aber, „klipp und klar“. Wer diesen Anspruch nicht erfüllt, wer da noch Raum für Zweifel und Fragen lässt, „unterläuft“ damit den „eigenen Anspruch auf Toleranz“.

Um das Rätsel aufzulösen: Es war Robert Habeck, der grüne Vizekanzler, der das gesagt hat in seiner viel bejubelten Videorede zu „Israel und Antisemitismus“. Die Debatte zu entwirren hat Habeck sich vorgenommen, und in der Tat schafft seine Rede in befreiender Weise Klarheit darüber, dass jüdisches Leben in Deutschland jeden Schutz bekommen muss, den sie benötigt. Die zitierte Passage sorgt bei mir jedenfalls ehrlich gesagt aber nicht für Ent-, sondern für Verwirrung.

Dass es unter den in Deutschland lebenden Muslim*innen knallharte Antisemit*innen in großer Zahl gibt und dass sie die Sicherheit der Jüd*innen nicht nur in Deutschland in unerträglicher Weise bedrohen, ist mir völlig klar. Ebenso die vielen Fingerzeige auf Israel, die in Wahrheit als Relativierungen oder gar Legitimierungen des Terrors gemeint sind und auch so verstanden werden. Dass es unter den vielen verschiedenen Islamverbänden nicht wenige gab und gibt, die den Hamas-Terror nicht explizit verurteilen wollen, ist mir genauso bekannt wie ihr Mangel an Repräsentativität. Das weiß ich alles.

Was Habeck von den Muslimen fordert, ist nicht bloß eine Distanzierung von Hamas- und anderem Terror oder überhaupt von konkreten Taten und Vorgängen, sondern eine Distanzierung vom Antisemitismus insgesamt, und zwar, aller Unschärfe und Umstrittenheit dieses Begriffs gerade in seiner auf Israel bezogenen Dimension zum Trotz, „klipp und klar“: Bekenne dich! Werde eindeutig! Nimm uns den Zweifel, auf welcher Seite du stehst, wenn du nicht deinen Anspruch auf unsere Toleranz aufs Spiel setzen willst!

Es ist der Vizekanzler, der diese Forderung artikuliert. Es ist der Staat. Er fordert die Muslime, die Migranten, auf, sich klipp und klar zu erklären und zu bekennen zu seiner Räson. Aber so ganz können sie ihn nie zufrieden stellen. Wann ist das Bekenntnis „klipp und klar“ genug? Sind da nicht noch lauter ex- oder implizite Vorbehalte? Sagen die das nicht bloß, um sich ihren Anspruch auf unsere Toleranz zu erwerben? Meinen die das wirklich? Ein Rest von Zweifel an der Loyalität dieser Migranten, die nicht zu Mitbürgern werden sollen, sondern nur „hier lebenden Muslime“ sein dürfen, bleibt immer. Das ist ja auch ganz nützlich, weil er den qua geteiltem Schicksal Zugehörigen der Mitbürgergemeinschaft ermöglicht, sich einander um so näher, homogener und ihrer Identität gewisser zu fühlen.

Wenn das so ist: Wie sicher können sich Jüdinnen und Juden in einem Land fühlen, dessen Vizekanzler unter dem jubelnden Beifall des allergrößten Teils der öffentlichen Meinung gegenüber einer vulnerablen Minderheit mit solchen Argumentationsfiguren operiert?

* Der Text wurde am 3. November 2023 auf Verfassungsblog.de veröffentlicht. Nachdruck im Rahmen einer CC BY-SA 4.0-Lizenz.

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Tag der Deutschen Einheit 2023: Kommentar über ein problematisches Wir-Gefühl

koexistenz islam berlin-monitor tag der einheit antimuslimischer rassismus Berlin

Am Tag der Deutschen Einheit öffnen Moscheen die Tore. Nicht alle sehen das wohlwollend. Andere beklagen ewig gleiche Rituale.

(iz). Der Tag der offenen Moschee findet inzwischen traditionell am Tag der Deutschen Einheit statt. In diesem Jahr luden über 1.000 Gebetshäuser in Deutschland die lokale Bevölkerung zum Austausch ein. Ziel war es nicht nur, Vorbehalte gegen die islamischen Gemeinden abzubauen, sondern auch auf die soziologische Vielfalt der Gläubigen hinzuweisen.

Tag der Einheit auch in Moscheen

Deutsche Muslime mit oder ohne Immigrationshintergrund sind seit Jahrzehnten Teil der Gesellschaft. Sie sind BürgerInnen mit allen Rechten und Pflichten. Darüber hinaus leisten die Moscheen einen beachtlichen Beitrag zur Integration von Flüchtlingen.

