„Das Rauschen des Papiergeldes“: Eine Frankfurter Ausstellung demonstriert die Aktualität des Dichters. Von Abu Bakr Rieger

Ausgabe 209

(iz). Das Genie zeigt sich in seiner Zeitlosigkeit. In der deutschen Geldhauptstadt wurde ein ganzes Programm der Aktualität Goethes gewidmet. Über einige herbstlichen Wochen hinweg jagten sich in Frankfurt Vorträge, Ausstellungen und sogar ein speziell inszeniertes Theaterprogramm. Statt „Occupy“ und wilder Randale, die das Bankenviertel ja auch schon erleben musste, geht es in den heiligen Hallen der Kulturmetropole dabei ein wenig „gebildeter“ zu.

Nur einen Steinwurf entfernt von den Zentralen der deutschen Banken gaben sich Theaterleute, Philosophen, Bil­dungs­bür­ger, Finanzwissenschaftler und die umstrittene Spezies der Banker einmal gemeinsam nachdenklich, ganz nach dem Motto „Goethe und das Geld“. Die versammelte Intelligenz widmete sich ­einer Frage: kann der vielleicht größte Dichter der Deutschen noch einmal Licht in unser Dunkel bringen ? Die Antwort ist, vielleicht überraschenderweise: Ja, er kann.

Unterstützt von der deutschen Kreditwirtschaft ging es so im Krisenjahr 2012 ohne große Umwege in die Kernbereiche der deutschen ­Geistesgeschichte. Gespielt wurde der „Faust“ am Theater der Stadt, einem modernen Gebäude in direkter Nachbarschaft zur europäischen Zentralbank. Das berühmte Lebenswerk Goethes konnte man dort entweder bequem in zwei Teilen erleben, oder aber, wer es in rastloser Zeit effizienter haben wollte, für den gab es sogar ein 8-stündi­ger Marathon, also das ganze Werk hintereinander und an einem Tag gespielt, im Angebot. Freundlicherweise hatte die „Deutsche Bank“ das Spektakel großzü­gig unterstützt.

Ob in kurzer oder langer Fassung: Der Goethekenner und Volkswirtschaftler Hans Christoph Binswanger hält das Drama zu Recht noch immer für das modernste und aktuellste, das wir zur Zeit in deutschen Häusern spielen können. Während zu Goethe und Schillers ­Zeiten das Theater dabei noch eine durchaus revo­lutionäre Einrichtung war, blieb es rund um das Frankfurter Theater ruhig, obwohl einige „Bomben“ – in Form neu geborgener Inhalte aus der Schatzkammer Goethes – eher lautlos am Rande des Spektakels explodieren.

Dass Goethes Gedanken tatsächlich bis heute Sprengkraft haben, zeigte ­dabei ausgerechnet eine Grundsatzrede des Bun­desbankchefs Weidmann zum Auftakt des gefälligen Kulturprogramms. Die Besinnung auf Goethes Werk und seine zeitlosen Problemstellungen animierte den wohl im Moment wichtigsten deutschen Ökonomen zu diversen Systemfragen; Fragen, die erstaunlicherweise auch schon das Frankfurter Dichtergenie zeitlebens beschäftigte.

In der Welt seiner Faust-Dichtung ist es bekanntermaßen Mephistopheles, der die politische Führung zu einem Tabubruch verführt, der darin besteht, Geld als Papier sozusagen aus dem Nichts zu schaffen und sich so – mit einem teuflisch-genialen Wettbewerbsvorteil ausgestattet – dem Versuch zu stellen, den ganzen Planeten beherrschbar zu machen.

Die abenteuerliche Strategie funktionierte zur Überraschung der Beteiligten zunächst, da man dem Versprechen der neuen „Zettelbanken“ glaubte, die bunten Scheine seien durch Bodenschätze gedeckt. Im Rausch der Möglichkeiten einer neuen mächtigen Ökonomie, die nun über titanische Geldmengen verfügen kann, kündigt sich gleichzeitig schon die moderne Tragik und das unausweich­liche Scheitern des Faust an. Die neue Technik und der Siegeszug des neuen Geldes basiert leider, um sich nicht selbst durch offen inflationäre Zustände ad absurdum zu führen, auf einem Prinzip „contra naturum“, also der Erwartung ewigen Wachstums und endloser Wertschöpfung. Faust muss am Ende des zweiten Teils einsehen, dass er über die hierzu notwendigen, magischen Kräfte nicht verfügt. Die Finanztechnik verselbständigt sich und entglei­tet dem Zugriff der politischen Macht. Goethe ging es dabei nicht um die Verdammung des Fortschritts, sondern um das Tragische und Gewalttätige, dass diesen Vorgang begleitet.

