Abdullah Cakir hat den „Türkischen Catechismus“ wiederentdeckt

Ausgabe 231

(iz). Die Zivilisationen erfuhren beschleunigte Entwicklung durch das Erschließen von Zugängen und die Auseinandersetzung des geistigen Erbes anderer Kulturen und Sprachen. Aus der Geschichte wissen wir, dass die Römer vieles von den Griechen übersetzten beziehungsweise ihnen die griechische geistige Welt nicht unbekannt blieb. Ferner denken wir daran, dass die Muslime unter den Umayyaden schon anfingen, das antike geistige Erbe zu studieren und dieses weiter entwickelten.

Schließlich hatten die Europäer im Hochmittelalter und insbesondere während der Renaissance und erst Recht in der Neuzeit viele Werke aus dem Arabischen, Persischen, Hindu und Chinesischen übersetzt und sich mit den Inhalten beschäftigt, sodass jeder Kontakt Früchte trug und Folgen hatte. Hierbei muss erwähnt werden, dass innerhalb der europäischen Sprachen in der Neuzeit zahllose Übertragungen und Übersetzungen stattgefunden haben.

Es ist allgemein bekannt, dass aus dem Arabischen viele naturwissenschaftlichen und philosophischen Werke ins lateinische übersetzt wurden – schon vor der Neuzeit und der Aufklärung. Später dann auch Gedichtsammlungen und Geschichten wie „Tausendundeine Nacht“ und dergleichen. Es stellt sich die Frage: Gab es auch Übersetzungen der muslimischen Theologie in europäische Sprachen? Der edle Qu´ran wurde – ob gelungen oder nicht – annähernd korrekt übertragen. Verständnis, ohne jedwede Methodik und weitreichende Vorkenntnisse, war und ist nicht möglich.

Soweit bekannt, gab es bis zur Neuzeit und Aufklärung keine Übersetzungen, wenn es welche gab, sind diese nicht erhalten. Bruchstückhaftes war natürlich in den vielen Reiseberichten zu erfahren, aber auch in den Polemiken gegen Muslime. Die Menge der Falschinformationen, Polemiken und sogar Dämonisierungen überwog. Aus dem „Führer der Unschlüssigen“ des jüdischen Theologen Maimonides, welches in lateinische übersetzt war, konnten die Theologen und Philosophen so einiges über die islamische Theologie erfahren. Jedoch waren auch hier die Informationen unvollständig und an mehreren Stellen schlicht falsch.

Insgesamt war der Zugang zu einem befriedigenden Verständnis oder Kennenlernen nicht gegeben. Eine Ausnahme bildeten die Juden in Europa. Sie kannten vielmehr die Werke der Muslime, die sie auch ins Hebräische übersetzten. Dazu gehören einige theologische Werke von Imam Ghazali. Prof. Bekir Karliaga schrieb 2004 sein Buch „Islâm Düşüncesinin Batı Düşüncesine Etkileri“ (die Einflüsse des islamischen Denkens auf das europäische Denken) über diese Übertragungen in europäische Sprachen.

Auch Orientalisten wie Montgomery Watt, Dimitri Gutas und Fuad Sezgin sind in diesen Themen Experten. Richten wir unseren Blick nun auf Deutschland und auf die aufklärerische Neuzeit. In einem Buch Annemarie Schimmels las ich eines Tages in einer Fußnote über ein Buch namens „Türkischer Catechismus“ von Johann Traugott Plant aus dem Jahre 1792. Im Dienste Preußens wirkte Plant am Hof des Sultans in Istanbul und übersetzte das „Sherch-i Akaid“ des Imam Sadreddin Taftazani, das eine Erläuterung des Akaid-i Nasafi ist. Es bespricht ausführlich die islamischen Glaubenssätze und war eines der wichtigen Standardwerke an den Madrassen im ganzen Nahen Osten bis nach Indien.

Ich hatte diese Übersetzung von Plant mit viel Mühe auftreiben können. Es scheint wenige Exemplare davon zu geben und wurde – vermutlich – nie wieder publiziert. („Sherch-i Akaid“ wurde 1950 von Edgar Elders und dem Titel „A Commentary on the Creed of Islam: Sad al-Din al-Taftazani on the Creed of Najm al-Din al-Nasafi“ ins Englische übersetzt).

