200 Jahre West-östlicher Diwan

Foto: H.-P. Haack, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0

(iz). 200 Jahre West-östlicher Diwan und niemals war es für den gesellschaftlichen Frieden in deutschen Landen notwendiger die verstaubte deutsche Geistesgeschichte aus dem Keller zu holen. Im Januar 2011 veröffentlichte Necla Kelek in der FAZ einen Artikel über das Islambild Goethes. Der gesamte Artikel ist ein Beispiel dafür, welche verzerrten Darstellungen zustande kommen, wenn dilettantisch und nicht wissenschaftlich gearbeitet wird. Dilettantisch ist es dann, wenn zu viele beleglose Mutmaßungen beigemischt werden. „Vielleicht“ oder „ich würde sagen“ können bei einem Dinner angebracht sein. In wissenschaftlichen Untersuchungen haben solche Äußerungen nichts zu suchen: „Närrisch,“ würde Goethe sagen, „dass jeder in seinem Falle, / Seine besondre Meinung preist“. Ich meine, ich würde sagen – im Angesicht der Wahrheit sind diese Dinge nichts wert. Kelek sagte: „Zwangsläufig hätte er (Goethe) ihn (Muhammed) diskreditieren müssen, ihn ähnlich wie Voltaire als ‘Betrüger’ entlarven müssen.“

Hier spricht Kelek lediglich aus, was sie, wenn sie denn die Fähigkeiten dazu hätte als Poetin tätig zu werden, tun würde. Sie sagt nichts über Goethe aus. In seiner Autobiographie sagt Goethe selbst aus, dass er Muhammed „nie als einen Betrüger hatte ansehn können.“ In Keleks Artikel wird nie ganz deutlich wen oder was sie zitiert, wenn sie Anführungszeichen setzt. Goethe selbst, das wird an seiner Aussage deutlich, widerspricht Kelek.

Kelek steht für eine Tendenz, die Tradition in Spanien, Italien und Frankreich, aber eben nicht in Deutschland hat. Goethe lagen, so der Groß-Germanist Heinrich Detering, „Forschungen der entstehenden Religionswissenschaften“ vor und, so fährt er fort, eben auch „das hasserfüllte Mahomet-Drama jenes Voltaire, dessen Devise auch hier lautete ‘Écrasez l’infâme!’, das Goethe selbst, widerstrebend und auftragsgemäß, übersetzt hatte.“ – Herder, Goethes ehemaliger Mentor, bezeichnete Voltaires Stück als „Versündigung gegen die Menschheit und gegen Alles“. Auch Herders Ehefrau resümierte nach einer deutschsprachigen Aufführung des voltaireschen Stückes: „Eine solche Versündigung gegen die Historie (er macht den Mahomet zum groben platten Betrüger, Mörder und Wollüstling) und gegen die Menschheit, habe ich Goethe nie zugetraut.“

Das, was die Herders Goethe ankreideten, weil er Voltaires Stück übersetzte, was auch Kelek Goethe anzukreiden versucht, wenn sie behauptet: „Dass er sein Mohammed-Projekt fallen ließ, ist kein Zufall.“, eben das, weist Goethe von sich. Dies wird, wie auch Detering anmerkt, daran deutlich, dass er es als Auftrag und widerstrebend übersetzt hat. An Knebel schreibt Goethe am 10. Januar 1800: „Die Gelegenheit zur Vergleichung mit dem Original sollte den denkenden Deutschen auffordern über das Verhältniß der Kunst beyder Nationen nachzudenken.“

Kelek gehört anscheinend nicht zu diesen von Goethe gewünschten „denkenden Deutschen“. Goethe ließ sein Prometheus-Projekt ebenso fallen. Ebenso sein Pandora-Projekt. Im Alter wird er Eckermann sagen, dass „keine hundert Bände reichen“ würden, wenn Goethe alles „gemacht hätte, was ich recht gut hätte machen können“. Was sagt Goethe noch über Heldenfiguren in Dramen? „Kein Dichter hat je die historischen Charaktere gekannt, die er darstellte; hätte er sie aber gekannt, so hätte er sie schwerlich so gebrauchen können. Der Dichter muß wissen, welche Wirkungen er hervorbringen will, und danach die Natur seiner Charaktere einrichten.“

