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„In der Mitte der Gesellschaft angekommen“

(iz) Dass es so etwas wie Muslimfeindlichkeit gibt, ist mittlerweile in der Gesellschaft angekommen. Ein innermuslimisches Gespräch darüber steht noch aus. Dazu sprachen wir am Rande der Osnabrücker Fachkonferenz zum antimuslimischen Rassismus mit Dr. Zekeriya Altug. Der Physiker leitet die Außenbeziehungen bei DITIB und ist Sprecher des KRM.
Islamische Zeitung: Lieber Herr Dr. Zekeriya Altug, Sie waren am 14.1. Teilnehmer einer Podiumsdiskussion in der Universität Osnabrück zum Thema „antimuslimischer Rassismus“. Wie erleben Sie und der Moscheeverband, bei dem Sie engagiert sind, dieses Phänomen?
Dr. Zekeriya Altug: Das ist kein neues Phänomen. Die neue Dimension, die wir in diesen Tagen erleben, liegt darin, dass es sich gewandelt und in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Es wird nicht mehr als Rassismus wahrgenommen. Vielmehr denken viele Menschen, dass Sie mit ihren Forderungen nach Sonderregelungen und Beschränkungen für Muslime sogar diesen etwas Gutes tun würden. Man möchte quasi die Muslime vor sich selbst beschützen. Damit erkennt man den Muslimen die Fähigkeit auf den eigenen freien Willen ab. Am deutlichsten wird dieser „humanistische“ Rassismus selbsternannter Islamkritiker in ihrer Aussage, dass man Muslime nicht den muslimischen Verbänden überlassen dürfe.
Sprich, der Staat beziehungsweise die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft muss die Muslime vor sich selbst schützen. Diese Forderung vieler Islamkritiker, aber auch mancher vermeintlich liberaler Politiker verkennt, dass es im Islam keine Zwangsmitgliedschaft in den Religionsgemeinschaften gibt. Die Brisanz der letzten Monate und Jahre liegt jedoch darin, dass diese Islamfeindlichkeit mittlerweile als Patriotismus und Verteidigung westlicher Zivilisation wahrgenommen wird. Immer mehr Menschen, die man zuvor nicht dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet hätte, teilen solche fremdenfeindlichen Ansichten und schrecken mittlerweile sogar nicht vor Gewalt gegen Muslime zurück. Dies untermauern auch die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden und das nicht nur seit den steigenden Flüchtlingszahlen oder der Silvesternacht von Köln.
Ich sehe das mehr als eine Reaktion auf den laufenden Integrationsprozess des Islams in der Gesellschaft. Die Mehrheitsgesellschaft reagiert zum Teil allergisch auf dieses Zusammenwachsen. Dabei bieten die Flüchtlingsfrage und auch die Ereignisse der Silvesternacht der bestehenden Islamophobie beziehungsweise der Islamfeindlichkeit lediglich eine nachgelieferte Legitimation.
Islamische Zeitung: Haben Sie, als Repräsentant einer der großen muslimischen Organisationen, eigentlich das Gefühl, dass Ihre Gesprächspartner aus Staat, Politik und Medien das Thema ausreichend ernst nehmen?
Dr. Zekeriya Altug: Das ist sehr unterschiedlich. Viele Politiker, aber auch Vertreter staatlicher oder kommunaler Institutionen, zeigen nicht nur Sensibilität für das Problem. Es gibt Ansätze und Bemühungen, die pluralistische Ausrichtung unserer Gesellschaft und den Beitrag der Muslime hierfür zu würdigen und zu stärken. Dazu gehört natürlich auch, dass Muslime neben der Wahrnehmung ihrer Rechte sich auch ihrer Verantwortung für diese Gesellschaft stellen. Zuletzt hat man dies bei der Unterstützung unserer neu ankommenden Mitmenschen sehr deutlich erlebt. Unsere Gesellschaft hat als ein Ganzes agiert und Menschen in Not geholfen, ohne darauf zu achten, welcher Religion oder Ethnie sowohl die Helfenden als auch die Hilfesuchenden angehören.
Dennoch erleben wir immer wieder, dass auch viele Politiker die Ängste und auch die große Abneigung gegenüber Muslimen und dem Islam in der Gesellschaft zur Selbstprofilierung nutzen. Leider werden nicht diejenigen, die gute und solide Arbeit für und mit den Menschen machen, sondern eher die Lautstarken stärker wahrgenommen. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass wenn die öffentliche Wahrnehmung kippt, sich auch die Politik der Mitte opportunistisch den Weg des geringeren Widerstandes zur Wählerstimme sucht. Dies sehen wir sehr deutlich darin, dass wenn von Seiten der Muslime oder besser gesagt auch vermeintlicher Muslime Straftaten oder nichtakzeptable Handlungen wie bei der Scharia-Polizei vorkommen, eine bundesweite Empörung durch alle Parteigrenzen hinweg deutlich und zu Recht artikuliert wird.
Jedoch nehmen viele Politiker kaum Notiz, wenn wöchentlich Moscheen angegriffen werden und sogar Flüchtlingsheime brennen. Daher können wir nicht einmal hoffen, dass der breite Rassismus beziehungsweise die Islamfeindlichkeit, die sich bereits in der Schule, der Nachbarschaft und im Berufsleben zeigt, als solche wahrgenommen wird. Bei Muslimen wird sogar das Fehlverhalten nicht beim Täter, sondern bei den Opfern der Ressentiments gesucht, da diese ja bekanntermaßen Integrationsverweigerer seien.
Ganz problematisch wird es jedoch, wenn vermeintlich linke Politiker, die für Multikulti und offene Gesellschaftsform stehen, gerade bei Muslimen radikale Forderungen nach staatlichem Einfluss stellen, wie zuletzt ein Teil der Grünen Spitze mit Herrn Özdemir und Herrn Beck. Tragisch ist es, dass man auch hier die globalen politischen Konflikte, die man deutlich als Privatfehde zwischen Herrn Erdogan und Herrn Özdemir erkennen kann, die von einer persönlichen Enttäuschung von Seiten des Herrn Özdemir zu resultieren scheint, auf dem Rücken der deutschen Muslime austrägt, indem man ihnen die laut Verfassung garantierten Grundrechte absprechen möchte. Interessant ist, dass auch diese vermeintlich grünen Politiker mit sehr starken Behauptungen um sich werfen, von denen sie wissen, dass sie jeder Grundlage entbehren. Man hofft wohl, dass die Wählerschaft noch grüner hinter den Ohren ist und diesen Unterstellungen Glauben schenken wird, wenn man sie denn nur laut genug artikuliert. Dieses Verhalten, welches wir bislang nur vom äußersten rechten Rand der Gesellschaft und Politik kennen, scheint, wenn es um Muslime geht, zunehmend auch im linken Spektrum und sowieso in der politischen Mitte salonfähig zu sein.
Islamische Zeitung: Reflektiert die, zumeist soziologische und auf die Träger des Ressentiments ausgerichtete, Analyse die Lebenserfahrung von Muslimen und deren Umgang mit dem Phänomen?
Dr. Zekeriya Altug: Auf akademischer Ebene haben wir mittlerweile viele und auch  differenzierte Untersuchungen des Phänomens, die nicht mehr nur das Problem bei den Muslimen verorten. Ich denke, dass sich in den letzten Jahren in diesem Bereich vieles bewegt hat, auch wenn wir noch einen langen Weg vor uns haben. Allerdings finden diese Erkenntnisse ihren Weg nur schleppend in die Arbeit vor Ort und in die Mitte der Gesellschaft. Das Problem verstärkend kommt hinzu, dass für öffentliche Meinungen und Wahrnehmungen wissenschaftliche Analysen und Fakten weniger effektiv sind, als das Bauchgefühl und die mediale Sprache. In der breiten Öffentlichkeit wird noch immer davon ausgegangen, dass Muslime aufgeklärt und somit vor ihrer eigenen Religion, zumindest vor Teilen davon, geschützt und ja auch vor ihrer eigenen Kultur gerettet, befreit werden müssten. Man möchte die Muslime zivilisieren.
Daher ist ein völlig neuer Diskurs nötig. Wir müssen den Umgang mit den Muslimen in der Öffentlichkeit diskutieren. Der Islam und somit die Muslime werden nicht nur als etwas Fremdes gesehen. Vielmehr wird der Islam als die Antithese westlicher Errungenschaften und der Moderne, natürlich auch der Postmoderne, wahrgenommen. Um hier einen neuen Ansatz zu schaffen, müssen wir sicherlich auch darüber diskutieren, welche Werte der Islam vertritt, aber auch, welche Werte unsere deutsche Gesellschaft als ihre eigenen ansieht. Gehört Pluralismus und Religionsfreiheit ohne Wenn und Aber dazu?
Dass der Islam dazugehört, ist mittlerweile schon artikulierbar. Aber ist der ­Islam auch gleichberechtigt? Das heißt, gehören wir als Muslime nur dazu, oder gehören wir als Muslime wie Nichtmuslime zusammen und bilden diese Gesellschaft in all ihrer Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit? Diesen Fragen muss sich auch die Mehrheitsgesellschaft stellen. Wir müssen hier die Deutungshoheit den radikalen Kräften von rechts und auch den Islamkritikern entreißen. Dies darf  jedoch nicht schablonenhaft geschehen. Es reicht nicht, dass man behauptet, weltoffen und freiheitlich zu sein und man alle Menschen als gleich ansehe. Dies muss sich auch in den Handlungen widerspiegeln.
