Außerhalb des Systems – (geistiger) Stillstand auf PEGIDA-Kundgebung. Ein Augenzeugenbericht aus Dresden

Ausgabe 235

(iz). In Kälte ausharren. Kälte, die das Wetter mit sich bringt. Minusgrade, die am Leibe zehren, die Füße gefrieren lassen. Eine Kälte, die eine Freude ist in Anbetracht der frostigen Gesinnung, welche sich Woche für Woche in der Öffentlichkeit einer Landeshauptstadt artikuliert. Denn das Abendland schlägt zurück und „Dresden zeigt wie’s geht.“

Montag, ein Tag in der Woche der für vielerlei berüchtigt ist: Wochenstart, blau, schwarz, rosig, schwierigster Arbeitstag und Sturz einer Weltordnung. Das Gedächtnis an Montagsdemonstrationen, die ihren Beitrag zum Ende des bipolaren Systems der Welt beigetragen haben, sind gerade hier im kollektiven Bewusstsein. Symbolträchtig, wenn in Sachsen Versammlungen an eben diesen Montagen abgehalten werden, so dass allein die Ehrfurcht vor diesem Tag so mancher Person ein Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung suggeriert.

Im Folgenden soll es nicht um Fragen gehen, nicht um Interviews oder Zitate, nicht um Katastrophe oder Untergang, sondern um exemplarische Geisteshaltung, beobachtet und bewertet nach subjektiven Maßstäben.

Bei Betreten der Kundgebung eine ganz persönliche Begrüßung auf dem Gelände eines Skateparks: schallendes Gelächter und Hohn, nach einem Witz über die Abstinenz vieler Muslime vom Alkohol und kräftigen Schlucken aus der Bierflasche. Die Klientel, wie man gerne liest, ist genauso divergent, wie auf vielen Demonstrationen, in denen gesellschaftliche Belange adressiert werden. Studierende, Rentner, Kinder, Funktionsjacken, Mäntel, Hosen, Röcke, lange Haare, Glatzen unter Mützen. Und präsentiert wird ein geschlossenes Weltbild, außerhalb des Systems.

In Zeiten von unklaren Linien in so vielen Belangen des Lebens, lechzen Menschen nach eindeutigen Strukturen, Bildern und gelebtem Miteinander. Dafür dienlich sind Feindbilder und einfache Lösungen. Eine sich scheinbar täglich verkomplizierende Welt, die undurchsichtig und gefährlich ist, braucht für viele, die Halt suchen und Angst haben, eben simple und schnelle Antworten. Schon immer waren äußere und innere Feinde ein Garant für Einheit, gelebt wird das bei der Anhängerschaft der Pegida. Die eigentliche Divergenz innerhalb der Spaziergängerschaft äußert sich vor allem durch das unterschiedlich laute Applaudieren nach gewissen Äußerungen der Redner.

Wenn zum Beispiel eine Bürgermeisterin einer sächsischen Kleinstadt mit den Worten zitiert wird, dass aufgrund des Fehlverhaltens einzelner keine weiteren Flüchtlinge mehr aufgenommen werden, brechen fast alle Anwesenden zu einem Jubel aus, den deutsche Straßen seit der Fußball Weltmeisterschaft nicht mehr vernommen haben, abgesehen von den anderen Demonstrationen, die das Abendland erretten wollen, HoGeSa et cetera.

Diese Feindbilder sind eben jene Flüchtlinge, die „sowieso zu 95 Prozent Wirtschaftsflüchtlinge sind“, sowie Medien, mit denen man tunlichst keinen Kontakt haben solle, denn auf diesen „gleichgeschalteten Kanälen“ werden „Sätze verdreht“ und „Wahrheiten bewusst verschwiegen“. Weitere mittlerweile dezidierte Feindschaften bestehen selbstverständlich zum Islam und den Muslimen, welche als völlig fremd gelten. Das Wesen der Muslime wird subversiv mit gängigen islamophoben Klischees untermauert: Zwangsehe, Konversion, Ehrenmord, ISIS, Enthauptungen. Die etablierten Parteien gelten ebenso als Erzfeinde, korrumpiert und zusammenarbeitend mit den „linksfaschistischen Gutmenschen“, repräsentieren sie in der Denkweise auf dem Dresdner Lingnerplatz eben nicht das Volk.

Das Volk spielt hierbei eine enorme Rolle. In Anlehnung an den Slogan der Demonstrationen gegen die SED beruft sich die Masse auf die Zugehörigkeit zu einer Volksgemeinschaft. Und nur die Edelsten dieser Gemeinschaft stehen zusammen auf dieser Kundgebung, als eine Bewegung zum Schutze unser aller Identität. Auch deshalb werden Parolen gegen Flüchtlinge und Muslime mit lautstarkem Bekundungen des Sachverhaltes untermauert und wieder und wieder „Wir sind das Volk“ krakeelt, nur getrübt durch sporadische und leisere Forderungen von Einzelpersonen oder Gruppen getrübt, die „Abschieben!“ oder „Erschießen!“ ohne Widerspruch der Nebenleute rufen dürfen. Humanismus nur für Weiße, nur für Europäer. Immerhin darf ein stolzer Niederländer reden und auf gebrochenem Deutsch davon berichten, dass es mittlerweile kleine „Fast-Kalifate“ in holländischen Städten gibt. „Das Volk“ klatscht und hat Angst vor Stellvertreterkriegen in deutschen Städten, die nach Meinung der Pegida bereits existieren, von den Medien jedoch nur heruntergespielt werden.

Es handelt sich hierbei oft um Menschen, deren Segregation aus der Alltäglichkeit so weit vorangeschritten ist, dass sie in ihrem kleinen, subsummierten Weltbild Abläufe und Phänomene erklären. Dabei tangiert es in keiner Weise, was der Rest dazu zu sagen hat, ob dieser „Rassismus!“ ruft oder nicht. Vollkommene Skepsis gegenüber Journalisten, die bei ihrer Arbeit gehindert werden, während gleichzeitig immer wieder – nicht zu Unrecht – die Freiheit der Meinung eingefordert wird. Latente Abneigung gegen alles „etablierte“, bewusste Anknüpfung an die „Helden der Wende“ und die bittere Sorge davor, nochmals alles zu verlieren. Dieses Mal nicht an die Treuhand oder die Nachbarn, sondern an die gierigen und schmutzigen „Mohrenköpfe“ aus dem Morgenland, dem scheinbaren Antagonisten des angeblich hiesigen christlichen Abendlandes.