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Kommentar: Todenhöfers „Inside IS"

Screenshot: phoenix.de

(IZ). Der Vorwurf der Selbstinszenierung lässt bei Jürgen Todenhöfer nicht lange auf sich warten. Seit einigen Jahren ist er eine Art Star. Hunderttausende folgen seiner Homepage und Facebook-Seite, ebenso viele Bücher setzt er ab. Vor allem bei jungen Muslimen steht er hoch im Kurs.
In seinem neuen Dokumentarfilm „Inside IS“ gibt er Freunden und Gegnern neuen Stoff, je nachdem aus welchem Blickwinkel man ihn betrachten möchte. Ende 2014 reiste Jürgen Todenhöfer gemeinsam mit seinem Sohn Frederic als erster europäischer Journalist in das Gebiet des Daesh, dem so genannten „Islamischen Staat“. Nach seinem gleichnamigen Buch verarbeitete er nun die dabei entstandenen Videoaufnahmen.
Der von den beiden Muslimen Matias Basso und Ahmed Peerbux produzierte Film zeigt bisher ungeahnte Szenen aus Raqqa und Mossul. Vielen war das bereits zuvor veröffentlichte Video mit dem deutschen Extremisten Abu Qatada alias Christian Emde bekannt. Er war, wenn man so möchte, der Gastgeber der Filmenden – und leitete deshalb die Dokumentation ein. Ein guter Einstieg, um die Perversion des Gezeigten zu verstehen.
Der Rheinländer in den Reihen des IS schafft es in wenigen Sätzen das grundsätzliche Denkniveau seiner Kameraden zusammenzufassen. Seine Worte wirken einstudiert, seine Aussagen und die seiner Kameraden in den gezeigten Videobotschaften scheinen das Ergebnis monatelanger Gehirnwäsche und Indoktrination von Seiten der geistlichen Führer der Daesh. „Wir köpfen Menschen um die Angst zu lehren, die sie vor uns haben sollten. Wir werden weiterhin Menschen köpfen.“ Solche Worte sollen Ängste schüren, sowohl in den vom IS besetzen Gebieten, als auch in Europa und der westlichen Welt. Das Emde in entscheidenden Momenten ins stottern gerät und ihm die auswendig gelernten Worte fehlen, ist genau genommen das fast wichtigere Statement als die Drohung, Abermillionen Gegner töten zu wollen.
Dass Todenhöfer der Garantie vertraute, die in erster Linie von Emde ausging und von Höherrangigen des IS zugesichert wurde, nicht getötet zu werden, spricht für den Mut des Journalisten. Bei aller Kritik, die dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Richter in der Vergangenheit entgegen schlug, in diesem Film hält er das journalistische Handwerk hoch. Was sich Jürgen und Frederic Todenhöfer dabei trauten und auch zumuteten sucht seinesgleichen.
Die Reflexionen des staatlich anmutenden Alltags in Städten unter der Kontrolle des Daesh sind entlarvend. Folgerichtig wird die Absurdität von Anführern des vermeintlich islamischen Staates in US-amerikanischer Armeebekleidung verdeutlicht. „Inside IS“ zeigt, wie selten etwas zuvor, wie sehr der Daesh einen „westlichen“ Staat imitieren will und ihn vermeintlich „islamisch“ überschminkt. Nummernschilder, Flaggen, Wappen, Abzeichen und Bürokratie en masse.
Jürgen Todenhöfer bemüht sich im Laufe und besonders zum Ende der Dokumentation um eine Verdeutlichung des Gegensatzes der IS-Ideologie zum Islam. Er spricht vom „größten Feind des Islam”. In der nachträglichen Übersetzung aus dem Arabischen unterliegt ihm allerdings ein weit verbreiteter Fehler. Auch er scheitert an einer Recherche zur richtigen Beschreibung des Begriffes „Kuffar“, den er fälschlicherweise im Sinne von eben jenen IS-Anhängern, wie auch Islamhassern, als „Ungläubige“ übersetzt, was der Bedeutung des Wortes nicht entspricht. (Der Begriff „Kafir“ (plural „Kuffar“) kann ins Deutsche am ehesten mit „der die Wahrheit bedeckt” übersetzt werden, Anm. d. Red.)
„Inside IS“ lässt eine fundierte Erklärung der ideologischen Grundlagen der Porträtierten vermissen. Es fehlt eine Erwähnung des Wahhabismus und eine Klarstellung, worin sich die IS-Ideologie in ihrer Lehre von der Mehrheit der Muslime unterscheidet. Todenhöfer spart nicht mit seiner Kritik am „Westen“ und seiner Kriegspolitik, die er für die Entstehung des Daesh verantwortlich macht. Auch hier wäre eine tiefer gehende Betrachtung wünschenswert.
Das letzte Drittel des Filmes ist eine Begegnung mit dem US-amerikanischen Gelehrten Schaikh Hamza Yusuf. Der renommierte Wissenschaftler, der vor allem für sein traditionell islamisches Wissen in der ganzen Welt respektiert wird, glänzt mit einer für ihn typischen, pointierten Zerlegung des ideologischen Bodens des Daesh. Zweifelsohne ist er der Höhepunkt der Dokumentation und hätte gefühlt auch die O-Töne der ersten zwei Drittel des Films sprechen können – zumal er die Szenerie mit einem gewissen Hoffnungsschimmer versieht. „Lieber eine Kerze anzünden als in die Dunkelheit starren“, wäre ein gelungener Schlusssatz gewesen.

Jürgen Todenhöfer bietet mit „Inside IS“, dessen Erlöse in die Prothesenherstellung für schwerverletzte Kinder in Syrien fließen soll, wichtige Einblicke in das Phänomen des Daesh. Zum einen zeigt er den Zustand der Besorgnis, der in vielen Europäern vorherrscht und zum anderen die innermuslimisch formulierte Zurückweisung durch Schaikh Hamza Yusuf.
Die Dokumentation bedarf weiterer Ergänzungen, um sich ein tief greifenderes Bild des Daesh und der durch ihn besetzten Gebiete machen zu können, ist aber für Belesene im deutschsprachigen Raum ein faszinierender Einblick in eine Welt, die heute nur die wenigsten betreten können – und vielleicht auch wollen.