Berlin: Zur Klage der Muslimischen Jugend in Deutschland

Ausgabe 201

Das Berliner Verwaltungsgericht hat der Muslimischen Jugend in Deutschland e.V. in einer Klage gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz zum größten Teil Recht gegeben. Die Richter erin­nerten an wichtige Grundsätze.

(IZ/MJD). „Eigentlich erfüllen die bundesweit rund 9.000 Mitglieder der MJD alles, was die Mehrheitsgesellschaft von Muslimen verlangt: Sie sprechen perfekt Deutsch, die meisten gehen aufs Gymnasium oder zur Universität, sie nehmen aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. Die 1994 gegründete MJD wendet sich ausdrücklich gegen Gewalt und radikales Gedankengut.“ (Jan Kuhlmann, Stuttgarter Zeitung, 17.2.) Das Berliner Verwaltungsgericht entschied in einem wegweisenden Verfahren zum größten Teil zu Gunsten der Muslimischen Jugend in Deutschland e.V. (MJD), die sich in dieser Instanz gegen das Bundes­amt für Verfassungsschutz durchsetzen konnte, hieß in einer Pressemitteilung der MJD vom 16.2.2012. „Die MJD begrüßt die Entscheidung des Verwaltungs­gerichts Berlin vom 16.02.2012, welches feststellt, dass die Vorwürfe des Bundes­amtes für Verfassungsschutz gegen die MJD zu großen Teilen rechtswidrig sind. Das Gericht ordnete eine Überarbeitung der Berichterstattung aus dem Jahr 2009 an.“

Die Richter hätten „bei allen ­Punkten klar gestellt“, dass sich das Bundesamt für Verfassungsschutz bei einer Berichterstattung auf belegbare Tatsachen stützen müsse. Diese Mindestanforderung wurde in den besagten Punkten nicht erfüllt. Dadurch sieht das Gericht die Rechte der MJD als verletzt und somit das Klagebegehren als begründet an. „Wir begrüßen die Entscheidung des Gerichts und fühlen uns dadurch bestätigt, mit der Erhebung einer Klage einen richtigen Schritt gegangen zu sein. Die überwiegend positive Entscheidung des Gerichts zeigt, dass wir als religiöse Minderheit weiterhin Vertrauen in unser Rechtssystem haben dürfen“, äußerte sich Hischam Abu Ola, Vorsitzender der MJD e.V.

Es mache fassungslos, dass die Verfas­sungsschutzämter einerseits bei einer um Integration bemühten muslimischen Jugendorganisation mit Akribie nach Vorlagen für denunziatorische ­Erwähnungen suchen würden, auf der anderen Seite jedoch gewalttätige Rechtsextremisten über Jahre nur unzureichend ins Visier genommen hätten.

Das Berliner Urteil ist eine relevante Entscheidung, weil es die oft benutzte Gleichsetzung von radikalem Gedankengut mit einer religiös-konservativen, aber rechtstreuen Grundhaltung als nicht rechtmäßig eingestuft hat. Es muss auch in Deutschland möglich sein, mit einer inneren religiösen Intensität als unverdächtiger Bürger zu gelten.

Gerade auch im Lichte des ­Naziterror-Debakels der letzten Monate sollte die Debatte über die Zukunft der Dienste, die keine Verfassungsorgane sind (darauf wie Heribert Prantl, führender Kommen­tator bei der „Süddeutschen“, wenige Tage vor dem Urteil hin), geführt werden. Es kann nicht sein, dass in Deutschland, im Islam konsensfähige Ansichten stigmati­siert und oft denunziert werden, die im europäischen Kontext – wie in Großbri­tannien – kein Problem sind.

Es sollte gefragt werden dürfen, ob jene Experten, die auf die Beobachtung von Muslimen und ihren Organisationen ­spezialisiert sind, vorrangig eine Beobach­terrolle haben. Oder werden sie durch ausgrenzende Definitionen selbst zu handelnden Akteuren und nehmen somit die Entscheidungen der politischen Gremien vorweg?