Vorbilder der Geselligkeit

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„Öffentliches und privates Verhalten sind grundverschieden. Sie gehorchen verschiedenen Gesetzen und bewegen sich auf verschiedenen Bahnen.“ (Oscar Wilde: Der ideale Gatte)

(iz). Goethe schrieb Werke, in denen er uns Menschen darauf aufmerksam macht, was schickliches und unschickliches Verhalten ist. Muslime würden es als Adab-Literatur bezeichnen: schöne Literatur, die jedoch nicht bloß auf Unterhaltung aus ist, sondern eine Form der Unterhaltung bietet, die unterschwellig und mit Raffinesse belehrend wirkt. Eines dieser Werk trägt den Titel: „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“. In diesem lässt Goethe eine Figur sagen: „Überhaupt weiß ich nicht, wie wir geworden sind, wohin auf einmal jede gesellige Bildung verschwunden ist. Wie sehr hütete man sich sonst, in der Gesellschaft irgend etwas zu ­berühren, was einem oder dem andern unangenehm sein konnte!“

Gesellige Bildung lautet das Zauberwort bei Goethe. Das ist es, was Fran­zosen als Esprit de Conduit bezeichnet haben – zumindest zur Zeit von Knigge am Vorabend der Revolution – und wir in Deutschland haben es nie wirklich ­gelernt. Die leichte Art zu sprechen, sich in den Ton einer Gesellschaft zu fügen, nichts zu sagen, was einen selbst oder eben andere in Verlegenheit bringen könnte. Niemals ist wohl unmöglich, doch solche Momente auf ein Minimum zu reduzieren, das sollte versucht werden. Wie drückt sich gesellige Bildung aus? Auch darüber klärt Goethe in seinen „Deutschen Unterhaltungen“ auf: „Der Protestant vermied in Gegenwatt des ­Katholiken, irgendeine Zeremonie lächerlich zu finden; der eifrigste Katholik ließ den Protestanten nicht merken, dass die alte Religion eine größere Sicherheit ewiger Seligkeit gewähre. Man unterließ vor den Augen einer Mutter, die ihren Sohn verloren hatte, sich seiner Kinder lebhaft zu freuen, und jeder fühlte sich verlegen, wenn ihm ein solches unbedachtsames Wort entwischt war. Jeder Umstehende suchte das Versehen wiedergutzumachen – und tun wir nicht jetzt gerade das ­Gegenteil von allem diesem? Wir suchen recht eifrig jede Gelegenheit, wo wir ­etwas vorbringen können, das den andern verdrießt und ihn aus seiner Fassung bringt.“

Wenn wir uns die Diskussionen in den (a)sozialen Medien ansehen, ist absolut keine Spur von geselliger Bildung zu finden. Es wird provoziert und angegriffen. Es wir beleidigt, gelogen, denunziert und unterstellt. Absolut keine gesellige Bildung zu finden. Dies ist die höchste Form ungebildeter, ich möchte schon sagen charakterlich missbildeter Menschen…

Ein Mensch, der über gesellige Bildung verfügt, wird inmitten von Katholiken kein Ritual belächeln. Eine verheiratete Frau wird neben einer unverheirateten nicht von ihrem Eheglück sprechen. Ein Mann mit gutem Job wird neben einem anderen nicht von seinen Verdiensten im Berufsleben prahlen. Neben einem Juden oder Muslim wird nicht deren Glaube kritisiert. Aber dies gehört leider sogar zum Ton der Öffentlichkeit. Die sogenannte Kritik. Es wird geschossen und attackiert. Wo findet sich jemand, der Contenance bewahrt! Noch so ein ­französisches Wort im Deutschen. Es scheint, als ob wir Kultur und Bildung den Franzosen zu verdanken haben in Deutschland. Wir behaupten, dass nichts mehr gesagt werden darf und posaunen die widerlichsten Respektlosigkeiten ­heraus. Wenn wir einmal gesagt haben, dass „man“ ja nichts mehr sagen dürfe, folgen meistens Beleidigungen. Goethe sagte um 1830, dass Deutschland noch etwa 200 Jahre benötige, um endlich Kultur auszubilden und die charakterliche Bestialität abzulegen… 200 Jahre: 2030 ist bald… was müssen wir lernen?

Oscar Wilde sagt in seinem vielleicht vorzüglichsten Theaterstück „Ein idealer Gatte“: „Öffentliches und privates Verhalten sind grundverschieden. Sie gehorchen verschiedenen Gesetzen und bewegen sich auf verschiedenen Bahnen.“

Gesetze der Öffentlichkeit sind andere als die des privaten. In der Öffentlichkeit über die Unterschiede verschiedener Religionen zu diskutieren, spaltet die Bevölkerung. Es ist nicht angebracht. In der Öffentlichkeit seine Leiden und Sorgen preiszugeben, ist nicht besonders klug, da dies gegen einen verwendet werden könnte. Denn es gibt die niederträchtigen Menschen. Ob wir wollen oder nicht. Es gibt sie. Was ist die Waffe dieser nie­derträchtigen Menschen? Sie bleiben kaltblütig. Sie werden nicht emotional. Sie wenden die Kunstgriffe an, von denen Schopenhauer spricht: Das heißt, sie werden persönlich in Gesprächen, emotional ausfallend: „Das wird man wohl noch ­sagen dürfen“ ist ein Kunstgriff, um seine Bestialität zu rechtfertigen… wenn schönsinnige Menschen diese Kunstgriffe nicht kennen, werden sie Opfer dieser Kunstgriffe und werden Debatten verlieren, selbst wenn sie die besseren Argumente haben. Diese Kunstgriffe gilt es zu lernen, um in der Öffentlichkeit ­bestehen zu können.

Gesellige Bildung ist also ein Gefühl dafür zu haben, sich und andere Menschen nicht in Verlegenheit zu bringen und andere nicht schlecht dastehen zu lassen. Andere schlecht dastehen zu lassen ist jedoch zu einem Wettbewerb geworden. Das nennen wir nun aufgeklärte und humanistische Gesellschaft.

Vor allem die sogenannten Islamkritiker spielen dieses würdelose Spiel. Allein dass sie Islamkritiker genannt werden ist ein Kunstgriff gemäß Schopenhauer. Während andere als Hassprediger bezeichnet werden, als Hetzer, bezeichnet man die anderen Hetzer als Kritiker. Stellen wir uns einmal vor ein terroristisch hetzender Mensch wird als Kritiker ­bezeichnet… unmöglich: alle würden „Untertreibung“ brüllen – Islam„kritiker“ zu sagen, ist nichts als eine Beschönigung, ein Euphemismus, der legitimieren soll, gegen Muslime zu hetzen und sie zu ­kriminalisieren.

Sprache ist also das Hauptwerkzeug im öffentlichen Leben. Wer erzeugt welche Wirkung. Kein Wunder, dass große gesellschaftliche Wandlungen mit einem Wandel der Sprache einhergehen.