Islamische Zeitung: Welche individuellen Auswirkungen haben Ihrer Meinung nach solche Vorurteile bei betroffenen Muslimen? Gelegentlich drängt sich der Eindruck auf, dass ein Teil der muslimischen Community sich ebenfalls in eine „Wagenburg“ zurückgezogen hat…
Dr. Zekeriya Altug: Die Auswirkungen werden immer fataler. Während die erste und zum Teil auch die zweite Generation von Migranten, die ja die große Mehrheit der Muslime darstellen, sich selbst als Gäste, und somit als Fremde gesehen haben und dadurch die Ablehnung der Gesellschaft zum Teil besser verkraften konnten, weil sie ja irgendwann zurück in die Heimat zurückkehren würden, sieht es für die hier geborenen Muslime ganz anders aus. Wenn man keine andere Heimat kennt, hier geboren wurde und von klein auf die Sprache und Kultur erlernt hat und sich selber als Deutscher fühlt, aber nicht als solcher akzeptiert wird, hat das für die Entwicklung des Individuums gravierendere Folgen. Denn diese Menschen haben nichts, wohin sie – wenn auch nur in ihrer Zukunftsplanung oder Hoffnung – gehen können.
Auch wenn viele junge Menschen, Kinder und Enkelkinder von ehemaligen Migranten, sich selbst neben ihrer deutschen Identität auch als türkisch oder arabisch bezeichnen, so wissen sie, dass sie nicht nur das jeweilige, vermeintliche Heimatland nicht nur nicht wirklich kennen, sondern sie wissen auch, dass sie auch kulturell dem Herkunftsland ihrer Eltern fremd geworden sind. Wenn nun diese Menschen im einzigen wirklichen Heimatland ebenfalls als Fremde angesehen werden, so ist dies sehr schwer zu verarbeiten. Für Konvertiten gilt das Gleiche. Obwohl seit Generationen Teil der Gesellschaft, wird man wegen seiner Glaubensentscheidung plötzlich zum „Ausländer“.
Islamische Zeitung: SoziologInnen glauben ja, dass es sich hier um ein Vorurteil ohne das Objekt des Vorurteils handle. Ist es wirklich so einfach, dass Muslime gar nichts mit der Entstehung von gegen sie gerichteten Vorurteilen zu tun haben?
Dr. Zekeriya Altug: Ja und Nein zugleich. Man kann in der Tat sagen, dass es für dieses Vorurteil sowie für die Ablehnung des Islam und der Muslime keiner Handlung der Muslime bedarf. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist in allen Gesellschaften unterschiedlich stark verankert. Das zeigt auch die Tatsache, dass in den Regionen, wo wenig oder keine Muslime leben, die ­Islamophobie und Islamfeindlichkeit am größten ist.
Dennoch kann man auch nicht übersehen, dass auch viele Geschehnisse in islamischen Ländern, die zwar zum Teil auch von säkularen Gruppen ausgelöst sein können, dazu beitragen, dass die Situation nicht entspannt, sogar eskaliert, wie wir es zurzeit erleben. Sicherlich müssen sich auch die Muslime in Europa an die eigene Nase fassen und überlegen, was sie dagegen tun können und ob sie etwas dagegen getan haben.
Islamische Zeitung: Bedeutet das im Umkehrschluss nicht auch eine fatalistische Einstellung?
Dr. Zekeriya Altug: Das denke ich nicht. Fatalistisch wäre es ja, wenn man jegliche Verantwortung von sich wegschiebt. Zu analysieren, dass die Haltung der Muslime nicht die Ursache darstelle, ist erst einmal legitim. Wichtig ist jedoch, dass man die eigene Verantwortung und auch die eigenen Möglichkeiten zur Lösung und Entspannung der Lage sieht und auch demnach handelt. Sicherlich kann ich hierbei nicht für jeden einzelnen Muslim sprechen. Aber zumindest wir als DITIB sowie viele andere Vertreter von Muslimen haben den Handlungsbedarf erkannt und tun sehr viel in diesen Bereichen, vom Dialog über soziale Dienste bis hin zur Bemühung der gleichberechtigten Teilhabe in vielen Bereichen. Der Hinweis, dass man für eine Lösung und Entspannung auch den Beitrag der nichtmuslimischen Gesellschaft, den es bereits von vielen Gruppen wie den Kirchen gibt, braucht, darf nicht als Fatalismus verschrien werden. Vielmehr ist es die Bestrebung, echte Lösungen zu finden.
Islamische Zeitung: Es gibt seit einigen Jahren einen enormen Anstieg in der Beschäftigung mit dem Phänomen „antimuslimischer Rassismus“ auf muslimischer Seite. Praktisch geschieht aber recht wenig. Woran liegt das?
Dr. Zekeriya Altug: Muslime wachsen bereits mit vielen Ressentiments und sogar Repressalien auf, sodass sie irgendwann abgestumpft sind und sogar der offensichtliche Rassismus, dem sie begegnen, sie eher resignieren lässt. Viele Ressentiments und unterschwelligen Rassismus erkennen sie oft erst gar nicht.
Die Diskussionen um und über den Islam nach den Anschlägen von 2001 haben jedoch dazu geführt, dass die Muslime hierbei sensibler geworden sind. Daher hat man großen Nachholbedarf sowohl in der Analyse des Phänomens als auch in Gegenstrategien. Gleichwohl kann man sagen, dass die Muslime viele Mechanismen, die für Gegenstrategien nötig wären, erst noch aufbauen und sich sogar erst die Expertise aneignen müssen. Denn über Jahrzehnte war man nur für religiöse Dienste zuständig. Später kamen soziale Angebote dazu. Jetzt ist man in der Situation und der Pflicht, die Gesellschaft mitgestalten zu können.
Islamische Zeitung: Wieso kriegen es Deutschlands Muslime, insbesondere ihre Interessenvertreter, nicht hin, analog zu den USA eine Lobbygruppe wie CAIR auf die Beine zu stellen? Diese, mit geringen Mitteln begonnen, ist mittlerweile landesweit vertreten und arbeitet hochprofessionell. Ein Vorbild für Sie?
Dr. Zekeriya Altug: Das kann mehrere Gründe haben. Zum einen hat Lobbyarbeit in den USA einen anderen Stellenwert und eine andere Historie. Zum anderen ist es sicherlich auch eine Frage der Prioritäten. Wie bereits erwähnt, sehen viele muslimische Organisationen ihre Aufgaben in der Basisarbeit. Die Lobbyarbeit wird erst langsam als eine Notwendigkeit erkannt und sicherlich auch nicht bei allen in gleicher Gewichtung. Wir als DITIB versuchen momentan, hierfür Strukturen zu stärken und neue Möglichkeiten aufzubauen. Es ist ein Prozess, der von vielen weiteren Aktivitäten begleitet wird und nur im Gleichschritt erfolgreich funktionieren kann. Wir brauchen sicherlich eine gute Lobby, aber nicht nur. Ebenso brauchen wir eine funktionierende Wohlfahrtspflege, Religionsunterricht an Schulen, Islamische Theologie an Universitäten, Seelsorge, Bestattungswesen, Solidarität mit Bedürftigen, einen echten innerislamischen Diskurs und vieles mehr, was die DITIB neben der Religionsausübung leisten muss. Nur durch ganzheitliche Strategien können wir tatsächlich auch eine starke Überzeugungskraft und Teilhabe in Politik und Gesellschaft erreichen.
Islamische Zeitung: Ablehnung und Feindschaft hat bereits der Prophet Muhammad erfahren. Brauchen wir auch eine spirituell-religiöse Behandlung des Themas, um es richtig einordnen zu können?
Dr. Zekeriya Altug: Die Spiritualität und die Religiosität begleiten uns ja ständig. Ansonsten hätten wir auf muslimischer Seite eine viel stärkere Aussichtslosigkeit und Resignation. Der Glaube ist die stärkste Quelle unserer Zuversicht auf eine bessere Zukunft. Wir sehen ja gerade im Verhalten manch junger Muslime, die die Religion erst neu entdecken und die Tradition und Spiritualität nicht kennen, dass ohne diese eine schnelle Desillusionierung und Perspektivlosigkeit einsetzen kann und leider oft genug der Weg in eine Abschottung und schlimmstenfalls in eine Radikalisierung sehr kurz sein kann. Daher ist der Glaube und das Vertrauen in Gott eine Quelle unserer Motivation.
Diese Spiritualität darf jedoch gerade nicht zu der fatalistischen Einstellung führen, es sei göttlicher Wille, dass man hier dieser Anfeindung ausgesetzt ist. Vielmehr kann unsere Spiritualität, insbesondere der Grundgedanke des Sufismus, der ja eine tiefe Verankerung in der Tradition des Islam hat, uns und auch der Gesamtgesellschaft neue Wege aufzeigen, um mit den aktuellen Spannungen besser umzugehen. Lösen werden wir die Polarisierung unserer Gesellschaft am Ende nicht nur über Regeln und Gesetze. Vielmehr über gegenseitige Akzeptanz und Toleranz. Am Ende werden es wieder höchst menschliche Gefühle, wird es wieder das Bauchgefühl unserer Gesellschaft sein müssen, das ein respektvolles Miteinander und eine kulturelle Vielfalt als völlig normal ansehen wird.
Islamische Zeitung: Lieber Dr. Altug, vielen Dank für das Interview.

