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Auch die Lehre sollte sich zu Wort melden

Ausgabe 278

Foto: CLAIM

(iz). Nina Mühe ist Ethnologin und Projektmanagerin bei CLAIM, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, bundesweit Organisationen zu vernetzen, die sich mit dem Thema Islamophobie beschäftigen. Aus dieser Zusammenarbeit sollen Betroffene leichter Zugang zu Beratung und Lösungswegen finden sowie organisiert werden. Wir unterhielten uns mit Frau Mühe über das Projekt, die organisatorischen Aspekte und Herausforderungen mit Blick auf Politik und Gesellschaft.

Islamische Zeitung: Liebe Frau Mühe, Islamfeindlichkeit oder Islamophobie befinden sich spätestens seit 9/11 im Sprachgebrauch der Muslime. Und sie werden auch behandelt. Bisher gab es bei aber uns eine Diskrepanz zwischen der Debatte und entsprechenden Aktivitäten, wenn wir das Beispiel von CAIR in den USA nehmen. Ist CLAIM der Versuch, diese Lücke zu schließen?

Nina Mühe: CLAIM ist kein muslimisches Projekt. Es gibt Muslime, die bei uns arbeiten, sowie Nichtmuslime. Der Träger ist die Mutik GmbH, die von der Mercator Stiftung gefördert wird. Zusätzlich wird es vom Bundesministerium für Familie, Senioren und Frauen (BMFSFJ) unterstützt. Die Mittel kommen aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben“. CLAIM ist der Versuch, Islamfeindlichkeit gesellschaftlich aufzugreifen beziehungsweise sichtbarer zu machen sowie sie in verschiedene gesellschaftliche Bereiche und Debatten hineinzutragen. So haben wir das mit dem Tag gegen antimuslimischen Rassismus versucht.

Bei uns nehmen beispielsweise muslimische Projekte teil. Wir haben erst einmal versucht, festzustellen, wer bundesweit zu Islamfeindlichkeit arbeitet. Dabei geht es nicht darum, ob die Akteure Muslime, Nichtmuslime oder Ehrenamtler sind. Wir haben uns bemüht, einen Überblick über die Landschaft zu bekommen – wobei uns sicherlich noch einiges entgangen ist.

Zuerst haben wir uns zum Ziel gesetzt, die zum Thema arbeitenden Projekte zu vernetzen und so in ihrer Arbeit zu unterstützen. Es gibt solche, wie Inssan in Berlin oder FAIR International in Köln, die ausschließlich zum Thema arbeiten. Es gibt zusätzlich Antidiskriminierungs- und Bildungsprojekte, die sich auch hiermit beschäftigen sowie auch große Träger wie die Arbeitsgemeinschaft Evangelische Jugend AEJ in Deutschland, wo es auch Aktivitäten gegen Islamfeindlichkeit gibt. Wir haben alle mit ins Boot genommen, weil es dann doch nicht so viele sind.

Insofern es um muslimische Ansätze geht, fällt auf, dass es wenige sind. Es gibt ja auch bei „Demokratie leben“ einen großen Bereich für Islamfeindlichkeit. Der ist nicht so umfangreich wie die Radikalisierungsprävention, aber man kann auch hier Projekte nur zu diesem Thema beantragen. Muslimische Vereine sind noch nicht sehr stark in diesem Thema drin. Es gibt wenige Ansätze, die sich konkret damit beschäftigen.

Islamische Zeitung: Wollen Sie zukünftig stärker in der Bildungs- und Aufklärungsarbeit tätig sein oder beinhaltet CLAIM auch die Option für Lobbyarbeit sowie das Gespräch mit eher islamkritischen Akteuren einzugen?

Nina Mühe: Eher Letzteres. CLAIM ist ja kein Modellprojekt, sondern soll sich im Rahmen von „Demokratie leben“ ein bundeszentraler Träger werden. Es ist keine direkte Strukturförderung, aber auf dem Weg dahin. Das BMFSFJ fördert stellenweise Ansätze, die auf diesem Themenbereich bundesweite Aufgaben übernehmen sollen. Und CLAIM ist der Ansatz, dem bei der Islamophobie diese bundeszentrale Aufgabe zukommt. Wir selbst machen weniger direkt Bildungsprojekte. Wir haben aber Mitglieder in unserem Netzwerk, die das tun, und die dazu Unterstützung brauchen. Diese können wir auf einer koordinierenden Ebene geben, was den einzelnen Projekten nicht möglich ist.

