Bemühungen um ein korrektes Bild

Ausgabe 265

Foto: Michal Osmenda, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 2.0

„In der gesamten Geschichte der Menschheit findet sich keine andere Persönlichkeit neben Muhammad Al-Mustafa, deren jede einzelne, spezifische Charaktereigenschaft so viel Interesse erfahren hat und von der jedes kleinste Detail der Lebensführung mit derartiger Genauigkeit aufgezeichnet wurde.“ Schaikh Osman Nuri Topbas
(iz). Noch im 19. und 20. Jahrhundert ging die überwiegende Mehrheit der Orientalisten unnachgiebig  davon aus, die Hadithe (Überlieferungen des Propheten) seien nicht als authentisches Quellenmaterial zu klassifizieren. Sicherlich waren hierzu die Bestrebungen und Haltungen von Josef Schacht (gest. 1969) und Ignaz Goldziher (gest. 1921) ausschlaggebend. Danach seien Hadithe im Grunde genommen als nichts weiter als Informationsquellen der poltischen und gesellschaftlichen Hintergründe des aufstrebenden 8. und 9. Jahrhunderts zu betrachten. Nach Goldziher war es damit kategorisch ausgeschlossen, schriftliche Aufzeichnungen der Hadithe bis auf die Zeit des Propheten zu rekonstruieren.
In Diskrepanz dazu ist der Stellenwert der Überlieferung, die mittels der Hadithe tradiert wurde, eine nicht zu ersetzende Grundlage, insbesondere was die praktische Ausübung der Gottesdienste im Islam betrifft. Die Sunna des Propheten enthält entsprechend dieser Relation eine normative Funktion, wie es unter anderem anhand der Verrichtung des Gebets veranschaulicht werden kann. Der Qur’an gibt keine konkreten Anweisungen, aus wie vielen Gebetsabschnitten (Raka’at) zum Beispiel ein Ritualgebet zu praktizieren ist. Um den normativen Charakter eines Hadiths in diesem Zusammenhang zu unterstreichen, sei der Ausspruch von Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, von grundlegender Bedeutung: „Betet so, wie ihr mich beten gesehen habt.“
Insofern schien es keineswegs befremdlich, wenn namhafte Prophetengefährten bereits in der Frühzeit damit anfingen, Aussprüche und Taten des Gesandten Gottes aus Sorge um den Erhalt der Praxis aufzuzeichnen. Allerdings bekunden die Primärquellen auch, dass gerade in der Anfangsperiode der Prophet die Verschriftlichung der Überlieferungen vorerst aus gewissen Gründen verboten hatte. Der islamische Gelehrte und Historiker Al-Khatib Al-Baghdadi (gest. 1071) erläutert übereinstimmend den historischen Kontext wie folgt: „Die Abneigung gegenüber der Verschriftlichung zu Beginn der Zeit der ersten Generation beruhte darauf, nichts der Schrift Allahs gleichzustellen beziehungsweise, damit man nicht durch die Beschäftigung mit etwas Anderem vom Qur´an abgelenkt wird.“
Dennoch umfasste dieses Verbot nicht alle Gefährten. Anderen Berichten zufolge erlaubte Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, die Niederschrift der Hadithe, wie sie aus den einschlägigen Überlieferungen hervorgeht: „Einer von den Ansar aus Medina suchte eines Tages Muhammad auf, um ihm zu sagen: ‘Mein Gedächtnis ist schlecht, und du sagst ständig Dinge, die man in Erinnerung behalten sollte. Ich weiß nicht, was tun? Der Prophet erwiderte ihm: Bediene dich deiner rechten Hand’.“
Des Weiteren wird dazu überliefert: „Ein junger Mekkaner, Abdallah ibn Amr ibn Al-‘As, berichtet uns: Der Prophet gab mir die Erlaubnis, alles von seinen Worten aufzuschreiben, was ich wollte; das erstaunte mich, und wir hatten folgendes Gespräch: ‘Kann ich alles aufschreiben, was ich dich sagen höre?’ – ‘Aber Ja!’ – ‘Ohne Unterschied, ob du zufrieden oder verärgert bist?’ – ‘Aber natürlich, denn ich (Muhammad) sage nur die Wahrheit, in welcher Gemütsverfassung ich auch sein mag!’“
Außerdem ermutigte Allah in Seinem Buch selbst dazu, den Gesandten Gottes und dessen Lebensweise als ein herausragendes Vorbild hinzunehmen: „Gehorcht Allah und Seinem Gesandten.“ (Al-Anfal, 46) Des Weiteren wurden die Gläubigen aufgefordert: „Wenn ihr Allah liebt, dann folgt mir.“ (Al-Imran, 31) Und noch konkreter heißt es dazu: „Tatsache ist, ihr habt im Gesandten Gottes ein schönes Beispiel, für den, der auf Allah und das Jenseits hoffte und viel an Allah dachte.“ (Al-Azhab, 21)