„Anschlag gegen Menschlichkeit“

Seit Monaten häufen sich in Deutschland Anschläge gegen Flüchtlingsheime. Mit einer Granate im Schwarzwald erreicht die Gewalt eine neue Qualität. Eine entscheidende Frage ist aber offen.
Villingen-Schwenningen (dpa). Mit einem Handgranatenanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft im Schwarzwald hat die Gewalt gegen Zuwanderer in Deutschland eine neue Dimension erreicht. Unbekannte warfen in der Nacht zum Freitag den Sprengsatz auf das Gelände der Unterkunft im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen – unklar ist aber, ob die jugoslawische Granate vom Typ M52, eine Kriegswaffe, scharf war und hätte explodieren können. Verletzt wurde niemand.
„Es steht fest, dass sie mit Sprengstoff gefüllt war“, sagte Johannes-Georg Roth, Leiter der Staatsanwaltschaft Konstanz. „Ob ein Zünder verbaut war, ist bisher nicht bekannt.“ Ein Experte des Landeskriminalamtes erklärte, von einer scharfen Granate könne nur gesprochen werden, wenn Sprengstoff und Zünder vorhanden seien. Aus Polizeikreisen hatte es zunächst geheißen, die Granate sei scharf.
Die Polizei ermittelt nach eigenen Angaben in alle Richtungen und schließt ein fremdenfeindliches Motiv nicht aus. Einen konkreten Verdacht gebe es noch nicht. Befragungen in der Nachbarschaft hätten aber den einige Hinweise dazu erbracht, hieß es.
Die Granate wurde von Entschärfern kontrolliert gesprengt. In der Unterkunft leben nach Auskunft des Regierungspräsidiums Freiburg 104 Flüchtlinge aus mehreren Ländern, 39 davon aus Syrien, weitere Flüchtlinge stammten aus Afghanistan, Irak und Albanien.
Die Handgranate sei gegen 1.15 Uhr von der Straße aus über den Zaun in eine Zufahrt des Geländes geworfen worden, sagte der Leiter der Sonderkommission „Container“, Rolf Straub. Der Sprengkörper sei neben einem Container des Sicherheitsdienstes liegengeblieben, in dem sich nach Auskunft von Klemens Ficht vom Regierungspräsidium Freiburg drei Sicherheitsleute aufhielten. Die Granate explodierte jedoch nicht. Zwölf Streifenbesatzungen rückten an, die Polizei sperrte das Gelände und angrenzende Straßen weiträumig ab.
Es ist bundesweit der erste Sprengstoff-Angriff auf Flüchtlinge. „Bis jetzt hatten wir zwar mehrere Fälle, in denen Pyrotechnik verwendet wurde“, sagte eine Sprecherin des Bundeskriminalamts (BKA) in Wiesbaden. „Dass nun eine Kriegswaffe zum Einsatz gegen eine Flüchtlingsunterkunft kam, ist neu.“
Politiker sprachen von einer neuen Dimension der Gewalt. „Also das ist wirklich unfassbar, dass jetzt schon mit Handgranaten – quasi mit militärischen Waffen – auf Asylsuchende losgegangen wird“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann. „Die Täter dürfen nicht ungestraft davon kommen“, twitterte Bundesjustizminister Heiko Maas.
CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf nannte die Attacke einen „Anschlag gegen die Menschlichkeit“. Die Tat müsse mit der ganzen Härte des Rechtsstaates bestraft werden. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck, innenpolitischer Sprecher, bezeichnete die Tat als „Straßenterror“ und forderte einen Gipfel im Kanzleramt mit Diskussionen, „die am Wohl und Schutz der Flüchtlinge orientiert sind und nicht nur an deren Abwehr“.

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Zur Zukunft der muslimischen Selbstorganisation: Muslimische Zusammenschlüsse auf der Landesebene tragen wichtige Elemente der Gemeindearbeit

Norbert Müller ist 52 Jahre alt. Er arbeitet im Hauptberuf als Rechtsanwalt. Engagiert aktiv ist er als Vorstandsmitglied bei der SCHURA Hamburg. Müller war unter anderem Mitglied der Verhandlungskommission, die […]

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Interview: Imam Benjamin Idriz über die Zukunft der Community und seiner Pläne in München