Wir sehen uns aber eher als eine koordinierende Stelle. Sie versucht, die Themen zusammenzubringen, die den einzelnen Trägern wichtig sind und die sie nicht in ihrer eigenen Arbeitszeit leisten können. Hier besteht großer Bedarf. Ein Thema ist zum Beispiel die Frage der Sichtbarmachung von Islamfeindlichkeit und hier die Stimme zu erheben, wenn wieder einmal ein Politiker etwas sagt. So wie beim Tag gegen antimuslimischen Rassismus geht es uns nicht nur um reaktives Handeln. Wir wollen das Thema aktiv in die öffentliche Wahrnehmung tragen. Das ist den Einzelprojekten in ihrem Zeitrahmen nicht möglich.

Ein weiterer Punkt, der ebenfalls mit Lobbyarbeit zusammenhängt, ist fehlende Wahrnehmbarkeit von Antidiskriminierungsdaten. Das findet derzeit weder umfassend noch lokal statt. Seit Anfang 2017 werden von der Bundesregierung islamfeindliche Straftaten gesondert erhoben und dargestellt. Die Zahl der 1.075 Fälle macht nur einen Bruchteil dessen aus, was real stattfindet. Wir haben aber keine Aussagen zu Dunkelziffern und zu Diskriminierungsfällen. Denn nicht alle sind sofort strafrechtlich relevant. Bundesweit gibt es viele Projekte, die auch Antidiskriminierungsarbeit machen. Jedes hat seine einzelnen Fallzahlen, aber es gibt derzeit keine Chancen – beispielsweise, wenn ein Journalist fragt –, klare Aussagen zu machen. Bei diesem schwierigen und komplexen Thema wollen wir versuchen, so viel Fortschritt zu erzeugen, dass eine Sichtbarkeit der Diskriminierung ermöglicht wird. Dazu brauchen wir die ganzen Organisationen, die hier am besten zusammenarbeiten. Es ist unsere Aufgabe, eine Kooperation zu koordinieren.

Andererseits wollen wir versuchen, die erlangten Erkenntnisse an Politik und an Öffentlichkeit weiterzugeben.

Islamische Zeitung: Wer ist Ihr erhofftes Zielpublikum Ihrer Arbeit?

Nina Mühe: Eigentlich geht es uns um alle möglichen Segmente des Publikums. Zum einen zielen wir auf Projekte ab, die zu Islamfeindlichkeit arbeiten, und mittelbar auf die Betroffenen von Diskriminierung. Mit Kampagnen wie dem Tag gegen antimuslimischen Rassismus, dessen Koordinierung wir jetzt von RAMSA übernommen haben, möchten wir eine breitere Öffentlichkeit erreichen. Natürlich gehören politische Entscheidungsträger auch zu unserer Zielgruppe.

Islamische Zeitung: Gibt es eine Zeitvorstellung, ab wann CLAIM seinen vollen Arbeitsumfang erreicht haben wird?

Nina Mühe: Wir sind ja an das Programm „Demokratie leben“ gebunden, weil unsere Hauptförderung von dort kommt. Die momentane Phase endet 2019. Es gibt Projekte, die haben 2015 angefangen und sind auf fünf Jahre angelegt. Wir konnten erst Ende letzten Jahres beginnen und haben eine dementsprechend kürzere Zeit, in der wir uns auch als sichtbarer Träger aufstellen müssen. Wir machen viele Dinge parallel. So arbeiten wir jetzt noch an einer Publikation und bereiten für November eine Fachtagung vor. Wir möchten in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen erkennbar werden.

Unsere jetzige Zielmarke ist Ende 2019, wir hoffen aber auf eine Verlängerung ab 2020. Die bundeszentralen Träger sollen dauerhaft gefördert werden. Vor Kurzem wurde bekannt, dass „Demokratie leben“ weiterlaufen soll. In welcher Form wir weitergefördert werden, ist unklar, wir erhoffen für uns schon eine längerfristigere Perspektive. Wir müssen auch für die Organisationen möglichst viel leisten, damit denen auch klar wird, dass diese Art der Vernetzung für sie und die Zielgruppe einen Mehrwert ergibt.

Islamische Zeitung: Sie sprachen mehrfach von Förderung durch die öffentliche Hand. Nun unterliegen Sie ein Stück weit auch dem Wohlwollen von Politik. Wie würden Sie denn eine solche Arbeit weiterführen, sollte es eine andere politische Konstellation in Deutschland geben? Es hat stellenweise von Einzelnen Kritik gegeben, dass sich Projekte wie das Ihrige an den Staat wenden. Sind solche Befürchtungen für Sie komplett von der Hand zu weisen?

