Beamtenperspektive: Die Bundespolizei muss steigende Flüchtlingszahlen bewältigen. Von Christian Wölfel

Ausgabe 243

(KNA). 500 Flüchtlinge werden derzeit jeden Tag in Ostbayern aufgegriffen. Die Bundespolizei hat nun in Deggendorf eine sogenannte Bearbeitungsstraße eingerichtet, um die Asylsuchenden zu registrieren.

Es ist ein Spalier aus Flüchtlingen, durch das Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) geht, als er die Turnhalle auf dem Gelände der Bundespolizei in Deggendorf betritt. Seit Wochen wird hier schon kein Sport mehr betrieben. Stattdessen liegen Matratzen in Reih und Glied. Darauf teils völlig erschöpfte Menschen.

Ein Bundespolizist verteilt weiße Plastiktüten mit Essen, stellt sie neben Schlafende. Das Matratzenlager unterstreicht eindrucksvoll, was der Minister später sagen wird: Deutlich mehr als 450.000 Asylbewerber werden in diesem Jahr nach Deutschland kommen. Die neue Prognose wird gerade erstellt.

Die Flüchtlinge in Deggendorf sind die Menschen hinter den Zahlen. Sie belegen jene Aussage des Ministers, dass vor allem über die Balkan-Route, also über Griechenland und dann weiter Bulgarien, Serbien und Ungarn, viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Und zwar aus den Kriegsgebieten, die oft die Abendnachrichten bestimmen: Syrien, Afghanistan, Irak. Nahezu niemand vom Balkan. 500 Menschen greifen Polizisten Tag für Tag rund um das niederbayerische Passau auf, teils direkt auf den Standstreifen der Autobahn. Die Warnungen vor Menschen auf der A3 sind Alltag in den bayerischen Verkehrsnachrichten geworden. De Maiziere machte sich nun ein Bild von der Lage in Niederbayern.

300 Beamte sind jeden Tag im Zwei-Schicht-Betrieb von sechs Uhr morgens bis halb eins in der Nacht in Deggendorf im Einsatz, derzeit eine Hundertschaft aus Duderstadt in Niedersachsen. Sie registrieren die Menschen, machen Fingerabdrücke und Fotos, mit Hilfe von Dolmetschern werden die Lebensläufe erfasst. Das alles dient auch einer möglichen Strafanzeige wegen unerlaubter Einreise. Die Datensätze sind in ganz Deutschland abrufbar.

Das ist der formale Akt. Dahinter steht die menschliche Seite, die die Beamten rund um den Ministerbesuch stark betonen. So sei es bisher ohne Zwang gelungen, die Menschen davon zu überzeugen, sich auszuziehen und dann durchsuchen zu lassen, berichtet Kai Seeger, der die Hundertschaft aus Duderstadt führt. Es gehe alles über Kommunikation. „Wir fühlen uns verantwortlich für die Flüchtlinge.“ Stolz sei er auf seine Beamten. Es bleibe immer noch Zeit, Schutzhandschuhe als Luftballons für die Kinder aufzublasen und ein Gesicht darauf zu malen.

Der Minister zollt den Beamten Respekt für ihre Arbeit, nachdem er ohne Presse die Bearbeitungsstraße besucht und auch mit Flüchtlingen gesprochen hatte. In einem Atemzug verurteilt de Maiziere dann auch Anschläge auf Flüchtlingsheime als „empörend“. Ansonsten geht es ihm um weitere Maßnahmen, etwa Hotspots in Griechenland und Italien, von denen aus dann sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge abgewiesen, Schutzbedürftige in andere EU-Länder weiterverteilt werden.

Doch de Maiziere weiß auch: Das System stößt an seine Grenzen. Und wenn Beamte aus anderen Ländern in Bayern aushelfen, werden woanders Lücken gerissen. Bernd Jäckel vom Bundespolizeirevier Passau verweist auf die nun wieder begonnene Fußball­sai­son. Da könne es durchaus sein, dass sich die Beamten nach dem Einsatz in der Bearbeitungsstraße eine Woche später bei einem Fußballspiel wiederfänden.

Die Arbeit in Deggendorf sei für seine Kollegen jedoch „auf jeden Fall sinnvoller, als wenn sie in einem mit Fans voll besetzten Eisenbahnzug sitzen“, sagt Jäckel. Und er berichtet von den Vernehmungen, bei denen er die Geschichte der Flucht von den Menschen hört. „Das ist schon schlimmes Leid. Tauschen will ich mit keinem.“