Völkermordstreit mit der Türkei

Foto: Von Tobias Koch - OTRS, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35569448

(iz). Am Donnerstag möchte der Deutsche Bundestag eine gemeinsame Armenien-Resolution von CDU/CSU, SPD und Grünen beschließen, welches die damaligen Ereignisse im Osmanischen Reich als „Völkermord“ einstuft. Staatsministerin Aydan Özoguz (SPD) wies darauf hin, dass es zu erwarten sei, „dass durch diese Abstimmung Türen eher zugeschlagen und die geschichtliche Aufarbeitung zwischen der Türkei und Armenien sogar verhindert wird“.
In der Tat ist es nicht Aufgabe des durch Lobbyorganisationen beeinflussten Parlaments, darüber zu befinden, ob und was Völkermord ist. Dafür gibt es Juristen und Gerichte sowie Wissenschaftler, Archive und Quellen. Ein Ereignis, das sich vor über hundert Jahren abspielte, muss von Historikern, insbesondere beider Völker untersucht und diskutiert werden.
Kompetenzüberschreitung des Bundestags
Es ist daher zu fragen, ob der Bundestag als wichtigstes Organ der Legislative nicht seine Kompetenzen überschreitet und für sich Aufgaben der Judikative und der Forschung vereinnahmt. Genau deshalb ist zu konstatieren, dass die historischen Beziehungen zwischen Türken und Armeniern heute von den falschen Instanzen diskutiert werden.
Die Politik hat bei dieser Thematik lediglich die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass die historischen Archive geöffnet und die darin befindlichen Materialien den Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt werden.
Die Politik hat ferner die Pflicht, sich konstruktiv, neutral und unabhängig zu positionieren, damit eine Lösung  für eine bestehende Angelegenheit gefunden wird. Die Resolutionen, die die verschiedenen Parlamente heute fassen, dienen vielmehr dazu, Teile der armenischen und türkenfeindlichen Diaspora zufrieden zu stellen und anstatt eine Lösung zu finden, die Debatte und den Sachverhalt leichtfertig noch weiter durcheinander zu bringen.
Diese antitürkische Diaspora kooperiert zudem sehr eng mit separatistischen, ethno-nationalistischen, linksfaschistischen und pseudokonfessionellen Organisationen. Leider erwecken mehrere Bundestagsabgeordnete den Anschein, sich dem Druck und der Agitation dieser Kreise ergeben zu haben.
Ehre gebührt allen Opfern gleicherweise
Während des Ersten Weltkriegs sind neben Türken, Kurden und Armeniern auch andere Menschen aus unterschiedlichsten Volksstämmen ums Leben gekommen. Es stellt sich daher die Frage, wie eindimensional, anmaßend und niederträchtig es ist, nur einem einzigen Volk oder nur einer Religion zu gedenken.
Wäre es nicht menschlicher und ethischer, allen Opfern die Ehre und Erinnerung zu erweisen? Zum Beispiel auch den Millionen von Opfern, die durch Zwangsumsiedlungen und kriegerische Akte aus dem Balkan, Thrazien und dem heutigen Griechenland und Russland ums Leben kamen?
Außerdem sei die Frage, wieso Abgeordnete des Bundestags und Kirchenvertreter in Deutschland nur an das Leid der Christen gedenken und beispielsweise die ethnischen Säuberungen und den Genozid in den 1990er Jahren mitten in Europa an muslimischen Bosniaken in Srebrenica völlig ausblenden, ebenso erstattet.
Der Mensch ist wertvoll, weil er ein Mensch ist
Sind nichtchristliche Opfer vielleicht weniger wertvoll? Was ist mit den Opfern in Afrika (Ruanda, Kongo, Somalia usw.)? Wieso gedenkt niemand so ausgiebig wie es jetzt der Fall ist, den Opfern in Syrien, Sri Lanka, Irak, Bosnien-Herzegowina, Afghanistan oder Gaza, Tel-Aviv, Xinjiang und Myanmar-Arakan?
Der ehemalige Präsident der Handelskammer von Ankara, Sinan Aygün, bezeichnet die Tragödien in Teilen dieser Orte als „postmodernen Völkermord“ und fragt, wieso kaum jemand wirksam die Stimme erhebe, wenn im Irak oder Syrien zwischen 665.000 bis 1.000.000 Menschen getötet werden.
Eine Art „Kreuzzugsmentalität“ führt hier nicht weiter. Menschen sollten nicht nach Religionen oder anderen Gesichtspunkten klassifiziert werden. Menschen verdienen eine Achtung allein deshalb, weil sie Menschen sind. Aus diesem Grunde verdienen sowohl Armenier als auch Bosnier, Tutsis, Rohingya, Uiguren, Yeziden, Tamilen, Thraker und sonstige Menschen, die Opfer von Gewalt, Bürgerkrieg oder grausame Verbrechen geworden sind, eine aufrichtige Anteilnahme.
Türkei fordert seit Jahren eine Aufarbeitung durch eine unabhängige Historikerkommission
Das Ziel solch einer Debatte sollte eine wirkliche Aussöhnung zwischen dem türkischen und dem armenischen Volk sein. Ob dies jedoch ernsthaft bezweckt wird, bezweifeln Experten. Denn die Türkei seinerseits bietet seit Jahren an, ihre Archive einer unabhängigen Historikerkommission uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen. Aus Mangel an Kooperationspartnern konnte dies bis jetzt nicht in die Tat umgesetzt werden.
Ferner ist die Bezeichnung der katastrophalen Ereignisse im damaligen Osmanischen Reich als sogenannter „erster Völkermord des 20. Jahrhunderts“ historisch unhaltbar und zeugt von mangelnder Kenntnis oder politisch-ideologischer Realitätsverweigerung. Auch wenn die Mehrheit der deutschen Abgeordneten davon nichts wissen möchte, war die weitgehende Ausrottung der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, zwischen 1904 und 1908 nach einhelliger Ansicht der Wissenschaft als Völkermord einzustufen.
Oberkommando der türkischen Truppen lag bei der deutschen Militärmission
Ein weiteres aber durchaus pikantes Detail darf ebenso nicht untergehen: Die jungtürkischen Truppen wurden damals von deutschen Offizieren kommandiert, und Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg hatte, wie der Journalist Christian Bommarius schreibt, die Losung ausgegeben: „Unser Ziel ist es, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber die Armenier zugrunde gehen oder nicht.“
Auch die Briefwechsel damaliger deutscher Diplomaten in Istanbul sind schockierend. Was die deutschen Militärdiplomaten dort über die Armenier über die Lippen bringen, ist kaum noch an rassistischer Geschmacklosigkeit und Menschenverachtung zu überbieten.