Über keine spaltenden Themen öffentlich zu sprechen, das muss ein Gesetz des öffentlichen Lebens sein. – Worüber denn sonst? Darüber, wie wir uns gegenseitig besser behandeln können. Darüber, was Gutes und Schönes geschieht in der Gesellschaft. Gute Nachrichten zu verbreiten – das ist das Gebot der Stunde und wird es immer bleiben, wenn wir unsere Gesellschaft nicht bestialisieren wollen. „Sprich Gutes oder schweig“ – ist der Ratschlag eines Experten der ­Sprache: Muhammed, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden. Was ist gut, was ist schön, was inspiriert uns und ­andere, was fördert und was verbindet uns? Darüber sollten wir sprechen in der Öffentlichkeit.

Doch hier muss auch vor einem Kunstgriff bewahrt werden: Manchmal sagen niederträchtige Menschen eben das: Lasst uns über Gutes und Schönes sprechen – sie sagen dies, um abzulenken von ihren eigenen Schamlosigkeiten. Bestehendes Unrecht anzusprechen, um es zu beheben und eine Alternative zu Wort bringen, das ist gut, wenn es auch nicht schön scheint. Es ist gut. Denn Unrecht über das geschwiegen wird, wird fortgesetzt. Es muss besonnen darüber gesprochen werden können. Die Kunstgriffe niederträchtiger Menschen müssen durchschaut werden. Sie kopieren wie Papageien die Sprache der Schönsinnigen, doch ihr Herz ist verdorben. Sie verfolgen niedere Zwecke.

Was gilt nun im Privaten? Hier darf es kaum Einschränkungen geben außer ­einer: Bringe andere Menschen nicht in Verlegenheit! Kommentiere das Verhalten anderer nicht. Was nützt es? Sich auf das eigene Verhalten zu besinnen ist Aufgabe: Wie würde ich dastehen, wenn mein ­Verhalten kommentiert werden würde? Diesen Maßstab müssen wir uns anlegen. „Manche Vermutung ist Sünde“ sagt Allah im Qu’ran (Al-Hudschurat, Sure 49, 12).

Und wie viele Aussagen beruhen auf nichts anderem als auf Vermutungen. Es ist jämmerlich, was wir als Fakt annehmen und was sich letztlich nur als Illusion herausstellt. Unter Muslimen können wir Glaubensinhalte besprechen. Aber wenn andere dazustoßen, dann gilt es, nicht mehr über Glaubensinhalte zu sprechen, sondern die Ethik, die hohe Moral auszuleben: das heißt, die hohe Moral, nicht nach dem Glauben anderer zu fragen, sondern für andere da zu sein. Bedürfnisse der Menschen zu stillen, sie zu nähren, wenn sie hungrig sind. Mehr noch als der Körper hungern momentan die Herzen. Wir können niemandem von geistigen Größen berichten, weil wir sie kaum kennen. Wir müssen lernen wer Yunus Emre, Hodscha Ahmed Yesevi, Mewlana Rumi usw. waren, weil sie die Herzen der Menschen ernährt haben. Von ihnen lernen wir, wie wir die Herzen ernähren können. Dessen bedürfen wir gerade. Wenn wir es lernen, dann lernen wir instinktiv schickliches Verhalten. Wir lernen, was den anderen in Verlegenheit bringen könnte und sprechen und ­handeln so, dass wir andere nicht in Verlegenheit bringen. Das ist die höchste Stufe der Kultur. Ein osmanisches Sprichwort fasst dies zusammen: „Achtsamkeit (edep) ist eine Krone göttlichen Lichts, / Setze sie dir auf und befreie dich von jeder Plage.“ Davon inspiriert schrieb ich das folgende Gedicht:

Was nützen Fähigkeiten, was die Kunst,
Wenn du dich selber für was Bessres hältst?
Begriffen hast du nicht das Wichtigste:
Fehlt uns die Liebe, fehlen wir uns selbst.
Was nützt die Wissenschaft, ein Studium,
Was nützt ein guter Job mit kaltem Herz?
Das Wichtigste von allen Dingen ist:
Bereite anderen bloß keinen Schmerz.
Und sag: Was nützt mir die Intelligenz,
Was meine scharfe Zunge, Poesie,
Wenn sie gezähmt nicht wird von einem Schems?
Zum Teufel mit dem maßlosen Genie!
Der wertvollste Besitz auf dieser Welt:
Ein warmes Herz in einer kalten Welt.

Wenn ich andere sehe in der Öffentlichkeit, denke ich mir nichts und ­kommentierte es nicht. Das gebietet die Achtsamkeit. Wenn ich sehe, dass jemand etwas komisch Wirkendes tut, denke ich nicht schlecht darüber, sondern denke schön. Das ist die Sitte Muhammeds ­gewesen, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden. Allem etwas Schönes abzugewinnen, schweigen über Dinge, die mich nichts angehen. Das ist gesellige Bildung: „Es zeugt von der Schönheit des Muslimseins, über Dinge zu schweigen, die einen nichts angehen.“ (bei Tirmidhi überliefert)

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Eine Antwort auf den Terror finden

Feuerpause

„Als Muslim, Islamwissenschaftler und verbandsunabhängiger muslimischer Akteur verweigere ich mich der gesellschaftlichen Erwartungshaltung, muslimische Gewalttäter in die Nähe meiner Religion und damit auch in meine Nähe zu rücken.“

(iz). Der abscheuliche islamisch verbrämte Terror hat sich durch die barbarischen Gewaltakte in der Nähe von Paris und Nizza wieder in unser Bewusstsein gedrängt. Wir alle sind es leid, solche Nachrichten zu hören. Was kann man nun auf solche Gräueltaten hin sagen oder schreiben? Wie soll das unbeschreiblich Schreckliche in beschreibende Worte gekleidet werden?

Dann aber wird einem bewusst, dass man genau weiß, was man sagen oder schreiben kann. Es ist bereits zu oft zu hören und zu oft zu lesen gewesen. Seit gut zehn Jahren vernehmen wir von den verschiedensten Seiten die gleichen Sätze. Politiker drücken ihre Bestürzung und ihr Mitgefühl aus. Muslimische Vertreter und Verbände distanzieren sich. Muslimische und nichtmuslimische Verbandskritiker wiederum unterstellen den Verbänden, sich nicht genügend zu distanzieren oder zu tun.

Die Verbände wiederum weisen darauf hin, dass die Extremisten nicht aus den Moscheen kommen und somit auch ihrer Handlungsreichweite Grenzen gesetzt sind. Währenddessen verbreiten rechtsradikale Stimmen freudig ihre seit langen in den Startlöchern stehenden Hassbotschaften gegen Muslime und rufen zur Wehrhaftigkeit gegen den Islam auf. Jeder hat sein Drehbuch. Jeder wartet auf seinen Auftritt. Ändern tut sich nichts. Gleich einem Theaterstück wird auf die nächste Vorstellung gewartet. Jeder kennt seinen Einsatz.