Plant war Zeitgenosse Goethes und von Goethe wissen wir, dass er eine große Affinität zum Islam hatte und sich damit viel beschäftigte. Zu jenen Zeiten hatte auch der Österreichische Botschafter Joseph Hammer von Purgstall, der viele Jahre in Istanbul wirkte, zahlreiche Bücher, Gedichte und Schriften aus dem Arabischen, Persischen und Türkischen übersetzt und das inspirierte Goethe schlussendlich zum „West-östlichen Diwan“.

Leider wurden seitdem sehr wenige Werke muslimischer Theologen, die systematisch Glaubenssätze, religiöse Handlungen und Moral- und Tugendlehre behandeln, übersetzt. Erst in den letzten Jahren hat sich die muslimische Publikation geregt und einige Originalwerke ins Deutsche übertragen. Diese und ältere Übersetzungen bilden dennoch nur einen kleinen Teil der „Islam-Literatur“. Heute dominieren immer noch Autoren das Islambild in der Medienlandschaft, die Journalisten, Missionare, Politikwissenschaftler oder Orientalisten sind. Die Stimmen und Werke der muslimischen Gelehrten gehen dabei unter.

Auf der Suche nach dem „Türkischen Catechismus der muhammedanischen Religion“ stieß ich auf ein „Katechistisches Journal“ aus jenen Jahren, das dieses Werk auch bespricht. Zuerst gibt der Autor – vermutlich ein christlicher Theologe – zu, dass die Übersetzung ein „wichtiges Werk“ sei, aber es dauert nicht lange, da regte sich auch schon der religiöse Zorn über die „vorteilhafte“ Darstellung des Islam und er gibt dem Verleger den Rat (Erster Jahrgang erster Heft, Göttingen,1793, S.478): „Inzwischen, da der Herausgeber so sehr vom Vorliebe für den türkischen Glauben eingenommen ist, so können wir ihm keinen besseren Rath geben, als daß er hingehe, sich beschneiden lasse, und ein echter Muselmann werde.“ Eine weitere Reaktion an anderer Stelle ist mir nicht bekannt. Was waren die Motive für den Übersetzer Johann Traugott Plant und C.H. Ziegler? Der Verfasser schreibt in seinem Vorbericht im Druck von 1790 (Genf, Istanbul) unter anderem : „Die bis jetzt herausgekommenen Lehrbücher über den Muhammedismus sind meistens bloß: mit Anmerkungen begleitete Auszüge aus dem Koran und andern profanen, oft unsichern Schriftstellern: und nicht türkische Originalwerke.“

Ferner betont er, dass Unparteilichkeit, Vernunft und Wahrheit „Mitarbeiter des Buches“ zu wählen seien und „…wem dies nicht gefalle der solle der verbrenne es! weil´s ihm nun wol nicht gelingen möchte, den Verfasser selbst, zum süssen Geruch, gut spanisch-christlich braten zu können: die Asche streue er sich auf sein Haupt und segne sich.“

Aufklärer zu jenen Zeiten hatten es nicht leicht. Vielleicht weil der Verleger ahnte, es könne Ärger geben, schrieb er am Schluss der Vorrede dem Christentum die überragende Stellung zu: „…die muhammedanische Religion habe viele Ähnlichkeit mit der christlichen, und verdiene nach ihr den ersten Rang.“

Im Druck von 1792 (Hamburg, Leipzig) wird als Übersetzer „C.H. Ziegler“ genannt und das Vorwort ist teilweise auch anders. Der Autor schrieb hier: „Die Muhammedanische Religion hat, leider! Bisher das ungünstige Schicksal gehabt, uns bloß durch fabricierte und fingierte Schriften widriggesinnter und noch übel unterrichteter Schriften bekannt zu werden.“

Im 2. Druck in der Vorrede fiel mir auf, dass auch der letzte Satz vom 1. Druck, wie oben angeführt, herausgenommen wurde und aber auch „spanisch-christliche braten“ wurde zu „portugiesischem braten“. Ob und welche Wirkung diese Übersetzung hatte, müsste man erforschen. Auf jeden Fall sollten die Muslime eine solch alte Übersetzung würdigen, indem sie die Fassung von 1792 und 1790 mit den unterschiedlichen Vorberichten re-publizieren, zusammen mit einer Neuübersetzung. Es wäre ein schönes Wiederbeleben eines seit ca. 230 Jahren nahezu unbekannten Werkes. Es gibt noch einige andere Bücher, von denen ich mir wünsche, dass sie wiederentdeckt werden. Dazu ein andermal.