In den Medien wird diese Initiative meist wohlwollend begleitet. Aber es gibt Stimmen, die den Organisatoren ideologische Motive unterstellen oder „Trittbrettfahrerei“ vorwerfen und nicht akzeptieren, dass Muslime sich an einem neuen Wir-Gefühl beteiligen.

Pressefoto: igmg.org, X

Wiederholung der gleichen Rituale

Andere KritikerInnen sehen in den Feiern rund um den Tag der Einheit eine leere Symbolpolitik, die die bestehenden Ost-West Unterschiede-des Landes in einer ewigen Wiederholung des gleichen Rituals überspielen.

Großes Aufsehen hat ein Buch des ostdeutschen Literaturwissenschaftlers Dirk Oschmann erregt: „Der Osten, eine Erfindung des Westens“. Dem Autor geht es in seiner Streitschrift nicht um Identitätspolitik oder die Verfestigung einer Ost-Identität, sondern im Gegenteil um „Des-Indentifizierung“.

Er bezieht sich auf den französischen Sozialphilosoph Jacques Rancière, der für das absolute Recht einer Person oder einer gesellschaftlichen Gruppe eintritt, keine Identität zugeschrieben zu bekommen. 

Auf der sachlichen Ebene erinnert das Buch an Sachverhalte, die das Integrationsprojekt Einheit trotz vieler Erfolge hinterfragen. Es gibt Beispiele: Der Anteil Ostdeutscher in Spitzenpositionen von Wissenschaft, Verwaltung, Jurisprudenz, Medien und Wirtschaft beläuft sich derzeit auf durchschnittlich 1,7 Prozent.

Der Immobilienbesitz in Leipzig liegt bspw. zu 90 Prozent in westlichen Händen. Er beklagt die Unterschiede im Lohnniveau und die Schwierigkeiten im Vermögensaufbau der Bevölkerung.

Assoziationsketten prägen das Bild Ostdeutschlands

Neben diesen Fakten stehen im Mittelpunkt des Buches die Klagen über diverse Assoziationsketten, die aus Sicht des Autors das Bild Ostdeutschlands prägen. Es ist gerade für uns Muslime klar, was gemeint ist: Viele MitbürgerInnen aus dem Westen sehen  – insbesondere wegen der Wahlerfolge der AfD – auf die neuen Bundesländer mit großen Vorbehalten.

Ironischerweise dürften wir aber in dem Sachbuch einige Passagen entdecken, die für uns Muslime aus eigener Erfahrung durchaus nachvollziehbare Phänomene beschreiben. Oschmann beklagt vor allem in den Medien zum Beispiel Zuschreibungsmechanismen, die sich in Vorurteilen, Stereotypen, Ressentiments und Schematisierungen zeigen. Mit anderen Worten: Er erklärt zu Recht dass es die Ostdeutschen oder die Westdeutschen nicht gibt.

VIP-Prediger

Foto: Adobe Stock, Montecillo

Die Medien suchen Zuschreibungen

„Wutbürger, AfD-Wähler, Nazis, Rassisten“, so schreibt er, sind Typisierungen, die von den Medien gezielt gesucht und ausgesucht werden, damit sie im nächsten Schritt als repräsentativ hingestellt werden. Und: „Vor 1989 behauptete der Osten, alle Nazis würden im Westen leben, seit 1989 läuft es andersherum.“

Oschmann erinnert daran, dass die Mehrheit der führenden AfD-Funktionsträger in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg aus den alten Bundesländern stammen. Die ostdeutschen Landesregierungen und der Verfassungsschutz hätten lange die Zuwanderung von Rechtsradikalen tatenlos begleitet. Kurzum: Das Problem mit dem Rechtsradikalismus ist für ihn in erster Linie ein gesamtdeutsches Phänomen.

Foto: © Jorge Royan / www.royan.com.ar, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0

Oschmann übersieht Migranten und Flüchtlinge

Über das Thema Migranten und Flüchtlinge ist in seinem lesenswerten Buch weniger die Rede. Das ist kein Zufall, sondern hier liegt eine Schwachstelle seiner Argumentation, da diese Fragen die Atmosphäre in Ostdeutschland entscheidend betreffen.

Wie steht es um die Gewalt gegen Muslime in den ostdeutschen Regionen? Warum wurden die PEGIDA und ihre Verschwörungstheorie über die Islamisierung Europas ausgerechnet in Dresden erfolgreich?

Bezeichnend ist in diesem Kontext, wie der Literaturwissenschaftler mit einer der wichtigsten Stimmen Ostdeutschland umgeht. Uwe Tellkamp hatte mit Äußerungen über Flüchtlinge und Islam vor einigen Jahren bundesweit Aufsehen erregt. Es werde laut Tellkamp eine Religion importiert, die „mit unserer Auffassung von Werten, speziell dem Rechtssystem“ nichts am Hut habe.