Weidmann nahm in seiner Frankfurter Rede dieses ambivalente Faust-Motiv auf und zwar nicht nur als Historiker und bekennender Bildungsbürger, sondern natürlich auch um als Bundesbankchef auf die brandaktuellen Abgrün­de der heutigen, maßlosen Papiergeldschöpfung hinzuweisen. Die Schaffung endloser Bestände von Geld aus dem Nichts, Staatsverschuldung und Inflation, klärte der Bundesbanker die Frankfurter Eliten im Geiste Goethes auf, verbreite auch heute noch einigen Schwefelgeruch. Die Produktion von Papiergeld hat etwas Rauschhaftes, ist „Alchemie mit anderen Mitteln“, wie der Volkswirtschaftler Hans Christoph Binswanger die neue ökonomische Lehre zusam­menfasst. „Man braucht nicht erst zu markten noch zu tauschen, kann sich nach Lust und in Lieb und Wein berau­schen“, dichtet Goethe über die neu finanzierte Konsum­gesellschaft.

Mit der Hommage an den Dichter will die Bundesbank zeigen, dass sie sich noch immer einer typisch deutschen ­Tradition verpflichtet sieht, die die Gefahren der Inflation und der Staatsfinanzierung grundsätzlich beachten will. Mehr noch, die Bundesbank definiert sich als der unbestechliche Hüter der Finanzverfassung der Deutschen, gerade auch auf dem Höhepunkt der dramatischen Eurokrise und seinen „mephistophelischen“ Verführun­gen, denen die Politik heute wieder zu unterliegen droht.

Die Aktualität des Dichters zieht also nicht nur den bekennenden Goethe-Leser Weidmann in den Bann. Im Museum der Institution Bundesbank finden sich in der Sonderausstellung „Goethe.Auf.Geld“ weitere Spuren und Ergänzungen einer vorsichtig selbstkritischen Reflektion auf die Geschichte des Geldes. Die Bank erzählt in ihren Museumsräumen in der Wilhelm-Epstein-Straße schon länger die Historie der Zahlungsmittel. Es wird der Handel mit ­alten Münzen und der Hochgeschwindigkeitshandel der modernen ­Aktienhändler erklärt. Die europäische ­Währungsunion erscheint dabei, politisch korrekt, als eine Art Krönung der europäischen Geldgeschichte und wird so positiv ins Bewusst­sein der Besucher gerückt, wenn gleich auch im eigenen Hause Zweifel verbreitet sind, dass der Euro selbst nur als eine historische Episode in die europäischen Geldgeschichte eingehen könnte.

In Anbetracht der kleinen Sonderausstellung zu Ehren Goethes begreift man ganz gut, wie schnell eine Papiergeldwirtschaft ins Absurde umschlagen kann. Ein kurios anmutendes Beispiel sind die hier ausgestellten Notgeldscheine der Inflationsperiode der 1920er Jahre, von ­denen einige sogar Goethes dichterische Beschäftigung mit dem Papiergeld aufgreifen. Auf der ­Rückseite eines dieser Scheine, mit dem atemberau­benden Wert von einer Billion Mark, wird Gretchen zitiert, die im ersten Teil des Faust noch seufzt: „Nach dem ­Golde drängt, am Golde hängt doch alles! Ach wir Armen!“

Im Museumsshop am Haupteingang kann man übrigens, unfreiwillig komisch wirkende Konsumprodukte unserer Zeit erwerben: Es gibt DM-Markscheine als Notizblöcke, garantiert echte, allerdings zu Briketts geschredderte Euroscheine und den aktuellen Euro-50er als bunte Serviette. Man muss hier an das Bonmot Nietzsches Denken, dass Goethe und seine Einsichten in der Geschichte der Deutschen ein „Zwischenfall ohne Folgen gewesen sei“. Es blieb so nahezu unbemerkt, dass sich in den letzten 30 Jahren die globale Geldmenge inzwischen vervierzigfacht hat.

Ernsthaft setzt sich das Frankfurter Goethehaus mit dem Meister auseinander. Die kleine, aber fein gestaltete Ausstellung zeigt facettenreich, wie das Universalgenie Goethe immer wieder mit großen und kleinen, privaten und öffent­lichen Geldfragen in Berührung kam. Dabei problematisierte Goethe, als universal gebildeter Denker, mit großer Selbstverständlichkeit alle ökonomischen Grundfragen seiner Zeit, bis hin zu der zentralen Auseinandersetzung über die Legitimität der Technik, Geld, in der Form von Papiergeld, praktisch aus dem Nichts zu schaffen. Als politischer Praktiker meidet Goethe gleichzeitig die Utopien seiner Zeit oder gänzlich realitätsferne Überlegungen.

