Weniger Geld aus China

Der Brexit ist ein Schock für die Teilnehmer des «Sommer-Davos» in China. Die Angst vor einer Kettenreaktion geht um. Der Ausstieg aus der EU wird wohl auch chinesische Investitionen in Großbritannien dämpfen, da es nicht mehr als Sprungbrett in die EU dienen kann.
Tianjin (dpa) – Nach dem bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union werden chinesische Unternehmen voraussichtlich weniger als bisher im Königreich investieren. Politiker, Diplomaten und Wirtschaftsvertreter zeigten sich zum Auftakt des «Sommer-Davos» genannten Weltwirtschaftsforums in der chinesischen Metropole Tianjin am Sonntag geschockt vom Ausgang des Brexit-Referendums. Chinas Vizeaußenminister Li Baodong warnte vor Panikreaktionen, die weitere Ungewissheit für Europa und die Weltwirtschaft auslösen könnten.
«Wir hoffen, unsere Freunde in Großbritannien können damit umgehen und sich beruhigen», sagte Li Baodong auf dem Treffen, zu dem 1700 Teilnehmer aus 90 Ländern angereist sind. «Wir können nicht einfach in Panik ausbrechen.» Die Gruppe der großen Industrie- und Schwellenländer (G20), in der China gerade die Präsidentschaft hält, sei sich bei Beratungen am Freitag in China einig gewesen, «ruhig bleiben und gemeinsam auf die Herausforderung zu reagieren».
Der Brexit wird auch die Wirtschaftskooperation Großbritanniens mit der zweitgrößten Volkswirtschaft beeinträchtigen. Experten erwarten einen Dämpfer für die Investitionstätigkeit der Chinesen, die in den vergangenen Jahren in kein anderes EU-Land mehr investiert haben. «Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass Großbritannien nicht mehr vielversprechend ist, dann macht es Sinn, woanders hinzugehen», sagte Zhang Yuyan von Chinas Akademie der Sozialwissenschaften (CASS).
«Chinesische Investoren werden eine negative Einstellung gegenüber dem britischen Markt einnehmen», sagte Zheng Chaoyu von der Pekinger Volksuniversität der dpa. «Es wird ein Schlag für den britischen Investitionsmarkt.»
«Es wird weniger chinesisches Geld nach Großbritannien und mehr in den Rest Europas fließen», sagte Jan Gaspers vom China-Institut Merics in Berlin. «Der unbegrenzte Zugang zum EU-Binnenmarkt und die Möglichkeit, Talente aus ganz Europa zu rekrutieren, waren bislang wesentliche Gründe für chinesische Investoren, in Großbritannien aktiv zu werden», erklärte Gaspers. Solange diese Fragen nicht geklärt seien, dürften chinesische Investoren «sehr zurückhaltend» sein. Viele chinesische Firmen in Großbritannien dürften jetzt auch einen Umzug auf den europäischen Kontinent erwägen.
«Es wird Zurückhaltung auslösen», sagte auch ein EU-Diplomat. «Für chinesische Investoren verliert Großbritannien mit seiner liberalen Regulierung die Brückenfunktion zum europäischen Binnenmarkt.» Die EU und Großbritannien müssten schnell klären, wie der Austritt erfolge und wie sie künftig kooperierten, forderte die EU-Handelskammer in China. «Alle Parteien stehen jetzt vor einer Phase erhöhter Unsicherheit», sagte Kammer-Vizepräsident Patrick Horgan.
Chinesen galt Großbritannien bisher als eines der zuverlässigsten Sprungbretter, um auf dem europäischen Märkten Fuß zu fassen. Eine Vielzahl chinesischer Unternehmen haben ihren EU-Hauptsitz in London, um von dort den europäischen Binnenmarkt zu erschließen. Die Briten müssten ihren Zugang zum EU-Binnenmarkt jetzt erst neu aushandeln, was lange dauern könne, erläuterten Experten. Das bremse Investoren.
Diplomaten sehen im Brexit-Votum auch einen politischen Rückschlag für Chinas Regierung. London hatte sich in Brüssel als Fürsprecher für chinesische Handels- und Wirtschaftsinteressen hervorgetan – in der Hoffnung, selbst besser mit China ins Geschäft zu kommen.