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Dankbarkeit ist ein Muss

Ausgabe 267

Foto: Igor Yaruta | iStock

(iz). Welchen Beitrag kann ich als Muslim zu einem friedlicheren Zusammenleben leisten? Jeder, der in Allahs Gunst stehen möchte, ist verpflichtet, sich diese Frage zu stellen. Auch ich habe das getan. Um sie beantworten zu können, betrachte ich meine Fähigkeiten sowie Stärken und komme zu dem Schluss, dass ich gut mit Worten bin. Ich bin gut darin, meine Gedankenwelt zu präsentieren. Also versuche ich, der Gesellschaft etwas zu bieten, das sie so von einem anderen Bürger – der weder der türkischen Sprache mächtig ist, noch Germanistik und Philosophie studiert – nicht erhalten kann.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen davon profitieren, wenn ich ihnen meine Gedanken präsentiere. Was geht im Kopf eines Muslims vor? Ich möchte sagen, was in meinem Kopf vorgeht und hoffe, dass jeder einzelne, der es liest, davon profitiert und daraus etwas für sein eigenes Leben etwas entnimmt.
Schon häufig hörte ich die Begriffe „Optimist“ und „Pessimist“. Der Erste sagt, das Glas sei halbvoll, der Zweite, es sei halbleer – doch was sagt der Muslim? Dieser sagt: „Ganz gleich! Der Dank gebührt dem Herrn.“ Ob ich nun ein halbvolles Glas bekomme oder ein halbleeres, es spielt keine Rolle, da sowohl das eine wie auch das andere Glas von Allah kommen. Der anatolische Dichter Yunus Emre drückt dies in einem Gedicht wundervoll aus, das er wie folgt zum Abschluss bringt:
„Ob Du mich weinen oder lachen lässt,
Ob Du mich leben oder sterben lässt,
Der Verliebte Yunus ist Dein Diener,
Schmach von Dir ist schön, als auch ­deine Gnade.“
Heute haben die Leute und eben auch Muslime vergessen, was Ergebenheit bedeutet. Viele sind dem Aberglauben verfallen, dass Geld, ein Haus und ein schönes Auto ihren Wert als Menschen ausmachen – wie unzivilisiert dieser Gedanke nur ist! Ein Schüler der prophetischen Weisheiten, Dschunaid Bagdadi, befreite mit seinen Worten, welche die Seele des Menschen so beleben, wie der Regen die Erde, vom Irrtum, dass materieller Wohlstand den Wert des Menschen und sein zivilisatorisches Niveau bestimmen: „Überlegenheit liegt weder im Reichtum des Reichen, noch in der Armut des Armen. Sie liegt in der Erfüllung der eigenen Pflichten, die den Zuständen des Reichtums und der Armut zukommen.“
Wie sehen diese Pflichten aus? Was ist im Zustand der Armut ein Ausdruck meiner Gottergebenheit? Was ist ihr Ausdruck, wenn ich reich bin? Das beantwortete ’Umar Ibn al- Khattab, möge Allah zufrieden mit ihm sein. Der Prophet Muhammad, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, fragte seine Gefährten eines Tages: „Wo liegt der Beweis für euren Glauben?“ Darauf antwortete ’Umar nach einigem Zögern: „In der Fülle sind wir dankbar, Schwierigkeiten erdulden wir und mit Schicksalsschlägen sind wir wohlzufrieden.“ Worauf Muhammad, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, erwiderte: „Beim Herren der Kaaba, mit diesen Eigenschaften seid ihr wahrhaft Gläubige.“
Nicht zahlreiche Gebete, nicht Fasten und auch nicht die Pilgerfahrt werden hier erwähnt. „Wahrhaft gläubig“ ist ein Muslim, wenn er andere an seinem Reichtum und seiner Fülle teilhaben lässt. „Wahrhaft gläubig“ ist ein Muslim, wenn er in seiner Armut keine Beschwerden äußert und nicht versucht, auf unerlaubte Weise an Geld zu kommen. „Wahrhaft gläubig“ ist ein Muslim, wenn er sich angesichts Sorgen und Problemen nicht die Frage stellt „warum ich?“, sondern zufrieden und erfreut ist, dass Allah ihn auserwählte.
