Auf einmal sind sie staatenlos in Indien

Ausgabe 280

Foto: Al Jazeera English, via flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0

(KNA/C.K. Ashiq). Menschenrechtsorganisationen beobachten mit Sorge eine Aberkennung der indischen Staatsbürgerschaft von vier Millionen Muslimen in Assam und ihre drohende Vertreibung nach Bangladesch. Assam hat 32 Millionen Einwohner, von denen eine beträchtliche Minderheit indigenen Völkern angehört. Religiös sind 62 Prozent der Bevölkerung Hindus. Nach dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir hat Assam den zweithöchsten muslimischen Bevölkerungsanteil aller indischen Bundesstaaten.
Assam wird von der hindu-nationalistischen Partei BJP regiert, die auch die Zentralregierung in Neu Delhi stellt. Die Hindu-Nationalisten streben ein Indien nur für Hindus an. Muslime als auch Christen gelten als „Fremdkörper“ und „Eindringlinge“. Indien hatte Anfang letzten Monats anhand eines vorläufigen Bürgerregisters vier Millionen Menschen im Bundesstaat Assam faktisch die Staatsbürgerschaft entzogen. Diese vorläufige Bürgerliste umfasst nur Einwohner, die vor Mitternacht des 24. März 1971 nachweislich in Assam gelebt haben.
Für die Erstellung der nötigen Volkszählung wurden 52.000 Beamte eingestellt. In der dreijährigen Aktion sollten die anerkannten Bürger von den Migranten und ihren Nachkommen aus Bangladesch unterschieden werden. Bereits während der britischen Herrschaft war das Gebiet eine Wegmarke von armen Menschen aus dem Osten Bengalens, die auf der Suche nach Arbeit waren. Später, als Assam unter britische Herrschaft geriet, brachten die Kolonialherren viele bengalische Siedler, die meisten von ihnen Muslime, als Siedler in das Gebiet des heutigen Bundesstaates.
Nach der Unabhängigkeit war die damalige Premierministerin Ghandi wesentlich für die Abspaltung Bangladeschs von Pakistan (1971) verantwortlich. Viele Menschen, die meisten Muslime, flohen aus dem vom Krieg zerrissenen Land und suchten bessere Bedingungen in Assam. Zu diesem Zeitpunkt stellten sie die Mehrheit in 6 von 27 Verwaltungsbezirken. Bis 1979 waren es neun Distrikte. Eine nationalistische Bewegung verlangte in Folge die Deportation der Einwanderer. In einem Vertrag mit der indischen Zentralregierung wurde ein Unterschied zwischen offiziellen Bürgern und Einwanderern zementiert.
2014 entscheid das oberste indische Gericht, dass in Assam eine Volkszählung durchgeführt werden müsse. Das entsprechende Bürgerrechtsgesetz in Indien wurde damit einhergehend erweitert. Nur derjenige gilt seitdem als indischer Bürger, wer auf dem Staatsgebiet zur Welt kam und dessen Eltern keine illegalen Einwanderer waren. Damit wurde sichergestellt, dass diejenigen, die ab 1971 aus Bangladesch nach Assam kamen sowie ihre Nachkommen keine Bürger sein können.
Der jüngste Prozess der Volkszählung und Unterscheidung zwischen Bürgern und „Illegalen“ wurde auf allen Ebenen (in Assam wie in Delhi) von der regierenden, national-hinduistischen BJP vorangetrieben. Diese ist berüchtigt für diskriminatorische Haltungen und Maßnahmen gegen Muslime und andere religiöse Gruppen. Die Scharfmacher der BJP haben den Vorgang umfangreich politisiert, um im Vorlauf zu den landesweiten Wahlen 2019 die lokalen Spannungen unter der hinduistischen Mehrheit anzufachen.
Auch wenn Menschen im ganzen Land wie die Chefministerin von Westbengalen, Mrs. Mamta Banarjee, sich für die ausgeschlossenen Menschen einsetzten und ihnen Aufnahme versprachen, wenn Assam sie ausweisen sollte, ist das leichter gesagt als getan. Die Betroffenen haben derzeit die Möglichkeit, ihr Anliegen bei „Ausländer-Tribunalen“ vorzutragen, wenn sie beweisen können, dass ihre Anwesenheit vor die Zeit von 1971 zurückreicht.
Indiens Regierung kündigte an, wer nicht auf der Bürgerliste stehe, werde als illegaler Ausländer eingestuft. Den Muslimen in Assam drohe Abschiebung oder Unterbringung in Lagern und damit ein ähnliches Schicksal wie den Rohingya in Myanmar, so die Menschenrechtler. Das Nachbarland Bangladesch hat eindeutig jede Möglichkeit ausgeschlossen, diese Menschen wieder in seinen Schoß aufzunehmen.
Die Betroffenen Menschen übrigens betrachten sich selbst als Inder, da sie in dem Land geboren wurden und dort seit drei oder vier zusammenhängenden Generationen leben. Außerdem haben sie aktiv am politischen ­Prozess des Landes teilgenommen. Indische Oppositionsparteien warnten die BJP davor, dass sie zugunsten kurzfristiger politischer Gewinne langfristige Probleme schaffen würde.