Die Genese des islamisch verbrämten Terrors wurde, auch von diesem Autor, bereits ausführlich abgehandelt. Gleiches gilt für mögliche Handlungsmaßnahmen gegen diese Form von Extremismus. Sicherlich könnte man auch jetzt über die spezifischen Probleme des französischen Staates schreiben, die gerade das Nachbarland für diesen Terrorismus so anfällig machen: die nicht aufgearbeitete Kolonialgeschichte, der Assimilationsdruck der französischen Gesellschaft und die damit verbundene Muslimfeindlichkeit, das Fehlen einer akademischen islamischen Theologie aufgrund des Laizismus oder die sozialen Probleme und ökonomischen Versäumnisse der Grande Nation, die zu einer Ghettoisierung der Vororte geführt haben.

Im gleichen Atemzug müsste auch über die Defizite der muslimischen Community in Frankreich gesprochen werden: das Etablieren von Inseln des Versagens, indem man die sozialen Strukturen der alten Heimat kopierte, das mangelnde Verständnis von Meinungsfreiheit in der westlichen Hemisphäre, die gerade gegen die Unterdrückung durch und den Widerstand gegen die Kirche erkämpft werden musste, aber auch die fehlende Intellektualität zwischen Karikaturen und dem Propheten Muhammad zu differenzieren oder auf gefühlten Provokationen geistreich zu antworten.

Man könnte auch darauf hinweisen, dass Deutschland in seiner Integrations- und Religionspolitik Vieles besser gemacht hat als der Nachbar Frankreich, weshalb wir hierzulande keine permanente Ausgrenzung von Bürgern muslimischen Glaubens haben, die reaktionäre Gewalt befördert. Aber zahlreiche andere Autoren tun dies bereits und auch dies geschieht nach Drehbuch. Ändern tut sich nichts – außer für die Angehörigen und Familien der Opfer. Für sie wird es nie wieder so sein, wie es einmal war.

Rechte, linke und religiös motivierte Terroranschläge nehmen in Europa zu, sie dürfen aber nicht zunehmend als eine Selbstverständlichkeit hingenommen werden. Diese Hoffnungslosigkeit ermutigt und bestärkt Gewalttäter nur weiter.

Meine Religionsgemeinschaft unter Pauschalverdacht zu stellen ist ebenso wenig eine Lösung. Es ist zutiefst falsch und beschert dem Extremismus lediglich neue Jünger. Niemand würde auf die Idee kommen nach den zahlreichen rechtsterroristischen Anschlägen in Deutschland die Mehrheitsbevölkerung unter Generalverdacht zu stellen. Niemanden würde in den Sinn kommen nach dem christlich verbrämten Anschlag des Terroristen Anders Breivik das Christentum unter Generalverdacht zu stellen.

Was wir stattdessen benötigen, ist Zusammenarbeit gegen den islamisch verbrämten Terrorismus und da braucht es muslimische Gelehrte, Moscheen und Verbände als zivilgesellschaftliche Partner und einen langen Atem. Kriminalisieren wir in unserer Gesellschaft aber weiterhin die Weltreligion Islam und unsere Mitbürger muslimischen Glaubens, verlieren wir deren dringend benötigte Unterstützung im Kampf gegen den islamisch verbrämten Terror.

Was es für diesen Kampf übrigens nicht braucht ist das Drehbuch der Distanzierungsbekundungen. Als Muslim, Islamwissenschaftler und verbandsunabhängiger muslimischer Akteur verweigere ich mich der gesellschaftlichen Erwartungshaltung, muslimische Gewalttäter in die Nähe meiner Religion und damit auch in meine Nähe zu rücken. Dies aus zweierlei Gründen: Zum einen werde ich den Gewalttäter und seine Handlungen nicht aufwerten, indem ich ihn als Vertreter meiner Religion adele. Aus Sicht der muslimischen Gemeinschaft hat dieser Muslim mit dem Ethos seiner Religion gebrochen. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Tat nichts mit dem Islam zu tun hat und sie nimmt uns Muslime auch nicht aus der Pflicht, stärker daran zu arbeiten, dass unsere Religion nicht für Gewalttaten pervertiert wird.

Zum anderen verbirgt sich hinter den Distanzierungsaufforderungen letztendlich eine Botschaft des Misstrauens und der damit verbundenen Loyalitätsbekundung. Letzteres ist aber Ausdruck von Höherwertigkeits-Minderwertigkeits-Vorstellungen, denen kein Bürger muslimischen Glaubens nachgeben darf. Andernfalls heben wir die Gleichheit zwischen uns Bürgern auf. Navid Kermani schrieb einmal: „In dem Augenblick, in dem ich mich distanziere, billige ich dem Gegenüber das Recht zu, mich zu verdächtigen.“

Wenn also nicht Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, wenn nicht den Vorurteilen und dem Hass nachgegeben werden soll, was also dann tun? Was kann gesagt werden, was vielleicht noch nicht gesagt wurde?

Als religiöser Mensch kann ich nur mit einem Wort antworten: Nächstenliebe. Nächstenliebe ist die stärkste Antwort auf diese satanischen Taten. Nächstenliebe gibt dem Einzelnen die Kraft zu handeln. Nächstenliebe gibt uns die Hoffnung, dass Veränderung möglich ist. Nächstenliebe ist eine transformative Kraft, die eine ganze Gesellschaft verändern kann. Nächstenliebe schafft ein friedliches Zusammenleben unterschiedlichster Menschen. Nächstenliebe entzieht der Polarisierung, der Spaltung und dem Hass die Grundlage. Nächstenliebe ist der Gegner jeglicher Extremisten. Nächstenliebe kann das Drehbuch verändern.

Nächstenliebe aber ist im Judentum, Christentum und im Islam nichts Abstraktes, sondern eine konkrete Handlung. Hass gebiert nicht in den Wolken und Nebeln, sondern hier unten auf der Erde, in unserem Umfeld. Hass ist nicht schwer zu erkennen. Nächstenliebe bedeutet auch Zurechtweisung. Als Individuen kann jeder seinen gesellschaftlichen Beitrag gegen Hass, egal aus welcher Ecke, egal gegen wen, leisten. Nächstenliebe scheint auf den ersten Blick eine seichte Antwort zu sein, aber sie befähigt uns alle zum Handeln, wo die großen Antworten nichts bewirkt haben.

Dieser Beitrag wurde am 2.11.2020 auf der Webseite des Online-Magazins MiGAZIN veröffentlicht. Verwendung mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

Muhammad Sameer Murtaza ist Islam- und Politikwissenschaftler, islamischer Philosoph und Buchautor. Er arbeitet für die Stiftung Weltethos und ist Gutachter bei der renommierten in Pakistan herausgegebenen islamwissenschaftlichen Fachzeitschrift „Hamdard Islamicus“. Er ist gefragter Vortragsredner, Lehrbeauftragter bei diversen Standorten der islamischenIslamischen Theologie und publiziert in verschiedenen Magazinen und Tageszeitungen. Zuletzt erschien von ihm: „Worte für ein inklusives Wir: Klartext zur „Muslimfrage“.