Nina Mühe: Prinzipiell ist es natürlich immer so, dass man in gewisser Weise vom Fördermittelgeber abhängig ist. Für uns ist es aber so, dass bei „Demokratie leben“, und momentan auch im Ministerium, eine große Unterstützung für unser Themenfeld herrscht. Von daher bekommen wir auch die nötige Unterstützung. Prinzipiell ist eine gewisse Abhängigkeit immer da. Allerdings heißt es auch im Ministerium, dass es an eine gewisse politische Neutralität gebunden ist. Die geförderten NGOs hingegen dürfen in einem gewissen Rahmen schon Positionen vertreten wie die Haltung zu einzelnen Parteien. Es gibt eine weitgehende Freiheit, sich so äußern zu können, wie man will.

Momentan ist das total positiv. Sollten sich die politischen Konstellation ändern, müsste man sich tatsächlich überlegen, sich auf andere Weise unabhängig zu machen sowie Förderung zu finden, die mehr Freiheiten gibt. Wir haben auch keine Probleme damit, dass wir durch die politische Abhängigkeit nur mit bestimmten Leuten arbeiten könnten. Hier gab es keine Einflussnahme, mit welchen Projekten wir zusammenarbeiten können oder was wir fördern. Das sind unsere Entscheidungen. Das Ministerium war bei unserer Pressekonferenz sowie dem ersten Vernetzungstreffen dabei, um zu zeigen, dass es tatsächlich hinter dem Thema steht.
Wenn es uns in den nächsten Jahren gelingt, die Relevanz der Islamfeindlichkeit nachzuweisen, dann ist die Frage nach zusätzlichen oder alternativen Förderungen vielleicht auch noch einmal einfacher.

Islamische Zeitung: Prinzipiell verfolgen Sie einen inklusiven Ansatz bei zukünftigen Partnern?

Nina Mühe: Wir haben erst einmal geschaut, was es bundesweit an Projekten gibt. Man kann aber nie alle kennen. Es mag Bundesländer geben, die man nicht so übersieht und in denen Projekte nicht so stark im Internet zu finden sind. Wir sind sehr offenen für Vernetzungen mit weiteren und freuen uns, wenn sich weitere dem anschließen. Langfristig möchten wir gerne auch mehr mit anderen Akteuren zusammenarbeiten, die über den engeren Kreis des Themas hinausgehen. Wir brauchen dafür eine breite gesellschaftliche Allianz.

Islamische Zeitung: Es ist ja nicht so, dass es nicht in allen politischen Parteien auch islamophobe Positionen oder Vertreter gäbe. Hegen Sie hier zukünftige Erwartungen an einen Austausch mit der Politik?

Nina Mühe: In unseren Projekten haben sich jene, die konkret zum Tag gegen antimuslimischen Rassismus arbeiten, noch einmal auf einer Webseite und dem Hashtag #keinplatzfürhass zusammengefasst. Dieser Hashtag wurde beispielsweise von Claudia Roth oder Cem Özdemir aufgegriffen. Es gibt auch PolitikerInnen, die schon erreichbar sind. Manche sind sowieso schon dafür empfänglich. Wir versuchen erst einmal, mit jenen anzufangen, die offener für uns sind. Wir wollen aber auch so bald wie möglich mit jenen ins Gespräch kommen, die vielleicht kritischer sind.

Islamische Zeitung: Gerade in den letzten Tagen eskaliert in Deutschland die Lagerbildung, die sich am Thema Flucht kristallisiert. Bisher tendieren Muslime dazu, diese nachvollziehen. Sie haben das Gefühl, sie seien in einem Lager besser aufgehoben als in dem anderen. Gehört es nicht auch zu einer erfolgreichen Antidiskriminierungsarbeit zu schauen, wo es Überschneidungen mit dem gibt, was man das konservative Lager nennen könnte?

Nina Mühe: Ich sehe schon, dass dies teilweise bereits geschieht. Es gibt ja Politikerinnen wie Cemile Gioussef mit einem muslimischen Bezug in der CDU. Das ist sicherlich in vielen Bereichen schwieriger als bei der Linken oder den Grünen. Ich denke auch, dass es in allen Parteien eine Spaltung gibt zu den Themen Islamfeindlichkeit, Muslime oder Integration muslimischer Strukturen in die Gesellschaft. Es gibt in allen Parteien Menschen und vielleicht auch Gruppen, die Muslimen und der Integration muslimsicher Strukturen in die Gesellschaft – Stichtwort Staatsverträge – offen eingestellt sind, die aber insbesondere gegen Islamfeindlichkeit und die Diskriminierung von Muslimen sind. Erfahrungsgemäß sind es zuerst einmal Politiker aus der Linken, die sich für das Thema – beispielsweise anhand des Tages gegen antimuslimischen Rassismus – von selbst stark machen. Aber wir müssen unser Anliegen breit bei allen Parteien vorbringen. Es ist wichtig, zu wissen, welche Personen und Kreise bereit wären, eine solche gesellschaftliche Allianz mitzutragen. Das können auch große kirchliche Träger oder andere einflussreiche Akteure sein, die wir hierzu miteinbinden wollen.