(iz). In den letzten Monaten häuften sich Meldungen und Stellungnahmen über Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern des Koordinationsrates der Muslime. Dabei ging es nicht nur um Personalien oder Einzelinteressen, sondern auch um Grundfragen der zukünftigen Ausrichtung.
Wir sprachen mit Imam Benjamin Idriz über Fragen der muslimischen Selbstorganisation, zukünftige Möglichkeiten der deutschen Community sowie sein Großprojekt in München. Idriz ist seit Längerem Imam der erfolgreichen, multikulturellen Gemeinde im bayrischen Penzberg und plant derzeit den Bau eines großen Zentrums in der Landeshauptstadt München.
Islamische Zeitung: Lieber Benjamin Idriz, heute, mehrere Jahre nach Einweihung der beeindruckenden Moschee im bayrischen Penzberg, streben Sie und Ihr Team den Bau eines wesentlich größeren Zentrums in der Landeshauptstadt München an. Wo steht das Projekt derzeit und was sind die größten Hindernisse, die Sie überwinden möchten?
Benjamin Idriz: Zunächst einmal sind es nicht die Hindernisse, sondern die Unterstützung, die das Projekt erfährt, die ich für ausgesprochen bemerkenswert halte. Diese Unterstützung kommt nämlich nicht nur von Muslimen (wo sie selbstverständlich sein sollte), sondern aus der ganzen demokratischen Gesellschaft, aus verschiedenen Religionsgemeinschaften, aus Verbänden, von den Medien und aus allen Fraktionen des Münchner Stadtrats.
Nachdem eine extremistisch-islamfeindliche Minipartei über mehrere Jahre hin versucht hat, Unterschriften gegen das Projekt zu sammeln um damit einen Volksentscheid dagegen herbeizuführen, hat der Stadtrat dies als unzulässig abgelehnt, weil die islamfeindlichen Hetzer nachweislich mit falschen Behauptungen gearbeitet hatten. In derselben Sitzung hat der Stadtrat stattdessen eine Resolution „Solidarität mit den Muslimen in unserer Stadt“ beschlossen!
Das derzeit einzige Hindernis liegt in der Finanzierung. Es wäre natürlich schön, ein solches Projekt mit Spenden von Muslimen (und Nichtmuslimen) aus Deutschland zu realisieren. Für die Grundstücks- und Baukosten wird es aber, wie es scheint, nicht ohne einen oder mehrere Großspender aus der Golfregion gehen. Unsere Anfragen laufen in mehreren Ländern (Oman, Katar, VAE) – hier brauchen wir jetzt dringend baldige Antworten – sonst wird die Chance auf ein repräsentatives und zentral gelegenes Grundstück vergeben.
Islamische Zeitung: In der Vergangenheit haben Sie den Gedanken entwickelt, mit einem eventuellen Zentrum in München auch die Möglichkeit einer, mit anderen europäischen Einrichtungen vernetzt, Ausbildung einheimischer Imame anzubieten. Steht dieser Punkt noch im Blickpunkt Ihrer Bemühungen?
Benjamin Idriz: Das war von Anfang an einer der Hauptgedanken bei diesem Projekt. Dass inzwischen in Deutschland universitäre Zentren für islamische Theologie eingerichtet worden sind, ist eine ausgesprochen positive Entwicklung und entspricht dem, was wir die ganze Zeit befürwortet haben, auch wenn bisher dort ja noch keine Ausbildung für Imame stattfindet. Mit solchen Zentren, und falls möglich auch mit anderen europäischen Einrichtungen, wird unser „Münchner Forum für Islam“ gerne kooperieren – zum gegenseitigen Nutzen. Denn Imam wird man nicht allein durch Bücher und in Hörsälen. Hier braucht es die Einbindung in das „richtige Leben“ einer Gemeinde, die Erdung durch die tagtägliche Praxis. Das MFI könnte hier zum Beispiel die Möglichkeit von Praktika anbieten, die die universitäre Ausbildung (wenn es sie einmal für Imame geben wird) ergänzen.
Islamische Zeitung: Im Rahmen der aktuellen Debatte zur muslimischen Gemeinschaft wurde auch gefordert, Finanzierungen aus dem Ausland, analog zum österreichischen Gesetz, abzuschaffen. Ganz unabhängig davon, dass das sicherlich nicht beim Kampf gegen Radikalisierung helfen dürfte, lässt sich ein Riesenprojekt wie Ihres überhaupt ohne ausländische Hilfe realisieren?
Benjamin Idriz: Hier muss man unterscheiden, für den Erwerb des Grundstücks und für die Baukosten wird es, wie gesagt, ohne ausländische Großspender nicht gehen. Was aber dann den Betrieb des Zentrums angeht, werden Einflussnahmen von außen ausgeschlossen. Es ist ein wesentlicher Bestandteil des Selbstverständnisses dieses Projekts, dass Islam am Hier und Jetzt orientiert sein soll, also da, wo Menschen sich entschlossen haben, ihr Leben zu verbringen und die Zukunft ihrer Kinder und Enkel liegt. Die Bindung an Herkunftsländer war eine notwendige Phase in den ersten Jahrzehnten muslimischer Einwanderer in Deutschland. Aber jetzt muss etwas Neues entstehen, sonst blockieren wir die Zukunft des Islam in Deutschland.
Islamische Zeitung: Gibt es einen Druck auf öffentlich auftretende Gelehrte wie Sie, Rhetorik und Inhalte eines politisch-korrekten Diskurses zu übernehmen?
Benjamin Idriz: Meine Rhetorik und die Inhalte dessen, wofür ich stehe, was ich denke, sage und lebe, entstammen dem Qu’ran und der Sunna. Es geht darum, unsere Quellen in unsere heutige Wirklichkeit zu übertragen und uns ununterbrochen zu fragen: was bedeutet diese oder jene Aussage für uns hier und heute? Daraus resultiert eine sehr weitgehende Übereinstimmung zwischen dem Islam und den Werten einer demokratischen Gesellschaft. Mit Druck von woher auch immer hat das nichts zu tun.
Was wir allerdings schon spüren, ist der ständige Druck, sich gegenüber den nicht enden wollenden Verbrechen zu distanzieren, die im Namen unserer Religion begangen werden. Hier ist es schmerzlich, dass Politik und Gesellschaft nicht wahrhaben, dass uns als Muslime diese Verbrechen genauso selbstverständlich entsetzen, wie andere auch; oder sogar noch mehr, denn es ist schließlich unsere Religion, die von den Verbrechern missbraucht wird. Das eigentliche Problem ist dabei aber nicht der Druck sich zu distanzieren – sondern die Tatsache, dass solche Verbrechen immer wieder verübt werden.
Islamische Zeitung: Sind Sie mit der Rolle zufrieden, die Gelehrte heute in der innermuslimischen Debatte spielen? Es ließe sich ja kaum behaupten, dass diese – und ihr Wissen – einen nennenswerten Einfluss auf die Entscheidungsbildung hätten…
Benjamin Idriz: In den letzten drei Jahren können wir Muslime durchaus ein starkes religiöses Autoritätsdefizit wahrnehmen. Die traditionellen Azhar-Gelehrten sind entweder entmachtet oder stehen unter politischem Druck, wie die Persönlichkeiten Al-Qaradawi oder Al-Tayyib. Hier in Europa war der ehemalige Großmufti von Bosnien Mustafa Ceric eine Stimme, auch er ist nicht mehr in der Position, in der er war. In Syrien ist Said Ramadan Al-Bouti grausam ermordet worden, und so sind in den letzten Jahren die bekanntesten Gelehrten von der Weltszene verschwunden. Leider gehen positive Stimmen, wie die von Mehmet Görmez, dem Religionsoberhaupt der Türkei, in dem großen Trubel unter.
Wo keine Autorität – dort herrscht Chaos. Und dieses Vakuum füllen heute selbsternannte Pseudo-Gelehrte. In Deutschland stehen wir nicht anders da. In dem Maß, in dem neu ausgerichtete Zentren wie eben unser MFI in Deutschland entstehen werden, kann auch das, was an den Universitäten stattfindet, viel mehr an die Basis und in die Gemeinden dringen. Diese Entwicklung kommt gerade erst in Gang, aber sie ist, glaube ich, auf die Dauer sicher nicht aufzuhalten.
Islamische Zeitung: In der Vergangenheit haben Sie sich skeptisch in Sachen des „organisierten Islam“ geäußert. Was hat Ihren Sinneswandel, den Beitritt zum Zentralrat der Muslime, hervorgerufen?
Benjamin Idriz: Meine Gemeinde in Penzberg ist multiethnisch und hat aus dem Zusammenwirken von Menschen mit unterschiedlichen Wurzeln ungeheuer profitiert. Genau das möchte der Islam ja von uns! Deshalb kann sich die Gemeinde als Ganzes keinem ethnisch oder national orientierten Verband anschließen. Der Zentralrat vertritt meines Erachtens eine Ausrichtung, die dem entspricht.
Organisierte Strukturen für die Muslime in Deutschland habe ich schon immer befürwortet; in dem von mir mit herausgegebenen Buch „Islam mit europäischem Gesicht“ wird ein entsprechendes Modell entworfen. Es sollte aber nicht aus mehreren parallelen und womöglich konkurrierenden Verbänden bestehen, sondern aus einer umfassenden, anerkannten Institution.
Islamische Zeitung: Nachdem der KRM an die Wand gefahren scheint, sehen Sie Alternativen für die Zukunft? Wenn ja, welche?
Benjamin Idriz: Wir haben in den letzten Monaten erlebt, dass endlich eine muslimische Stimme in Deutschland sehr viel mehr wahrgenommen wurde, als das früher der Fall war. Das haben wir Muslime doch seit langem ersehnt und auch gefordert. Sollten wir nicht dankbar sein, dass das jetzt zu gelingen scheint und alle gemeinsam den- oder diejenigen nach Kräften unterstützen, die sich mit Erfolg darum bemühen?
Wenn manche diese Entwicklung gerade jetzt torpedieren, ist das ein verheerendes Signal an die Politik und an die Öffentlichkeit: Ihr könnt die Muslime weiterhin ignorieren, ihr braucht sie weiterhin nicht ernst zu nehmen und nicht einzubinden, sie werden sich auf absehbare Zeit selbst blockieren. Hier müssten wirklich alle muslimischen Entscheidungsträger ihre Verantwortung ernster nehmen, als ihre jeweiligen Einzelinteressen.
Islamische Zeitung: Es gibt eine Vielzahl von Aspekten, die im Denkschemata des politisch organisierten Islam nicht vorhanden sind – was sich auch als „muslimische Zivilgesellschaft“ bezeichnen ließe. Wie könnte diese Zivilgesellschaft zukünftig angemessen Beachtung finden?
Benjamin Idriz: Viele Muslime halten sich von Moscheen fern, weil deren Ausrichtung oder Orientierung an andere Ländern sie nicht anspricht. Hier brauchen wir neue Angebote. Diese Angebote können und sollten aber über die Gebete hinausgehen. Seit wir in München einen provisorischen Sitz für das MFI eröffnet haben, ist aus dem Stand eine sehr vitale Gemeinde entstanden, die Muslime anspricht, die teilweise seit vielen Jahren auf so etwas gewartet haben. Dazu gehören nicht nur die Freitagsgebete, sondern soziale Angebote, Vorträge und Diskussionen, die kritisch und offen gehalten werden, sodass sich auch solche angezogen fühlen, die der Religion bisher vielleicht eher noch distanziert gegenüber stehen.
Islamische Zeitung: Ihre Penzberger Gemeinde ist seit Jahrzehnten multikulturell geprägt und bietet umfassende Aktivitäten an. Handelt es sich dabei um das Modell der Zukunft?
Benjamin Idriz: Es wird wohl auch in Zukunft solche Muslime geben, die emotional an der Bindung an frühere Herkunftsländer festhalten wollen, und das kann ja auch sehr wertvolle Aspekte beinhalten. Aber die Zukunft des Islam in Deutschland wird nicht dominant türkisch, bosnisch oder arabisch sein – sonst wäre er tatsächlich kein Teil Deutschlands. Der Prophet Muhammad hat nicht Mekka nach Medina verpflanzt, sondern nach der Hidschra in Medina etwas Neues geschaffen.
Islamische Zeitung: Lieber Imam Benjamin, wir bedanken uns für das Gespräch.
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Der KRM scheint vor der Auflösung – ist das Teil eines Problems, oder eher die Lösung?

