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Auch Muslime kennen den Blues

Ausgabe 213

„Ich bin die Wurzel und der Stamm. Ihnen bleiben Zweige und Blätter.“ (Der verstorbene Musiker Ali Farka Touré aus Mali)
(iz). Die seltene Gelegenheit nutzend, in Sachen Musik keine Rücksicht auf die Kinder nehmen zu müssen, legte ich eine CD des unvergleichlichen Otis Taylor ein. Inmitten des tief bewegenden Stückes „10 Million Slaves“ merkte meine Frau plötzlich an, dass ihr diese Art Musik seltsam bekannt vorkäme. Das Ganze klinge entfernt an Gnawa-Musik ihrer Geburtshei­mat, eine Tradition, die Schwarzafrikaner nach Marokko brachten, als das Sultanat seine Macht in Richtung Mali und afrikanischer Küste ausweitete.
So mancher Witzbold meint zwar, die Sachsen hätten den Blues erfunden, jene Musik, die Bilder des schwarzen Südens der USA und unterdrückten Menschen erzeugt. Es ist wahr, die Mundharmoni­ka kam aus den Musikwerkstätten des sächsischen Vogtlandes in die Neue Welt. Aber das war’s auch schon. Nicht, dass man nicht im Sachsen vor 1989 ausreichenden Grund für den Blues gehabt hätte.
Folgt man den Spuren dieser Musik in die Vergangenheit, gibt es mehr als lose Fäden, die einen von den Sklavenge­bieten des tiefen Südens, einer tristen Realität, in der die Menschen alle Lebensfreude brauchten, um ihre Sklaverei zu überstehen, nach Westafrika und über den arabischen Westen bis auf die arabische Halbinsel führen. Vom Klang, über die Art zu singen bis hin zu Instrumenten: Es gibt im amerikanischen Blues genug Parallelen zu den kulturellen ­Traditionen westafrikanischer Muslime, als dass man sie einfach so übersehen könnte.
Vor einigen Jahren produzierte die BBC mit Al Jazeera eine ­Dokumentation über den Islam in Amerika. Interessanter­weise findet sich darunter auch ein Segment, das den faszinierenden muslimischen Wurzeln gewidmet ist, die dieser einflussreichen Musiktradition zu eigen sind. Ein Viertel der, ab dem 17. Jahrhundert nach Nordamerika gebrachten Sklaven waren Muslime, die geheime Wege finden mussten, um ihren Islam zu bewahren. Der Bluesmusiker Abdul Rashid, der vor langer Zeit zum Islam fand, zeigt sich in dem Bericht überzeugt, dass sie dies auch durch Musik taten.
„Die Sklaven brachten die Musik nach Amerika. Man sagt, der Blues sei in Mississippi entstanden, aber das glaube ich nicht“, erklärt er gegenüber dem Fragesteller. Selbst in den Gesängen der schwar­zer Baptistengemeinden (die im 19. Jahrhundert gegründet wurden, nach­dem die Baptisten Sklaven ausschlossen) sei das islamische Erbe noch zu finden. Die dortige Art des Singens habe offenkundige Parallelen zum ‘Adhan, dem Gebetsruf. „Die tief angelegte Tradition der Schwarzen im Süden für das Singen war eines der Dinge, die mich zum Islam geführt haben.“ Überhaupt, der ganze Blues sei eine spirituelle Bewegung, an deren Ende als Abschluss der Islam stehe.
Auf muslimvoicesfestival.org findet sich eine kleine Tonspur, auf der ein Gebetsruf aus der Arabischen Halbinsel mit einem kurzen Bluesgesang verglichen werden. Dass dieser ähnliche Klang kein Zufall sein kann, glauben auch die Betreiber des International Museum of Muslim Cultures [die IZ berichtete in Ausga­be 107 & 167] in Jackson, Mississippi.
Viel mehr Muslime seien Sklaven gewesen, als man früher angenommen ha­be, sagte eine Mitarbeiterin. Man kön­ne von sehr vielen unglücklichen Menschen ausgehen, die über den Atlantik zum Frontdienst in den britischen Kolonien, und später in den USA verschleppt wurden.