Eine Aussage, die Millionen Muslime in Deutschland ausgrenzt. Im Buch widmet er der Kontroverse über den Dresdner Schriftsteller und dem Umgang mit pauschalen Vorurteilen leider nur einen Satz, der die angebliche Benachteiligung des Ostdeutschen im Diskurs umschreibt. Die Frage: Sind nicht alle Wissenschaftler und Autoren, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion, gemeinsam aufgerufen, das Niveau der Debatte zu heben und Erfindungen über die jeweils andere, meist konstruierte Identität zu hinterfragen?

Ein Fazit der Lektüre ist klar: Die Einheit der Deutschen, die Akzeptanz der muslimischen Bevölkerung sowie der Umgang mit Zuwanderung werden uns nicht nur die nächsten Tage, sondern weitere Jahrzehnte beschäftigen.

Andrew Tate – sollen Muslime ihn mit offenen Armen aufnehmen?

andrew tate

Andrew Tate: Der ehemalige Kampfsportler und Influencer ist nicht nur hoch umstritten. Er wurde vor einiger Zeit Muslim. Muslime sind sich uneins über seine Person. Die US-amerikanische Autorin Nuriddeen Knight und IZ-Autor Ali Kocaman streiten um diese Personalie.

PRO: Andrew Tate ist ein gutes Problem

(iz). Als ich jünger war – nicht so jung, so Anfang 20 – habe ich mir gewünscht, gehofft und sogar gebetet, dass die Sängerin Rihanna Muslima wird.

Ich erwähne das, um zu sagen, dass es viele gibt, von denen Muslime sich wünschen, dass sie zum Islam finden. Die Tatsache, dass sie nicht in einen sündigen Lebensstil leben, ist kein Kriterium für die Auswahl potenzieller Konvertiten. Wir wollen, dass Menschen zum Din finden, die beliebt sind und die für die Gesellschaft akzeptabel sind.

Leicht verdaulich ist er nicht

Andrew Tate ist – zumindest im Internet – beliebt und wird von einigen gefeiert. Leicht verdaulich ist er sicher nicht. Zu der Zeit, als er zum Islam konvertierte, wurde er vom Mainstream als anstößig empfunden und von beliebten Social-Media-Anwendungen wie Facebook, TikTok und YouTube entfernt. Ironischerweise hörte ich von ihm, nachdem er massenhaft gelöscht worden war.

Als ich seine Inhalte durchsah, fand ich einiges lustig, manches nützlich, anderes geschmacklos und einen Teil skandalös. Ich kann davon ausgehen, dass seine hypermaskuline, superintensive und übertriebene Prahlerei mich ohnehin nicht ansprechen sollte.

Irgendwann in dieser Zeit erfuhr ich von seiner Bekehrung. Als Gläubige freute ich mich. Stand er auf meiner Liste der gewünschten Konvertiten? Nein. Aber der Islam ist eine Religion für alle. Und sein Übertritt bedeutete, dass er von Allah auserwählt worden war – aus Gnade und Barmherzigkeit. Das ist es wert, gefeiert zu werden, egal ob es sich um einen unbekannten Menschen oder eine kontroverse Online-Figur handelt.

Foto: SorinVides, Shutterstock

Tate stellt die Frage, ob meiner Religion angehört oder Identitätsgruppe sein will

Es lässt sich nicht leugnen, dass sein umstrittener Status die Dinge für uns kompliziert; nicht als Glaubensgruppe, die jeden willkommen heißt, sondern als Identitätsgruppe, die um ihr Image besorgt ist. Seit dem 11. September 2001 haben Muslime hart dafür gearbeitet, nicht als frauenfeindlich, unterdrückerisch, rückständig und aggressiv wahrgenommen zu werden.

Daher haben viele ihre Abneigung gegen Andrew Tate zum Ausdruck gebracht. Sie haben die Welt wissen lassen, dass seine Rhetorik und seine Person keinen Platz in der Vision des Islam haben, die wir seit mehr als zwei Jahrzehnten zu vermitteln versuchen – den leicht verdaulichen, freundlichen, fügsamen Muslim voller Frieden und Liebe.

Abgesehen davon, dass dies eine Abkehr von unserer primären Identität als Muslime darstellt – der einer Glaubensgemeinschaft, die alle einschließt –, ist es auch nicht wahr. Wir sind friedlich und verteidigungsbereit. Wir sind freundlich und bereit, uns zu wehren, wo es nötig ist. Und wir mögen von Frieden und Liebe erfüllt sein, aber wir sind nicht gefügig.

