Stärkt der Virus Pekings Macht?

Göttingen (GfbV). Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat davor gewarnt, dass China mit humanitärer Hilfe zur Bekämpfung von COVID-19 die Weltordnung verändert und von eigenen Menschenrechtsverletzungen ablenkt. Während Europas Staaten weitgehend mit sich selbst beschäftigt seien, baue China mit humanitärer Hilfe gegen das Coronavirus weltweit seinen Einfluss aus, erklärte die Menschenrechtsorganisation.

Dringend müsse Europa mehr Solidarität mit den Opfern der Krise und bei der Prävention gegen den Virus in den ärmsten Staaten der Welt zeigen. „Nach der Panda-Bär-Diplomatie, den Konfuzius-Instituten und der großzügigen Vergabe von Entwicklungshilfe, kommt nun Chinas humanitäre Softpower. Mit humanitärer Hilfe will sich China als Vorkämpfer gegen den Virus darstellen und von eigenem Versagen ablenken“, erklärte der GfbV-Direktor Ulrich Delius am 23. März in Göttingen.

Vergessen seien die verschwundenen Bürgerjournalisten, die mutig über die katastrophalen Zustände in Wuhan berichteten, bevor sie von der Staatssicherheit zum Schweigen gebracht wurden. Auch über den unzureichenden Schutz der Umerziehungslager in Xinjiang gegen COVID-19 rede niemand.

Als Gesicht des „guten“ China diene der Milliardär Jack Ma. Der Gründer des Logistik-Konzerns Alibaba und heutige Vorsitzende der Jack Ma-Stiftung verteile großzügig im Auftrag von Chinas Regierung weltweit Atemmasken und Virus-Tests.

So soll jedes der 54 ärmsten Länder in Afrika in den nächsten Tagen 100.000 Mundschutzmasken, 20.000 Virus-Tests und 1000 Schutzanzüge erhalten. Da Äthiopien besonders unter der Ausbreitung der Krise leidet, landete am gestrigen Sonntag ein Frachtflugzeug mit 5,4 Millionen Atemschutzmasken und mehr als einer Million Virus-Tests in der Hauptstadt Addis Abeba. Der Logistik-Konzern Alibaba wird sich um die Verteilung der Hilfsgüter kümmern. Er hatte erst kürzlich eine Logistik-Plattform in Äthiopien eröffnet. „Alibaba dürfte von dieser humanitären Hilfe maßgeblich profitieren, da so nicht nur sein Image, sondern auch seine Etablierung auf dem äthiopischen Markt massiv gefördert wird.

„So kooperieren Chinas Konzerne wie bei der Unterdrückung in Xinjiang wieder einmal eng mit der Regierung in Beijing zum beiderseitigen Vorteil“, sagte Delius.  Langfristig würden den chinesischen Unternehmen durch diese Kooperation unlautere Wettbewerbsvorteile gegenüber Firmen aus anderen Staaten verschafft.

Chinas Regierung werde die Hilfe nutzen, um die willige Gefolgschaft von noch mehr Ländern einzufordern. „Wohin diese Fehlentwicklung führt, sehen wir schon heute in den Vereinten Nationen, wo China seinen Einfluss stetig ausbaut, um das internationale Menschenrechtssystem zu demontieren“, warnte Delius.

Der Ausnahmezustand

(iz). Nichts gilt mehr, wir leben in Zeiten der Pandemie. Die Forderung einer Mehrheit der Deutschen nach landesweiten ­Ausgangssperren zeigt es überdeutlich: wir sind im Ausnahmezustand. Jeder Mensch, der in Deutschland lebt, muss das Geschehen nun psycholo­gisch einordnen.

Wir registrieren staunend, wie das Imaginäre, das Symbolische und das Reale, indem wir uns eingerichtet haben, dramatischen Veränderungen unterliegt. Wir erleben neue Lebenskunst, harte Gesetze, zahlreiche Ver­ordnungen, eine neue Hierarchie der Begriffe und staunen über die Macht des unsichtbaren Virus. Die Störung aus der Welt der Biologie zwingt uns nicht nur zur Entschleunigung, Isolierung oder Distanz, sie schafft neue Verhältnisse und sorgt paradoxerweise für eine ökologische Entlastung unserer Ökosysteme. Bilder von Delphinen, die durch die Lagune Venedigs schwimmen, oder Satellitenaufnahmen erhöhter Luftqualität prägen sich, neben den Eindrücken, der um das Leben kämpfende Ärzte, in das kollektive Gedächtnis ein.

Nachdem die Politik den Ausbruch des Corona-Virus in China noch im ­Januar und Februar eher unterschätzt hatte, galt es in den letzten Wochen den Schalter umzulegen und die Bevölkerung über die neue Logik staatlichen Handelns aufzuklären. Statt das Gefühl der Sicherheit zu verbreiten, war es plötzlich nötig eine Massenmobili­sierung gegenüber einer unsichtbaren Gefahr einzuleiten. Das Problem ist in diesem Kontext evident: Menschen neigen eine einmal gefasste, für sie positive Meldung zu bewahren und diesbezüglich neue, kritische Informationen in ihr Unterbewusstsein zu verdrängen. Die aktuelle Lage muss man zunächst gedanklich richtig einordnen, um dann die Natur dieser unbequemen Entscheidungen des Staates besser zu verstehen.

Die wissenschaftliche-medizinische Einordnung des Corona Virus übernimmt zunächst der Diskurs angesehener Wissenschaftler. Die gute Nachricht: Das Virus ist für die absolute Mehrheit nach wie vor symptomatisch ungefährlich. Für die Meisten gilt daher: Panik? Natürlich nicht! Der Laie wird hier einfach urteilen, dass es sich um eine Art Grippe handelt. Die Gefahr dieser guten Nachrichten liegt an der Hochkonjunktur der diversen Verschwörungstheorien, die von geschürter Hysterie, von Überreaktionen, sprechen und meist das de facto Geschehen in den betroffenen Städten wie Colmar, Bergamo oder Heinsberg verdrängen wollen.

Etwas schwieriger zu vermitteln ist daher die Gefahr der exponentiellen Ausbreitung des Virus. Muslime kennen dieses Phänomen bereits aus den Debatten über die Wirkungen des Zinses. In diesem Fall der Pandemie ist es das ­einfache, logisch nachvollziehbare Ziel zu verhindern, dass unser Gesundheitssystem zusammenbricht, da zu viele Menschen gleichzeitig ernsthaft erkranken könnten.

Auf einer anderen Ebene folgt die ethisch-politische Einordnung des ­Geschehens. Es gilt bisher der Grundsatz, dass die Mehrheit eine Pflicht hat eine bedrohte Minderheit zu schützen. Es geht (so Gott will) dabei nicht um uns, sondern um den Anderen. Das ist eine ethische Entscheidung und Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität. Jeder Mensch, der über imaginäre Vorstellungskraft verfügt, kann sich vorstellen, was passieren würde, wenn die Politik eine andere, theoretisch denkbare ethische Entscheidung treffen würde. Nebenbei erwähnt würde auch eine derartige Strategie wiederum unzählige neue Verschwörungstheorien begünstigen.

Der Ausnahmezustand, mit dem die massiven Einschränkungen unserer Bürgerrechte heute gerechtfertigt werden, ist dagegen eine rein politische Entscheidung. Dabei ist eine offene Frage, wie lange eine funktionierende Gesellschaft diese Maßnahmen akzeptieren kann, muss oder will. Sorge machen hier in erster Linie Prognosen, die darauf hindeuten, dass der effektive Schutz unserer Gesundheitssysteme für eine lange Zeit massive Einschränkungen unserer Versammlungs- und Bewegungsfreiheit erfordern könnten.

