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„Betroffene ernst nehmen“

Ausgabe 302

Foto: Lysoppos, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0

(ndo). Am 1. Juli 2009 wurde Marwa El-Sherbini während einer Verhandlung im Dresdner Landgericht aus rassistischen Motiven ermordet. Seitdem haben NGOs den 1. Juli zum internationalen Tag gegen antimuslimischen Rassismus erklärt. Bis heute zieht sich Antimuslimischer Rassismus bis weit in die Mitte der deutschen Gesellschaft.

Über die Hälfte der Bevölkerung (52 Prozent) empfindet „den Islam“ als bedrohlich – mehr als 40 Prozent hätten etwas dagegen, wenn ein Muslim oder eine Muslimin in die Familie einheiraten würde. Das geht aus dem „Religionsmonitor“ der Bertelsmann-Stiftung von 2019 hervor.

Auch die gemeldeten Straftaten „mit islamfeindlichem Hintergrund“ sind laut Bundesinnenministerium im Jahr 2019 auf 950 angestiegen (über 4 Prozent mehr als im Vorjahr) und Expert*innen weisen darauf hin, das mit einer weit höheren Dunkelziffer zu rechnen ist. Ziel der Angriffe sind Muslim*innen und Menschen, die dafür gehalten werden sowie Moscheen. Der Wunsch nach mehr Schutz für die entsprechenden religiösen ­Einrichtungen, den muslimische Verbände äußern, muss angesichts der Bedrohungen ernst genommen werden.

Ozan Zakariya Keskinkilic, ndo-Vorstandsmitglied und Rassismusforscher an der Alice Salomon Hochschule, erklärt, dass es sich bei der Diskriminierung von Muslim*innen und als solche wahrgenommenen Menschen um eine spezifische Rassismusform handelt, die sich oft unter dem Deckmantel der Kultur- und Religionskritik tarne.

„Zudem nehmen im antimuslimischen Rassismus Verschwörungstheorien einer islamischen Unterwanderung einen zentralen Stellenwert ein, genauso wie sicherheitspolitisch begründete Diskriminierungen durch öffentliche Institutionen und die Benachteiligung in religiöser Praxis und zivilgesellschaftlicher muslimischer Selbstorganisationen.“ Keskinkilic plädiert dafür, den Stimmen von Betroffenen mehr Gehör zu verschaffen und ihre Anliegen ernst zu nehmen.

Zudem wird wenig beachtet, dass der antimuslimische Rassismus eine dezidiert sexistische Dimension aufweist. Muslimische Frauen mit Kopftuch werden überproportional häufig Opfer von Übergriffen und sind stärker von struktureller Diskriminierung betroffen. Dies gilt vor allem für den Arbeitsmarkt. Bereits 2016 ergab eine großangelegte Studie, dass sich Frauen mit türkisch klingendem Namen und einem Kopftuch bei gleicher Qualifikation 4,5-mal häufiger bewerben müssen als Frauen mit deutsch klingendem Namen und ohne Kopftuch, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.

Hinzu kommt, dass kopftuchtragende Frauen Beispielsweise in Berlin aufgrund des Neutralitätsgesetzes de facto mit Berufsverboten belegt sind. Diese strukturellen Ausschlüsse muss das Bundeskabinett gegen ­Rassismus und Rechtsextremismus bei seiner Arbeit 2020 berücksichtigen.

„Wir brauchen dringend mehr Bildung zu Rassismus und seinen verschiedenen Formen. Die Debatten nach Hanau und der Black Lives Matter-Bewegung 2020 haben gezeigt, dass viele Menschen immer noch nicht wissen, was alles unter Rassismus fällt. Das zeigt sich auch an der oft gestellten Frage, ob Ressentiments gegen Muslime überhaupt als Rassismus bezeichnet werden können, weil ‘Muslime’ ja keine ‘Rasse’ seien“, sagte Ferda Ataman, Sprecherin der neuen deutschen ­organisationen.

Ein Bewusstwerdungsprozess sowie konkrete Maßnahmen gegen antimuslimischen Rassismus sind dringend notwendig, denn gerade die breite gesellschaftliche Verankerung dieser Form des Rassismus, bildet einen gefährlichen Nährboden für das Nach-Rechts-Driften der Gesellschaft. Rechte und rechspopulistische Gruppen und Bewegungen wie die AfD und Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) knüpfen und knüpften an die weit verbreiteten Abwertungen gegenüber Muslim*innen und des Islams an, um demokratiegefährdende Mechanismen voranzutreiben.