Daraus lernen wir, dass Goethe, selbst wenn er sein Drama vollendet hätte, nicht seine Meinung über Muhammed kundgetan hätte. Viel mehr steht Muhammed als Beispiel und Inspiration dafür, was ein Mensch mit außergewöhnlichem Charakter über andere vermag und welcher Gefahr er sich gegenüber sieht. Über das Ende des Dramas schreibt Goethe in Dichtung und Wahrheit: „Er reinigt seine Lehre, befestigt sein Reich und stirbt.“ Kommt nun ein Muslim auf die Idee zu sagen, dass Goethe den Islam als reine Lehre bezeichnet habe? Nein. Drama ist Fiktion, selbst wenn historische Gestalten verwendet werden.

Hendrik Birus hat 2010 Goethes Diwan neu herausgebracht. Mitsamt allen Äußerungen zum Diwan, die sich in seinen Tagebüchern, Briefen und Aufzeichnungen anderer, die sich Goethes Worte notiert haben, finden lassen. Das Archiv wurde uns durch Birus’ Ausgabe zugänglich gemacht. Wir erfahren davon, wie Goethe für seinen Diwan im Cotta’schen Morgenblatt, der meistgelesenen deutschsprachigen Zeitung ihrer Zeit, warb. Der Diwan verkaufte sich nicht gut. In seiner dritten geschalteten Werbung am 07.09.1819 ließ Goethe eine Motto-Strophe dem darauffolgenden Auszug vorangehen. Mit dieser Motto-Strophe kündigt er einen Helden an und gleichzeitig tröstet er sich selbst:

„Einen Helden mit Lust preisen und nennen

Wird jeder, der selbst als Kühner stritt.

Des Menschen Werth kann Niemand erkennen,

Der nicht selbst Hitze und Kälte litt.“

Im Kommentar zu dieser Strophe schreibt Birus: „Vgl. die antike Formel ›Gleiches wird nur von Gleichem erkannt‹“ und Birus führt auch ein Gedicht aus der Farbenlehre an, in dem es heißt: „Wär’ nicht das Auge sonnenhaft, / Wie können wir das Licht erblicken; / Lebt’ nicht in uns des Gottes eigne Kraft, / Wie könnt’ uns Göttliches entzücken?“ Und um die Bedeutung noch weiter zu bekräftigen zitiert Birus einen Prosa-Text Goethes: „Es giebt, sagt man, für den Kammerdiener keinen Helden. Das kommt aber blos daher, weil der Held nur vom Helden anerkannt werden kann. Der Kammerdiener wird aber wahrscheinlich seines Gleichen zu schätzen wissen.“

Nur jemand, der selbst Heldenhaftes in sich hat, sei, so Goethe, in der Lage den Heroismus anderer anzuerkennen. Spricht Goethe allgemein oder hat er einen Helden im Sinn? Aus dem Diwan geht kein expliziter Held hervor. In diesem steht die Motto-Strophe für sich als eigene Strophe. Jedoch am 07.09.1819 ist Muhammed gemeint. Denn direkt auf die Motto-Strophe folgt das Gedicht „Berechtigte Männer“. Es beginnt mit den Worten: „Nach der Schlacht von Bedr, unterm Sternenhimmel / Mahomet spricht“. – Goethe erkennt hier Muhammed als einen Helden an, der die Muslime siegreich angeführt hat und präsentiert ihn. Und nur diejenigen, die wie Muhammed heldenhaft sind, seien in der Lage seine Heldenhaftigkeit anzuerkennen. Wir stellen uns vor, heute erscheint ein Artikel, der Muhammed heroisch darstellt – schon die Wiedergabe dessen, dass Goethe es getan hat, stößt mindestens auf Widerspruch…