(iz). Vor jeder Reflexion oder Kritik am organisierten Islam in Deutschland, muss natürlich für alle beitragenden Akteure zunächst die Selbstkritik stehen. Salopp gesagt, „nobody is perfect“ und es ist für den neutralen Beobachter immer leichter zu kritisieren, als selbst aktiver Teil einer positiven Lösung zu sein. Natürlich ist es aber auch für uns Muslime legitim, sich an den inhaltlichen Debatten zu beteiligen und auch öffentlich auf diverse Widersprüche hinzuweisen. Kein Verband darf sich heute noch ernsthaft über dieses Phänomen beklagen, gerade auch, weil sich viele Verbandsvertreter selbst inzwischen gerne in den Medien positionieren. Eine ganz andere Frage ist es, ob eine echte innerislamische Debatte – im Vergleich zum kühlen Austausch von Pressemitteilungen – immer noch der bessere Weg wäre, um gemeinsam auf dem Teppich zu bleiben.

Wer sollte aber so einen konstruktiven Austausch organisieren? Beinahe ironisch klingt es heute, wenn man hier zunächst an einen „Koordinationsrat der Muslime“ denken sollte. Mit diesem Anspruch, eine Vertretung der Muslime zu sein – und großen Hoffnungen – ist der KRM 2007 an den Start gegangen. Der erste KRM-Sprecher, Ayyub Axel Köhler, erklärte damals selbstbewusst der „Mitteldeutschen Zeitung“: „Wir vertreten viel mehr Leute, als bei uns Mitglied sind.“ Der damalige Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, pries ausdrücklich die „Handlungsfähigkeit“, welche die Muslime mit der Gründung des KRM bewiesen hätten. Das war gestern. Die Macher zeichnen sich in diesen Tagen eher durch Wortkargheit gegenüber ihrer eigenen Basis aus und klären kaum öffentlich auf, was die Lage des Rates wirklich ist.

Heute, einige Jahre nach der vollmundigen Ankündigung einer neuen Einheit der Muslime, scheint der KRM nach internen Querelen jedenfalls kaum noch handlungsfähig. Vielleicht wird er künftig nur noch den jährlichen Ramadankalender und eine Pressemitteilung zum Eid-Fest veröffentlichen. Will man verstehen, warum das so ist, muss man sich zunächst über die Konstruktionsfehler des Über-Verbandes klar werden. Tatsächlich ist das Scheitern des zentralen Koordinierungsgremiums der Muslime auf Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners nicht wirklich überraschend. Dies hat weniger mit den involvierten Persönlichkeiten zu tun, sondern eher mit den oft unreflektierten Techniken der Macht, an die uns der politische Islam über die Jahre gewöhnt hat.

Es wäre tatsächlich ein Feld für sich, über Phänomene wie „islamischer“ Staat und „islamischer“ Verein und den aus diesen Formen entstehenden Habitus grundsätzlich nachzudenken. Hierher gehört auch die Historie der beteiligten Verbände; oft von Immigranten gegründet, die im deutschen Vereinsrecht zunächst die einzige mögliche Organisationsform für ihre muslimischen Anliegen vorfanden. Es ist keine Nebensächlichkeit, dass das eigentlich zentrale Anliegen politischer Formation im Islam, die lokale und unmittelbare Verteilung der Zakat, in dieser Rechtsform gerade nicht nach altem Vorbild umgesetzt wurde. Über Jahrhunderte war die Erhebung und gerechte Verteilung der Zakat die Legitimationsbasis politischer Führung überhaupt. Den organisierten Islam interessierte die korrekte, dezentrale Umsetzung dieser Säule des Dins weniger. Er strebte durch Mitgliedsbeiträge, Zakat-Zahlungen ins Ausland und durch die Mehrung der Vereinsmitglieder in erster Linie nach dem profanen Machtzuwachs, der mittels Vereinsrecht erreichbar schien. Das unterschwellige Machtkalkül der Verbände stellte aber auch die Idee einer echten Einheit der Muslime von Beginn an in Frage.

Da muslimische Vereine sich gerade ihrer inneren Struktur nach und nur über die eigene Machtsteigerung definieren, war die Idee einer politischen Einheit der Verbände von jeher fragil. Bisher war es für jede Organisationen unausgesprochen klar, dass eine Zeitung, die Schule oder die Moschee die „eigene“ sein müsse.

Die Idee einer offenen Infrastruktur dagegen – zum Beispiel Stiftungen, die den Muslimen an sich gewidmet ist und außerhalb der eigenen Machtstruktur verortet wird – blieb diesem Denken naturgemäß fremd. Im Organisationsmuster wurde die Lehre dem politischen Willen der Verbände untergeordnet und die „ökonomischen Akteure“ – zum Beispiel die erfolgreichen muslimischen Geschäftsleute – organisatorisch ausgegrenzt.

Es gab aber noch andere Probleme, die der Koordinationsrat von Beginn an nicht überwinden konnte. Die unterschiedlichen Mitgliederzahlen der Beteiligten hätten jeden demokratischen Prozess in dieser politischen Einheit ad absurdum geführt. Die Folge war ein lähmendes Vetorecht des größten beteiligten Verbandes, der DITIB. Eine starke, gar den Verbänden übergeordnete Führungsebene des Koordinationsrates war aber auf dieser Grundlage des Politischen von vornherein undenkbar; hätte sie doch von einer übergeordneten Ebene aus agieren können. Unter diesen Umständen durfte der KRM weder finanziell, noch personell wirklich erstarken.

Vielleicht wäre es immer noch möglich, etwas guten Willen vorausgesetzt, diese Konstruktionsprobleme durch eine kleinere, aber effektive Agenda zu überwinden. Natürlich könnte zum Beispiel eine würdige Repräsentanz der Muslime in Berlin wünschenswert sein. Nach wie vor gibt es einigen Koordinationsbedarf und nach wie vor gilt das Argument, dass ein Untergang des KRM letztlich auch die gesellschaftlichen Ansprüche der Muslime schwächen würde. Es ist schon jetzt absehbar, das kleinere Verbände leichter gegeneinander ausgespielt werden können. Tatsächlich scheint diese pragmatische Möglichkeit einer pro forma Einheit nun auch durch persönliche Konflikte erschwert.