Man kann nur spekulieren, welche sozialen Folgen eine dauerhafte Quarantäne für Millionen von Menschen hat. Es gilt auch zu verhindern, dass eine Reduzierung auf das nackte Leben und biologisches Überleben nicht andere wichtige Aspekte der Menschenwürde verdrängt. Gerade hier sind die Religionen gefragt. Das bedeutet zum Beispiel die würdige Bestattung der Opfer und einen würdigen Umgang mit den Angehörigen zu garantieren.

Auf einem anderen Blatt stehen die dramatischen ökonomischen Folgen dieser Krise. Der Politik in aller Welt bleibt nur noch weitere ungeheure ­Geldsummen aus dem Nichts zu schaffen, um die Not der Bevölkerung und die Existenz tausender Betriebe vorerst abzusichern. Das Geschehen an den ­Finanzmärkten wirkt dabei wie ein ­Endspiel. Auch hier genügt ein Blick auf die Entwicklung der Geldmenge und der Schulden, um wiederum die Gefahr eines exponentiellen Wachstums zu ­beobachten. Hier verbietet sich eine Naivität, die die wundersame Geldvermehrung als folgenlos oder gar unproblematisch verklärt. Es droht – spätestens nach der Krise – eine veränderte Gesellschaft, die von der Dynamik von Gewinnern (Monopole) und Verlierern der Krise (Arbeitslose) endgültig zer­rissen werden könnte.

Im Ergebnis und in der Zusammenschau aller hier aufgerufenen politischen, ethischen und ökonomischen Probleme zeigt sich die Notwendigkeit einer breiten gesellschaftlichen Debatte, gerade unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes. Panik und Angst sind niemals gute Ratgeber, aber existentielle Sorge und kritische Nachdenklichkeit sind gerade jetzt gebotene Haltungen. Die notwendige Isolierung der Bevölkerung ist das Eine, aber die Abschottung von politischen Entscheidungen, zum Beispiel im Datenschutz, mit langfristigen Wirkungen, ist das Andere.

Die Welt wird nicht untergehen, aber nach der Pandemie wird sie auf jeden Fall eine andere sein. Eine Chance liegt hier unter Anderem, bei aller Sorge, auch positive Lehren aus der Krise zu ziehen. Bereits heute verstehen wir ­besser, wer unsere Gesellschaft trägt und wer im besonderen Maße von der Pandemie und – künftig – von den sozialen und ökonomischen Folgen betroffen sein wird. Eigentümer sind privilegiert gegenüber Mietern, wer über reale Werte verfügt wird eine drohende Inflation besser überstehen als Arbeitnehmer und eine Ausgangssperre erträgt man im komfortablen Landhaus besser als im Wohnsilo in der Stadt. Vielleicht werden wir uns bewusster, dass wir nun fortlaufend, gewichtige ethische und politische Entscheidungen treffen und mittragen müssen. Man denke nur hier auch an die verzweifelte Lage in den Lagern auf den griechischen Inseln.

Bleibt zu fragen, ob wir Muslime die Krise auf besondere Weise einordnen oder verarbeiten. Der Islam zeigt sich hier zunächst als rationale und keinesfalls denkfeindliche Lebenspraxis. Die überwältigende Zahl der Muslime ­unterstützt die staatlichen Maßnahmen und nimmt die Einschränkungen für unsere eigene symbolische Ordnung, also unsere Gesetze, Normen und ­Gewohnheiten – wie zum Beispiel das Verbot der Freitagsgebete – klaglos hin. Es ist Teil der islamischen Geschichte, man denke nur an Ibn Khaldun, dass unser Modell praktisch nie als ein ­geschlossenes System besteht, sondern vielmehr immer realen Einschränkungen unterliegt.

Auf der anderen Seite entwickeln die Muslime in besonderen Zeiten auch verschiedene Kompetenzen unterschiedlich stark. Es mag sein, insbesondere angesichts der drohenden sozialen Folgen dieser Krise, dass unser Wissen um alternative soziale und ökonomische Modelle einen viel wichtigeren Stellenwert bekommen als zuvor. Für uns Muslime gehören eigentlich freie Märkte, Stiftungen, gemäßigte ökonomische Macht und nicht zuletzt reales Geld zum Kernbestand kollektiver Lebenskunst.

In Zeiten der Not ringt jeder auf seine Weise um sein inneres Gleichgewicht. Wir Muslime erinnern uns gegenseitig an die Tiefenwirkung unserer Offenbarung. Wir lesen sie nun täglich neu. So heißt es in der Surat At-Tauba (9): „Sprich: ‘Uns kann nichts passieren, außer dem, was Allah für uns bestimmt hat. Er ist unser Meister. Auf Allah sollten die Gläubigen vertrauen.’“ Der Prophet fasst die gebotene Flexibilität in diese Worte: „Wie wunderbar ist die Angelegenheit des Gläubigen; in allem ist Gutes für sie, und dies gilt nur für Gläubige. Wenn Wohlstand sie begleitet, drücken sie Allah Dankbarkeit aus und das ist gut für sie; und wenn ihnen Widrigkeiten widerfahren, ertragen sie es geduldig und das ist gut für sie.“

Aber ganz unabhängig von unserer ­inneren Wirklichkeit, in der wir leben, wünschen wir allen unseren Lands­leuten, der ganzen Bevölkerung, dass wir nicht nur gesund, sondern zusammen gestärkt aus dieser schweren Zeit herausfinden. Immer mehr Menschen verstehen auch diese Formel, die in unserer Umgangssprache längst Einzug gehalten hat: inscha’Allah.

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Solidarität fängt beim Nächsten an

„Das Nachbarschaftsprojekt steht ausdrücklich allen Menschen in der Nachbarschaft offen.“

Köln (Islamrat). Um der weiteren Verbreitung des Coronavirus vorzubeugen und Risikogruppen zu unterstützen, startet der Islamrat zusammen mit der islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) in Kooperation mit „Fudul“, der Zentralstelle für islamische Wohlfahrt und Soziale Arbeit, ein Nachbarschaftsprojekt.

Dabei sollen junge Leute Älteren und anderen Risikogruppen, die vom Corona-Virus besonders bedroht sind, im Alltag behilflich sein. So sollen Lebensmitteleinkäufe oder sonstige Besorgungen getätigt werden. Unterstützen sollen die Jugendlichen aber auch, wenn es darum geht, einfach mal den Müll runterzubringen. Erreicht werden sollen die Menschen in erster Linie durch telefonische Bedarfsabfragen innerhalb der eigenen Moscheegemeinden und in Bekanntenkreisen sowie durch Aushänge und Infoblätter im Briefkasten in der unmittelbaren Nachbarschaft.

„Viele Menschen benötigen derzeit Hilfe. Insbesondere alte und kranke Menschen haben es derzeit besonders schwer. Ihnen wollen wir mit unserem Projekt helfen. Unsere Jugendlichen wollen ihnen beim Einkaufen und Besorgungen von Medikamenten unterstützen“, sagte der Vorsitzende des Islamrates, Burhan Kesici.

„Wir legen großen Wert darauf, dass die Menschen möglichst einfach und unbeschwerlich Hilfe in Anspruch nehmen können“, erklärt der Vorsitzende der IGMG-Jugendorganisation Ünal Ünalan und betont, dass das Angebot keinesfalls nur an Musliminnen und Muslime gerichtet sei. „Das Nachbarschaftsprojekt steht ausdrücklich allen Menschen in der Nachbarschaft offen.“

Meryem Saral, Vorsitzende der IGMG-Frauenjugendorganisation, erklärt: „In einer Ausnahmesituation wie diesen müssen wir uns gegenseitig helfen und unterstützen. So schwer die Corona-Epidemie uns auch trifft, werden wir als Gesamtgesellschaft am Ende hoffentlich gestärkt daraus hervorgehen – eine Gesellschaft die zusammenhält, wenn es darauf ankommt.

