Themenschwerpunkt „Halal“ – Interview mit Yusuf Çalkara vom Europäischen Halal Zertifizierungsinstitut

Ausgabe 226

(iz). Es ist wohl eher eine banale Doppeldeutigkeit, wonach das Thema „halal“ in aller Munde ist. Fakt ist, dass es nicht nur viele Muslime beschäftigt, sondern auch für verschiedene Gewerbezweige längst mit handfesten materiellen Interessen verbunden ist. Allerdings erschwert das Fehlen verbindlicher Standards, gesetzlicher Regelungen sowie das Wirrwarr der europäischen Halal-Zertifizierer die Lage für Verbraucher und Produzenten gleichermaßen.

Hierzu sprachen wir mit Yusuf Çalkara vom Europäischesn Halal Zertifizierungsinstitut (EHZ) in Hamburg. Das EHZ berät und zertifiziert die europäische Lebensmittel-, Kosmetik- und Pharmaindustrie. Es kontrolliert die Produktionsmethoden und stellt ein Halal-Zertifikat aus. Träger des EHZ sind der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland als nationaler Verband sowie das Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland (BIG) als Regionalzusammenschluss. Das EHZ arbeitet derzeit auf Basis eines eingetragenen Vereins.

Islamische Zeitung: Lieber Yusuf Çalkara, wäre es angesichts der aktuellen Lage bei der Halal-Zertifizierung nicht besser, wenn die Zertifizierung in Händen einer gemeinnützigen Struktur liegen würde?

Yusuf Çalkara: Wir haben mit dem Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland (BIG) einen Verband, der finanziell, personell und strukturell mit am besten aufgestellt ist. Um von den einzelnen Mitgliedsbeiträgen unabhängig zu werden, wurde der Lindenbazar gegründet. Das Geschäft war gezwungen zu verantworten, dass ihre Waren islamkonform sind.

Angesichts der Expertise des Lindenbasars und der offenkundigen Mängel der bestehenden Halal-Zertifizierung kam der Einwand vom Islamrat, wonach es falsch wäre, wenn die Firma nur ihre eigenen Produkte kontrollieren würde. Von dem Dachverband kam wegen der Erfahrungen die Bitte, diese Dienstleistung für die gesamte muslimische Gemeinde anzubieten. So ist das EHZ entstanden.

Da der Islamrat (bei dem das BIG Mitglied ist) nicht die notwendigen Mittel dafür hat, wird unser Unterhalt, wir sind ein gemeinnütziger Verein, vom BIG getragen. 2012 und 2013 haben wir ein Defizit gemacht, sodass uns der Gemeindeverband unter die Arme greifen musste. Sobald wir selbstragend sind, gehen wir an den Islamrat über. Im Falle von Einnahmen kommen diese seiner Arbeit zugute.

Diese Verbindung hat aber keine Auswirkungen auf unsere Neutralität. Wir zertifizieren die Produkte vieler Hersteller.

Islamische Zeitung: Wäre eine Stiftung nicht die idealere Form der Halal-Lizenzierung?

Yusuf Çalkara: Ja, natürlich. Ideal wäre eine Form, bei der die Gelehrten finanziell unabhängig sind. Bereits jetzt schon werden die von uns konsultierten Gelehrten nicht für ihren Zeitaufwand entschädigt, damit man ihnen nicht unterstellen kann, ihre Einschätzungen seien an Zahlungen gebunden. So hatten wir einen Vorgang, bei dem sich die Gelehrten im Falle eines namhaften Großkunden wegen der Komplexität des Sachverhalts zwei Jahre Zeit ließen. Er hat sich dann im Ausland zertifizieren lassen.

Islamische Zeitung: Ist es nicht so, dass die Halal-Zertifizierung bisher vor allem der industriellen Lebensmittelproduktion dient?

Yusuf Çalkara: An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass unser Hauptaugenmerk der Sicherheit muslimischer Verbraucher in Deutschland und Europa gilt. Es hat sich aber herausgestellt, dass wir – wie andere in der Branche – zu 90 Prozent Betriebe zertifizieren, die für den Export produzieren.