Paris zieht die Schraube an

Straßburg (iz). Nicht erst seit den beiden erschreckenden Terroranschlägen der letzten beiden zweieinhalb Wochen plant Staatspräsident Emmanuel Macron eine Verschärfung der staatlichen Politik gegen muslimische Gemeinschaften und Organisationen der Republik. Unabhängig von diesen Verbrechen sprach Macron sich bereits zuvor für einen gesteigerten Kampf gegen „Islamismus“ und dem sogenannten Separatismus aus.

Nach dem Mord am Lehrer Samuel Paty beschloss der Ministerrat in Paris drei Maßnahmen, die das Verhältnis zwischen Staat und Gemeinschaften verändern werden: 1.) finanzielle Transparenz, 2.) Unterzeichnung eines Vertrags zur Anerkennung „republikanischer Werte“ und 3.) die Möglichkeiten des Ministerrates zur Einschränkung und zum Verbot von Organisationen wird verlängert.

Die Befugnisse dieses Gremiums sollen erweitert werden. Um gegen „den Einsatz mutmaßlicher Strategien zur Indoktrinierung“ durch Organisationen vorzugehen, sollen die Kriterien für deren Auflösung durch den Rat durch die Prinzipien des „Angriffs auf die Würde der Person“ sowie „körperliche und physische Attacken“ erweitert werden.

Präsident Macron bestätigte, dass jeder Verein jetzt „einen Vertrag über das Engagement zum Respekt für die republikanischen Werte und die Mindestwerte des sozialen Lebens“ unterschreiben müsse. Im Falle einer Nichteinhaltung dieser „Charter des Säkularismus“ müsse der Verantwortliche betroffene Fördergelder zurückerstatten. Außerdem solle die Überwachung von Organisationen erhöht werden.

Der Präsident wird die Gründe für Vereinsauflösungen im Ministerrat erweitern. Das gelte für den Fall „eines Angriffes auf die Würde der Person oder wenn Vereine sich an psychologischem oder physischem Druck auf Menschen, insbesondere verletzliche Gruppen, beteiligen“. Ohne auf eine formelle Auflösung zu warten, soll der Mechanismus einer „Schutz-Aufhebung“ eingeführt werden.

Nach Ansicht französischer Muslime und Beobachter werde sich der Druck auf Organisationen erhöhen. Bezirkspräfekten seien nun in die Lage versetzt, die Verantwortlichen religiöser Vereine zu überwachen und sicherzustellen, dass sie nicht im Zusammenhang mit Radikalisierung oder Terrorismus verurteilt wurden. Nach Angaben des zuständigen Ministers sei dies bisher nicht der Fall gewesen.

Zukünftig sollen die Präfekten eine größere Rolle bei der Überwachung muslimischer Organisationen spielen. In Hinblick auf öffentliche Fördergelder „kann der Präfekt – unter richterlicher Aufsicht – die Einstellung und Rückzahlung von Fördergeldern fordern“, erklärte der Minister. Des Weiteren könne eine Organisation für rassistische, antisemitische und entwürdigende Aussagen ihres Vorsitzenden verantwortlich gemacht werden.

Die NGO Barakacity wurde im Rahmen der neuen Regelungen vor wenigen aufgelöst. 2010 gegründet aus dem mutmaßlichen salafistischen Umfeld betreibt sie humanitäre Hilfe in verschiedenen muslimischen Gebieten weltweit. Die Regierung warf ihr vor, „in die Hände des radikalen Islamismus zu spielen“. Innenminister Gerald Darmanin warf ihr „Beziehungen zur radikalislamistischen Bewegung“ vor und beschuldigte sie der „Rechtfertigung terroristischer Akte“.

Der Innenminister untersucht auch die Möglichkeit zur Einleitung von Maßnahme zur Auflösung des Collective against Islamophobia in France (CCIF). Darmanin beschrieb die NGO als „islamistische Einrichtung“, die „gegen die Republik“ arbeiten würde.

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Was ist Sufismus?

(iz). Tasawwuf oder Sufismus ist die spirituelle Höflichkeit, die in der Anfangszeit des Islams ­geboren und entwickelt wurde. Im Gegensatz zu anderen Religionen unterscheidet sich der Sufismus von anderen Typen […]

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Oft genug sind die Arme für Konvertiten alles andere als offen

(iz). Muslime im Westen – zumeist Einwanderer oder ihre Nachkommen – haben einen ­Bestand an positiven Erinnerungen – an Feiertage in ihrer Heimat oder ähnliche befriedigende Momente in ihrer jetzigen Heimat. Gleichzeitig kann die Betonung ihrer eigenen Idiosynkrasie dazu führen, dass sie auf Kosten der Sorge um die neuen Muslime in ihrer Gemeinschaft geht. Und das in einem ­Moment, wo diese besonders auf kollektive ­Unterstützung angewiesen sind.

Das Thema der Sorge um diese Gruppe ist ein blinder Fleck in den muslimischen Communitys des Westens. Das ist umso bitterer, als dass diese Mehrheit der Muslime selbst seit Jahren eine mangelnde Sichtbarkeit in ihren Mehrheitsgesellschaften beklagt. Dabei lassen sich diese „Konvertiten“ (hier ver­wendet in Ermangelung eines passenderen Begriffs) nicht alle in die gleiche Schublade stecken. Sie haben unterschiedliche Hintergründe, Bildungsgrade und Wissensstände von ihrem Din.

In Zugehörigkeit liegt Trost – ob in der ­Familie, im Freundeskreis oder im weiteren Sinne als religiöser Gemeinschaft. Zugehörigkeit ist ein Schutzraum des Privilegs, der die überwiegende Mehrheit vor Isolation und Ausgrenzung schützt. Die Sozialpsychologie sagt uns: Zugehörigkeit ist ein Gefühl, das den Menschen befriedigt. Daher liegt es in unserer Natur, nach Kreisen der Gemeinsam­keit zu suchen.

Für Konvertiten ist klar, dass die erfahrene Isolation – insbesondere zu Feiertagen wie den beiden ‘Ids oder anderen Gelegenheiten – aus einer Nichtzugehörigkeit zu Gemeinschaften kommt, die ihre Existenz vernachlässigt haben. Obwohl Konvertiten die innewohnende Motivation haben, Teil ihrer Gemeinschaft zu sein, distanziert sie der Mangel an gemeinschaftlicher Bemühung und Akzeptanz von dem Gefühl der Zugehörigkeit. Allgemein ist bekannt, dass ein solcher Ausschluss negative emotionale und psychologische Folgen hat.

Selbst auf rein emotionaler Ebene ist verständlich, wie ein neuer Muslim trotz geringer bis keiner theologischer Zweifel Unsicherheiten in seinen Glauben erleben kann. Die Reaktion auf Ausgrenzung besteht oft darin, sich von sozialen Kreisen zu distanzieren oder vollständig zurückzuziehen. Da die Gemeinschaft ein wesentlicher Bestandteil muslimischer Tradition ist, kann eine solche Verhaltensreaktion sich nachteilig auf die innere Landschaft eines neuen Muslims auswirken. Die harte Realität für viele Konvertiten ist, dass sie, abgesehen von Glückwünschen und Umarmungen in der Moschee nach ihrer Schahada zu einer vernachlässigenden Person werden.