Fudul-Vorsitzende, Meryem Özmen-Yaylak, ergänzt, dass Projekte wie diese noch einen weiteren positiven Nebeneffekt haben. „Sie sensibilisieren die Jugendlichen für die Belange und Bedürfnisse der Älteren in unserer Gesellschaft und bringen die Generationen einander näher“, erklärt Meryem Özmen-Yaylak, die als Religionspädagogin das Projekt mit konzipiert hat und bereits über Erfahrung im Umgang mit älteren Personen verfügt.

Das Nachbarschaftsprojekt wird mit Hilfe der Landesverbände, der Regional- und Ortsvereine der des Islamrates bzw. der IGMG vor Ort umgesetzt und soll in allen Ländern, in denen die IGMG vertreten ist und Bedarf besteht umgesetzt werden, darunter insbesondere auch Frankreich, Belgien, Niederlande.

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„Niemand ist verzichtbar“

Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger,

das Coronavirus verändert zurzeit das Leben in unserem Land dramatisch. Unsere Vorstellung von Normalität, von öffentlichem Leben, von sozialen Miteinander – all das wird auf die Probe gestellt wie nie zuvor.

Millionen von Ihnen können nicht zur Arbeit, Ihre Kinder können nicht zur Schule oder in die Kita, Theater und Kinos und Geschäfte sind geschlossen, und, was vielleicht das Schwerste ist: uns allen fehlen die Begegnungen, die sonst selbstverständlich sind. Natürlich ist jeder von uns in solch einer Situation voller Fragen und voller Sorgen, wie es weitergeht.

Ich wende mich heute auf diesem ungewöhnlichen Weg an Sie, weil ich Ihnen sagen will, was mich als Bundeskanzlerin und alle meine Kollegen in der Bundesregierung in dieser Situation leitet. Das gehört zu einer offenen Demokratie: dass wir die politischen Entscheidungen auch transparent machen und erläutern. Dass wir unser Handeln möglichst gut begründen und kommunizieren, damit es nachvollziehbar wird.

Ich glaube fest daran, dass wir diese Aufgabe bestehen, wenn wirklich alle Bürgerinnen und Bürger sie als IHRE Aufgabe begreifen.

Deswegen lassen Sie mich sagen: Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.

Ich möchte Ihnen erklären, wo wir aktuell stehen in der Epidemie, was die Bundesregierung und die staatlichen Ebenen tun, um alle in unserer Gemeinschaft zu schützen und den ökonomischen, sozialen, kulturellen Schaden zu begrenzen. Aber ich möchte Ihnen auch vermitteln, warum es Sie dafür braucht, und was jeder und jede Einzelne dazu beitragen kann.

Zur Epidemie – und alles was ich Ihnen dazu sage, kommt aus den ständigen Beratungen der Bundesregierung mit den Experten des Robert-Koch-Instituts und anderen Wissenschaftlern und Virologen: Es wird weltweit unter Hochdruck geforscht, aber noch gibt es weder eine Therapie gegen das Coronavirus noch einen Impfstoff.

Solange das so ist, gibt es nur eines, und das ist die Richtschnur all unseres Handelns: die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, sie über die Monate zu strecken und so Zeit zu gewinnen. Zeit, damit die Forschung ein Medikament und einen Impfstoff entwickeln kann. Aber vor allem auch Zeit, damit diejenigen, die erkranken, bestmöglich versorgt werden können.

Deutschland hat ein exzellentes Gesundheitssystem, vielleicht eines der besten der Welt. Das kann uns Zuversicht geben. Aber auch unsere Krankenhäuser wären völlig überfordert, wenn in kürzester Zeit zu viele Patienten eingeliefert würden, die einen schweren Verlauf der Coronainfektion erleiden.

Das sind nicht einfach abstrakte Zahlen in einer Statistik, sondern dass ist ein Vater oder Großvater, eine Mutter oder Großmutter, eine Partnerin oder Partner, es sind Menschen. Und wir sind eine Gemeinschaft, in der jedes Leben und jeder Mensch zählt.

Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit zu aller erst an alle wenden, die als Ärzte oder Ärztinnen, im Pflegedienst oder in einer sonstigen Funktion in unseren Krankenhäusern und überhaupt im Gesundheitswesen arbeiten. Sie stehen für uns in diesem Kampf in der vordersten Linie. Sie sehen als erste die Kranken und wie schwer manche Verläufe der Infektion sind. Und jeden Tag gehen Sie aufs Neue an Ihre Arbeit und sind für die Menschen da. Was Sie leisten, ist gewaltig, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür.

Also: Es geht darum, das Virus auf seinem Weg durch Deutschland zu verlangsamen. Und dabei müssen wir, das ist existentiell, auf eines setzen: das öffentliche Leben soweit es geht herunterzufahren. Natürlich mit Vernunft und Augenmaß, denn der Staat wird weiter funktionieren, die Versorgung wird selbstverständlich weiter gesichert sein und wir wollen so viel wirtschaftliche Tätigkeit wie möglich bewahren.

Aber alles, was Menschen gefährden könnte, alles, was dem Einzelnen, aber auch der Gemeinschaft schaden könnte, das müssen wir jetzt reduzieren.

Wir müssen das Risiko, dass der eine den anderen ansteckt, so begrenzen, wie wir nur können.

Ich weiß, wie dramatisch schon jetzt die Einschränkungen sind: keine Veranstaltungen mehr, keine Messen, keine Konzerte und vorerst auch keine Schule mehr, keine Universität, kein Kindergarten, kein Spiel auf einem Spielplatz. Ich weiß, wie hart die Schließungen, auf die sich Bund und Länder geeinigt haben, in unser Leben und auch unser demokratisches Selbstverständnis eingreifen. Es sind Einschränkungen, wie es sie in der Bundesrepublik noch nie gab.

Lassen Sie mich versichern: Für jemandem wie mich, für die Reise- und Bewegungsfreiheit ein schwer erkämpftes Recht waren, sind solche Einschränkungen nur in der absoluten Notwendigkeit zu rechtfertigen. Sie sollten in einer Demokratie nie leichtfertig und nur temporär beschlossen werden – aber sie sind im Moment unverzichtbar, um Leben zu retten.

Deswegen sind seit Anfang der Woche die verschärften Grenzkontrollen und Einreisebeschränkungen zu einigen unserer wichtigsten Nachbarländer in Kraft.

Für die Wirtschaft, die großen Unternehmen genau wie die kleinen Betriebe, für Geschäfte, Restaurants, Freiberufler ist es jetzt schon sehr schwer. Die nächsten Wochen werden noch schwerer. Ich versichere Ihnen: Die Bundesregierung tut alles, was sie kann, um die wirtschaftlichen Auswirkungen abzufedern – und vor allem um Arbeitsplätze zu bewahren.

Wir können und werden alles einsetzen, was es braucht, um unseren Unternehmern und Arbeitnehmern durch diese schwere Prüfung zu helfen.

Und alle können sich darauf verlassen, dass die Lebensmittelversorgung jederzeit gesichert ist, und wenn Regale einen Tag mal leergeräumt sind, so werden sie nachgefüllt. Jedem, der in den Supermärkten unterwegs ist, möchte ich sagen: Vorratshaltung ist sinnvoll, war es im Übrigen immer schon. Aber mit Maß; Hamstern, als werde es nie wieder etwas geben, ist sinnlos und letztlich vollkommen unsolidarisch.