Der Streit um den agilen, an sich aber relativ kleinen „Zentralrat“ der Muslime (ZMD) unter Führung seines Vorsitzenden, Aiman Mazyek, zeigt hier das aktuelle Dilemma. Seine Stärke sind weniger die großen Mitgliedszahlen, als das „symbolische Kapital“, das sich der Vorsitzende Mazyek über jahrelange Medienarbeit hart erarbeitet hat. Während die türkischen Verbände nur langsam und mühsam eine Sprache für den Diskurs fanden, hat Mazyek längst schon viele unterschiedliche Themenfelder auf öffentlicher Bühne besetzt.

Nicht immer ist der Entscheidungsprozess dabei transparent und oft wirkt es für Außenstehende, als würde hier sogar im Namen aller Muslime gesprochen. In der letzten Pressekonferenz des ZMD – aufgeschreckt durch Angriffe der Partnerverbände, die den Vorwurf lanciert hatten, der ZMD würde sich auf Kosten aller Muslime profilieren – stellte Mazyek dann klar, dass man keinen Anspruch auf Vertretungsmacht aller Muslime stelle und sich zunächst eben alleine entwickeln wolle. Und – etwas gönnerhaft – fügte die Vizechefin des ZMD Soykan hinzu, es könnten ja auch die anderen Verbände die öffentliche Bühne suchen.

So tritt Mazyek weiter auf, hält Festreden auf der Dresdner Opernbühne, diskutiert mit dem DFB, bekommt das „Seniorensiegel“ verliehen und ist so beinahe täglich in den Medien präsent. Spätestens seit seinem Ausflug mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, einem Duzfreund Mazyeks, in die Golfregion, begegnet dem umtriebigen ZMD-Chef dabei auch des Öfteren Neid und Missgunst. Sachlicher wirkt die Kritik, dass er – übrigens ähnlich wie SPD-Chef Gabriel – recht sprunghaft Positionen und Themen wechselt. So war bei seinem heftig kritisierten Vorstoß für ein Islamgesetz nach österreichischem Vorbild schnell nicht mehr klar, ob er denn ursprünglich dafür oder dagegen war. Allerdings wirkte sein Seitenhieb gegen die Fremdfinanzierung türkischer Imame dann schon wie das bewusste Durchtrennen der Freundschaftsbande mit den türkischen Partnern.

Es ist keine Frage, dass Aiman Mazyek immer wieder die muslimische Sache wortgewaltig vertritt. Sein Gespür für die Situation, zum Beispiel bei der Organisation der Berliner Mahnwache gegen den Terrorismus, die er mit Unterstützung großer Parteien perfekt inszenierte, rechtfertigt noch keine Ablehnung. Er hat auch Recht, wenn er postuliert, dass Muslime in Deutschland endlich ankommen müssen. Es wäre sogar logisch und für alle Muslime naheliegend, dass er mit seinen Talenten auch dem Koordinationsrat etwas mehr Leben verleiht. Nur, auch hier holt ihn eben die Logik der Machtansprüche wieder ein.

Die türkischen Verbände fürchten, dass ein agiler KRM-Sprecher oder selbstbewusster Generalsekretär inhaltliche Fakten schaffen könnte. Gleichzeitig hört man aus den Reihen der DITIB, dass man an einem zentralen Verband sowieso wenig Interesse habe; man befürchte eine Art kirchliche Struktur, die dem pluralen Charakter des Islam eben nicht entspreche. So sagt man wohl in diplomatischen Worten Adieu zu den Bemühungen, übergeordnete Koordination weiter gedanklich zuzulassen.

Im Ergebnis wird wohl jeder wieder für sich bleiben und ZMD-Boss Mazyek wird so künftig – wie bereits angekündigt – in erster Linie den Ausbau des Zentralrats vorantreiben. Im schlimmsten Fall wird er dabei als geschickter ­Stratege, und mit entsprechender Medienunterstützung, das Markenzeichen „liberal“ für seinen Verband beanspruchen und die antiquierte Dialektik „Konservative gegen Liberale“ für sich und seine Organisation nutzen. Die so überfällige wie mühsame Einebnung der des­truktiven Logik von „Liberalen gegen Konservative“ wäre damit „politisch“ wieder aufgehoben.

Was also tun? Vielleicht ist es de facto einfach ehrlicher, die plurale Struktur unserer Gemeinschaften zu akzeptieren. Zumindest das Ausloten gemeinsamer Interessen sollte dies natürlich nicht ausschließen. Es droht damit die weitere Verödung der innerislamischen Diskussionen, schon jetzt drehen sich die Verbände viel zu sehr um sich selbst. Andererseits, ist es vielleicht auch einfach an der Zeit, die gewohnte Bevormundung durch politische Vereine und den facettenreichen politischen Islam an sich in Frage zu stellen. Es erinnern sich viele schließlich an die zeitlose islamische Weisheit: „Wer die Macht für sich will, ist dafür am Wenigsten geeignet.“

Für nicht wenige Muslime sind es bereits heute die anderen, unverzichtbaren Elemente islamischen Zusammenlebens – wie Stiftungen, NGOs und unabhängigen Gemeinden –, die Querverbindungen zwischen den Muslimen herstellen, sich bewusst dem Machtspiel entziehen und wichtiger geworden sind, als der ewige Tanz um die Macht.

Eine anderer Trend kündigt sich ­ebenso an. Viele junge Muslime an der Basis können mit dem Zentralismus der 1980er Jahre wenig anfangen. Sie sind in Deutschland zu Hause und leben auch nicht mehr mit der Logik ethnischer Trennlinien. Sie wollen etwas vor Ort tun, keine Bürokratie aufbauen und nicht nur Befehlsempfänger sein. Als Organisationsmodell der Basis, die den höchsten gemeinsamen Nenner sucht, wie die Zakat, bietet sich von jeher das Umfeld lokaler Moscheegemeinden an. Den jungen Leuten geht es dort weniger um Repräsentation, als um die alltäglich gelebte und immer mögliche Erfahrung der Einheit im Rahmen überzeugender Wissensvermittlung. Wenn sie Parteiatmosphäre erleben wollen, dann gehen sie eben gleich in die Politik. Eine starke, „verjüngte“ Basis wird auch ohne Mühe die Verhältnisse umkehren; also von unten nach oben ermächtigen, statt von oben nach unten dominiert zu werden.

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Ersin Özcan: „Ich halte die Diskussionen für sehr unglücklich“

(iz). Die Debatten rund um das Islamgesetz in Österreich haben in den letzten Wochen auch Muslime und Politik in Deutschland beschäftigt. Forderungen nach einem ähnlichen Gesetz wurden auch hier laut. […]

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Auszug der neuen Ausgabe: Interview mit Ersin Özcan, Vorstandsvorsitzender des DITIB-Landesverbands Nordrhein-Westfalen zur Zukunft von Zentralvertretungen

„Das Agieren von muslimischen Vertretern reduziert sich immer mehr zu einem Selbstgespräche. In einer solchen Situation sprechen die Öffentlichkeit und die Politik immer weniger mit den Muslimen – sie führen immer mehr Zwiegespräche mit politischen Akteuren, die zunehmend nicht mehr die Muslime beim Staat vertreten, sondern den Staat mit seinen Erwartungen bei den Muslimen.“

(iz). Die Debatten rund um das Islamgesetz in Österreich haben in den letzten Wochen auch Muslime und Politik in Deutschland beschäftigt. Forderungen nach einem ähnlichen Gesetz wurden auch hier laut. Ersin Özcan, Vorstandsvorsitzenden des DITIB-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, unterstrich in einem langen Interview, was in der nächsten Ausgabe der Islamischen Zeitung in voller Länge zu lesen sein wird, dass das Islamgesetz von einem implizierten Vorwurf der Untauglichkeit und der Illoyalität geprägt sei.

„Letztlich erscheint mir das Islamgesetz als eine Art staatliche Obhut über Muslime und es manifestiert sich eine Haltung, in welcher der Staat bestimmt, wer ein guter Muslim ist“, so Özcan. Die befürwortenden Stimmen aus der Politik sind ihm ein Rätsel, erst recht die muslimischen, die solche Verbote oder Eingriffe fordern. „Ich glaube für Kirchen oder jüdische Gemeinden würde niemand aus der Politik so etwas fordern. Und schon gar nicht würden die Vertreter dieser Religionsgemeinschaften so etwas begrüßen“, sagte der NRW-Landeschef des größten Moscheeverbunds in Deutschland.