Es gibt keine allgemeinverbindliche Identität bei neuen Muslimen. Jede Person hat ihre eigene Geschichte und Entwicklung innerhalb des Dins. Manche erleben die Bezeugung ihres Islam als rund, weil sie sich in ­verlässlichen sozialen Kreisen bewegen sowie eine offene Familie haben. Andere teilen diese Vorteile nicht und leiden vielleicht unter der spirituellen Differenz mit geliebten ­Menschen oder müssen sich allein um ihr spirituelles Training bemühen.

Die Mehrheit dürfte zustimmen, dass ­zumindest einige Aspekte ihres Dins von Anfang isoliert sind. Es ist wichtig, ihre ­Mentalitäten zu untersuchen, bevor Systeme aufgebaut werden, um sie zu unterstützen. Während Konvertiten zum Islam nicht alle die gleiche Haltung haben, besitzen sie eine religiöse Motivation, die sie befähigt, der ­islamischen Identität in ihrem täglichen ­Leben Priorität einzuräumen.

2010 erstellte die NGO Faith Matters eine Erhebung zu Erfahrungen neuer Muslime. Eine wichtige Frage wollte etwas über Probleme nach der Bezeugung des Islam wissen. Ein Ergebnis war, dass die Hälfte der Befragten mit Akzeptanz innerhalb der lokalen muslimischen Gemeinschaft zu kämpfen hatte. Und fast ein halber Teil hatte Probleme damit, Netzwerke zur Unterstützung neuer Muslime und authentisches Wissen über ihre Religion zu finden.

Wären Gemeinschaften in der Lage, ihren Ansatz gegenüber neuen Muslimen zu korrigieren und ein einladendes Umfeld für ihr Aufblühen zu schaffen, dann würde das viele Fragen klären. Zu diesen gehören ­Zugang zu authentischem Wissen, Austausch der ­Geschlechter sowie spirituelle Höflichkeit (arab. adab).

Ein signifikanter Teil der muslimischen ­Gemeinschaften im Westen sind derzeit psychologisch nicht in der Lage, mit den Problemen dieser Muslime umzugehen. Täglich – und verstärkt an Feiertagen – wird ihnen bei Fragen wie Einsamkeit, spiritueller Trennung und familiären Spannungen geraten, dass „Gott mit ihnen“ sei. Hier sind diese Gemeinden nachlässig geworden. Was es übrigens radikalen Gruppierungen, die keine kulturellen Hemmnisse haben, leicht machte, neue Anhänger zu rekrutieren. Wenn das Wissen um die Nähe Allahs bei Beschwernissen notwendig ist, sollte es keine Entschuldigung für das Fehlen der weiteren muslimischen Gemeinschaft sein.

Manche Muslime, die den „Konvertiten“ durch die Verbreitung von Büchern zu mehr Wissen verhelfen wollen, stehen unter dem Eindruck, dass es dieser Gruppe unisono fehlt. Die meisten ignorieren dabei aber, dass es viel mehr an Gesellschaft anderer Muslime mangelt. Allzu oft werden jene Menschen als schwach bei Glaube und Gewissheit betrachtet, obwohl dies allgemein nicht der Fall ist. Eine Studie von Pew Research ergab, dass neue Angehörige einer Religion eine größere spirituelle Überzeugung haben als jene, die in ihr geboren wurden (70 vs. 62 Prozent). Moscheen und islamische Zentren müssen die „Bücherecke“ hinter sich lassen. Vielmehr brauchen sie ein ausgeglichenes Wachstum durch Förderung, kuratierte Leselisten sowie Geschwisterlichkeit. Dafür gibt es Vorbilder beim Propheten Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben. Oft brachte er zwei seiner Gefährten, möge Allah mit ihnen allen zufrieden sein, zusammen, damit sie voneinander lernen könnten. Das nutzte nicht nur den neuen Muslimen, ­sondern allen Beteiligten.

In einem langen Essay für „Critical Muslim“ verweist die Anthropologin Juliette Galonnier auf ein anderes Problem der neuen Muslime. Sie erfahren nicht nur mehrheitlich Desinteresse, sondern müssen zusätzlich ethnische Barrieren gegenüber „gebürtigen“ Muslimen überwinden. In diesem Phänomen würden schwarze und weiße Personen (Galonnier forschte zu den USA und Frankreich) als andersartig beziehungsweise ­minderwertig im Vergleich zu „gebürtigen Muslimen“ wahrgenommen. Viele Gesprächspartner klagten über eine Diskrepanz zwischen islamischen Lehren und der Realität vieler Gemeinschaften im Westen. In ihren Stichproben hätten sich schwarze wie weiße „Konvertiten“ pessimistisch zur Realität ethnischer Grenzen unter Muslimen geäußert. Die Segregation entlang kulturell-völkischer Linien sei insbesondere ein Grund zur Sorge für jene, die von einer ganzheitlichen Sicht auf die Community ausgingen.

Da in beiden Ländern Islam stark als „arabisch“ (oder als „asiatisch“) kulturalisiert sei, machen schwarze wie weiße Muslime die Erfahrung, dass sie von anderen Muslimen oder der Gesellschaft nicht als solche wahrgenommen würden. Sophie, eine 27-jährige Sozialarbeiterin aus Marseille, blond und blauäugig und seit mehreren Jahren Muslime, gestand, dass viele ihrer Glaubensgenossen sie nicht als Muslimin sähen. Sie erzählte, wie der Imam in ihrer Moschee sie immer wieder Christin nannte, obwohl er sie dort regelmäßig beim Gebet gesehen habe. „Selbst im religiösen Kontext kam er zu dem Schluss französisch = christlich.“

Gegenüber Juliette Galonnier berichtete der senegalisch-gambische Journalist Rokhaya Diallo über seine Erfahrungen: „Schwarz und Muslim sein in dieser Gesellschaft ­heben sich gegenseitig. In Frankreich herrscht eine komplette Unsichtbarkeit nicht-arabischer Muslime.“ Schwarze Muslime entspräche nicht dem stereotypen Bild des „Muslims“ in der französischen Vorstellung und würden eher mit Christentum in Verbindung ­gebracht.

Schwarze und weiße Muslime würden gleichermaßen ihre Nutzung als „Vorzeigemuslime“ ablehnen, um im institutionellen Rahmen eine Diversität vorzugaukeln. Das heißt in der Regel, wenn es um die Finanzierung von Moscheen geht, um das Treffen mit ­Behördenvertretern usw. Galonniers Gesprächspartner seien müde, als „Gesichter von Vielfalt“ für die muslimische Gemeinschaft zu dienen. Imam Suhaib Webb, weiß und 1992 zum Islam konvertiert, sagte ­während eines Vortrages 2013, dass er es ablehne, wie er manchmal strategisch eingesetzt wurde. Er würde zu Werbezwecken auf die Bühne gestellt und bedauerte, nicht bei ­internen Moscheeangelegenheiten zu Rate gezogen zu werden.