Und lassen Sie mich auch hier Dank aussprechen an Menschen, denen zu selten gedankt wird. Wer in diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt oder Regale befüllt, der macht einen der schwersten Jobs, die es zurzeit gibt. Danke, dass Sie da sind für ihre Mitbürger und buchstäblich den Laden am Laufen halten.

Jetzt zu dem, was mir heute das Dringendste ist: Alle staatlichen Maßnahmen gingen ins Leere, wenn wir nicht das wirksamste Mittel gegen die zu schnelle Ausbreitung des Virus einsetzen würden: Und das sind wir selbst. So wie unterschiedslos jeder von uns von dem Virus betroffen sein kann, so muss jetzt auch jede und jeder helfen. Zu allererst, indem wir ernst nehmen, worum es heute geht. Nicht in Panik verfallen, aber auch nicht einen Moment denken, auf ihn oder sie komme es doch nicht wirklich an. Niemand ist verzichtbar. Alle zählen, es braucht unser aller Anstrengung.

Das ist, was eine Epidemie uns zeigt: wie verwundbar wir alle sind, wie abhängig von dem rücksichtsvollen Verhalten anderer aber damit eben auch: wie wir durch gemeinsames Handeln uns schützen und gegenseitig stärken können.

Es kommt auf jeden an. Wir sind nicht verdammt, die Ausbreitung des Virus passiv hinzunehmen. Wir haben ein Mittel dagegen: wir müssen aus Rücksicht voneinander Abstand halten. Der Rat der Virologen ist ja eindeutig: Kein Handschlag mehr, gründlich und oft die Hände waschen, mindestens eineinhalb Meter Abstand zum Nächsten und am besten kaum noch Kontakte zu den ganz Alten, weil sie eben besonders gefährdet sind.

Ich weiß, wie schwer das ist, was da von uns verlangt wird. Wir möchten, gerade in Zeiten der Not, einander nah sein. Wir kennen Zuwendung als körperliche Nähe oder Berührung. Doch im Augenblick ist leider das Gegenteil richtig. Und das müssen wirklich alle begreifen: Im Moment ist nur Abstand Ausdruck von Fürsorge.

Der gutgemeinte Besuch, die Reise, die nicht hätte sein müssen, das alles kann Ansteckung bedeuten und sollte jetzt wirklich nicht mehr stattfinden. Es hat seinen Grund, warum die Experten sagen: Großeltern und Enkel sollten jetzt nicht zusammenkommen.

Wer unnötige Begegnungen vermeidet, hilft allen, die sich in den Krankenhäusern um täglich mehr Fälle kümmern müssen. So retten wir Leben. Das wird für viele schwer, und auch darauf wird es ankommen: niemanden allein zu lassen, sich um die zu kümmern, die Zuspruch und Zuversicht brauchen. Wir werden als Familien und als Gesellschaft andere Formen finden, einander beizustehen.

Schon jetzt gibt es viele kreative Formen, die dem Virus und seinen sozialen Folgen trotzen. Schon jetzt gibt es Enkel, die ihren Großeltern einen Podcast aufnehmen, damit sie nicht einsam sind.

Wir allen müssen Wege finden, um Zuneigung und Freundschaft zu zeigen: Skypen, Telefonate, Mails und vielleicht mal wieder Briefe schreiben. Die Post wird ja ausgeliefert. Man hört jetzt von wunderbaren Beispielen von Nachbarschaftshilfe für die Älteren, die nicht selbst zum Einkaufen gehen können. Ich bin sicher, da geht noch viel mehr und wir werden als Gemeinschaft zeigen, dass wir einander nicht allein lassen.

Ich appelliere an Sie: Halten Sie sich an die Regeln, die nun für die nächste Zeit gelten. Wir werden als Regierung stets neu prüfen, was sich wieder korrigieren lässt, aber auch: was womöglich noch nötig ist.

Dies ist eine dynamische Situation, und wir werden in ihr lernfähig bleiben, um jederzeit umdenken und mit anderen Instrumenten reagieren zu können. Auch das werden wir dann erklären.

Deswegen bitte ich Sie: Glauben Sie keinen Gerüchten, sondern nur den offiziellen Mitteilungen, die wir immer auch in viele Sprachen übersetzen lassen.

Wir sind eine Demokratie. Wir leben nicht von Zwang, sondern von geteiltem Wissen und Mitwirkung. Dies ist eine historische Aufgabe und sie ist nur gemeinsam zu bewältigen.

Dass wir diese Krise überwinden werden, dessen bin ich vollkommen sicher. Aber wie hoch werden die Opfer sein? Wie viele geliebte Menschen werden wir verlieren? Wir haben es zu einem großen Teil selbst in der Hand. Wir können jetzt, entschlossen, alle miteinander reagieren. Wir können die aktuellen Einschränkungen annehmen und einander beistehen.

Diese Situation ist ernst und sie ist offen.

Das heißt: Es wird nicht nur, aber auch davon abhängen, wie diszipliniert jeder und jede die Regeln befolgt und umsetzt.

Wir müssen, auch wenn wir so etwas noch nie erlebt haben, zeigen, dass wir herzlich und vernünftig handeln und so Leben retten. Es kommt ohne Ausnahme auf jeden Einzelnen und damit auf uns alle an.

Passen Sie gut auf sich und auf Ihre Liebsten auf. Ich danke Ihnen.

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Zeit für Solidarität, Hilfsbereitschaft und Verantwortung

Köln (igmg.org). „Der derzeit beste verfügbare Mittel gegen das Coronavirus ist gesellschaftliche Solidarität, Hilfsbereitschaft, Fürsorge und Spendenbereitschaft, aber auch Verzicht“, erklärt Kemal Ergün, Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), anlässlich der aktuellen Situation. Kemal Ergün weiter:

„In Krisenzeiten wie diese zeigt sich, wie stark eine Gesellschaft ist. Wir stehen jetzt gesamtgesellschaftlich in der Pflicht, solidarisch, hilfsbereit, großzügig und verantwortungsbewusst zu sein. Dazu gehört es vor allen Dingen, sich an die Anweisungen und Empfehlungen der Ministerien, Ämter und Behörden zu halten. Vor diesem Hintergrund wird die IGMG auf das für Ende April angesetzte traditionelle Iftar-Essen im Fastenmonat Ramadan verzichten.

Wir haben bereits zahlreiche Maßnahmen in die Wege geleitet, um unseren Teil zur Eindämmung der weiteren Verbreitung des Coronavirus beizutragen. Es liegt aber auch an jedem selbst, sich unbedingt verantwortungsbewusst zu verhalten, Menschenansammlungen fernzubleiben und soziale Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren.

Zur gesellschaftlichen Solidarität gehört es auch, dass Stärkere sich um die Schwachen kümmern. Wer jung und kräftig ist, kann sich beispielsweise anbieten, für Risikogruppen die Einkäufe zu erledigen; wer Kapazitäten und Möglichkeiten hat, kann sich für Kinderbetreuung anbieten, um Eltern zu entlasten, die arbeiten müssen. Die Möglichkeiten der nachbarschaftlichen Fürsorge sind vielfältig.

Auch wir sehen uns als islamische Religionsgemeinschaft in der Pflicht und haben bereits diverse Projekte angestoßen – weitere werden konzipiert und koordiniert – mit Unterstützung unserer Ortsgemeinden. Dabei möchten wir auch die religiöse Versorgung von Musliminnen und Muslimen – insbesondere mit Blick auf Ältere – gewährleisten und arbeiten an diversen digitalen Lösungen.