Er freut sich darüber, dass Allah gerade ihm zutraut, diesen Schicksalsschlag zu meistern. Er freut sich darüber, dass er selbst getroffen wurde, statt ein anderer, da er lieber Lasten trägt, als sie anderen aufzubürden. So sagte der frühe Muslim Wahb ibn Munabbih: „Öffnet sich vor dir ein Weg mit Schwierigkeiten, Plagen und Schicksalsschlägen, so freue dich, denn du wurdest auf den Weg der Propheten, Aufrichtigen und der Freunde Allahs gesetzt. Öffnet sich hingegen ein Weg voll Bequemlichkeit, Ruhe und Behaglichkeit, so weine, denn du hast den Weg der Aufrichtigen, der Propheten und der Freunde Allahs verlassen.“
Was für ein Irrtum es doch wäre, zu glauben, dass ein bequemliches Leben Anzeichen dafür sei, dass Allah einen liebt. Der Gefährte Said bin Amr bekam vom Kalifen ’Umar ibn al-Khattab, möge Allah zufrieden mit beiden sein, tausend Dinar gesandt. Als er dieses Geschenk sah, sagte er: „Von Allah kommen wir und zu Allah kehren wir zurück.“ Seine Frau fragte, was mit ihm sei und er antwortete: „Eine große Katastrophe ist über mich gekommen.“ Auf die Frage, was diese sei, erwiderte er: „Der Anführer der Gläubigen hat uns tausend Dinar geschickt. Wir werden zugrunde gehen, noch während wir auf dieser Welt sind. Die Fitna ist in unser Haus gekommen. Lass uns das Geld sofort verteilen, bevor wir noch zugrunde gehen.“
Wie anders waren die Gefährten des Propheten! Sie sind die Tropfen aus der Wolke der Weisheit, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden schenken. Während wir heutigen Menschen an die Luxusartikel denken, dachten sie daran, wem sie damit helfend dienen können.
Wie anders war ihre Perspektive auf die Welt! In einer Überlieferung sagte der Meister der Großzügigkeit, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden schenken: „Ihr liebt den Besitz eurer Feinde.“ Seine wissbegierigsten Schüler, die Gefährten, erwiderten, dass doch jeder Vermögen liebe. Sodann sagte der tiefsinnigste aller Menschen, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, dass der Besitz der Feinde, der Besitz anderer Menschen, in Wirklichkeit alles das sei, was ein Mensch an materiellen Dingen besäße, da er diese nicht mit ins Grab nehmen wird. Der wahre Besitz eines jeden Menschen sei das, was er anderen spende. Das, was an Gutem für andere täte. Said bin Amr spendete ihm entsprechend die tausend Dinar, die ihm gegeben wurden.
Aus der Betrachtung der Weisheit dieser Menschen entstanden im Osmanischen Reich fünf Prinzipien, die dem Menschen helfen sollten, mit Stress umzugehen. Diese nehmen dem Herzen die Schwere, entladen es, wenn es belastet ist und eröffnen einen Horizont, der nicht zu erkennen ist, wenn Sorgen und Probleme die Sicht verdecken.
Er-Rizkullah: Rizq, das heißt, die Versorgung, kommt von Allah, dem über alles Erhabenen. So verbeuge dich nicht vor anderen. Ganz gleich, was der Mensch tut, er kann sich noch sehr anstrengen und schweißgebadet zu Bett gehen, dies wird nichts am Maß der Versorgung ändern, die Allah, der Malik ul-Mulk, der Besitzer aller Reichtümer, ihm zukommen lässt. Keine Mühe der Welt kann etwas daran ändern, dass ich den von Allah für mich bestimmten Teil meiner Versorgung bekomme. Allah sagt dazu: „Dem, der Allah fürchtet, verschafft Er einen Ausweg und versorgt ihn in der Art und Weise, mit der er nicht rechnet. Und wer auf Allah vertraut – für den ist Er sein Genüge. Wahrlich, Allah setzt durch, was Er will; siehe Allah hat für alles eine Bestimmung gemacht.“ (Al-Talaq, 2-3) Der Reichtum ist in Allahs Händen. Nicht im Besitz von Individuen noch im Besitz der Gesellschaft. Der Mensch ist nur Verwalter des Geldes. Eine Weisheit der Sufis lautet: Allah gibt die Versorgung, wem Er will, doch das Wissen gibt Er demjenigen, der sich darum bemüht. Doch dies darf nicht dazu führen, dass sich faul ausgeruht wird.
Tevekkeltullah: Erfülle erst deine Pflicht und dann vertraue auf Allah und stütze dich auf Ihn. Wir können heute beobachten, dass Menschen, denen eine große Summe Geld versprochen wird, bereit sind, allerlei Dinge zu tun. Wie viele Menschen würden morgen um vier Uhr aufstehen, wenn sie wüssten, dass sie 100.000 Euro bekämen? Wir sind im August. Vier Uhr, das gehört zum letzten Drittel der Nacht. Und Allah sagt in einem von Imam Ghazali überlieferten Hadith, dass derjenige, der seinen Schlaf nicht im letzten Drittel der Nacht für Allah unterbricht, ein Lügner in der Behauptung sei, Allah zu lieben. Wer sagt: Ich liebe Allah, jedoch nicht im letzten Drittel der Nacht wacht, hat demnach kein Fundament für seine Behauptung.
