Auszug der neuen Ausgabe: Interview mit Ersin Özcan, Vorstandsvorsitzender des DITIB-Landesverbands Nordrhein-Westfalen zur Zukunft von Zentralvertretungen

„Das Agieren von muslimischen Vertretern reduziert sich immer mehr zu einem Selbstgespräche. In einer solchen Situation sprechen die Öffentlichkeit und die Politik immer weniger mit den Muslimen – sie führen immer mehr Zwiegespräche mit politischen Akteuren, die zunehmend nicht mehr die Muslime beim Staat vertreten, sondern den Staat mit seinen Erwartungen bei den Muslimen.“

(iz). Die Debatten rund um das Islamgesetz in Österreich haben in den letzten Wochen auch Muslime und Politik in Deutschland beschäftigt. Forderungen nach einem ähnlichen Gesetz wurden auch hier laut. Ersin Özcan, Vorstandsvorsitzenden des DITIB-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, unterstrich in einem langen Interview, was in der nächsten Ausgabe der Islamischen Zeitung in voller Länge zu lesen sein wird, dass das Islamgesetz von einem implizierten Vorwurf der Untauglichkeit und der Illoyalität geprägt sei.

„Letztlich erscheint mir das Islamgesetz als eine Art staatliche Obhut über Muslime und es manifestiert sich eine Haltung, in welcher der Staat bestimmt, wer ein guter Muslim ist“, so Özcan. Die befürwortenden Stimmen aus der Politik sind ihm ein Rätsel, erst recht die muslimischen, die solche Verbote oder Eingriffe fordern. „Ich glaube für Kirchen oder jüdische Gemeinden würde niemand aus der Politik so etwas fordern. Und schon gar nicht würden die Vertreter dieser Religionsgemeinschaften so etwas begrüßen“, sagte der NRW-Landeschef des größten Moscheeverbunds in Deutschland.

„Import-Imame“
Ersin Özcan geht im Interview auch auf die Problematik der so genannten Import-Imame im Kontext dieser Diskussionen ein. Die Muslime seien in der Lage, selbst entscheiden zu können, woran sie glauben, wie sie glauben und mit welchen Mitteln und mit welchem Personal sie ihren Glauben leben wollen. „So zu tun, als seien die Muslime nicht fähig zu erkennen, welcher Imam gut für sie ist, erscheint mir ziemlich paternalistisch“, betonte Özcan.

Dem Vorwurf, DITIB stehe unter Kontrolle Ankaras, geht Özcan aus dem Weg. Das seien „Nebelbombe“, in deren Schwaden all jene sich aus dem Staub machen würden, die in der Sache eine nachhaltige Debatte scheuten. „Ein solcher Auslandsbezug ist rechtlich wie tatsächlich bei anderen Religionsgemeinschaften, wie der Anglikanischen Kirche oder der Katholischen Kirche kein Problem“, so der DITIB-Vertreter. Man sollte auf das hören, was DITIB in Deutschland sage und die Inhalte wahrnehmen, um die es gehe. „Da spricht nicht die türkische Politik, da sprechen wir als Muslime in Deutschland über das, was uns hier wichtig ist“, so Özcan.

Der eigentlich kritische Punkt seien allerdings andere Entwicklungen innerhalb der muslimischen Community in Deutschland. Hierzulande würden wir eine zunehmende Veränderung des muslimischen Selbstverständnisses erleben. Özcan: „Muslimische Akteure scheinen immer mehr darum bemüht, zu gefallen, statt die Frage nach theologischer Wahrhaftigkeit zu stellen. Das mag als Geschäftsmodell für Partikularinteressen nützlich sein, für die muslimische Selbstfindung und den Erhalt einer an Lehraussagen orientierten, selbstgewissen religiösen Identität ist eine solche Entwicklung verheerend.“

Im Gespräch geht Özcan auch auf die jüngsten Diskussion über den Koordinationsrat der Muslime (KRM) ein. Politik und Öffentlichkeit habe jahrelang nach dem einen institutionellen Vertreter geschielt. Özcan sieht in einer zentralistischen Struktur Gefahren. Sie könne zu einer Art „Bischofskonferenz für Muslime“ mutieren. Durch diese Zentralisierung der muslimischen Selbstorganisation werde zudem nicht die ganze Vielfalt des muslimischen Lebens vertreten oder auch nur artikuliert. „Vielmehr hängt das, was die Muslime vermeintlich denken, wollen und tun von den Aussagen und Handlungen weniger Funktionäre ab, die im schlimmsten Fall nicht einmal eine gemeindliche Basis haben, bei der sie sich rechtfertigen müssten.“

Die Frage sei, betont Özcan, wie ein ernsthafter Austausch über islamische Grundfragen stattfinden könne. Eine weitere Zentralisierung sei diesem Austausch in keiner Weise dienlich. Er beobachtet eine Isolation der Funktionärseben von der muslimischen Basis. „Das Agieren von muslimischen Vertretern reduziert sich immer mehr zu einem Selbstgespräche. In einer solchen Situation sprechen die Öffentlichkeit und die Politik immer weniger mit den Muslimen – sie führen immer mehr Zwiegespräche mit politischen Akteuren, die zunehmend nicht mehr die Muslime beim Staat vertreten, sondern den Staat mit seinen Erwartungen bei den Muslimen.“

Mit einem solchen Modell werde man auf beiden Seiten nicht ernst genommen – weder bei der Basis, noch bei der Politik. Es führe kein Weg an einem wahrhaftigen und nachhaltigen innermuslimischen Austausch vorbei. Özcan würde ein Diskussionsforum für islamische Religionsgemeinschaften anstreben wollen, bei dem nicht mehr der Anspruch auf zentrale Vertretung im Vordergrund steht, sondern der Wunsch nach einer inhaltlichen Debatte.

Dieses Gremium sollte auch ergänzt werden durch Austauschforen mit Muslimen außerhalb der Verbände. „Da ist viel Potenzial, dass innerhalb der Verbände nicht genutzt wird“, folgert Özcan.

Das vollständige Interview wird in der nächsten Ausgabe der Islamischen Zeitung zu lesen sein.

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