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Das Mittelmeer von morgen

Foto: en.kremlin.ru

BERLIN/TRIPOLIS (GFP.com). In Berlin werden neue Forderungen nach einem Einsatz der Bundeswehr in Libyen laut. Kürzlich hatte Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, für einen Marine- oder Luftwaffeneinsatz plädiert. Am Wochenende urteilte der CDU-Außen- und Militärpolitiker Johann Wadephul, in Libyen kämen „schwierige sicherheitspolitische Aufgaben auf uns zu“. Zugleich wird die Wiederbelebung des EU-Marineeinsatzes „Sophia“ zur Verhinderung von Waffenschmuggel nach Libyen diskutiert.

Außenminister Heiko Maas kündigt eine Resolution des UN-Sicherheitsrats zur Bekräftigung des Waffenembargos gegen das Land an; materielle Sanktionen sind aber offenbar nicht vorgesehen. Würden sie verhängt, träfen sie Staaten, auf deren Kooperationsbereitschaft Deutschland in seiner Nah- und Mittelostpolitik angewiesen ist. Wie Experten bestätigen, lösen Staaten wie Russland und die Türkei die europäischen Mächte als zentrale äußere Einflusskräfte in Libyen ab. Damit sei das Land, heißt es, „eine Vorschau auf das Mittelmeer von morgen“.

„Nicht wegducken“
Forderungen nach einem Libyen-Einsatz der Bundeswehr, wie sie vor allem anlässlich der Berliner Libyen-Konferenz am 19. Januar laut wurden, sind auch vergangene Woche mehrmals von einflussreichen Politikern wiederholt worden. So erklärte etwa der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sollte der UN-Sicherheitsrat eine Intervention in Libyen beschließen, dann könne sich die Bundesregierung „als Initiator des Berliner Prozesses natürlich nicht wegducken“. Konkret könne die deutsche Marine im Mittelmeer eingesetzt werden; die Beteiligung deutscher Tornado-Jets oder von Awacs-Flugzeugen mit deutscher Besatzung an einem Einsatz zur Überwachung des Luftraums sei ebenfalls möglich.

Prinzipiell für die Ausweitung der deutschen Militäreinsätze sprach sich zudem Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble aus: Deutschland dürfe sich nicht einfach „wegducken“ und „alles den Franzosen und den Amerikanern überlassen“. Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Zuständigkeit für Außen- und Militärpolitik, plädierte am Wochenende ebenfalls generell für neue Einsätze der Bundeswehr. Auf Libyen angesprochen, erklärte er, dort könnten in nächster Zeit „noch schwierige sicherheitspolitische Aufgaben auf uns zukommen“.

Waffenschmuggel nach Libyen
Parallel dauert die Einsatzdebatte in der EU an. Man diskutiere „sehr intensiv und engagiert“, „was die Europäische Union tun kann mit einer eigenen Mission“, um das Waffenembargo gegen Libyen „zu überwachen“, teilte Außenminister Heiko Maas am Sonntag mit. Maas hatte bereits kurz nach der Berliner Libyen-Konferenz die Wiederbelebung des EU-Marineeinsatzes „Sophia“ gefordert. „Sophia“ sollte unter anderem den Waffenschmuggel nach Libyen unterbinden, hat das jedoch faktisch kaum getan.

Während unter anderem Bundesinnenminister Horst Seehofer und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Maas‘ Vorstoß unterstützen, lehnen einige EU-Mitgliedstaaten ihn dezidiert ab, weil sie damit rechnen, dass EU-Kriegsschiffe nahe der libyschen Küste erneut Flüchtlinge aufnehmen könnten. Es sei „ein durchschaubarer Trick, die Rettungsmission ‚Sophia‘ nun unter dem Deckmantel einer Kontrolle des UN-Waffenembargos neu beleben zu wollen“, wird Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz zitiert: „Österreich lehnt das strikt ab, auch mehrere andere Länder wollen das nicht.“ Die EU müsse „den Waffenschmuggel nach Libyen“ nicht im Mittelmeer, sondern vielmehr „am Boden und in der Luft … kontrollieren“.

Sanktionslose Sanktionen
Tatsächlich ist unklar, wie ein Waffenstillstand in Libyen oder das Waffenembargo gegen das Land durchgesetzt werden sollen. Maas teilte am Sonntag mit, im UN-Sicherheitsrat sei eine Resolution in Arbeit, die „klarmachen“ werde, „dass alle, die jetzt gegen das Waffenembargo verstoßen, mit Konsequenzen rechnen müssen“. Zu den „Konsequenzen“ befragt, erklärte Maas, ein neues „Sanktionskomitee“ solle „diejenigen, die für die Verstöße verantwortlich sind, benennen“; dann könne niemand mehr davon ausgehen, dass er, „wenn er weiter Unterstützungsleistungen nach Libyen schafft, in irgendeiner Weise unerkannt davonkommt“. Über etwaige materielle Sanktionen äußerte Maas nichts.