In einem Gedicht habe ich diese Aussage Allahs, des über alles Erhabenen, wie folgt ausgedrückt: „Im frühen Morgengrauen wacht der Mensch, der Allah herzlich liebt, Da Liebe wahre Kraft entfacht. Wer schläft, der liebt nicht, nein! Er lügt!“ Wer bereit ist, für Geld aufzustehen, jedoch nicht für Allah, der liebt Geld mehr als seinen Schöpfer.
Ein Liebender des Wahren, Muhyiddin Ibn al-’Arabi, möge Allah seiner Seele gnädig sein, sagte: „Sehe keine Handlung, die du ausführst, als gering an. Denn als Allah diese Handlung erschaffen hat und sie uns vorgeschrieben hat, hat Er sie nicht als gering angesehen.“ Die frühe Morgenzeit ist eine gesegnete Zeit. Der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte in einer von Baihaqi überlieferten Aussage: „Der Schlaf am Morgen ist hinderlich für die Versorgung (rizq).“
Wir sind als Menschen damit beauftragt, nach erlaubter Versorgung zu streben. In anderen Überlieferungen heißt es: „Es ist Pflicht für jeden Muslim, nach Erlaubtem zu streben.“ Daraus lernen wir, dass Nachdenken darüber, wie ich zu erlaubtem Vermögen kommen kann, eine gute und von Allah belohnte Tat ist. Der ehrenwerte Maulana Dschalaladin Rumi sagt in seinem unsterblichen und zeitlosen Mathnawi: „Strenge dich ein, zwei Tage an und lache bis in alle Ewigkeit! Eine schlechte Zuflucht sucht, wer diese Welt anstrebt; einen guten Zustand sucht, wer die nächste Welt anstrebt. Pläne für Gewinn in dieser Welt sind wertlos; Pläne für Entsagung von dieser Welt sind von Gott inspiriert.“ Und all jenen, die meinen, dass Besitz lediglich böse sei, antwortet er: „Was ist diese Welt (Dunya)? Gottvergessen sein; sie ist nicht Handelsware und Silber und Waagen und Frauen.“ Geld, Besitz, und irdische Freuden sind nicht an sich schlecht, sondern nur dann, wenn sie uns Allah vergessen lassen. Vertrauen in Allah bedeutet, in der von Ihm vorgeschriebenen Weise zu versuchen, Ziele zu erreichen.
Ya Nasib! Das bedeutet: „Oh Anteil!“ Alles, woran ich Anteil haben soll, wird mich, wenn seine Zeit gekommen ist, finden. So sagt der Fürst europäischer Dichtkunst, Shakespeare in Romeo und Julia: „Was vor der Zeit beginnt, das endigt früh.“ Und alles, was ich erhalte, bekomme ich dann, wenn Allah es für angemessen befindet. Aus diesem Grund benötige ich das nächste Prinzip.
Ya Sabr! Das bedeutet, wisse, geduldig und standhaft zu sein. Der Frühling kommt nicht vor seiner Zeit. Dieses Prinzip hängt stark mit dem vorherigen zusammen. Nur, wer Durchhaltevermögen besitzt, das heißt, mal geduldig abwartet und mal standhaft weitermacht, der wird auf erlaubte Weise sein Nasib, seinen Anteil, bekommen. Rückschläge, Schwierigkeiten, Probleme sind von Allah als notwendig erachtete Hürden, um uns Menschen zu erziehen. Was ein Missstand scheint, bedeutet eigentlich, dass Allah unsere Seele stärken möchte. Ein zu Viel bedeutet, Dankbarkeit und Teilen ist nötig, ein zu Wenig bedeutet, Geduld oder stärkere Mühe ist nötig. Denn am Ende dürfen wir nicht vergessen:
Bu da gecer Ya Hu! „Auch das ist vergänglich oh Allah!“ Vergiss nicht, Reichtum, Armut, Gesundheit, Krankheit, Erfolg, Misserfolg – kurz: Alle Dinge kommen und vergehen. Selbst der Atemzug eben kam und verging wieder. So ist auch das Leben vergänglich. Sei du zufrieden mit dem Ewigen.
Diese Prinzipien ergänzen sich und bündeln ihre Aussage im letzten Prinzip. Mit Allah zufrieden zu sein ist eine Kunst, die uns die Gefährten, möge Allah zufrieden mit ihnen sein, vorgelebt haben. Diese haben sich später die Osmanen zum Vorbild genommen. Entstanden sind jene Prinzipien, die hoffentlich jedem das Herz leichter machen, indem sie uns dazu bewegen den „Hakiki Fail“ zu erkennen, das heißt, Denjenigen, der in Wirklichkeit hinter allen Handlungen steckt: Allah. Er erhöht und erniedrigt, Er gibt und nimmt, Er erfreut und macht traurig. Der Allwissende tut, was Er will.