Des Weiteren rufen wir alle gesunden Menschen ab 18 Jahren dazu auf, Blut zu spenden. Spenderblut können vielfach Leben retten. Dem ‚Deutschen Roten Kreuz‘ zufolge kann die Patientenversorgung in innerhalb kurzer Zeit nicht mehr abgesichert werden, wenn wegen der Coronavirus-Pandemie in den kommenden Tagen nicht genügend Blutspenden eingehen. Auch hier stehen wir in der Verantwortung – vor allem am Anfang dieser Pandemie.

Trotz des Ernstes der Lage gibt es keinen Grund, in Hysterie oder Panik zu verfallen. Wenn jeder Einzelne seinen Teil dazu beiträgt, werden wir diese Zeit durchstehen. Dazu gehört es auch, besonnen und verantwortungsvoll einzukaufen, sich von Panikmache und Fake News in sozialen Medien nicht verrückt machen zu lassen – die allermeisten Supermarktregale sind voll und nicht leer. Die verantwortlichen Stellen teilen mit, dass es keine Lieferengpässe gibt und die Versorgung gewährleistet ist. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln.“

Info: Blutspende-Hotline
0800/1194911
www.blutspende.de

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Paket: Auch religiöse Stätten werden geschlossen

Es waren dramatische Beschlüsse, die Kanzlerin Merkel nüchtern präsentierte. Bund und Länder haben sich auf ein rigoroses Paket gegen die Verbreitung des Coronavirus geeinigt. Bürgerinnen und Bürger werden auf vieles verzichten müssen.

Berlin (dpa). Mit drastischen Einschränkungen wollen Bund und Länder die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland bremsen. „Das sind Maßnahmen, die es so in unserem Lande noch nicht gegeben hat“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montagabend in Berlin. Es gehe darum, soziale Kontakte zu verringern. Das wirtschaftliche Leben, die Energieversorgung und die medizinische Versorgung sollten aufrecht erhalten werden, sagte Merkel. Das Gesundheitssystem solle nicht überfordert werden. Bund und Länder beschlossen einen insgesamt anderthalbseitigen Handlungskatalog, den Merkel komplett vorlas.

Die Umsetzung der nun beschlossenen Maßnahmen obliege den Ländern und Kommunen. „Natürlich wird es Kontrollen geben“, betonte die Kanzlerin, die nüchtern und gefasst auftrat. Sie hoffe, „dass es ein gewisses Einsehen der Menschen gibt“, sagte Merkel. Es sei beispielsweise sinnlos eine Schule zu schließen, wenn sich die gleichen Schüler dann woanders treffen. „Wir kommen desto schneller durch diese Phase hindurch, je mehr sich jeder einzelne an diese Auflagen und an diese Regelungen hält.“

Eine Vielzahl von Geschäften soll geschlossen, Gottesdienste sowie Treffen in Vereinen verboten und Spielplätze gesperrt werden, wie aus dem Beschluss der Bundesregierung und der Regierungschefs der Länder hervorgeht. Die Maßnahmen sollen ab sofort gelten.

Supermärkte und andere Läden, die zur Versorgung der Menschen dienen, sollen allerdings offen bleiben – wenn auch mit einer gewissen Steuerung, um Warteschlangen zu vermeiden. Ausdrücklich nicht geschlossen werden sollen auch Getränkemärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Tankstellen, Banken und Sparkassen – aber auch Poststellen, Gartenbau- und Tierbedarfsmärkte oder der Großhandel. Verkaufsverbote für den Sonntag sollen ausgesetzt werden.

Der Beschluss sieht vor, dass Übernachtungsangebote im Inland nur noch zu „notwendigen und ausdrücklich nicht zu touristischen Zwecken“ genutzt werden sollen. „Das beinhaltet und bringt mit sich auch, dass es keine Urlaubsreisen ins In- und auch keine ins Ausland geben soll“, sagte Merkel.

Geschlossen werden sollen Bars, Clubs, Diskotheken sowie Kneipen, Theater, Opern, Konzerthäuser und Museen – dies ist in einigen Ländern bereits der Fall oder angekündigt. Dicht machen sollen außerdem Messen, Ausstellungen, Kinos sowie Freizeit- und Tierparks usw.

Auch der Sportbetrieb auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen, Schwimm- und Spaßbädern, Fitnessstudios und ähnliche Einrichtungen solle geschlossen werden. Auch Spielplätze sollen gesperrt werden.

Außerdem sollen Zusammenkünfte in Vereinen und sonstigen Sport- und Freizeiteinrichtungen verboten werden. Dies gilt auch für Kirchen, Moscheen, Synagogen und andere Glaubensgemeinschaften. Für Krankenhäuser, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen und Pflegeheime sollen Besuchsregelungen erlassen werden.

Für Mensen, Restaurants, Speisegaststätten und Hotels soll das Risiko einer Verbreitung des Coronavirus durch eine Abstandsregelung für Tische sowie einer Reglementierung der Besucherzahl verringert werden.

Im Kampf gegen das Coronavirus hatte Deutschland am Montag an den Übergängen zu Österreich, Frankreich, Luxemburg und Dänemark sowie zur Schweiz mit strengen Grenzkontrollen begonnen. An einigen Grenzübergängen bildeten sich mit Beginn der Kontrollen am Montag um 8.00 Uhr längere Staus. Kleinere Straßen – etwa von Frankreich nach Baden-Württemberg – wurden komplett gesperrt.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlug ebenfalls weitreichende Einreisebeschränkungen in die Europäische Union für zunächst 30 Tage vor. Darüber habe sie die Chefs der G7-Länder am Montag in einer Videokonferenz informiert, sagte von der Leyen. Ausnahmen solle es unter anderem für Nicht-EU-Bürger mit dauerhafter Aufenthaltsgenehmigung, Angehörige von EU-Bürgern, Diplomaten, Ärzte, Krankenpfleger, Forscher und Experten geben.

Wegen der Coronakrise haben hierzulande bereits Zehntausende Schulen und Kitas in Deutschland zugemacht. Die flächendeckenden Schließungen gelten in der Mehrzahl der Bundesländer seit diesem Montag.

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) plant vorerst weiter einen ausgeglichenen Bundeshaushalt ohne neue Schulden für das kommende Jahr – allerdings sind die Folgen der Coronavirus-Krise noch nicht berücksichtigt. Die Auswirkungen seien voraussichtlich „nicht unerheblich“, hieß es im Finanzministerium. Scholz hatte am vergangenen Freitag betont, angesichts der guten Haushaltslage könne der Staat das tun, „was jetzt notwendig ist“.

So kann das erleichterte Kurzarbeitergeld wegen der Coronavirus-Krise bereits kurzfristig fließen. Die Erleichterungen träten rückwirkend zum 1. März in Kraft und würden rückwirkend ausgezahlt, teilte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit.

Die Coronakrise trifft auch Bundesbürger im Ausland: Mehrere Tausend Deutsche sitzen nach Einschätzung der Regierung derzeit wegen Reisebeschränkungen anderswo fest. Vor allem in der Türkei, Marokko, Indonesien und den Philippinen haben Bundesbürger nach Angaben des Auswärtigen Amts Schwierigkeiten, nach Deutschland zurückzukehren.

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Coronavirus: Tafeln durch Ausbreitung gefährdet

Berlin (tafel.de). Die Ausbreitung des Coronavirus wird auch für die Tafeln in Deutschland zur Herausforderung und führt zu immer mehr Tafel-Schließungen im ganzen Land. Um die 1,6 Millionen bedürftigen Tafel-Nutzerinnen und -Nutzer jetzt nicht alleine zu lassen, ruft die Organisation zu einer Welle der Solidarität auf. Von der Politik erwarten die Tafeln finanzielle Unterstützung.

