Ansichten von Adil Morrison

Ausgabe 202

(IZ/pte). Spätestens seit den Unruhen im Nahen Osten, angefangen mit den Protesten im Iran 2009, scheinen der Wirkung der sozialen Netzwerke im Internet, namentlich Facebook, keine Grenzen gesetzt zu sein. Die Entstehung und die Beliebtheit sozialer Netzwerkseiten wird als ein Erfolg des technologi­schen Zeitalters angesehen. Aber was sagt dieser Erfolg über die Welt aus, in der wir leben?

Zuerst müssen wir feststellen, dass die sozialen Netzwerke im Internet eine bleibende Erscheinung sind. Gestern war es Myspace, heute ist es Facebook. Beinahe 50 Prozent aller Online-Nutzer sollen diese Dienste nutzen. Die grundlegende Frage ist, was uns die Beliebtheit solcher Seiten sagen kann? Eine jüngste Studie aus den Vereinigten Staaten zeigt, dass die Zeit, die von Menschen auf solchen Webseiten verbracht wird, im Vergleich zum Vorjahr um 83 Prozent gestiegen ist. On den USA haben die Netzanwender ­beispielsweise im April 2009 14 Milliarden Minuten mit auf derartigen Webseiten verbracht.

„Soziale Netzwerke [im Internet] sind mehr als nur eine Modewelle unter der jüngeren Generation“, sagt Lynn Franco, Direktorin am Forschungszentrum für Konsumentenfor­schung. „Sie werden zu einem festen Bestand­teil unseres persönlichen wie beruflichen Lebens. Sie sind ein wirksames Mittel, um mit Menschen in Kontakt zu treten, Verbindun­gen zu Freunden und Familien aufzubauen und Netzwerke mit Kollegen.“

Facebook weiß, wer deine Freunde sind, wo du lebst, was dich interessiert, wo du deinen Urlaub verbringst und kennt die Gruppen beziehungsweise Netzwerke, denen du an­gehörst. An diesem Punkt wird das Problem offenkundig. Die Nutzer kennen oft nicht das Maß ihrer Verletzlichkeit, der sie sich in der Minute aussetzen, wenn sie sich bei ­solchen Netzwerken anmelden und damit beginnen, ihre persönlichen Informationen zu erneuern.

Dies ist nicht die einzige Sache, um die sich die Nutzer Sorgen machen müssen. Deutlich wurde dies, als sich vor Jahren unbekannte Hacker Zugang zu Facebook verschafften. Sie benutzten legitime Benutzerkonten, um andere User zu kontaktieren, die dann auf Webseiten mit bösartiger Software umgeleitet wurden. Greg Day, oberster Sicherheitsanalytiker für die Internet-Sicherheitsfirma McAfee sagte: „Als ich ein Kind war, kam die Gefahr von den ‘Fremden’, aber das soziale Networking dreht sich um das Finden von neuen Freunden. Die dunkle Seite davon ist, dass wir nicht mehr länger sicher sein können, ob eine elektronische Kommunikation von einem Freund stammt. Wir müssen die lustig klingenden Sachen, die wir von Leuten bekommen, mit dem gleichen Maß an Vorsicht behandeln, als kämen sie von Unbekannten.“

Tatsache ist, dass außerdem eine wachsende Zahl junger und älterer Menschen in einer virtuellen Welt ohne wirklichen menschlichen Austausch und zum Schaden realer menschlicher Beziehungen leben. Forscher am Annenberg-Zentrum für Digitale Zukunft der Universität von Südkalifornien berichteten, dass eine wachsende Menge von Menschen aussagten, dass ihre Nutzung des Internets, inklusive der sozialen Netzwerke, jene Zeit verkürzt, die sie mit ihrer Familie verbringen. Im letzten Jahr sollen dies immerhin 28 Prozent der Befragten gewesen sein. Die Erhebung dokumentiert auch, dass die Menge der Stunden, die monatlich im Kreis der Familie verbracht wurden, von durchschnittlichen 26 Stunden auf 17,9 gefallen seien. Studien in den USA und Großbritannien zeigten, dass Studenten, die Facebook nutzten, im Durchschnitt schlechtere Noten erhielten als jene Altersgenossen, die dies nicht taten.

Eine Studie der Universität San Diego vom August 2009 ergab, dass soziale Netzwerke narzisstische Charakterzüge fördern. Zu diesem Ergebnis kam die Befragung, die unter mehr als 1.000 College-Studenten durchgeführt wurde. 57 Prozent gaben an, dass die Personen in ihrer Altersgruppe Webseiten wie Facebook, Twitter oder MySpace vorwiegend für Selbstvermarktung, Narzissmus und Aufmerksamkeitssuche verwenden.

Die Wissenschafter wollen außerdem herausgefunden haben, dass die „Generation Y“ der nach 1980 Geborenen mehr Wert auf Selbstvermarktung, Narzissmus, erhöhtes Selbstbewusstsein und Aufmerksamkeitssuche legt.

Rolf Haubl, Direktor am Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt, erklärte hierzu, dass der Kampf um Aufmerksamkeit zugenommen hat: „Kinder und Jugendliche sind ­heute einer Reizüberflutung ausgesetzt, an der Medien natürlich einen großen Anteil haben. Sie müssen immer mehr dafür tun, um ­beachtet und anerkannt zu werden und geraten dadurch unter gesellschaftlichen Druck.“ Ein flexibler Charakter, der es gewohnt sei, „um Aufmerksamkeit und Anerkennung zu kämpfen, ist in der heutigen Arbeitswelt eher förderlich als hinderlich“, resümierte Haubl.

Können die Vorteile der virtuellen Welt, mit der beinahe alle von uns Umgang haben, die Nachteile ausgleichen? Ist die Möglichkeit neuer Geschäfte und Freundschaften bedeutsam genug, echte menschliche Beziehungen zu opfern?