Umzugsstudie – Weggehen und Ankommen aus islamischer Sicht

Ausgabe 231

(iz). Ca. 9 Millionen Menschen wechseln laut Umzugsstudie jährlich in Deutschland ihren Wohnort – jeder sechste packt und entrümpelt. Umziehen ist nichts Außergewöhnliches, es sei denn man verleiht dem eine ganz andere Perspektive. Vom Weggehen und Ankommen aus islamischer Sicht.

Der Rhythmus der globalen Welt ist schnell und der moderne Mensch ist bemüht, sein Tempo einzuhalten. Besonders das Leben der Großstadt verlangt Schnelligkeit und Flexibilität. Und so kann es schnell passieren, dass der sonst noch so sesshafte Großstädter aus privaten oder beruflichen Gründen öfter sein Wohnort wechseln muss und so zu einem Wanderer wird.

Heirat, Familienzuwachs, Jobwechsel, pure Abenteuerlust oder eine ganz pragmatische Suche nach dem Besseren treibt einen fort. Die Ursachen können noch so unterschiedlich sein, der Prozess bleibt immer gleich.

Als Muslim sich mit Kind und Kegel auf und davon zu machen ist es nicht viel anders als bei anderen Menschen – die Sachen müssen genauso gepackt und transportiert werden. Bloß das Weggehen hat so einen seltsamen Beigeschmack vom tieferen Sinn. Und das Ankommen einen ziemlich süßen. Beides hat mit dem Glauben zu tun, so dass ich zu behaupten wage, dass Umzug eine spannende Angelegenheit aus islamischer Perspektive werden kann.

Das Phänomen des jeden sechsten ist mir auch mehr als bekannt – auch ich bin in den letzten Jahren einige Male umgezogen. Und obwohl ich mir nach dem ersten Umzug geschworen habe „nie wieder“, habe ich mittlerweile Straßenseiten-, Bezirks-, Städte- und Kontinentwechsel bereits hinter mir. So unterschiedlich die Umzugsorte und –umstände waren, bleiben zwei Dinge stets dieselben: Das Weggehen und das Ankommen.

Und auch jetzt, zum wiederholten Male nach dem damaligen „nie wieder“, steht mein gesamtes Hab und Gut in Umzugskartons eingepackt in der Ecke. Alles was ich besitze, ist nun Inhalt der aufeinander gestapelten Kisten. Darin sind Sachen, die man braucht -oder auch nicht. Nützliche Dinge und Krimskrams. All das, was gestern noch zum Leben und Alltag gehörte – Erinnerungsstücke, Bü­cher, Geschenke und nötige Ge­brauchsgegenstände – verbirgt sich nun hinter den Pappwänden der Umzugskartons. Und genau jetzt, beim Anblick der gestapelten Kisten voller Leben, schwebt der Gedanke der Endlichkeit in der Luft.

Mit dem Weggehen verbindet die islamische Perspektive – nicht anders als die der anderen Religionen – den Tod. Und es wäre gelogen, wenn das hier mich nicht daran denken ließe, dass es eines Tages auch ein Weggehen geben wird. Gerade jetzt, wo es nicht mehr gemütlich ist, wo man nicht mehr die gewohnten Dinge um sich herum hat und dabei ist, alles vertraute zu verlassen, sieht es ein wenig nach einem Probeszenario des für immer Verabschiedens aus. Die Fragen, was man am Ende der Zeit mitnimmt und was man hinter sich lässt sind zwischen den gepackten Möbelstücken und noch einzupackenden letzten Sachen allgegenwärtig. Ein Memento Mori der nomadischen Art.

Der Alltag ist ein großer Täuscher, merke ich. Die Gemütlichkeit schleicht sich immer wieder ein, täuscht vor, dass es immer so bleiben wird und verführt einen oft zur Passivität. Und erst wenn man schon auf dem Sprung in einen neuen Lebensabschnitt ist, weiß man, wie oft man die Gelegenheiten genutzt oder verpasst hat. Gelegenheiten des Guten.

So wie die vollgepackten Kartons voller materieller Dinge sichtbar transportbereit stehen, besitzt jeder Mensch aus der islamischen Sicht auch seinen immateriellen Reichtum, der, je nach den genutzten oder verpassten Gelegenheiten der gottesdienstlichen Handlungen, im weitesten Sinne – vom Beten über Gutes Tun bis hin zur Vermeidung des Schlechten – groß oder klein sein kann. Das gesammelte immaterielle Hab und Gut kann entweder Reichtum oder Armut sein.

Die nützlichen Dinge und den Krimskrams nehmen die Umziehenden meist mit. Das Unnötige versucht man loszuwerden – abgeben, verkaufen, verschenken. Die Umzugserfahrung lehrt einen auch, die Anschaffung des Schweren bereits im Vorfeld zu meiden, prophylaktisch sozusagen. So ist es doch auch mit der Seele, halte ich fest, der die Entrümpelung auf andere Art auch nicht fremd ist. Krimskrams soll auch, immateriell gesehen, die absolute Grenze sein. Bloß keinen schwerwiegenden Ballast.

Die letzten Tage im alten Lebensabschnitt sind zwischen gepackten Kisten und ausgebauten Möbeln ungemütlich. Und noch die Gedanken der Endlichkeit. Dafür hat die islamische Perspektive für das Leben nach dem Umzug kein Trübsal, sondern Hoffnung vorgesehen. Die Hoffnung auf eine gute Bestimmung für einen neuen Wegabschnitt ist im Islam stark verankert. Wie die Muhadschirin von damals, die aus Mekka nach Medina mit der Hoffnung auf Erleichterung auswanderten.

Zu meinen persönlichen Umzugsritualen gehört der Finalputz, mit viel Wasser – das Reinwaschen der Vergangenheit. Und das Zuschließen der Tür der frisch geputzten leeren Wohnung – das Ritual des Hinter-sich-lassens. Und erst dann kann es in den neuen Abschnitt gehen, mit dem wohl spirituellsten Teil des Umzugs – dem Bittgebet, das die Hoffnung und die Bitte beinhaltet, das Gute in der neuen Stadt, dem neuem Land, dem neuem Lebensabschnitt gewährt zu bekommen und vom Schlechten und Bösen bewahrt zu bleiben.

Und so gesehen verleiht die islamische Perspektive einem einfachen Umzug einen spirituellen Touch, indem sie an die nützlichen Dinge und den Krimskrams des Herzens, an die Entrümpelung des schwerwiegenden Ballastes, an den Stapel der genutzten Gelegenheiten des Guten und an die Hoffnung auf beste Bestimmung erinnert.