Schließlich unterstreicht auch der ­Islamwissenschaftler Prof. Ulrich Rudolph, dass parallel zu den Aufzeichnungen der Hadithe auch andere authentische Dokumente aus jener Zeit bis heute erhalten geblieben sind. Dies betrifft vor allem das Sendschreiben von Abu Hanifa (gest. 767) an Uthman Al-Batti, welches übereinstimmend als authentisches Dokument gilt.
Historiker und Hadithgelehrte glauben, dass erst durch die Intention des ’umaijadischen Kalifen Umar ibn ’Abd Al-’Aziz (717-720) die Niederschrift der Hadithe erstmalig erfolgte. Umar beauftragte seinen engen Statthalter Abu Bakr ibn ’Amr ibn Hazm (gest. 737) von Medina damit, alle im Umlauf befindlichen Überlieferungen niederzuschreiben, da mit fortgeschrittener Zeit zu befürchten war, dass nach dem Ableben der Hadithgelehrten die Überlieferungen allein anhand ihrer Bewahrung in deren Gedächtnissen mit ihrem Ableben ein für alle Mal verloren gehen würden. Gleichzeitig ermahnte der Kalif seinen Statthalter eindringlich auf: „Achte bei der Niederschrift explizit darauf, dass Du ausschließlich die Hadithe vom Propheten niederschreibst!“
Heute besteht kein Zweifel daran, in der Person az-Zuhri (gest. 742) den Ersten anzusehen, der die Hadithe mit Isnad (Überliefererkette) versehen hatte. Tatsächlich erachteten die Hadithgelehrten den Isnad als das wichtigste Kriterium, um präventiv gegen jegliche Hadith-Fälschungen anzugehen. Abdullah ibn Al-Mubarak (gest. 797) bemerkte bereits in der Frühzeit den enormen Wert und die Notwendigkeit des Isnad: „Der Isnad ist ein Teil der Religion. Gäbe es den Isnad nicht, könnte jeder sagen, was er wollte.“ Der Isnad könnte durchaus als die „Fußnote“ der Moderne charakterisiert werden, die unter anderem so dargestellt werden kann: Al-Bukhari hörte es von X, dieser es von Y, und Y es wiederum von Z, der ein Augenzeuge des Ereignisses war.
Folglich können die ältesten Hadithkompilationen der Ahl-As-Sunna wa’l-Dschama’a, die unablässig bis zur Gegenwart tradiert wurden, folgendermaßen aufgelistet werden: Malik ibn Anas (gest. 795) – Al-Muwatta; Abdurrazzaq ibn Hammam (gest. 829) – Al-Musannaf; Ahmad ibn Hanbal (gest. 855) – Al-Musnad; Ad-Darimi (gest. 868) – Sunnan Darimi; Al-Bukhari (gest. 870) – Al-Dschami’ As-Sahih; Imam Muslim (gest. 875) – Al-Dschami’ As-Sahih; Ibn Madscha (gest. 886) – Sunan ibn Madscha; Abu Dawud (gest. 888) – Kitab As-Sunan und At-Tirmidhi (ges. 892) – Dschami’ At-Tirmidhi.
Darüber hinaus ist uns eine noch ältere schriftliche Aufzeichnung erhalten geblieben, die auf den Schüler von Abu Huraira (gest. 678) zurückgeht. Die Rede ist von Hammam ibn Munabbih (gest. 719) und dessen Werk „As-Sahifah Sahihah“ (das makellose Schriftblatt), worunter 138 Berichte direkt von Abu Huraira ausgewählt und diktiert wurden. Dieses Werk verdeutlicht in aller Regel den Beweis dafür, dass unmittelbare Niederschriften der Hadithe bereits in der ersten Generation der Muslime stattfanden.
Jedoch konnten nicht alle Hadith-Fälschungen entlarvt werden, weil in nicht wenigen Fällen fromme beziehungsweise politische oder theologische Richtungen diverse Überlieferungen als Instrumentarium für ihre eigene Sichtweise zu favorisieren suchten. Um präventiv gegen vermeintliche Fälschungen vorzugehen, wurden insbesondere zwei verschiedene Kategorien entwickelt, bei deren Beachtung die Richtigkeit einer Überlieferung zu erschließen war: der Inhalt (arab. matn) und der Isnad (Überliefererkette).
Zusätzlich gelten allgemein folgende Kriterien, um einen authentischen Hadith zu „beglaubigen“: Keinesfalls darf es dem Buch Allahs widersprechen. Noch darf es der Vernunft widersprechen. Es darf keine abwegigen Ausdrücke enthalten, welche unmöglich – entgegen den ethischen Prinzipien – auf das Leben des Propheten zurückzuführen sind.
In der Tat wurde in der Geschichte der Spätantike über keine Persönlichkeit so ausführlich und umfangreich berichtet, wie über den Propheten des Islam. Schaikh Osman Nuri Topbas merkt deshalb zu Recht an: „In der gesamten Geschichte der Menschheit findet sich keine andere Persönlichkeit neben Muhammad Al-Mustafa, deren jede einzelne, spezifische Charaktereigenschaft so viel Interesse erfahren hat und von der jedes kleinste Detail der Lebensführung mit derartiger Genauigkeit aufgezeichnet wurde.“