 In den Tafeln kommen viele Menschen in teils engen Räumen zusammen. Besonders herausfordernd ist es für die Tafeln, dass rund 90 Prozent der 60.000 Ehrenamtlichen zu den lebensälteren Menschen und damit zur schützenswerten Gruppe gehören. Etwa 30 Tafeln haben daher bereits ihre Lebensmittelausgabe vorübergehend eingestellt (Stand 13.03., 13:30 Uhr). „Unsere 949 Mitgliedstafeln stehen vor der schweren Herausforderung, wie sie Ehrenamtliche sowie Kundinnen und Kunden vor einer Ansteckung mit dem Virus schützen und zugleich die 1,6 Millionen Tafel-Nutzerinnen und -Nutzer weiter unterstützen können. Denn Tafeln sind keine Vergnügungsangebote wie Fußballspiele. Die Menschen, die zu uns kommen, brauchen die Unterstützung. Doch genau die kann jetzt auch zur Gefahr für die Gesundheit werden“, sagt Jochen Brühl.

Foto: Nikolaus Urban

An die Bevölkerung und Politik wendet er sich mit einem Appell: „Die Tafel-Arbeit wird von älteren Menschen getragen. Jeden Tag leisten sie freiwillig körperlich und psychisch anspruchsvolle Hilfe und einen wertvollen Dienst an der Gesellschaft. Männer und Frauen im Rentenalter schleppen, säubern und sortieren nicht nur die Lebensmittel, sondern wenden sich unseren Kundinnen und Kunden zu. Diese sind oftmals einsam und ausgegrenzt. Jetzt brauchen die helfenden Lebensalten unseren Schutz, unsere Solidarität und Unterstützung. Ich möchte jüngere Menschen motivieren, die kurzfristig auftretende Lücke der Hilfe zu füllen und sich zu engagieren“, sagt Jochen Brühl.

Tafeln könnten beispielsweise Unterstützung brauchen, um Lieferdienste einzurichten oder auszuweiten sowie Lebensmittel in Tüten oder Pakete zu packen und im Hof unter freiem Himmel auszugeben. Es seien jetzt kreative Lösungen gefragt, um Sozialkontakte bei der Lebensmittelausgabe so weit wie möglich zu reduzieren.

Nach wie vor bekommen Tafeln zum Teil deutlich weniger Lebensmittel gespendet. Noch immer scheinen sich die Vorratskäufe der Menschen auszuwirken.

Für die Tafeln bedeuten Schließungen auch wirtschaftliche Probleme, denn sie finanzieren sich neben Spenden über die (symbolischen) Beträge, die Nutzerinnen und Nutzer für die Lebensmittel zahlen. Auch wenn die Tafeln geschlossen haben, laufen Kosten wie Miete für Ausgabestellen und Lager, Versicherung für die Fahrzeuge etc. weiter. „Wir erwarten, dass die Politik unsere gemeinnützige Organisation jetzt unterstützt, um langfristige Schließungen der Tafeln zu verhindern“, so Jochen Brühl.

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Verfassungsschutz erklärt „Flügel“ zum Beobachtungsobjekt

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Der „Flügel“ wird jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet. Das gilt aber nicht für die AfD als Gesamtpartei. Darüber, wie viel Einfluss die rechtsnationale Gruppierung in der Partei hat, gehen die Meinungen auseinander.

Berlin (dpa). Der von AfD-Politikern gegründete rechtsnationale „Flügel“ ist für den Verfassungsschutz jetzt offiziell ein Beobachtungsfall. Wie die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag (12. März) erfuhr, sieht der Inlandsgeheimdienst seinen Verdacht bestätigt, dass es sich bei dem Zusammenschluss um eine rechtsextreme Bestrebung handelt.

Der Verfassungsschutz hatte zuvor angekündigt, er wolle über den aktuellen Stand seiner Bemühungen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus informieren. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) lud dazu – ohne weitere Details zu nennen – für Donnerstag (11.00 Uhr) zu einer Pressekonferenz mit seinem Präsidenten Thomas Haldenwang in Berlin ein. Haldenwang hatte in den vergangenen Monaten eine neue Dynamik im Bericht des Rechtsextremismus und eine Vermischung unterschiedlicher Milieus festgestellt.

Die AfD hatte am Vortag Stellungnahmen von Funktionären der Partei veröffentlicht, mit denen diese frühere Äußerungen zum Islam, zur Einwanderung und zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber „klarstellen“ wollten. Damit sollten Vorhaltungen des Verfassungsschutzes entkräftet werden. Nicht alle diese Äußerungen stammten von Anhängern des „Flügels“, dessen Gründer und Wortführer der Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke ist.

Beispielsweise erklärte Hans-Thomas Tillschneider, „Flügel“-Anhänger und Landtagsabgeordneter der AfD in Sachsen-Anhalt: „Es handelt sich bei dem Vergleich des Islams mit einem Baumpilz um eine drastische und polemisch überzogene Bildlichkeit, die ich 2017 verwendet habe, auf die ich aber nicht mehr zurückgreifen würde, da sie falsche Assoziationen weckt. Wichtig ist mir deshalb die Betonung, dass ich nicht Menschen mit Parasiten vergleiche, sondern eine Parallelgesellschaft.“

Der Verfassungsschutz hatte den rechtsnationalen „Flügel“ der Partei im Januar 2019 als Verdachtsfall im Bereich des Rechtsextremismus eingestuft, ebenso die Nachwuchsorganisation der AfD, die Junge Alternative.

Die Einstufung als Beobachtungsobjekt bedeutet, dass die Bewegung mit dem kompletten Instrumentarium nachrichtendienstlicher Mittel beobachtet werden darf. Dazu zählen beispielsweise die Observation und das Anwerben von Informanten. Daten zu einzelnen Personen dürfen gesammelt und gespeichert werden. Was ein Abgeordneter im Plenum oder Ausschüssen sagt, darf allerdings nicht in die Akten einfließen.

Der „Flügel“ kennt keine formale Mitgliedschaft. Seine Anhänger versammeln sich einmal im Jahr zum sogenannten „Kyffhäusertreffen“. An dieser Veranstaltung haben in der Vergangenheit auch AfD-Politiker teilgenommen, die sich selbst nicht dem „Flügel“ zurechnen, etwa der Parteivorsitzende Jörg Meuthen.

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Kommentar: Der Virus und die Gelassenheit

„Unsere Hoffnung, dass diese Einschränkungen nur ein vorübergehendes Phänomen darstellen und nach einigen Monaten wieder der Vergangenheit angehören, deutet auf unsren geistigen Ort hin, den wir im Projekt der Moderne längst klaglos eingenommen haben. Wir Unverbesserlichen sehen in jeder dramatischen Krise bloß eine kurzzeitige Störung.“

Berlin (iz). Man liest jetzt viel von Panik und Hysterie, die der weltweit verbreitete Coronavirus ausgelöst hat. Die Vernunft gebietet, dass man sich von diesem Zustand nicht anstecken lässt. Allerdings ist die Sorge um das eigene und das Wohlbefinden Anderer Teil unserer Natur und grundlegende Seinsweise unserer Existenz. Der Mensch ist auf dieser Grundlage – im Gegensatz zur Panik – so zur Vorsorge fähig; begleitet von einer nüchternen Reflexion, Sinnsuche und Analyse der Lage.