An anderen Stellen in seiner Ausgabe erliegt auch Birus den Urteilen, die seit der Reconquista und den Kreuzzügen ein authentisches Verständnis islamischer Praxis verzerren. Goethe dichtet: „Der Trinkende, wie es auch immer sei, / Blickt Gott frischer ins Angesicht.“ Birus schreibt hier, dass Goethe das Weinverbot missachte und Anthropomorphismus betreibe, das heißt, er schreibe die menschliche Eigenschaft, ein Angesicht zu besitzen, Gott zu, was gemäß der Fuqaha, den muslimischen Rechtsgelehrten, Ketzerei sei. Goethe indes tut, was auch Rumi und Hafis, Baki und Fuzuli und viele viele weitere muslimische Poeten taten. Rumi und Hafis, Baki und Fuzuli – sie alle sind zugleich Rechtsgelehrte und tun es trotzdem.

Birus gibt mit seinem Kommentar eine Meinung wieder, die sinnbildlich dafür ist, wie im Abendland der Islam rezipiert wird. Das Abendland rezipiert den Islam, wie es Fundamentalisten á la Daesch (IS), Wahabiten und Salafisten mit ihren Lies-Ständen tun. In Metaphern zu denken sei nicht möglich, über Wein und anthropomorphisch zu dichten sei Ketzerei. Wie antwortet Baki, ein Dichter des osmanischen Reiches, der zum allerhöchsten Richter des osmanischen Reiches gemacht werden sollte: „Mit Wein bezwecken wir die Reinheit im Inneren des Kruges, / Die Meister des Anscheins sind unfähig unsern Wunsch zu fassen.“ – Letztlich hat man sich nicht für Baki als obersten Richter, sondern für Ebu Suud Efendi entschieden. Dessen positives Rechtsgutachten (arab. Fatwa) über Poeten wird im Diwan Goethes unter dem Titel „Fetwa“ wiedergegeben und als Antwort folgt Goethes Dank, unter dem Titel: „Der Deutsche dankt“. Baki, so die Begründung der Wahl des obersten Richters (Schaikh-ul Islam) solle das Reich nicht mit salomonischen Urteilen, sondern mit seinen Gedichten bereichern. Dies tat er. Er wird heute „Sultan der Poeten“ genannt.

Goethe dichtete in muslimischer Tradition. Dies stellt keine Ketzerei im islamischen Selbstverständnis dar. Doch dies sind nur solche in der Lage zu fassen, die nicht dem „Anschein“, wie Baki sagt, erliegen. Es wird deutlich, dass wir auch nach 200 Jahren noch immer dem Anschein erliegen und nicht genügend über Goethes Beschäftigung mit Muhammed und seinem West-östlichen Diwan wissen. Die aufgezeigten Stellen aus Goethes Wirken sollten uns vor Augen führen, dass ein voreiliges Urteil und eine lediglich dem Zeitgeist dienende Darstellung, der wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Zum Abschluss ein Gedicht im Sinne muslimischer Tradition, eben die Tradition, welche Goethe nachahmte in seinem Diwan.

Farazi: Mein Dschihad

Zu trinken reinigt mir das Herz!

Lass dies nur keinen Salafisten wissen –

Haram sei es zu trinken und zu dichten!

Drum dichtet und drum trinkt Farazi

Mit der Absolution Imam Ghazalis!

Fort ist die Schwere, ist der Schmerz

Und leer und rein der Krug wie mein Gewissen!

Ich solle dies bereuen? Nein, mit mitnichten!

Auf in die Bar! Barkeeper! Schenke noch mehr ein!

Das Leben soll bei all dem Krieg erträglich sein!

Es fließt, es zischt, es schwappt, wer kreischt?

Ein Glas, das überläuft, was taugt‘s?

Erflehe nur ein größres Glas! Erheisch

Nur noch mehr Wein voll Fleiß, wer glaubt‘s,

Dass ich nun endlich weiß,

Was Sorgenbrecher heißt!

Der Wein befreit mir meinen Geist!

Ich will nun lebenslang nach einem streben:

Mit ganzer Müh und Kraft flehe ich nach Reben!

 

„Mit Wein bezwecken wir die Reinheit im Inneren des Kruges,

Die Meister des Anscheins sind unfähig unsern Wunsch zu fassen.“

– Bakî (mit dem Beinamen „Sultan der Poeten“ gewürdigt)