Aufbauend auf den verschiedenen Erfahrungen schwarzer beziehungsweise weißer Muslime legt Juliette Gallonier bezüglich „religiöser Autorität im französischen und amerikanischen Kontext“ offen. Aufgrund der „Rassifizierung des Islam“ hätten beide Schwierigkeiten, ihre islamische Legitimität in der Gesellschaft und innerhalb der muslimischen Minderheit selbst durchzusetzen, wo die Grenze zwischen Orthodoxie und Abweichung teils nach ethnischen Gesichtspunkten „überwacht“ werde.

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Auf dem Weg zur islamischen Psychologie

(Yaqeen Institute). Die heutige Psychologie benötigte ein Jahrhundert, um zu erkennen, dass menschliches Verhalten nicht nur durch physiologische Instinkte beeinflusst wird, sondern dass Bewusstsein ebenso eine wichtige Rolle spielt. Das […]

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Wie funktioniert Minimalismus?

„O Kinder Adams, legt euren Schmuck bei jeder Gebetsstätte an. Esst und trinkt, aber seid nicht maßlos! Er (Allah) liebt nicht die Maßlosen.“ (Al-A’raf, Sure 7, 31)

Von Massouda Khan, Z. Khosroshahi & David Gilius

(iz). Lasst uns über Minimalismus sprechen. Wir können alle zustimmen, dass die minimalistische Lebensweise und Mode seit einiger Zeit angesagt sind. Marie Kondos Buch „Wie richtiges Aufräumen ihr Leben ­verändert“, ihre folgende Fernsehserie ­sowie die Produktion von Joshua Fields Millburn und Ryan Nicodemus auf Netflix belegen das Interesse an der neuen Einfachheit.

Durch die Covid-Pandemie werden wir mehr denn je an unsere Gewohnheit erinnert, materiellen Reichtum anzusammeln. Nach einem halben Jahr, in dem wir die meiste Zeit in unseren Häusern verbrachten, haben viele von uns begonnen, diese Räume zu analysieren, die wir bisher nur zur Erholung genutzt haben – jetzt sind sie unsere Arbeits- und ­Sozialräume.

Viele Menschen sehen im Minimalismus kaum mehr als klare weiße und graue Töne. Aber die Wahrheit ist, dass es sich hierbei um weit mehr als nur eine Modebewegung handelt. Wenn andere an den Begriff denken, klingt das für sie nach der Aufgabe von allem. Hierbei handelt es sich um eine Philosophie, die von einigen erstaunlichen Prinzipien getragen wird. Es ist die simple Praxis, das zu besitzen, was man zum Leben braucht. Dankbar zu sein für das, was man hat, sowie sich Zeit und Raum für jene Dinge zu schaffen, die zählen. Minimalisten definieren diese Prinzipien unter anderem wie folgt: „Minimalismus ist ein Werkzeug, das Ihnen helfen kann, Freiheit zu finden. Freiheit von Angst. Freiheit von Sorgen. Freiheit von Überwältigendem, Freiheit von Schuld. Freiheit von Depressionen. Freiheit von den Insignien der Konsumkultur, in der wir unser Leben aufgebaut haben. Echte Freiheit.“

Der Kampf um eine Balance zwischen Bescheidenheit und Exzess ist selbstverständlich nicht auf das 21. Jahrhundert beschränkt. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist seit der Gründung früher Zivilisationen ein Markenzeichen unserer Spezies. Wenn wir nur auf das Verhalten unserer Großeltern zurückblicken, stellen wir fest, dass sich der Konsum innerhalb weniger Generationen erheblich verändert hat. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Verschiebung von Bedürfnis zum Verlangen, was der Dokumentarfilmer Adam Curtis eindrücklich in seinem Film „The Century of the Self“ dokumentierte. Die Geburt einer globalen Massenexistenz sowie die Verfügbarkeit von Kreditkarten und Krediten, bei denen keine Fragen gestellt werden, beflügeln unseren Wunsch, immer schneller zu kaufen und zu verkaufen.

Im Gegensatz dazu gewinnt die Idee des Minimalismus in den letzten Jahren an Beliebtheit. Mit Vorläufern in der ­japanischen und skandinavischen Kultur ist im Westen eine Mode aus leeren Wänden mit sanften Farbschemata und dem Entfernen von übermäßigem Schund in Mode gekommen. Aber wie passt der neue Trend zu unserem Glauben? Wie können wir als Muslime wissen, wo wir die Grenze zwischen Notwendigkeit und Gier ziehen müssen?

Hinweis aus der ­islamischen Tradition
Es wurde überliefert, dass der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, zu seiner Gattin ‘A’ischa sagte, möge Allah mit ihr zufrieden sein: „‘A’ischa, wenn Du mit mir vereint sein willst, dann nimm von dieser Welt nur so viele Vorräte wie ein Reiter. Hüte dich vor der Gesellschaft der Reichen und betrachte kein Kleidungsstück als unbrauchbar, bis du es nicht geflickt hast.“

Anas ibn Malik überlieferte über die Heirat des Gesandten Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, mit seiner Ehefrau Safija, möge Allah mit ihr zufrieden sein: „Dann, als wir auf dem Weg waren, bereitete Umm Sulaim sie (Safija) für ihn (den Propheten) vor und brachte sie zu ihm in der Nacht. Und so erwachte der Prophet am nächsten ­Morgen als neuer Bräutigam. Dann sagte er: ‘Wer etwas hat, soll es bringen.’“ Mit anderen Worten, er sagte, wer einen Überschuss an Vorräten hatte, sollte sie bringen. Anas fuhr in seiner Beschreibung vor: „Und so wurden die Ledermatten zum Essen ausgebreitet. Ein Mann brachte getrocknete Milch, ein anderer Datteln und ein weiterer Butter. Daraus machten sie Hais. Die Leute aßen davon und tranken aus nahegelegenen Regenpfützen. Und das war das Hochzeitsfest des Propheten.“ (Bukhari, Muslim und andere)

Zuhd als Vorläufer
Es gibt viele weitere Beispiele über die Bescheidenheit des Propheten, möge ­Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, und die Frugalität seines Haushaltes. Aus seinem Vorbild, der Praxis der ersten Generationen sowie durch die Ausarbeitung der spirituellen Wissenschaft und Praxis entwickelt sich schnell die Eigenschaft des Zuhd. Sie war auch eine Reaktion auf schnell hereinströmenden Reichtum der neuen muslimischen Gebiete, die von vielen als bedrohlich für das islamische Ethos erfahren wurde.

Diese Tugend besagt, dass jeder Muslim ein Leben der Mäßigung führen und auf Extravaganz verzichten sollte. Häufig wird dieser Begriff mit Askese übersetzt, was ein unzulässiger Vergleich zu christlichen und antiken Konzepten ist. „Mäßigung“ oder „Minimalismus“ sind deutlich bessere Gegenstücke. Es handelt sich um einen Akt der Selbstdisziplin, um den Fallstricken des Materialismus zu entgehen und um Allah näher zu sein. Zuhd heißt nicht, wie ein Bettler oder Eremit zu leben. Er ist das Vermeiden des Unnötigen.

