Algerien: Die Proteste gehen weiter

Algier (dpa). Die Straße in Algier reagierte schnell. Kaum veröffentlichte die staatliche Nachrichtenagentur APS die schriftliche Erklärung des Präsidenten, nicht mehr für eine fünfte Amtszeit zu kandidieren, da waren die Menschen schon wieder unterwegs. Spontane Hupkonzerte gab es am Place Audin, wo noch vor einigen Tagen Zehntausende Menschen lauthals und friedlich protestierten.
Auch die ersten Demonstranten gingen noch am Abend mit Algerienflaggen wieder auf die Straße. In die Euphorie mischten sich schnell die ersten kritischen Töne, da reichte Premierminister Ahmed Ouyahia gerade bei Präsident Abdelaziz Bouteflika seinen Rücktritt ein. Und noch bevor der Präsident einen Nachfolger offiziell präsentieren konnte, veröffentlichte der Karikaturist Ali Dilem schon die passende Zeichnung: Ein schniefender Präsident im Rollstuhl, den Infusionsbeutel am Arm, die Wolldecke über den Knien: „Wenn ich nicht für eine fünfte Amtszeit kandidiere, bleibe ich in meiner vierten einfach zehn Jahre im Amt.”
In seiner Botschaft an die Nation hatte Bouteflika erklärt, nicht mehr für eine fünfte Amtszeit anzutreten. Er verstehe die Motivationen seines Volkes, hieß es, und so kündigte Bouteflika einen Wandel an: Eine Nationalkonferenz soll über Reformen beraten und eine neue Verfassung ausarbeiten, der bisherige Innenminister Noureddine Bedoui wurde mit einer Regierungsumbildung beauftragt – und per Dekret wurden die für den 18. April vorgesehenen Wahlen kurzerhand abgesagt.
„Es ist typisch für Algerien”, meint Politikprofessor Rachid Ouaissa, der an der Universität Marburg lehrt und selbst aus Algerien stammt. „Wie schon 1991/92, als das Parlament aufgelöst worden ist vor dem Bürgerkrieg, wird auch jetzt wieder die Verfassung gebrochen.” Eine eigenmächtige Verlängerung des Mandats sehe die algerische Verfassung nur für den Ausnahmezustand vor und der sei nicht ausgerufen worden.
„Aber es war ein kluger Schachzug, mit dem das Regime versucht, Zeit zu gewinnen”, ist sich Ouaissa sicher. „Der Wandel soll gelenkt werden.” Die Art und Weise hält der Politikwissenschaftler jedoch für absurd: „Der Präsident verspricht demokratische Reformen und bricht die Verfassung. Dabei standen noch 20 andere Kandidaten zur Wahl bereit.”
Vor etwa drei Wochen hatten die größten Massenproteste in der jüngeren Geschichte des Landes in Algerien begonnen. Zeitweise waren nach Schätzungen bis zu drei Millionen Menschen auf der Straße. Viele Algerier sehen in dem gesundheitlich schwer angeschlagenen Bouteflika nur noch die Marionette eines engen Machtzirkels von Militärs und Eliten. Die Menschen in Algerien haben ein Wort dafür: „Le Pouvoir” – „Die Macht”.
Nach Ansicht von Jean-Baptiste Meyer vom französischen Institut für Recherchen für Entwicklung (IRD) sind es vor allem die jungen Studenten, die den Protest tragen. „Die algerischen Studenten spielen eine Schlüsselrolle”, schrieb Meyer in einem Gastbeitrag für das algerische Medium TSA. 53 Prozent der Bevölkerung seien jünger als 30 Jahre. Die sozialen Entwicklungen hätten sich in den vergangenen Jahren verändert. Die Menschen seien gut ausgebildet, litten aber unter der schlechten Wirtschaftslage und hoher Arbeitslosigkeit.
Zudem, sagt Politikprofessor Ouaissa, sei die Korruption im Land unübersehbar: Ein Premierminister, der den gesamten Transportsektor des Landes kontrolliert, Vetternwirtschaft im engsten Machtzirkel Bouteflikas, Pariser Wohnungen für die Kinder von ehemaligen Beamten. „Als schwer kranker Mann dann nochmal zur Wahl anzutreten haben die meisten Algerier als Demütigung empfunden.”
Mit massiven Subventionsprogrammen hatte die Regierung um Bouteflika versucht, die Stimmung während der Umbrüche in der Region 2011 noch zu beruhigen. Algerien ist reich an Öl und Gas, die Europäische Union ist Algeriens wichtigster Handelspartner. Mit dem Verfall des Ölpreises stiegen aber für die Führung in Algier die Probleme, so dass das Land an die Reserven gehen musste.
Die Zukunft des Landes liege in den Händen neuer Generationen, hieß es in der Erklärung des Präsidenten. Die sieht sich aber dennoch nicht ernst genommen. „Er sollte zurücktreten und das Land der Jugend überlassen”, sagte ein junger Mann in Algier, der Ingenieur werden will. Am Tag nach der Erklärung gingen erneut Tausende junger Menschen auf die Straßen.