Es ist wohl Goethes Genie, dass er die ungeheure Wucht der Möglichkeit einer radikalen Neuschöpfung von Geld und damit die Schaffung eines ungeheuren Treibstoffes zur Anheizung der industri­ellen Revolution früh vorausahnt. Das bisherige Geldwesen in den deutschen Kleinstaaten seiner Zeit hatte eher zur Entschleunigung beigetragen. Man muss dabei wissen, dass es zu Goethes Jugend­zeiten allein in Frankfurt 26 Sorten Goldmünzen, 14 Sorten Silbermünzen gab, und damit natürlich ein ungeheurer Veränderungsdruck auf die monetären Gepflogenheiten seiner Zeit herrschte.

Die industrielle Revolution, die Goethe gleichzeitig mit Hoffnung und Sorge beobachtete, schaffte nicht nur einen ungeheuren Kapitalbedarf, auch die ihm persönlich bekannten Autoritäten wollten sich nun technisch ausrüsten und in neue Räume expandieren. Sie planten auch nicht zuletzt, ihre Kriege mit den neuen Techniken der Finanzierung führen zu können. Die Magie der Papiergeldgewinnung, die Goethe meisterhaft in seinem Faust zur Sprache brachte, beeinflusste dabei durchaus auch auf den „politischen“ Kopf Goethe.

Aber, er hatte tiefe Zweifel. Er befürch­tete nichts anderes als die Verdrängung der Kunst und Kultur, durch eine „mittelmäßige“ Welt der Technik und die Ökonomisierung allen Denkens. Kurzum, ihm schwante schon, dass die völlige Kommerzialisierung des Lebens aus der Logik der Hochzeit von Kapital und Technik hervorgehen musste. Natürlich wusste auch Goethe, dass dabei jeder Widerstand, angesichts der Geschichtsmäch­tigkeit der Technik, zwecklos sein könnte. 1825 schrieb er melancholisch an Georg Nicolovius: „… so wenig nur die Dampfwagen zu dämpfen sind, so wenig ist dies auch im Sittlichen möglich: die Lebhaftigkeit des Handels, das Durch­rauschen des Papiergeldes, das Anschwel­len der Schulden, um Schulden zu bezah­len, das alles sind die ungeheuren Elemente, auf die gegenwärtig ein junger Mann gesetzt ist… „

Als sein Freund Carl August im Jahr 1810 ebenfalls die Idee einer Papiergeld­währung in seinem darbenden Kleinstaat andachte, rang Goethe, der als Finanzminster des Fürsten agierte, durchaus mit sich. Er hatte 1794 ein stattliches Haus vom Fürsten geschenkt bekommen und allein zur Renovierung und Ausstattung des Kleinodes ein kleines Vermögen ausgegeben. Geldnot angesichts eines ambi­tionierten Lebensstils war ihm wohl bekannt. Goethe wusste, wie schwer es sein konnte, mit begrenzten Mitteln auszukommen, wenn man doch auch öffentliche Größe und Würde demonstrieren musste. Aber dennoch, Goethe lehnt die Einführung des Papiergeldes schließlich aus voller Überzeugung ab. Er hielt daran fest, was er schon in seinem Münzgutachten 1793 feststellte: „Daß das Geld nicht durch den Stempel, sondern durch innerlichen gewissen Wert Geld sei.“ Das funktionierende System der Edelmetallwährungen konnte nach Überzeugung Goethes nicht einfach und ohne drama­tische Folgen durch schlichtes Papiergeld ersetzt werden.

Der kleine Rundgang durch die verschiedene Lebensstationen, die den vielschichtigen Bezug Goethes zum Geld erklären, endet in einer Videoinstallation im Mitte des Raumes. Die Bilder dort erinnern wieder an unsere eigenen Krisentage, spiegeln das politische Gezänk, zeigen die Flut der schnellen Bilder, die durch unsere Medien auf uns hereinbrechen, flankiert von in Brand ­gesetzten Scheinen und flackernden Börsenzahlen. Man muss hier am Frankfurter Orakelort der Goetheverehrung unweigerlich an einen anderen Lehrsatz Goethes denken: „Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein“.