Das Problem mit dem Virus fällt in eine Zeit, in welcher der Mensch sich unter dem Stichwort „Globalisierung“ eingerichtet hat. Ewiges Wachstum, andauernde Beschleunigung, vollständige Kontrolle sind Maximen, die sich mit den Prinzipien der Natur nur schwer in Einklang bringen lassen. Schon Goethe hat sich mit diesem Grundwiderspruch im Faust beschäftigt: Das expansive Streben und der Herrschaftswille des modernen Menschen treffen hier auf natürliche Grenzen. Oder wie der Dichter an anderem Ort mahnte: „Die Natur hat manches Unbequeme zwischen ihre schönsten Gaben ausgestreut.“

Wenn wir heute der unheimlichen Störung aus der Welt der Biologie ausgesetzt sind, betrifft dies gleichermaßen unsere imaginäre und symbolische Ordnung, die nach jeder neuen Krise immer mühsamer aufrechtzuerhalten ist. Kennzeichnende Begriffe derselben wie Menschenrechte, Demokratie und Gerechtigkeit haben unserer Politik bisher eine absolute Legitimität verliehen. In der Vorstellung sollte es eine Welt der Perfektion werden: Märkte, die Wohlstand verteilen, bürgerliche Gesellschaften sowie eine Technik, die uns bei der Umsetzung dient. Schon länger aber driften die Regel und das Sein weit auseinander.

Es gehört zu den paradoxen Folgen der Epidemie dieser Tage, dass sie mit ihren, unserer Politik entzogenen Mitteln einen faktischen Zustand der Mäßigung schafft. Weniger Konsum, Reisefreiheit und Ressourcen-Verbrauch nähern sich den Verhaltensweisen, die für ein Überleben der Menschheit in der Theorie angemahnt wurde. Dass das konkret Notwendige mit derart schmerzlichen Folgen verbunden ist, gehört zur unausweichlichen Tragik der menschlichen Situation.

Unsere Hoffnung, dass diese Einschränkungen nur ein vorübergehendes Phänomen darstellen und nach einigen Monaten wieder der Vergangenheit angehören, deutet auf unsren geistigen Ort hin, den wir im Projekt der Moderne längst klaglos eingenommen haben. Wir Unverbesserlichen sehen in jeder dramatischen Krise bloß eine kurzzeitige Störung. Vergessen wir nicht: Mit dem Predigen von Mäßigung gewinnt man heute keine Wahlen. Das ist vielmehr eine Position, die wir der Politik nur im Ausnahmezustand gewähren.

Die Aufforderung zur sozialen Distanz (das heißt, der faktischen Entfernung zum Mitmenschen) korrespondiert nun merkwürdig mit dem Vorwurf der sozialen Kälte, der unsere Gesellschaften schon länger trifft. Und sich jetzt – und sei es nur für einige Monate – als einheitlicher Lebensumstand entfaltet. Das Denken in Kausalitäten verbietet hier jede Konstruktion eines Zusammenhangs. Man mag hier dennoch einen Bedeutungszusammenhang erkennen: nicht im Sinne einer Verschwörungstheorie, doch aber im Geiste einer ganzheitlichen und nachdenklichen Bestandsaufnahme unserer Situation insgesamt.

„Gelassenheit ist eine anmutige Form des Selbstbewusstseins“, schrieb Marie von Ebner-Eschenbach einst. Muslime haben kein gesondertes und geheimnisvolles Schutzschild gegenüber biologischen Katastrophen anzubieten. Der Islam beansprucht vielmehr nur, eine natürliche Lebenspraxis zu sein, die zu jeder Lage passt – sei sie gut oder schlecht. Es ist eine Praxis, die menschlichen Fortschritt keinesfalls ablehnt, aber Mäßigung anempfiehlt und in jeglicher Situation, wie sie eben ist, Trost, gutes Verhalten und Solidarität ermöglicht. In der Tat sagte der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben: „Die Gläubigen gleichen Halmen auf einem Feld, die der Wind hin und her wogen lässt.“

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Der Tod der Genfer Flüchtlingskonvention

Geflohene Menschenrechtsverletzungen

ATHEN/BERLIN/BRÜSSEL (GFP.com). Mit Unterstützung Deutschlands und der EU setzt Griechenland bei seinem Vorgehen gegen Flüchtlinge grundlegende internationale Konventionen außer Kraft. Athen hat angekündigt, Flüchtlinge, die illegal aus der Türkei eingereist sind, zu Hunderten ohne jegliche Prüfung ihres Asylbegehrens in ihre Herkunftsländer abzuschieben oder sie zu langjährigen Haftstrafen zu verurteilen.

Dabei kann es sich auf einen neuen Spruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stützen, der kürzlich urteilte, illegal eingereiste Flüchtlinge dürften ohne jegliche Beschränkung sofort abgeschoben werden. Solche Push-Backs sind an den Außengrenzen der EU seit Jahren gang und gäbe. Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen, nicht genehmigt eingereiste Flüchtlinge würden etwa mit Knüppeln aus dem Land gejagt, in Grenzflüsse geworfen oder gar zurück ins Meer getrieben. Griechenland dehnt die Push-Backs nun in aller Öffentlichkeit auf das Niveau von Massenabschiebungen aus. Experten warnen, wenn sich dies durchsetze, „dann stirbt im Jahr 2020 die Genfer Flüchtlingskonvention“.

In den Grenzfluss geworfen
Menschenrechtsorganisationen kritisieren regelmäßige illegale Push-Backs an den Außengrenzen der EU schon seit Jahren. Ein Beispiel bieten die Ergebnisse detaillierter Recherchen zur Lage an der Land- und Seegrenze zwischen Griechenland und der Türkei, die die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl im Jahr 2014 publizierte. Demnach führten die griechischen Behörden sowohl zu Lande als auch zu Wasser „systematisch völkerrechtswidrige Zurückweisungen in die Türkei“ durch; insgesamt könne die Zahl der Betroffenen in den konkret untersuchten Fällen, hielt Pro Asyl fest, „auf 2.000 geschätzt werden“.

Die meisten befragten Flüchtlinge sagten aus, sie seien von griechischen Grenzbeamten misshandelt und persönlichen Eigentums beraubt worden; in einigen Fällen müsse man, heißt es bei Pro Asyl, aufgrund der Schwere der Misshandlungen von Folter ausgehen. An der Landgrenze wurden dem Bericht zufolge immer wieder Flüchtlinge „in den Grenzfluss Evros geworfen“; in der Ägäis hingegen wurden viele „in seeuntauglichen Booten auf dem Meer treibend zurückgelassen“. Die Vorwürfe träfen, urteilte Pro Asyl, nicht zuletzt die EU-Grenzagentur Frontex: „Mit wenigen Ausnahmen“ hätten sämtliche präzise „dokumentierten Völkerrechtsbrüche …im Operationsgebiet von Frontex statt[gefunden]“.

Ins Meer getrieben
Regelmäßige illegale Push-Backs finden Berichten zufolge auch an den Grenzen der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla statt. Eine Reihe von ihnen hat das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) dokumentiert, das Betroffene insbesondere vor Gericht unterstützt. Einer dieser Fälle ereignete sich am 6. Februar 2014, als rund 400 Flüchtlinge versuchten, die Grenze zwischen Marokko und Ceuta schwimmend auf dem Meer zu überwinden.

Die spanische Guardia Civil setzte laut dem ECCHR „Schlagstöcke, Tränengas und Gummigeschosse gegen sie ein“, wobei mindestens 15 Menschen ums Leben kamen sowie viele weitere „zum Teil schwer verletzt“ wurden. 23 Flüchtlinge wurden demzufolge nach Erreichen der Küste von Ceuta „unmittelbar und ohne rechtliche Prüfung nach Marokko zurückgeschoben“.

Belegt sind zudem diverse Fälle, bei denen es Flüchtlingen gelungen war, den meterhohen, stacheldrahtbewehrten „Grenzzaun“ zwischen Marokko und Ceuta oder Melilla zu überwinden. Sie wurden – und werden – regelmäßig von der Guardia Civil aufgegriffen und umgehend zurück nach Marokko abgeschoben.