Warum ist das so? In den Augen der Industrie leben nur drei Prozent ihrer angestrebten Kundenmenge überhaupt in Europa. Zweitens fehlt es an Nachfrage – und das bei fast fünf Millionen Muslimen in Deutschland! Immer noch bekommen die Erzeuger die Nachfrage von Muslimen noch viel zu wenig mit. Hinzu kommt das schlechte Image des Islam in Deutschland und alles, was damit verbunden ist. Betriebe, die sich zertifizieren lassen, exportieren und bieten ihre Waren auch in Deutschland an, aber sie wollen ihre Produkte nicht mit Halal-Logo verkaufen.

Islamische Zeitung: Ist das häufige Gerede von der Halal-Industrie, deren angebliches Volumen längst phantastische Ausmaße erreicht haben soll, nicht eher ein Hype?

Yusuf Çalkara: Dem kann ich nicht ganz zustimmen. In Malaysia und Indonesien, wo das ganze deutlich fortgeschrittener ist, haben wir Riesenmärkte. Das ist ein Potenzial, an dem sich jeder Produzent – wie Unilever, Nestlé und andere – beteiligen möchte. Diese Länder haben strenge Kriterien für den Import. Und sie können es sich leisten, diese den ausländischen Firmen aufzuerlegen.

Schritt für Schritt wird sich das nach dem Willen der OIC ausweiten. Bereits heute verlangen die Arabischen Emirate, Algerien und Ägypten Zertifikate für Lebensmittel. Wird sich diese Entwicklung auf die Mehrheit der OIC-Staaten ausweiten, kommen die deutschen Lieferanten nicht umhin, sich zertifizieren zu lassen. Am Anfang haben sich die Exporteure an Moscheegemeinden gewandt, die ihnen ein Blanko-Zertifikat ausgestellt haben. Da wollten wir Abhilfe schaffen, auch mit fortlaufenden Kontrollen. In Europa ist dem nicht so, weil nur ein gewisser Teil der Muslime gezielt halal isst beziehungsweise das nachfragt. Die Zahlen sind nicht so hoch, wie wir sie uns vorstellen würden.

Islamische Zeitung: Man hört immer wieder von Firmen, die ihre Erzeugnisse mit falschen Halal-Logos auszeichnen…

Yusuf Çalkara: Wir haben ein Grundprinzip, wonach wir keine Vorgänge kommentieren, wenn wir keine Belege haben. Wir bekommen regelmäßig Anfragen zu Produkten beziehungsweise den Marken einzelner Anbieter. Wir können in solchen Fällen nicht sagen, ob sie halal oder haram sind.

Islamische Zeitung: Als Beispiel zu nennen wäre die berühmte Berliner Stichprobe bei Dönerproduzenten…

Yusuf Çalkara: Darüber können wir keine Angaben machen. Was uns ärgert, und was sich nachweisen lässt, ist das gehäufte Aufkommen von Produkten mit Halal-Siegeln, die aber nicht erkennen lassen, welche islamische Autorität dahinter steht. In den meisten Fällen sind diese Logos nicht durch autorisierte Prüfungen gedeckt.

Islamische Zeitung: Gibt es auch Zertifizierungen, die über „Ferndiagnose“ ablaufen?

Yusuf Çalkara: Das soll es auch geben. Wir haben unsererseits einen Sicherheitsmechanismus eingeführt, wonach wir die Betriebe immer zu zweit – mit dem Vertreter eines lokalen Moscheevorstands – besuchen, egal aus welcher Organisation die Gemeinde kommt. Wir möchten Vertrauensleute dabei haben, damit diese die Echtheit unserer Audits vor Ort bestätigen können. Wir machen das, um solche Fälle auszuschließen.

Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen meiner persönlichen Kaufentscheidung – wir müssen ja alle essen! – und einem von mir ausgestellten Zertifikat. Im zweiten Fall trage ich auch die Verantwortung für den Konsum unzähliger Verbraucher. Wenn ich dabei leichtsinnig bin, bin ich für meine falsche Handlung verantwortlich.

Islamische Zeitung: Ist das nicht, vollkommen wertfrei, nicht einfach die logische Konsequenz einer immer totaler werdenden industriellen Produktion von „Lebensmitteln“?

Yusuf Çalkara: Kann man sagen. Wir sind aber nicht die führende Kraft, sondern reagieren hier nur. Zur Zeit ist es natürlich so, dass die Lebensmittelindustrie agiert und die Verbraucher reagieren. Wir sehen uns auf der Seite der Konsumenten. Was es uns derzeit schwierig macht, ist das Fehlen weltweit einheitlicher Standards.

Islamische Zeitung: In den letzten Jahren haben sich sowohl der Bereich der biologisch erzeugten Lebensmittel, als auch die Bewegung für einen Gerechten Welthandel als erfolgreich erwiesen. Könntet ihr euch vorstellen, die beiden Aspekte mit in den islamkonformen Konsum einzubinden?

Yusuf Çalkara: Natürlich. Die Zertifikate in den Bereichen Bio und Fairtrade beziehen ihre Kraft durch die Kundennachfrage. Bisher ist diese Nachfrage wesentlich geringer, als es die absoluten Zahlen auf muslimischer Seite vermuten lassen. Hierzu brauchen wir vor allem Aufklärung – auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft und bei Muslimen. Viele Muslime glauben, dass es in Sachen „halal“ damit getan ist, wenn sie nur kein Schwein essen. Das wird ihnen von Kindesbeinen an eingetrichtert. Auf nichtmuslimischer Seite braucht es aber auch Aufklärung. Wegen der negativen Aspekte der Islamdebatte haben Produzenten Angst, ihre als halal lizenzierten Produkte als islamkonform zu deklarieren.

Mittlerweile setzen sich unsere Gelehrten ernsthaft mit der Frage auseinander, inwiefern Massentierhaltung, -transport und -schlachtung zum islamischen Ethos passen. Es kann in Zukunft durchaus dazu kommen, dass sie eine ablehnende Haltung einnehmen. Wir hatten einmal einen Fall, bei dem ein Tierfuttermittel-Hersteller sein Produkt für die Türkei lizenzieren lassen wollte. Als wir einen unseren Gelehrten fragten, meinte der nur, dass es für Tiere eigentlich keine Kriterien in dieser Hinsicht gibt, da sie fressen können, was sie wollen. Wir haben dann nach einigem Überlegen gesagt, dass ein solches Futtermittel ausschließlich auf pflanzlicher Basis sein dürfte, da Zuchtvieh von Natur keine anderen Tiere (wie im Tiermehl) frisst.

Wenn sich diese Entwicklung durchsetzt, lässt sich irgendwann sagen, dass die Muslime zu den wichtigsten Tierrechtlern gehören werden. Es gibt ein Tierrecht im Islam. Sie sind Geschöpfe Gottes, die wir respektvoll behandeln müssen. Tun wir ihnen Unrecht, begehen wir eine falsche Handlung. Deshalb ist es irritierend, wenn die europäischen Tierschutzorganisationen einem einzigen Akt – der Schlachtung – mehr Aufmerksamkeit schenken als einem viel längeren Vorgang wie dem Transport von Schlachtvieh.

Zuerst muss ein Produkt die islamkonformen Bedingungen erfüllen. Je mehr Aspekte des tajjib (gut, ganzheitlich, nachhaltig) wir hinzufügen können, desto besser. Einige Sachen brauchen Zeit, andere Unterstützung. Und Muslime sollten hinterfragen, was nach welchen Kriterien wie und unter welchen Bedingungen lizenziert wird.

Islamische Zeitung: Lieber Herr Çalkara, vielen Dank für das Gespräch.