Bundespräsident Joachim Gauck zu Besuch in der Berliner Sehitlik-Moschee: Abu Bakr Rieger kommentiert

Ausgabe 209

(iz). Ein großer Tag für die Sehtlik-Moschee, lese ich. Bundespräsident Joachim Gauck hat die ehrwürdige Anlage in Berlin besucht. Er lässt sich vorbeten und hört interessiert den Ausführungen des Imams zu. Die ungewöhnlichen Protokollfragen werden souverän gemeistert: Sicherheitsbeamte tragen ihm dezent die Schuhe hinterher. Gauck wird fast begeistert empfangen und hat inmitten der Gläubigen, die der berühmten Gastfreundschaft türkischer Muslime ­entsprechen, die erwartete gute Zeit. Er ist ­wohlwollend, Vorurteile sind eher subtil verpackt und äußern sich in der Idee einer Begegnung von Kulturen, die den Islam und damit auch die deutschen Muslime, kulturell anders oder gar „außereuropäisch“ verorten.

Überraschend finde ich aber etwas Anderes. Im „Tagesspiegel“ wird berichtet, dass ­unser Präsident zum ersten Mal eine Moschee betreten hat. Zum ersten Mal? Heißt das, dass der Präsident – bevor er einmal eine der vielen hiesigen Moscheen betrat – schon wusste, dass der Islam kein Teil Deutschlands ist? Tatsächlich entspricht diese Begegnung dem Bild, dass die Eliten bisher kaum echte Be­rüh­rungspunkte mit den Muslimen ­hatten. Ganz selten sind diese – statt der medialen Inszenierung – inhaltlich geprägte auf intellektueller Augenhöhe. Häufig geht so ­größte Distanz mit dem härtesten Urteil einher. Was man über den Islam und die Muslime zu wissen meint, stammt zumeist aus Zweiter Hand. Offensichtlich hatte der Islam, bevor er zu der großen Sicherheitsfrage des 21. Jahrhunderts wurde, für unsere Eliten keine besondere positive Relevanz. Auch Gauck interpretiert den Islam vor allem als Phäno­men der modernen Poli­tik. Die ideologische Verformung des Islam muss für den ­Pfarrer aus Rostock ein Gräuel sein. Im „Salafisten“ erscheint ihm ein Ty­pus, der das auf Millio­nen Muslime Schat­ten werfende Gegenbild zur europäischen Aufklä­rung verkörpern soll; eine Aufklärung, der sich Gauck ausdrücklich verpflichtet sieht.

Für Gauck ist die Freiheit von Tyrannei und den Ideologien des 20. Jahrhunderts schlicht die Grundfrage seines Lebens. Wohl auch deswegen haben ihn der Angriff auf die Demokratie aus dem ökonomischen Feld und die Versäumnisse der Aufklärung diesbezüglich überrascht. Wegen der üblichen Re­duzierung des Islam auf seine politische Wirkung dürften ihm die fundamentalen, freiheitlichen Maximen islamischer Ökono­mie gänzlich unbekannt sein.

Wenn es je einen Austausch der Eliten über den Islam geben sollte, so wäre das ­aktuelle Verhältnis des Islam zum ökonomisch geprägten Totalitarismus unserer Zeit eine der spannendsten Fragen. Nach der öffentlichen Zertrümmerung der Reputation des Islam bedarf es hierzu der Mentalität eines Archä­ologen, der die Essenz des Islam freilegen muss.

Es gab Momente, als sich unsere Eliten dem Islam grundsätzlicher zuwandten: Goethe erforschte den Islam noch anders, unbeküm­merter, denn den Universaldenker regte der offensichtliche Unterschied der Glaubensinhalte von Christen und Muslimen an. Mehr noch, er konnte den Islam und seine Einheitslehre einfacher und ohne intellektuelle Widerstände denken.