Die meisten von uns werden unabsichtlich und unfreiwillig Teil eines ständigen Konkurrenzkampfes, um andere zu beeindrucken. Er wird verschärft, indem wir unsere materiellen Besitztümer mittlerweile auf sozialen Netzwerken öffentlich machen, um zu sehen, wer mehr Zustimmung von Leuten bekommt, die wir nicht einmal kennen. Dieses Rennen lässt einige von uns auf negative Weise härter arbeiten. Lässt uns nur arbeiten, um uns die Dinge zu leisten, nach denen es uns verlangt.

Der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Hätte der Nachkomme Adams ein Tal voller Gold, würde er zwei haben wollen. Nichts kann seinen Mund füllen außer der Staub des Grabes.“

Und er, Heil und Segen auf ihm, sagte ebenfalls: „Bei Allah, ich fürchte mich nicht, dass euch Armut und Hunger überwältigen. Sondern, dass ihr übermäßigen Reichtum zur Verfügung habt, so wie er denen Völker vor euch gegeben wurde. Ihr werdet dann sehr gierig in der Anhäufung dieses Reichtums sein, wie diejenigen waren, die vor euch kamen. Diese Gier wird der Grund eures ­Niedergangs und eurer Zerstörung sein, wie er die Leute vor euch vernichtete.“

Die Liebe zu materiellen Dingen ist Teil der menschlichen Natur. Daher lehrt Allahs Din uns durch die Tugend des Zuhd die Vermeidung der Extravaganz. Es geht bei ihr aber nicht nur um die ­Verhinderung von Habsucht. Sie hält uns auch dazu an, das Unnötige zu vermeiden – beim Essen, Reisen oder unserer ­Lebensweise als Ganzer.

Wie funktioniert es?
Bei Minimalismus gehe es nicht nur um die persönlichen Habseligkeiten. „Es geht auch darum, dass man bei all seinen Einkäufen bewusst vorgeht. Dazu gehören Lebensmittel, Unterhaltung, die Gesellschaft anderer sowie die Art und Weise, wie wir die 24 Stunden unseres Tages verbringen“, schreibt die Bloggerin Kaighla Um Dayo. Minimalismus bestehe darin, auf den Besitz zu schauen, aber auch auf jene, die man liebt und die einen lieben. „Es geht um die verfügbare Lebenszeit und die Intention, mit der wir unsere Zeit, Energie, Liebe und Leben verbringen.“

Sie selbst habe Unordnung immer ­verabscheut. „Ich liebe klare Linien und nur wenig visuellen Lärm in meiner Umwelt.“ In ihren 31 Lebensjahren sei sie rund 50 Mal umgezogen. „Insbesondere jedes Mal, wenn ich meine Habseligkeit wegen der Umzüge ins Ausland reduzieren musste.“

Aber ihre erste wirkliche Erfahrung mit Minimalismus machte Kaighla Um Dayo während eines vierjährigen Aufenthalts im ländlichen Ägypten. „Ich lebte in ­einem kleinen Dorf weit weg von Kairo, wo schöne, teure und hochwertige Dinge schwer zu finden und noch schwerer erschwinglich waren. Während dieser Zeit kann ich mich nicht erinnern, ein Möbelstück besessen zu haben, das mir ­gefallen hätte.“ Sie habe gelernt, die Verbindung zwischen dem, was sie sei und dem, was sie besitze, zu treffen. Für die Bloggerin sei es „befreiend“ gewesen, keine Bindung zu den materiellen Habseligkeiten ihres Lebens einzugehen.

Für sie gehe es beim Minimalismus nicht nur um ein einfacheres Leben. Ihr gehe es um nichts weniger als eine gesteigerte Nähe zu Allah durch die Vermeidung des materiell Unnötigen. Was sie antreibe, sei der Hunger nach Nähe zur Göttlichkeit. In Wahrheit trage jeder diese Sehnsucht in sich. Aber Kulturen und Gesellschaften seien dafür verantwortlich, dass dieses urmenschliche Verlangen in materielle Bahnen umgelenkt würden. „Ich bin mir der Tatsache sehr bewusst, dass mich nichts auf dieser Welt erfüllen kann. Ich habe extreme Armut erlebt und etwas Reichtum erlebt. Und ich sah zu, wie mein Stiefvater sich in extreme Schulden und Drogenabhängigkeit stürzte; Er braucht immer mehr, mehr, mehr, was auch immer es ihn oder unsere Familie kostet.“

Das Leben ist vergänglich und „alles, dass ich liebe und auf das ich meine ­Energie verwende“ werde irgendwann zu Staub werde. „Nur Allah bleibt. Also ­verdient Er meine Anbetung.“ Mini­malismus zwinge sie dazu, sich dieser ­Wahrheit in jedem Augenblick zu stellen. Das Leben mit weniger zwinge sie, der ­unausweichlichen Wirklichkeit ihres ­Todes ins Auge zu sehen. Weil sie weniger Zeit mit Unwichtigem verbringe, bleibe Raum in ihrem Leben und ihrem Herzen für jene Dinge, die wirklich zählten.

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Frankreich oder das negative Feld

„Die Verantwortung der Muslime in Europa geht weiter. Wir bilden mit unseren Einstellungen, Äußerungen und Sichtweisen ein Feld, das negativ oder positiv in unsere Community und die Gesellschaft strahlt.“

(iz). Die Verbrechen in Frankreich – ausgeführt durch die Hand mörderischer Muslime – sind nicht nur grausam; sie sind empörend. Die naheliegende Frage, inwieweit diese Taten mit dem Islam zu tun haben, ist verständlich. Der Reflex, dies von vornherein zu bejahen oder zu verneinen, hilft nicht weiter, sondern vertieft nur die Gräben in der Gesellschaft.

Die Tat hat etwas mit dem Islam zu tun, da wir es mit Muslimen zu tun haben, die sich – so verwirrt diese Sicht sein mag – auf ihre Religion berufen. Sie hat nichts mit dem Islam zu tun, wenn wir in seinen Quellen irgendeine Rechtfertigung für derartige Exzesse zu finden glauben. Die absolute Mehrheit aller Muslime wendet sich von dieser Art der „Glaubensausübung“ ab und der Solidarität mit den unschuldigen Opfern zu.

Ist es damit getan? Nein. Die Verantwortung der Muslime in Europa geht weiter. Wir bilden mit unseren Einstellungen, Äußerungen und Sichtweisen ein Feld, das negativ oder positiv in unsere Community und die Gesellschaft strahlt. Die extremste Form der Negativität ist dabei der selbstmörderische Terrorismus, dessen trostlose Realität nicht zu negieren und nicht zu ignorieren ist.