Verbündete Waffenlieferanten

In der Tat müsste die Bundesregierung, wollte sie die Einhaltung des Waffenstillstands erzwingen, energisch gegen Staaten vorgehen, auf deren Kooperation sie im Nahen und Mittleren Osten angewiesen ist. Dies gilt zum einen für die Türkei, den hauptsächlichen Unterstützer von Ministerpräsident Fayez al Sarraj, zum anderen aber auch für die Vereinigten Arabischen Emirate, die Sarrajs Gegner Khalifa Haftar mit Rüstungslieferungen und Operationen ihrer Luftwaffe unter die Arme greifen. Würden Kriegsschiffe aus der EU türkische Waffenexporte auf dem Mittelmeer abfangen, stünde eine weitere Eskalation der Spannungen mit Ankara bevor. Das liefe deutschen Interessen zuwider: Kanzlerin Angela Merkel ist erst vor kurzem in die Türkei gereist, um die beiderseitigen Beziehungen zu deeskalieren.

Die Vereinigten Arabischen Emirate wiederum zählen zu den wichtigsten Kooperationspartnern Berlins am Persischen Golf – dies in einer Zeit, in der das Verhältnis zu Saudi-Arabien stark angespannt ist und Berlin in Mittelost Verbündete braucht. Die Emirate zählen unter anderem zu den Hauptkunden der deutschen Rüstungsindustrie; dies ist der Grund dafür, dass der Libyen-Krieg auch mit deutschen Waffen geführt wird (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Zudem könnten die Emirate, weil sie Waffen auf dem Landweg nach Libyen liefern, nur in Kooperation mit Ägypten daran gehindert werden; Ägypten wiederum zählt gleichfalls zu den Ländern, mit denen Berlin eine enge Kooperation sucht. Streben die Türkei, die Emirate und Russland, ein weiterer Haftar-Förderer, nicht aus eigenem Interesse einen umfassenden Waffenstillstand in Libyen an, dann ist Berlins machtpolitischer Spielraum, ihn durchzusetzen, entsprechend beschränkt.

Rückkehrende und aufstrebende Mächte
Experten thematisieren die Probleme Berlins und der EU beim Versuch, den Einfluss anderer Staaten – der Türkei, Russlands, der Vereinigten Arabischen Emirate – in Libyen zurückzudrängen, schon seit geraumer Zeit. Die Berliner Libyen-Konferenz habe „nicht geleistet, was sie versprochen hat“, konstatierte bereits kurz nach der Zusammenkunft ein Fachmann des German Marshall Fund: „Die Entwicklungen am Boden“ legten nahe, dass „der Waffenstillstand zerbrechlich“ sei.

Das hat sich seither bestätigt. „Europas Unfähigkeit, Einfluss in Libyen auszuüben“, werde „zunehmend seine Rolle im weiteren Mittelmeer schwächen“, urteilte der Experte weiter: „Die Länder der Region“ würden sich wohl in wachsendem Umfang „rückkehrenden“ und „aufstrebenden“ Mächten zuwenden. Als „rückkehrende Mächte“ gelten ihm Russland und die Türkei, als „aufstrebende Mächte“ die Vereinigten Arabischen Emirate und China. Die Entwicklung in Libyen könne deshalb „eine Vorschau auf das Mittelmeer von morgen“ sein, in dem „rückkehrende“ und „aufstrebende“ Mächte die regionale Dynamik gestalteten, während das Interesse, „mit den europäischen Ländern“ zu kooperieren, schwinde.

Kriegsgefahr
Trifft die Diagnose zu, dann stehen die Mächte Europas, nachdem sie ihren Einfluss in Syrien verloren haben und auch im Irak mit zunehmenden Forderungen nach dem Abzug ihrer Truppen konfrontiert sind, vor einem weiteren Kontrollverlust in Nordafrika. Das Ruder herumreißen ließe sich aus Sicht der deutschen Eliten womöglich durch eine Militärintervention. Weil Berlin kaum bereit ist, die dominante Stellung der europäischen Mächte in den früheren nordafrikanischen Kolonien preiszugeben, steigt die Gefahr eines Libyen-Einsatzes der Bundeswehr.