2 Kommentare zu “Völkermordstreit mit der Türkei

  1. In der Sache gebe ich dem Autor recht. Wo aber ist der Zusammenhang zu den Kreuzzügen, wenn der Bundestag diese unsägliche Resolution tatsächlich verabschiedet? Worin besteht die “Kreuzzugsmentalität”? Möchte der Autor sich damit als Islamist outen, die auch ständig von Kreuzzügen und Kreuzzüglern schwadronieren? Ist das sein Beitrag zum Dschihad gegen die Kreuzzügler?

  2. Es mag sein, dass die Bundestagsabgeordneten durch Lobbyorganisationen beeinflusst sind. Allerdings hat der türkische Staat und haben türkische Organisationen ebenfalls im Vorfeld versucht, Einfluss auf die Bundestagsabgeordneten zu nehmen. Und das vorwiegend durch Drohgebärden. Die unterlegenen türkischen Lobbyisten sind dann in der Folge der Abstimmung sogar noch weiter gegangen. Jetzt wird den türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten sogar abgesprochen wahre Türken zu sein. Das geht bis hin zu Steckbriefen und Morddrohungen. Im übrigen ist es das gute Recht eines Parlamentes, einen Völkermord auch so zu bezeichnen. Blöd für die Türkei ist dabei nur, dass Deutschland nicht der erste Staat ist, der die Ermordung der Armenier als Völkermord einstuft. Und es wird auch nicht der letzte Staat sein. Früher oder später wird die Türkei sich also mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Meinem Vorkommentator muss ich zustimmen, dass es etwas merkwürdig anmutet, wenn Herr Baş in diesem Zusammenhang von “Kreuzzugsmentalität” spricht. Das ist ebenso unsinnig, wie die Darstellung Frau Merkels als Adolf Hitler in türkischen Medien. Es ist auch interessant, dass in dieser Zeitung nichts dazu gesagt wird, dass Erdogan Abgeordnete des Deutschen Bundestages diffamiert und damit quasi die Stimmung für Morddrohungen gegen sie schafft. Oder dass Cem Özdemir die Ehrenbürgerschaft der Geburtsstadt seines Vater entzogen bekommen soll. Als müssten deutsche Bundestagsabgeordnete als verlängerter Arm Erdogans und der Türkei fungieren. Überhaupt halten sich die muslimischen Verbände in Deutschland ziemlich bedeckt bei den unerträglichen Nachwehen des Völkermordreferendums. Im Vorfeld haben Muslime Partei für Erdogan ergriffen. Gilt diese Parteinahme also auch für die Diffamierungen, die aus der Türkei zu vernehmen sind und die Morddrohungen gegen deutsche Staatsbürger? Das würde jedoch bedeuten, dass weder Türken noch Muslime die demokratischen Werte schätzen. Tatsächlich treten sie sie gerade mit Füssen.

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