Wir müssen uns bei aller, berechtigter Empörung über Alltagsdiskriminierung und Benachteiligung von Muslimen in der Gesellschaft fragen, ob wir zu wenig über die positiven Seiten der europäischen Gesellschaften sprechen. Wir müssen uns fragen, ob wir die grundsätzliche negative Sicht der europäischen Rechtspopulisten auf unsere Präsenz mit einer ebenso negativen Sicht auf die europäischen Gesellschaften beantworten wollen. Die permanente Selbstdarstellung als Opfer kann dabei eine destruktive Wirkung entfalten.

Dann vergessen wir die zahlreichen Privilegien, Vorteile und Chancen, die uns ein Leben in Europa heute bietet. Schlimmer: Wir schaffen eine negative Stimmung, die insbesondere junge Muslime in sich aufsaugen und zu leben beginnen.

Hierher gehört die absurde Tendenz, ein kleines, unwichtiges Satiremagazin als Sprachrohr der französischen Gesellschaft oder Regierung zu verstehen. Die Empörung ist hier schlicht maßlos. Peinlich sind zusätzlich die Bilder wütender Demonstrationen von Muslimen gegen Frankreich, die selbst in Ländern leben, in denen jede freie, staatskritische Meinungsäußerung direkt ins Gefängnis führt.

Man kann nur positiv in eine Gesellschaft wirken, wenn man sie nicht gleichzeitig verachtet oder sie – nebenbei erwähnt unter Inanspruchnahme aller ihrer Vergünstigungen – meidet. Man kann, um eine Binsenweisheit zu erwähnen, nicht konstruktiv in einem Land leben, das man im Grunde nicht schätzt.

Ohne die Schwierigkeiten des Zusammenlebens unterschiedlicher Konfessionen und Kulturen zu unterschätzen: Positivität, Solidarität und Gelassenheit sind die untrüglichen Zeichen einer wahrhaft gelebten islamischen Lebenspraxis. Europa ist wahrlich nicht perfekt – aber wo würde man lieber leben? Das positive Engagement in der Zivilgesellschaft ist der einzige Weg, unsere Präsenz in Europa in positive Energie umzusetzen.

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Muslime fordern Aufklärung über Berliner Razzia

Berlin (iz). Am 21. Oktober durchsuchten ca. 150 Polizeibeamte, teilweise vermummt, die Räumlichkeit der Kreuzberger Mevlana Moschee. Unter anderem haben sie auch die Gebetsräume der Gemeinschaft mit Schuhen betreten. Der Anlass: Es besteht ein Verdacht auf unrechtmäßigen Bezug von Coronahilfen.

In einer Pressemitteilung vom heutigen Tag bezeichnete der Koordinationsrat der Muslime (KRM) als „unverhältnismäßiges Vorgehen“. „Wir sind entsetzt über das Vorgehen der Polizei. Angesichts der Schwere der haltlosen Vorwürfe ist die polizeiliche Maßnahme unverhältnismäßig und schikanös. Betende Muslime wurden während des Morgengebetes von hereinstürmenden Beamten gestört“, erklärte der jetzige KRM-Sprecher Burhan Kesici. Auch de Einsatzes eines Spürhundes in der Mosche erwecke den Eindruck, man habe nach „Schwerverbrechern“ gesucht.

Der KRM sei sehr irritiert über dieses Vorgehen. Gerade in Zeiten, in denen über „racial profiling“ bei der Polizei debattiert werde und immer neue rechtsextreme Netzwerke innerhalb unserer Sicherheitsarchitektur bekannt würden, hätten die Behörden in Berlin dem gesellschaftlichen Frieden, und dem Vertrauen gegenüber der Polizei einen Bärendienst erwiesen. Vor diesem Hintergrund fordert der KRM unabhängige Beschwerdestellen.

„Dieser Polizeieinsatz diffamiert Muslime in der Öffentlichkeit, kriminalisiert sie und schürt den antimuslimischen Rassismus in der Gesellschaft in einer Art und Weise, die wir längst für überwunden gehalten haben. (…) Als religiöse Minderheit in Deutschland erwarten wir Respekt vor unserem Glauben und unseren Gotteshäusern“, erklärte Burhan Kesici abschließend.

Ansteigender Hass in Frankreich

(iz). Vor rund einem halben Jahrzehnt wurde Frankreich von mehreren mörderischen Terroranschlägen erschüttert. Täter waren einheimische, radikalisierte Muslime. Die Folgen der Massenmorde waren bleibend: Lange Zeit hielt die Republik ihren Ausnahmezustand aufrecht. Tausende Moscheen, Privatwohnungen und Einzelpersonen wurden durchsucht und mit Auflagen belegt. Und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sprachen von „staatlicher Repression“.

Jetzt kam es zu einem weiteren Anschlag. Das Verbrechen des 18-jährigen Mannes tschetschenischer Herkunft belastet die brüchige Beziehung des Landes zu seinen MuslimInnen erneut. Diese befürchten eine erneute Runde Generalverdacht und „Kollektivbestrafung“. Der Teenager ermordete in einem Pariser Vorort den 47-jährigen Lehrer und Familienvater Samuel Paty. Als Motiv gilt die Verwendung der berüchtigten Propheten-Karikaturen des Lehrers im Unterricht.

Nur kurze Zeit nach dem Terrormord ging die Regierung gegen ausgesuchte Ziele vor, die sie im Dunstkreis des Extremismus verortete. Bedauerlicherweise fühlten sich durch das momentane Klima antimuslimische Extremisten zur Gewalt veranlasst. Moscheegemeinden in Beziers und Bordeaux mussten nach Gewaltandrohungen unter Polizeischutz gestellt werden. Und es kam noch schlimmer: Nur wenige Tage nach dem Mord wurden zwei Musliminnen am Eiffelturm mit einem Messer angegriffen. Bei der Attacke wurde die eine Frau leicht, die andere schwer verletzt. Sie musste ins Krankenhaus gebracht und operiert werden.

Solche Vorfälle machen deutlich, dass die Reaktion der französischen Politik, die sich seit Jahrzehnten mit der Wirklichkeit muslimischer Religionsgemeinschaften schwertut, einen negativen Einfluss auf die Sicherheitslage der rund sechs Millionen Muslime der Republik haben kann. Da helfen Wortmeldungen von Ministern auch nicht, die die Gelegenheit nutzen, um gegen die Präsenz von Halal-Lebensmitteln in Supermärkten Stimmung zu machen.

Muslime befürchten, dass der Mord an Paty jetzt dazu genutzt werde, um die Regierungsrhetorik aufzurüsten. Sie befürchten, Paris setze Islam mit „Terrorismus“ gleich. „Muslime werden zum Ziel gemacht“, sagte der Bürgerrechtsaktivist Yasser Louati dem Sender Al Jazeera. Er gehe davon aus, dass Macron Islamfeindlichkeit nutze, „um seine Kampagne voranzutreiben“. Neben radikalen Gruppen tauchte auf der Verbotsliste von Innenminister Darmanin plötzlich der Name des Collective Against Islamophobia in France (CCIF) auf. Die Organisation widmet sich der Dokumentation antimuslimischer Hassverbrechen.