„Import-Imame“
Ersin Özcan geht im Interview auch auf die Problematik der so genannten Import-Imame im Kontext dieser Diskussionen ein. Die Muslime seien in der Lage, selbst entscheiden zu können, woran sie glauben, wie sie glauben und mit welchen Mitteln und mit welchem Personal sie ihren Glauben leben wollen. „So zu tun, als seien die Muslime nicht fähig zu erkennen, welcher Imam gut für sie ist, erscheint mir ziemlich paternalistisch“, betonte Özcan.

Dem Vorwurf, DITIB stehe unter Kontrolle Ankaras, geht Özcan aus dem Weg. Das seien „Nebelbombe“, in deren Schwaden all jene sich aus dem Staub machen würden, die in der Sache eine nachhaltige Debatte scheuten. „Ein solcher Auslandsbezug ist rechtlich wie tatsächlich bei anderen Religionsgemeinschaften, wie der Anglikanischen Kirche oder der Katholischen Kirche kein Problem“, so der DITIB-Vertreter. Man sollte auf das hören, was DITIB in Deutschland sage und die Inhalte wahrnehmen, um die es gehe. „Da spricht nicht die türkische Politik, da sprechen wir als Muslime in Deutschland über das, was uns hier wichtig ist“, so Özcan.

Der eigentlich kritische Punkt seien allerdings andere Entwicklungen innerhalb der muslimischen Community in Deutschland. Hierzulande würden wir eine zunehmende Veränderung des muslimischen Selbstverständnisses erleben. Özcan: „Muslimische Akteure scheinen immer mehr darum bemüht, zu gefallen, statt die Frage nach theologischer Wahrhaftigkeit zu stellen. Das mag als Geschäftsmodell für Partikularinteressen nützlich sein, für die muslimische Selbstfindung und den Erhalt einer an Lehraussagen orientierten, selbstgewissen religiösen Identität ist eine solche Entwicklung verheerend.“

Im Gespräch geht Özcan auch auf die jüngsten Diskussion über den Koordinationsrat der Muslime (KRM) ein. Politik und Öffentlichkeit habe jahrelang nach dem einen institutionellen Vertreter geschielt. Özcan sieht in einer zentralistischen Struktur Gefahren. Sie könne zu einer Art „Bischofskonferenz für Muslime“ mutieren. Durch diese Zentralisierung der muslimischen Selbstorganisation werde zudem nicht die ganze Vielfalt des muslimischen Lebens vertreten oder auch nur artikuliert. „Vielmehr hängt das, was die Muslime vermeintlich denken, wollen und tun von den Aussagen und Handlungen weniger Funktionäre ab, die im schlimmsten Fall nicht einmal eine gemeindliche Basis haben, bei der sie sich rechtfertigen müssten.“

Die Frage sei, betont Özcan, wie ein ernsthafter Austausch über islamische Grundfragen stattfinden könne. Eine weitere Zentralisierung sei diesem Austausch in keiner Weise dienlich. Er beobachtet eine Isolation der Funktionärseben von der muslimischen Basis. „Das Agieren von muslimischen Vertretern reduziert sich immer mehr zu einem Selbstgespräche. In einer solchen Situation sprechen die Öffentlichkeit und die Politik immer weniger mit den Muslimen – sie führen immer mehr Zwiegespräche mit politischen Akteuren, die zunehmend nicht mehr die Muslime beim Staat vertreten, sondern den Staat mit seinen Erwartungen bei den Muslimen.“

Mit einem solchen Modell werde man auf beiden Seiten nicht ernst genommen – weder bei der Basis, noch bei der Politik. Es führe kein Weg an einem wahrhaftigen und nachhaltigen innermuslimischen Austausch vorbei. Özcan würde ein Diskussionsforum für islamische Religionsgemeinschaften anstreben wollen, bei dem nicht mehr der Anspruch auf zentrale Vertretung im Vordergrund steht, sondern der Wunsch nach einer inhaltlichen Debatte.

Dieses Gremium sollte auch ergänzt werden durch Austauschforen mit Muslimen außerhalb der Verbände. „Da ist viel Potenzial, dass innerhalb der Verbände nicht genutzt wird“, folgert Özcan.

Das vollständige Interview wird in der nächsten Ausgabe der Islamischen Zeitung zu lesen sein.

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Nach einer internen Klausurtagung und mehrwöchigen Diskussionen in und um den KRM lud der Zentralrat zur Pressekonferenz

Köln (IZ/dpa/KNA). Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, hat die anderen muslimischen Verbände zu mehr Einigkeit aufgerufen. Es sei „völlig legitim“, wenn einzelne Mitglieder des Koordinationsrats der Muslime (KRM) unterschiedliche Ansichten verträten, sagte er am 19. März auf einer Pressekonferenz seiner Organisation in Köln.

Mazyek hat sich gegen den Vorwurf gewehrt, er wolle sich zum alleinigen Vertreter der deutschen Muslime aufschwingen. Wenn in der Öffentlichkeit oft vor allem er als Stimme der Muslime wahrgenommen werde, dann liege dies nicht daran, dass er die Vertreter anderer islamischer Dachverbände ausstechen wolle. „Ich rufe sie auf, dass sie sich mehr einbringen», sagte er auf der Pressekonferenz. Das Wochenmagazin „Die Zeit“ zitierte hierzu auch ZMD-Generalsekretärin Nurhan Soykan. Wer kein Deutsch spreche, so die Juristin, dürfe sich auch nicht beklagen, wenn er nicht in Talkshows eingeladen werde.

Der ZMD-Chef hatte unter anderem eine zentrale Rolle bei der Mahnwache am Brandenburger Tor nach den Terroranschlägen von Paris gespielt. Die Türkisch-Islamische Union DITIB, der größte islamische Dachverband in Deutschland, hatte ihn kürzlich scharf angegriffen und ihm einen „Vertrauensbruch“ vorgeworfen. Derzeit wird vor und hinter den Kulissen in bisher unbekannter Heftigkeit und Offenheit über Interna aus der dem Umfeld des KRM und über seine Zukunft diskutiert. Bisher allerdings waren es vor allem einige Vertreter der KRM-Mitglieder, die diese Debatte führten. Elemente der muslimischen Zivilgesellschaft blieben bisher außen vor.

Zugleich betonte Aiman Mazyek, dass sein Verband „felsenfest“ am KRM festhalte, weil er eine wichtige Interessenvertretung sei. Der Dachverband werde derzeit reformiert. Arbeitsgruppen sollten für bestimmte Themen zuständig sein. „Der KRM ist nicht tot, sondern er lebt weiter.“ Die Muslime müssten „die ethnisch fragmentierte Landschaft der islamischen Religionsgemeinschaft“ aufheben. Auch im ZMD gebe es vom Ausland finanzierte Imame, räumte er ein. Aber es sei Konsens in der islamischen Gemeinschaft, dass deutschsprachige Imame mit Kenntnissen über die Mentalität und Kultur des Landes viel näher an den Menschen seien.

Nachfolge des DITIB-Modells? Umstrukturierungen im Zentralrat und Wohlfahrtsverband angekündigt
Dem ZMD gehören 33 Mitglieder an, die rund 300 Moscheegemeinden vertreten. Inzwischen gebe es Landesverbände in Hessen und Nordrhein-Westfalen. In Berlin stehe die Gründung am Freitag bevor, weitere Gespräche führe man in Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz.

Dieser Prozess sei notwendig, da Absprachen und Verträge zwischen Staat und Religionen auf Landesebene stattfänden. In NRW haben man nach Angaben von Generalsekretärin Nurhan Soykan bereits die „erste Hürde“ genommen. Laut es anfänglichen Gutachtens erfüll ihr Dachverband die nötigen juristischen Kriterien für einen Status als Religionsgemeinschaft. Laut der Juristin sei dazu aber auch eine Überarbeitung von Satzungen der Landesverbände nötig.