Bei Minustemperaturen ausgesetzt
Seit spätestens 2016 sind neben weiteren Push-Backs auf dem Mittelmeer – Italien ist berüchtigt dafür, Flüchtlinge nach Libyen deportiert oder sie sogar in Schiffen vor seinen Häfen festgesetzt zu haben – auch zahlreiche Push-Backs an den Landgrenzen Ost- und Südosteuropas dokumentiert. Bereits 2017 berichtete etwa Médecins Sans Frontières (MSF) von vielen Sofortabschiebungen an der ungarischen Grenze, bei denen regelmäßig brutale Gewalt der Grenzbeamten zu beklagen war – in den meisten Fällen Schläge (oft mit Schlagstöcken), immer wieder aber auch Hundebisse oder Verletzungen durch den Einsatz von Reizgas.

Gewalttätige Push-Backs an der ungarischern Grenze dauern bis heute an. Erst vor kurzem wurde ein Fall dokumentiert, bei dem 26 Flüchtlingen aus Afghanistan die Einreise nach Ungarn mit dem Zug gelang. Auf ungarischem Territorium wurden sie von Polizisten aufgegriffen, gemeinsam mit einem Polizeihund, der einige biss, in einen Polizeitransporter gesteckt, zurück an die Grenze gefahren und bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt auf serbischem Territorium ausgesetzt.[5] Auch im ungarischen Fall wird Frontex von schweren Vorwürfen getroffen: Obwohl die Leitung der EU-Agentur umfassende Kenntnis von den Menschenrechtsverletzungen hatte, ordnete sie die Fortsetzung eines Frontex-Einsatzes an der ungarisch-serbischen Grenze an.

Mit Knüppeln verjagt
Kaum anders ist die Lage an der kroatisch-bosnischen Grenze. Dort werden ebenfalls seit 2016 illegale Push-Backs nach Bosnien-Herzegowina dokumentiert. Im vergangenen Herbst schilderte Human Rights Watch (HRW), wie Flüchtlinge, darunter Kinder, von kroatischen Grenzbeamten geschlagen und getreten wurden; die Abschiebungen würden dabei oft, hieß es, „in entlegene[n] Gebiete[n]“ durchgeführt. Zuweilen würden Flüchtlinge gezwungen, auf dem Weg nach Bosnien-Herzegowina „eiskalte Bäche zu durchqueren“.

Anfang dieses Jahres legte die NGO Border Violence Monitoring Network einen Bericht über 311 illegale Push-Backs aus Kroatien vor, von denen 2.475 Flüchtlinge betroffen waren. In einem Fall wurde eine Gruppe von sieben Afghanen, darunter mindestens ein Minderjähriger, an der kroatisch-slowenischen Grenze aufgegriffen, mit Schlägen, Tritten und Elektroschockern attackiert, zwei Nächte auf einer Polizeistation interniert und anschließend an die kroatisch-bosnische Grenze gefahren, wo die Flüchtlinge brutal mit Knüppeln aus dem Land und damit aus der EU gejagt wurden.

Wenn Unrecht zu Recht wird
Für Entsetzen hat bei Menschenrechtsorganisationen gesorgt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Mitte vergangenen Monats einem Teil der völkerrechtswidrigen Push-Backs einen Anschein von Legalität verliehen hat. Gegenstand des entsprechenden Verfahrens war der Fall zweier Flüchtlinge, die im August 2014, aus Marokko kommend, den „Grenzzaun“ zur spanischen Exklave Melilla überwunden hatten, wo sie sofort von der Guardia Civil aufgegriffen und ohne Prüfung ihres Asylgesuchs nach Marokko abgeschoben wurden.

Am 13. Februar urteilte die Große Kammer des EGMR nun – ein gegenläufiges früheres Urteil vollständig aushebelnd –, dies sei zu Recht geschehen: Die Flüchtlinge hätten auf legalem Wege einreisen müssen. Dass dies in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle faktisch unmöglich ist, ließ die Große Kammer außer Acht. Damit hat sie den Weg gebahnt, ein zentrales Element der Genfer Flüchtlingskonvention – das Recht jedes Menschen auf Prüfung seines Asylbegehrens – de facto auszuhebeln.

Massen-Push-Backs

Dies nutzt nun die griechische Regierung beim Vorgehen gegen die immer noch mehr als 10.000 Flüchtlinge, die an der türkisch-griechischen Landgrenze ausharren und Schutz in der EU suchen. Athen hat für einen Monat das Asylrecht ausgesetzt – ein bisher beispielloser, mit dem Völkerrecht nicht in Einklang zu bringender Schritt – und angekündigt, illegal eingereiste Flüchtlinge entweder zu mehrjährigen Haftstrafen zu verurteilen oder sie umgehend wieder abzuschieben.

Legale Einreisen sind wegen der Schließung der Grenze nicht möglich. Darüber hinaus hat Athen am gestrigen Mittwoch ein Kriegsschiff nach Lesbos geschickt, das dort mehrere hundert Flüchtlinge aufnehmen und sie ohne Prüfung ihres Asylgesuchs in ihre Herkunftsländer abschieben soll; nach dem jüngsten EGMR-Urteil ist das, weil auch ihnen vorgeworfen wird, illegal eingereist zu sein, nicht rechtswidrig.

Griechische Polizisten und Militärs gehen an der Landgrenze weiterhin mit Tränengas, Blendgranaten und Wasserwerfern gegen schutzsuchende Flüchtlinge vor. Gestern machten Berichte die Runde, griechische Grenzbeamte hätten mehrere Flüchtlinge beschossen und dabei mehrere verletzt sowie einen von ihnen getötet; während Journalisten und Augenzeugen dies bestätigten, hieß es in Athen, es handle sich um „Fake News“ und „türkische Propaganda“.

Mit Unterstützung Berlins und der EU
Bei alledem hat die griechische Regierung volle Rückendeckung Berlins und der EU. Bereits am Freitag hatte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert und sein Vorgehen gegen die Flüchtlinge mit ihr abgestimmt.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte Mitsotakis die volle Unterstützung der Union zu; so sollen hundert zusätzliche Frontex-Grenzbeamte an Griechenlands Land- und Seegrenze verlegt sowie sieben Patrouillenboote in die Ägäis entsandt werden. Darüber hinaus soll Athen 700 Millionen Euro zur Abwehr und Abfertigung der Flüchtlinge erhalten.

Übergang zu einem „illiberalen“ System
Scharfe Kritik äußert seit einiger Zeit Gerald Knaus, Mitgründer und Vorsitzender der Denkfabrik European Stability Initiative mit Hauptsitz in Berlin und Architekt des EU-Flüchtlingsabwehrpakts mit der Türkei. Knaus urteilt: „Wir erleben einen Einschnitt der internationalen Flüchtlingspolitik.“ „Was die EU derzeit macht“, sei „Donald Trumps größte Fantasie“: An der Grenze „einfach das Asylrecht abzuschaffen und die Grenze zu militarisieren“. Knaus warnt: „Wenn sich diese Herangehensweise in Europa durchsetzt, dann stirbt im Jahr 2020 die Genfer Flüchtlingskonvention.“

Dabei werde „die Flüchtlingsfrage“ möglicherweise „als Argument für den Abbau von Grundrechten“ anderer Art verwendet; so sei soeben erst bekannt geworden, „dass in Ungarn offenbar Medien künftig bei ‘sensiblen’ Themen wie Migration eine Extra-Erlaubnis“ brauchten. Es drohe womöglich der Übergang zu einem explizit „illiberalen“ System.