Die Autorin Sylviane A. Diouf vom Schomburg Center for Research in Black History, erklärt das Eingangszitat von Touré: Der „Stamm“ ist die Sahelzone, jenes enorme muslimische Gebiet vom Senegal bis zum Sudan, wohingegen die „Zweige“ die Vereinigten Staaten seien. Die dort lebenden Menschen hätten seit dem 8. Jahrhundert mit den Arabern und Berbern Afrikas in Kontakt gestanden und der Islam habe sich unter ihnen seit dem 11. Jahrhundert ausgebreitet. Dabei sei es auch zu einem Kulturaustausch gekommen.
Die Menschen übernahmen bestehen­de arabisch-islamische Musikstile und „verwandelten sie in etwas, das ihnen vollkommen zugeeignet war. Zur gleichen Zeit sehr ähnlich, und doch sehr verschieden“, schreibt sie in einem erhellenden Aufsatz zum Thema. Die deportierten Afrikaner brachten diese Musik, Rhythmen und Instrumente aus Nordafrika nach Amerika, wo sie einen fruchtbaren Boden vorfanden. Die muslimischen Sklaven hätten ihre Musiktraditio­nen leichter bewahren können als andere. Den Geknechteten wurden Trommeln – aus Furcht vor der Verbreitung geheimer Botschaften – untersagt. Traditionellerweise benutzt die Musik aus dem Sahel Saiten- und Blasinstrumente, während die anderen an der Ausübung ihrer Musik behindert waren.
Nach Ansicht von Diouf habe sich der Blues nicht zufällig im „tiefen Süden“ entwickelt. Was die Traditionen des Sahels so anders mache als die Musik der Karibik oder des restlichen afrikanischen Raumes, sei die „Gegenwart arabisch-islamischer Stilelemente“. Diese fänden sich in den Techniken des Spiels, den Melodien und in der Art des Gesangs. „Selbst das ungeübte Ohr erkennt die Ähnlichkeiten zwischen Blues und der islamisch-beeinflussten Musik Westafrikas. Aber die Parallelen zwischen dem Blues und der Qur’an-Rezitation sind ebenfalls sehr stark. Und auch beim Ruf zum Gebet.“
Interessanterweise ist es auch ein deutscher Musikwissenschaftler, Professor Gerhard Kubik, der zu vergleichbaren Ergebnissen kommt. Kubik ist der An­sicht, dass viele der heutigen Blues-Sänger unbewusst diese arabisch-muslimischen Muster in ihrer Musik wiederholen. „Viele Eigenarten, die bisher als ungewöhnlich, fremdartig und nur schwer für frühere Musikwissenschaftler zu deuten waren, können jetzt besser als eine Verwandlung der arabisch-islamischen Stilelemente verstanden werden.“ Trompeter – und Muslim – Barry Danielian, so berichtet Autor Jonathan Curiel, „hat die Erfahrung gemacht, dass viele Nichtmuslime diese Verbindung selten nachvollziehen können“. Das liege aber daran, dass sie wenig über muslimische oder arabischer Musik wüssten.
Der atlantische Handel mit afrikanischen Sklaven führte dazu, dass mindes­tens 10 Millionen Menschen in die nordamerikanische Leibeigenschaft verkauft wurden. Ihr Schmerz und ihr Versuch, trotz allem menschlich zu bleiben, fand eine Form im Blues. Es entstand dabei ein urtümlicher Ausdruck, entgegen einer ständigen Tyrannei die innere Freiheit und Freude nicht ganz zu verlieren – ja, überhaupt am Leben zu bleiben.
Vielleicht kehrt diese Reise durch die Zeiten und Kontinente ja an ihren Ur­sprung zurück. Weiß Gott, es gibt in vielen Ländern der muslimischen Welt ein ausreichendes Bedürfnis nach einer le­bensbejahenden Freude, die das Herz vitalisiert.