Brandner-Vorstoß: Die Grenzen des Verfassungsmäßigen schrittweise einreißen

Foto: Deutscher Bundestag, Achim Melde

„Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche […] die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.” (GG Artikel 79, Absatz 3)
Berlin (iz/KNA). In einem Gesetzesentwurf, den die Alternative für Deutschland (AfD) heute im Bundestag einbringen will, sollen zukünftig Einschränkungen oder Aufhebungen der ungestörten Religionsausübung, die in § 4 GG gewährleistet wird, möglich sein. Wie der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner am Dienstag, den 25. September, bei einer Vorstellung vor Medien erklärte, gehe es jedoch nicht um einen Eingriff in den Artikel 4. Jeder solle weiterhin glauben dürfen, was er wolle.
Nur solle die äußere Praxis der Religion sanktioniert werden dürfen, wenn diese „offensichtlich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“, die FDGO, verstoße. Das bisherige unbeschränkte Freiheitsrecht auf ungestörte Religionsausübung solle zukünftig jenen vorbehalten sein, „die den Staat als obersten weltlichen Normgeber“ anerkennen würden und sich dessen Werteordnung unterwürfen.
Konkret heißt das, dass die sogenannte Alternative für Deutschland in den § 4 Abs. 2 des Grundgesetzes eine „Verwirkungsregelung“ implementieren werde. Diese nehme Bezug auf den § 18 GG, wonach die obersten Verfassungsrichter immaterielle und materielle Grundrechte aufheben könnten. Dass in der Aufstellung aufhebbarer Freiheitsrechte die Religionsausübung nicht aufgeführt werde, sei laut Brandner eine Lücke, die geschlossen werden müsse.
Kritische Juristen merkten bereits an, dass es sich bei dem AfD-Vorschlag wegen seiner Nicht-Umsetzbarkeit um „reine Symbolpolitik“ handle. Seit 1949 hat es nach Angaben des Juristen Professor Helmut Aust nur vier Verfahren gegeben, die allesamt erfolglos ausgingen. Die AfD ließ auch unerwähnt, dass auch heute schon die Religionsausübung bei ausreichendem Anlass eingeschränkt werden kann.
Die Vorstöße der Partei sind nicht deshalb gefährlich, weil akut eine Änderung des GG und in Folge eine Einschränkung der Religionsausübung drohen würde. Das ist auch gar nicht ihre Funktion. Vielmehr haben Vorschläge wie diese oder die perfide Unterscheidung zwischen Pass- und Geltungsdeutscher die Funktion, bestimmte Diskurse – bei aller öffentlichen Gegenwehr – salonfähig zu machen.
Allein schon, dass die AfD – ob bei Widerspruch oder nicht – überhaupt solche offenkundigen verfassungsfeindlichen Sondergesetzgebungen einbringen kann, führt dazu, dass sie in das öffentliche Gedächtnis eindringen. Und haben sie es einmal beispielsweise auf die Tagesordnung von Talkshows (man müsse ja auch darüber sprechen…) geschafft, werden die Grenzüberschreitungen normalisiert.
Politik reagiert deutlich ablehnend
Schon jetzt sei unter dem „Deckmantel der Religionsausübungsfreiheit“ nicht alles erlaubt, betonte der CDU-Rechtsexperte Ingmar Jung am Donnerstag bei der Ersten Lesung im Bundestag. Jung betonte, dass es nur vier Fälle mit Blick auf Artikel 18 gegeben habe, die alle gescheitert seien. Die Religionsausübungsfreiheit sei schon jetzt nicht grenzenlos und sei mit anderen Grundrechten abzuwägen. So sei etwa ein Sikh, der seinen Turban nicht mit einem Helm tauschen wollte, schon an der Straßenverkehrsordnung gescheitert. Eine Ausweitung von Artikel 18 sei unnötig, man könne allenfalls über eine Abschaffung sprechen.
Stefan Ruppert (FDP) sagte, Strafrecht und Polizeirecht seien völlig ausreichend. Karl-Heinz Brunner (SPD) warf der AfD vor, sie wolle das Grundrecht auf Religionsfreiheit schleifen. Konstantin von Notz (Grüne) sagte, es gehe der AfD nur um Stimmungsmache gegen religiöse Minderheiten. Schon rechtsdogmatisch sei das Gesetzesvorhaben nicht möglich, und es widerspreche dem Menschenbild des Grundgesetzes. Die vier erwähnten Fälle seien im Übrigen schon bei der Vorprüfung gescheitert. Niema Movassat (Linke) wies den Gesetzentwurf als „absurd“ zurück. Es gehe der AfD nur darum, Muslime gesellschaftlich auszugrenzen. (sw)