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Überwältigende Seichtheit

Ausgabe 255

Foto: Archiv

(iz). Ja, sie sind schön. Die Frauen und Mädchen, die ein Talent dafür entwickelt haben, ihren Hijab und das dazu passende Outfit richtig in Szene zu setzen und den täglichen Wechsel von Klamotten, Tüchern und Make-up mit der Welt zu teilen. Und die Welt genießt ihn, den Anblick ihrer makellosen Schönheit. Es ist die muslimische Form der Beauty-Bloggerin – weniger Haut, mehr Stoff, aber das gleiche Prinzip: Schaut mich an! Schaut, wie schön ich bin!
Ja, es gibt positive Aspekte. Musliminnen werden mehr gesehen, mehr wahrgenommen, Musliminnen haben wie noch nie zuvor eine große Bandbreite an Kleidungsmöglichkeiten für sich selbst entwickelt, um in all den Sphären, in denen sie sich bewegen, gut auszusehen und sich korrekt angezogen zu fühlen.
Es liegt mir fern, diesen Trend zu kritisieren. Er wird nicht aufhören und und wir alle stecken mit drin, denn wir sind alle süchtig nach Social Media und klicken die Bilder an. Ob wir das nun gut finden oder nicht, spielt keine erhebliche Rolle.
Vielmehr macht mir die Vorstellung von „muslimischer Schönheit“ zu schaffen. In welche Richtung entwickeln wir uns, wenn wir die absurde Idee verinnerlichen, die Welt sehe so aus wie auf all den Instagram Accounts? Ist Schönheit glattgebügelt, geblümt, gepudert? Ist es Aufgabe der muslimischen Frau, glattgebügelt, geblümt und gepudert zu sein? Wir laufen Gefahr, die Realität nicht mehr wahrzunehmen, die tagtäglich um uns herum stattfindet, während wir überlegen, welchen Filter wir auf unsere setzen sollen.
Es ist wahr, dass sich viele, insbesondere Frauen, für Bedürftige einsetzen. Mit großer Wahrscheinlichkeit auch viele Hijabi-Bloggerinnen, so hofft man es zumindest.
Was aber zu kurz zu kommen scheint, ist die Beschäftigung mit dem Hässlichen. Flüchtlinge, Arme, Kinder, Kranke. Sie alle sind schön, sie sind unschuldig, man hilft ihnen gerne. Was ist mit Prostituierten, Drogenabhängigen, Kriminellen, „den Asozialen“, „dem Ghetto“? Möchte man mit ihnen in Verbindung gebracht werden? Möchte man sich tatsächlich zu ihnen „herablassen“?
Verstehen wir den Hijab als Schutz für die Frau oder als Modeaccessoire? Wenn wir ihn als Schutz verstehen, sollten wir nicht jenen eben diesen Schutz wiedergeben, den sie verloren haben, weil ihnen das Leben diese Art von Sicherheit und Würde nicht gezeigt hat? Weil es zu viele Erlebnisse, Verluste, Gefahren und Menschen gab, die ihnen das Gefühl der Selbstachtung und das natürliche Verlangen nach Geborgenheit genommen haben?
Ist es wichtiger, 20 Nuancen von Pink in der Hijab-Sammlung zu haben oder, einer Frau ihr Selbstwertgefühl wiederzugeben, durch Rat, durch Freundschaft, durch aufrichtige Anteilnahme und Hilfe? Spielt es eine Rolle, ob man zu jeder Tasche die passenden Schuhe hat oder, ob man einem Menschen das Vertrauen in andere wiedergeben konnte? Wieso fühlen sich so viele mit schwerwiegenden Problemen gerade von Muslimen im Stich gelassen? Wieso sind Menschen, die eine Geschichte haben, die Gründe für ihr komplexes Leben haben, ausgeschlossen von der Wärme des muslimischen Charakters? Haben wir so viel Angst vor dem Hässlichen? Könnte es etwa unsere innere Ruhe stören, wenn wir uns mit etwas außerhalb unseres Selbst und außerhalb unserer blumigen Halal-Traumwelt beschäftigen?
Es scheint, als seien eine Menge Musliminnen ziemlich verweichlicht. Das Gemälde einer Traumfrau, die wunderschön ist, aber eben doch nur angeschaut wird und leblos ist. Sich nicht schmutzig macht. Ihre eigene Stärke nicht erkennt, weil sie abgelenkt ist von ihrem Spiegelbild. Die sich einreden lässt, dass das auf ihrem Kopf sie zu etwas Besonderem macht, während die Taten ausbleiben, die sie bei Allah besonders sein ließen.
Ja, das Gelesene ist ein wenig hart und nein, es spricht nichts gegen Mode und Allah liebt das Schöne. Aber wie schön ist es doch, einem Menschen aus dem Dreck zu helfen, sich dabei selbst ein wenig schmutzig zu machen, um die Tür zur Schönheit, die das Leben bieten kann, einem anderen als sich selbst zu öffnen.