Islamische Zeitung: Gehen wir einmal vom 11. September 2001 als Wegscheide für islamfeindliche Diskurse aus, dann gibt es eine deutliche Vermischung der Themenkreise Islam/Muslime einerseits und andererseits Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Migration und Integration. Ist es für eine erfolgreiche Antidiskriminierungsarbeit nicht auch nötig, wo es möglich ist, sauberer zwischen den Phänomenen zu trennen?

Nina Mühe: Jein. Aus meiner momentanen Perspektive beschrieben würde ich sagen, dass es in Bezug auf Diskriminierung leicht unterschiedliche Blickrichtungen gibt. Wenn man spezifisch seinen Fokus auf antimuslimischen Rassismus legt, dann gibt es auch Menschen, die gar keine Muslime sind, die trotzdem unter Islamfeindlichkeit, unter dieser Form von Rassismus leiden. Beispielsweise sind es Christen aus Syrien oder Menschen, die gar nicht religiös sind, aber trotzdem aufgrund von antimuslimischem Rassismus diskriminierend behandelt werden. Hier findet eine Ethnisierung und Religionisierung von Personen statt, die gar nichts damit zu tun haben. Insofern ist es wichtig zu sagen, dass Religion in dem Bereich nur als Teil von Kultur gesehen wird. Als solcher wird sie auf rassistische Art und Weise Menschen zugeschrieben.

Die Begriffe werden alle identisch verwendet, obwohl es aus wissenschaftlicher Sicht anders gelagerte Blickrichtungen gibt. Es gibt Projekte bei uns, die eher von Islamfeindlichkeit sprechen, wenn eher die Religion diskriminiert wird. Wo es beispielsweise konkret darum geht, ob eine Frau mit Kopftuch unterrichten darf oder nicht. Hier ist antimuslimischer Rassismus nicht auszuschließen, da sich die Konzepte und Begriffe sehr stark überlappen. Es gibt auch Gründe dafür, warum wir Islamfeindlichkeit gegen Islam als Religion speziell in den Fokus nehmen sollten. Gerade in der links-antirassistischen Ausrichtung gibt es trotzdem oft eine starke Islamfeindlichkeit, die aus einer Distanz zu und Kritik an Religion stammt. Sie fokussiert sich speziell auf den Islam als besonders problematische Religion. Sie richtet sich besonders gegen Menschen, die als religiös auftreten. Es gibt ja sogar Menschen mit einem muslimischen Migrationshintergrund, die religionsfeindliche Bezüge gegen praktizierende Muslime haben.

Islamische Zeitung: Diese Rassifizierung findet ja nicht nur im antimuslimischen Diskurs statt, sondern auch im innermuslimischen. Auch Muslime blicken manchmal durch eine ethnische Brille. So wird der Erfahrungshorizont von Muslimen ohne Migrationserfahrung oder -hintergrund an den Rand gedrängt.

Nina Mühe: Ich habe versucht, diesen Aspekt vorher aufzugreifen. Es ist eine Frage der Tendenz, ob man antimuslimischen Rassismus betont oder Islamfeindlichkeit. Bei Letzterem sind auch Menschen inbegriffen, die keinen Migrationshintergrund haben beziehungsweise nur dann als Muslime wahrgenommen werden, wenn sie Kopftuch tragen oder bei der Arbeit beten wollen. Und dann eben auch in erster Linie anhand der religiösen Praxis diskriminiert werden.

In einer Antidiskriminierungsperspektive ist das Problematische daran, dass sich das nicht sauber trennen lässt. Denn in der Mehrheit der Fälle geht es hier um Fälle von Mehrfachdiskriminierungen. Eine arabische Frau mit Kopftuch wird eben aus verschiedenen Gründen diskriminiert – einmal als Frau, dann aufgrund ihrer Religion und schließlich wegen ihres ethnischen Hintergrunds. Diese Punkte verstärken sich gegenseitig und lassen sich aus einer Antidiskriminierungsperspektive nicht sauber trennen.