Das bedeutet nicht, dass Tate Recht hat und die leichter verdauliche Botschaft falsch ist. Seine Präsenz und Rhetorik vermitteln der Öffentlichkeit ein umfassenderes Bild. Weil er so ist – oder war –, kann er Dinge sehen, die viele von uns nicht sehen können. Und weil er ein neuer Muslim ist, ist der Din in erster Linie sein Glaube und keine „Identität“.

Andrew Tate ist ein Problem für uns, weil er die gut gewebte Identität kompliziert, die wir nach dem 11. September aufgebaut haben, um in dieser Gesellschaft zu überleben. Aber das ist ein gutes Problem. Muslime müssen die Tatsache akzeptieren, dass der ganze Islam schön ist, selbst die Aspekte, die wir nicht gerne teilen – Geschlechterrollen oder Regeln, die menschliches Verhalten hemmen oder einschränken. (von Nuriddeen Knight)

Foto: Anything Goes With James Englis, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 3.0

CONTRA: Kein gutes Vorbild für junge Männer

Jeder Mensch, der zu Allah findet, hat seine eigene Geschichte. Es gibt keine allgemeine Erzählung oder einen verbindlichen Mechanismus, der dies individuell erklären könnte. Und jede Gemeinschaft, in der sich ein Mensch auf seinen Islam als Teil seiner Schöpfung besinnt, erlebt einen Moment der Baraka.

Von einer Schahada profitiert nicht nur der jeweils neue Muslim, sondern alle Anwesenden. Es ist ein Moment des Bekenntnisses zu Allah.

Es geht nicht um den Muslim Tate

Soweit so gut. Was zur Debatte steht, ist nicht der Muslim Tate, sein Islam und Verhältnis zum Schöpfer. Wir sind keine Richter, die ein Urteil zu fällen haben. Was ihm aus der Vergangenheit anhaftet, muss Tate mit den Strafverfolgungsbehörden klären – und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen.

Es geht nicht um den Menschen, sondern um die öffentliche Person, den Influencer, der von Millionen junger Männer als Vorbild in Sachen Männlichkeit behandelt wird.

Und darüber muss diskutiert werden. Tate hat mit seinem Bekenntnis zum Islam keine selbstkritische Auseinandersetzung mit seiner früheren Haltung gegenüber Frauen begonnen. Vielmehr öffnete er seinen Maskulinismus für Millionen junger muslimischer Männer. Die ihn so unter dem Deckmantel des Islam zur Rechtfertigung ihrer Einstellungen nutzen.

Foto: Tinnakorn, Shutterstock

Die öffentliche Person trägt eine große Verantwortung

Und dieser zweite Andrew Tate trägt eine große Verantwortung. Sie kann auch nicht im Rahmen einer muslimischen „Bro-Kultur“ abgeschüttelt werden. Als Folge seines öffentlichen Bekenntnisses zum Islam häuften sich maskulinistische Positionen in muslimischen sozialen Kanälen. Für die Krise der Männlichkeit sei der Feminismus (sprich: Frauen) rechenschaftspflichtig.

Das Problem ist, dass einige muslimische Männer einen Mann, der laut Schutzeinrichtungen für häusliche Gewalt „Männer und Jungen radikalisieren kann, damit sie offline Schaden anrichten“, als Musterbeispiel für Männlichkeit ansehen. Es geht um die Verherrlichung einer Persönlichkeit, die – vor dem Islam – mit der Ausbeutung von Frauen in Verbindung gebracht wurde.

„Leute wie Jordan Peterson und Andrew Tate haben großen Einfluss erlangt, weil sie jungen Männern eine Fiktion erzählen“, schrieb KO Masombuka in IZ Nr. 335. Eine Imagination, wie man trotz gefühlter „Machtlosigkeit“ im globalen Kapitalismus erfolgreich wird. Sein Geschäftsmodell – Influencing ist ein Geschäft – ist eine der Antithesen zum prophetischen Modell.

Der Gesandte Allahs, Heil und Segen auf ihm, nahm eine Generation von Männern UND Frauen, die aus einer Kultur stammten, in der weibliche Föten lebendig begraben wurden.

Dieser umfassende Wandel im Rahmen nur einer Altersgruppe wurde von ‘Umar ibn Al-Khattab bezeugt: „In den Zeiten der Unwissenheit hatten wir keinerlei Achtung vor den Frauen. Doch als der Islam kam und Allah subhanahu wa ta’ala (gepriesen und erhaben sei Er) sie erwähnte, führte dies dazu, dass wir erkannten, dass sie uns gegenüber Rechte haben.“ (von Ali Kocaman)

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Lebenspraxis im Islam: Haben Debatten einen spezifischen Adab?

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Lebenspraxis: Wenn Muslime miteinander über ihren Din streiten, müssen nach Ansicht von Gelehrten wie Imam Al-Ghazali Bedingungen erfüllt sein. (iz). Wir leben als Muslime – vor allem, wenn wir uns […]

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