Man wolle darüber hinaus das soziale Portfolio stärker koordinieren. Noch in diesem Jahr sei die Gründung eines eigenen Wohlfahrtsverbandes geplant, kündigte sie an. Dieser solle auch offen sein für Mitglieder und Initiativen anderer Verbände. „Noch schöner wäre es natürlich, wenn wir einen KRM-Wohlfahrtsverband hinbekämen, aber zunächst wollen wir unsere eigenen Strukturen ausbauen.“

Bereits jetzt sei man damit beschäftigt, Jugendvereine an Moscheen in Landesverbänden und einem Bundesjugendverband zusammenzufassen. Dort sollten auch Nicht-ZMD-Vereine ihren Platz finden können. Damit solle es auf Dauer bundesweit ein strukturiertes Angebot muslimischer Jugend- und Sozialarbeit geben, so Soykan.

Vorbereitung mit den Mitgliedern
Fünf Tage vor der Kölner Pressekonferenz, am Samstag, den 14. März, lud der Zentralrat zu einer Versammlung für seine Mitglieder ins sauerländische Arnsberg ein. Laut verbandseigener Pressemitteilungen hätten die anwesenden Mitglieder sich für die Fortsetzung der bisherigen Ausrichtung ausgesprochen. Darüber hinaus bestätigte der Dachverband die Mitgliedsanträge verschiedener Gemeindezusammenschlüsse, Einzelmoscheen und andere Organisationsformen.

Muslime in Deutschland und Frankreich reagieren mit einhelliger Abscheu und Ablehnung auf den Pariser Anschlag

„Der schreckliche Anschlag von Paris hat uns alle erschüttert. Dieses abscheuliche Verbrechen ist durch nichts zu rechtfertigen. Unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Opfer, den Beteiligten und dem französischen Volk.“ (Ali Kizilkaya)

Paris/Berlin (KNA/iz) Nach dem blutigen Terroranschlag auf das französische Magazin „Charlie Hebdo“ haben Islamvertreter zu Demonstrationen gegen den Terrorismus aufgerufen. Bei einem Krisentreffen zahlreicher Islam-Organisationen am Donnerstag in der großen Moschee von Paris forderten sie alle Muslime Frankreichs auf, beim Freitagsgebet eine Schweigeminute für die Opfer des Terroranschlags abzuhalten. Einer der vier französischen Islamgelehrten, die am Mittwoch zu einer interreligiösen Begegnung mit dem Papst nach Rom gereist waren, rief seine Glaubensbrüder in Frankreich zu Massendemonstrationen auf.

Die unter Federführung des französischen Islamrats CFCM stattfindende Versammlung in Paris erklärte, alle Muslime Frankreichs sollten sich der für Samstag angesetzten nationalen Friedensdemonstration anschließen. Dabei sollten sie ihren Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben und nach Respekt für die Werte des Landes zum Ausdruck bringen.

Mohammed Moussaoui, Vorsitzender der Vereinigungen der Moscheen Frankreichs, betonte laut der französischen Zeitschrift „La Vie“ in Rom, die Ereignisse von Paris verstärkten die Notwendigkeit des Dialogs zwischen den Religionen. Den Terroristen warf er vor, den Islam für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Trotz mehrfacher Aufrufe von Politikern und Religionsvertretern, Ruhe zu bewahren und keine Racheakte zu verüben, wurden in Frankreich in der Nacht zum Donnerstag mehrere muslimische Einrichtungen angegriffen. Medienberichten zufolge setzte ein Unbekannter am Mittwochabend im südfranzösischen Port-la-Nouvelle mit einer Schrotflinte in einem muslimischen Gebetsraum mehrere Schüsse ab. Da das Gebet bereits beendet und der Saal leer war, wurde niemand verletzt.

Muslime in Deutschland drückten Hinterbliebenen ihr Beileid aus
Binnen 24 Stunden nach dem Anschlag haben die meisten größeren und viele mittlere muslimische Vereinigungen eindeutig auf die Morde in Frankreich reagiert. In einer Pressemitteilung vom Mittwoch, den 7.1.2015, verurteile der amtierende Sprecher des Koordinationsrates der Muslime (KRM), Erol Pürlü vom Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), den „feigen Anschlag“ im Namen seines Gremiums. „Terror hat keinen Platz in irgendeiner Religion. Wir verurteilen diesen feigen Akt auf das Schärfste. Unser Beileid und tiefstes Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen.“

Auch die einzelnen KRM-Mitglieder gingen am gleichen Tag beziehungsweise am 8.1.2015 an die Öffentlichkeit. Ali Kizilkaya vom Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland zeigte sich „erschüttert“. Dieses abscheuliche Verbrechen ist durch nichts zu rechtfertigen. Unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Opfer, den Beteiligten und dem französischen Volk.“ Mit diesem grausamen Akt hätten die Attentäter den Propheten Muhammed und die Religion des Islams verhöhnt und beleidigt.

Der deutsche Moscheen-Dachverband Ditib zeigte sich indes besorgt über eine erhöhte Gefahr für islamische Einrichtungen in Deutschland. Man müsse „damit rechnen, dass Neonazis, Pegida-Aktivisten und Islamhasser diesen schrecklichen Terrorakt zum Anlass nehmen, ihre Angriffe zu vermehren“, sagte der Bundesvorstandssprecher der türkisch-islamischen Organisation, Bekir Alboga, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Vom größten Islamratsmitgliedsverband, der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, meldete sich deren Generalsekretär, Mustafa Yeneroğlu, in einer Erklärung zu Wort. Das Ziel solcher Gewalttaten sei ungeachtet deren Quelle „die Zerstörung des gesellschaftlichen Friedens“. Daher sei es wichtig, „dass wir geschlossen auf diese schockierende Tat reagieren, damit die Angreifer ihr Ziel nicht erreichen können“. Dass seine Befürchtungen nicht unbegründet seien, zeigten drei Übergriffe gegen muslimische Einrichtungen in Frankreich seit gestern.

Noch am gleichen Tag verurteilte der Zentralrat der Muslime die Anschläge in Paris. „Es gibt in keiner Religion und keiner Weltanschauung auch nur einen Bruchteil einer Rechtfertigung für solche Taten. Dies ist ein feindlicher und menschenverachtender Akt gegen unsere freie Gesellschaft. Durch diese Tat wurde nicht unser Prophet gerächt, sondern unser Glaube wurde verraten und unsere muslimischen Prinzipien in den Dreck gezogen.“ Es stehe zu befürchten, dass der Anschlag „neues Wasser auf den Mühlen von Extremisten jeglicher Couleur“ sein werde. „Wir rufen alle dazu auf, dem perfiden Plan der Extremisten nicht auf dem Leim zu gehen, die die Gesellschaft spalten.“

Der Kölner Journalist Eren Güvercin zeigt sich schockiert von der Perversität des Anschlags. Für ihn ist es nun umso wichtiger, dass die muslimische Gemeinschaft die Gefahr modernistischer Sekten erkennt und die Frage nach islamischen Inhalten aufarbeitet. Der Münchener Imam Benjamin Idriz verurteilt das Verbrechen scharf und erinnerte an das prophetische Vorbild des Vergebens. Wenn auch mahnte er zum Respekt vor den Gefühlen der Gläubigen aller Religionen. Er stellt fest, dass die Täter weder zu Europa, noch zum Islam gehören.

Über Facebook, Twitter und Instagram initiierte die Islamische Zeitung den Hashtag #VerteidigeDenPropheten, um einem Missbrauch des Propheten Muhammed durch Hass und Gewalt entgegenzuwirken.

Eine IZ-Leserin begrüßte auf Facebook die Haltung der IZ-Redaktion zu den Pariser Vorgängen: „(…) das lässt immer noch hoffen, dass der Nährboden des Extremismus versalzen werden kann, wenn wir mit Vernunft und Besonnenheit auf Eskalationsversuche verirrter Irrer reagieren.“ „Diese Idioten“, beklagte eine Leserin die Taten, „werden jetzt wieder Millionen friedliche Moslems mit tatkräftiger Unterstützung der Medien in den Schmutz ziehen.(…) Hoffe, dass die Vernunft siegt“.

Die IZ-Redaktion wird das Thema im Rahmen ihrer online- und Druckausgabe weiter begleiten. Alle Leser- und AutorInnen sind eingeladen, sich mich konstruktiven Beiträgen und Leserbriefen zu beteiligen. (sw & ak)



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Lassen sich aus den Brandanschlägen Bedeutungen für die muslimische Gemeinschaft ableiten?

(iz). Nach einer Brandstiftung durch Unbekannte auf eine Bielefelder Moscheegemeinde am 11. August kam es am Morgen vom 18. August zu einem weiteren Anschlagversuch auf eine andere Lokalität. Laut Berichten […]

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