Dennoch finde ich es wichtig, die Diskriminierung aufgrund der Religion mit im Blick zu haben. Und eben auch Menschen, die seit Generationen deutsch-deutsch sind und die nicht rassistisch ausgegrenzt werden, wenn sie nicht praktizieren, auch mit ihm Blick zu haben. Es handelt sich um Rassismus, aber nicht ausschließlich auf ethnischen Zuschreibungen begründet, sondern hier handelt es sich eben auch um eine spezifisch antiislamische Religionsfeindlichkeit. Sie kommt bei vielen Akteuren zum Tragen, die sich vielleicht sonst nicht rassistisch äußern würden.

Islamische Zeitung: Manche Muslime blenden bei den Themen Rassismus oder Diskriminierungserfahrungen eigene blinde Flecken aus. Bisher dominieren immer noch Organisationsformen, die von einer ethnischen „Reinheit“ ausgehen, die es in der Mehrheitsgesellschaft so eigentlich nicht mehr gibt. Nicht nur in Deutschland machen Minderheiten – Sinti und Roma, Schwarze oder Konvertiten – Rassismuserfahrungen innerhalb der muslimischen Gemeinschaften. Kann man sich überhaupt erfolgreich gegen Rassismen wehren, wenn man sie nicht in den eigenen Reihen thematisiert?

Nina Mühe: Idealerweise sollte das Hand in Hand gehen. Je mehr man sich mit dem Thema befasst, desto mehr werden dann vielleicht auch andere Diskriminierungsformen Thema. Aus unserer Perspektive würde ich sagen, dass wir uns natürlich damit befassen, unabhängig davon, ob Muslime oder als Muslime Wahrgenommene selbst auch Täter von Diskriminierung sein können. Auf diesem Arbeitsgebiet geht es nicht darum, dass man sich nur für die einsetzt, die in keiner Form jemals diskriminiert haben. Dann wäre sie nicht möglich. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn Gruppen, die sich stärker mit Islamfeindlichkeit beschäftigen, mit ihrem Engagement eine stärkere Innenschau verbinden.

Islamische Zeitung: Es hat bisher im deutschsprachigen Raum kaum Wortmeldungen aus der islamischen Lehre zum vorliegenden Themenkomplex gegeben. Wäre es eine Bereicherung für Sie, würden muslimische Gelehrte das Thema aktiv aufgreifen?

Nina Mühe: Das würde einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das Thema stärker ins Bewusstsein zu rücken. Vor allem die Kenntnis davon unter Muslimen zu vergrößern. Sie wissen natürlich um Islamfeindlichkeit, da tagtäglich jemand ihr Opfer wird. Es fehlt aber ein Bewusstsein dafür, wie man mit ihr umgehen kann. Was mache ich denn, wenn ich islamfeindlich diskriminiert werde? Muss ich das immer hinnehmen? Kann ich mich dagegen wehren? Wenn ja, wie? Wo habe ich Unterstützungsmöglichkeiten? Und warum ist es wichtig, dass ich nicht fatalistisch sage, ein Handeln würde sowieso nichts bringen? Ich sollte meinen Fall irgendwo, beispielsweise bei Inssan, melden, damit er statistisch auftaucht. Damit können wir all die Fälle, von denen Muslime täglich in ihrem Umfeld hören, sichtbar machen. Ansonsten sind sie der Gesamtgesellschaft so nicht bewusst und auch nicht gewahr.

Das war der eine Grund. Der andere besteht darin, dass hiermit auch eine Art von Empowerment (Ermächtigung) verbunden ist. Wenn ich mir dessen bewusst bin, dass das, was mir geschieht, ein struktureller Rassismus in der Gesellschaft ist, projeziere ich das weniger stark auf mich persönlich und muss mich weniger verstecken oder unterordnen. Oft ist es ja so, dass von Diskriminierung Betroffene – beispielsweise wegen Kopftuch – sich in vielen Lebensbereichen eher zurückziehen werden. Oder sich nur in jenen Branchen und nur auf jene Stellen bewerben, wo sie davon ausgehen können, dass sie nicht diskriminiert werden. Oder Wohnungen nur in bestimmten Vierteln suchen, wo sie hoffen können, nicht ausgegrenzt zu werden. Hier findet ein Rückzug statt. Mit einem gestärkten Selbstbewusstsein aber und dem Wissen um die gesellschaftliche Dimension von Islamfeindlichkeit können die Betroffenen sagen: Das ist nicht mein Problem. Dann können sie sich Untersützung suchen, dem zu widerstehen.

Es gibt ganz viele wichtige Gründe, warum gerade muslimische Vereine, TheologInnen oder Gelehrte sich auf jeden Fall äußern sollten.

Islamische Zeitung: Liebe Frau Mühe, wir danken Ihnen für das Interview.