Der anhaltende Kollaps der Finanzwelt hindert die EU an der bisherigen Projektion ihrer militärpolitischen Macht

Berlin (GFP.com). Die Euro-Krise führt zu einer gravierenden Schwächung der EU-Außenpolitik. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Demnach sind nicht nur die finanziellen Aufwendungen der Mitgliedstaaten für auswärtige Aktivitäten und für das Militär deutlich im Rückgang begriffen, weil die Etatkürzungen kaum noch Spielräume lassen. Auch hätten in den Auseinandersetzungen um den Kampf gegen die Krise die “Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten zugenommen”, heißt es bei der SWP; das wirke sich hemmend auf “gemeinsames außenpolitisches Handeln” aus. Der Think-Tank weist außerdem darauf hin, dass unter dem Eindruck der fortdauernden Krise und der harten deutschen Spardiktate nicht zuletzt das Ansehen der EU und damit auch ihre “soft power” weltweit erheblichen Schaden genommen habe. Besonders schwer wögen die Kürzungen beim Militär, die bei mittleren und bei kleineren EU-Staaten teils 30 Prozent der Verteidigungsetats erreichten und langfristig sogar deren Fähigkeit in Frage stellten, sich an EU-Kriegen zu beteiligen. Die Option, mit einer gemeinsamen Außen- und Militärpolitik der EU die eigene Schlagkraft zu erhöhen und langfristig womöglich zur Weltmacht aufzusteigen, galt in Berlin stets als wichtiges Motiv für den Auf- und Ausbau der EU.

Sparzwänge
Eine wichtige Ursache für die deutlich spürbare Schwächung der EU-Außenpolitik sind der SWP zufolge die Haushaltskürzungen in den Mitgliedstaaten, die das Berliner Austeritätsdiktat seit einiger Zeit erzwingt. Dies betrifft in hohem Maße die Militäretats, die umfassend gekürzt werden müssen; gäben die 27 EU-Staaten heute insgesamt gut 220 Milliarden Euro im Jahr für das Militär aus, so sei laut “einschlägigen Prognosen” bis zum Jahr 2020 mit einem Rückgang um mindestens 50 Milliarden Euro zu rechnen, berichtet die SWP. Vor allem in den südlichen Krisenstaaten seien auch Bereiche der klassischen Außenpolitik betroffen. So hätten etwa “Spanien, Portugal, Griechenland und Italien entschieden, auch ihre Ausgaben für entwicklungspolitische Maßnahmen und die südliche Nachbarschaft der EU zu senken”. Spanien habe außerdem “den Haushalt seines Außenministeriums zusammengestrichen und Botschaften in Drittstaaten geschlossen”. Es sei zur Zeit nicht damit zu rechnen, “dass die Beschränkungen der nationalen finanziellen wie politischen Handlungsfähigkeit auf EU-Ebene ausgeglichen werden können”. Vielmehr sei der “Sparzwang” spätestens im Frühjahr 2013 auch “im Haushalt der Gemeinschaft zum Tragen” gekommen.

Zerstritten
Hinzu kommen der SWP zufolge wachsende Unstimmigkeiten zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Der Streit zwischen diesen habe “im Verlauf der Krise zugenommen” und werde darüber hinaus “mit größerer Härte ausgetragen (…) als in der Vergangenheit”, heißt es in der Studie. Das wirke sich “negativ auf die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaftsinstitutionen aus”. So habe sich die EU im Rahmen der G20 zuletzt “kein Gehör verschaffen” können – “aufgrund der Divergenzen zwischen den Mitgliedstaaten”, erläutert die SWP. Zur Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Doha habe die EU-Kommission nicht einmal über ein abgestimmtes Verhandlungsmandat verfügt. Angesichts der schärfer werdenden inneren Auseinandersetzungen “erscheinen große Sprünge in der Außen- und Sicherheitspolitik der EU auf absehbare Zeit unrealistisch”, resümiert die Studie.

Unattraktiv
Nicht unterschätzt werden darf dem Papier zufolge der Verlust der EU an “soft power”. Einerseits sei die EU “in den Augen vieler Schwellenländer” dem “neoliberalen Modell des 'Washington Consensus' verhaftet” und trage “Mitverantwortung für den Ausbruch der weltweiten Finanzkrise”; dies verringere den Anreiz zu engerer Kooperation mit ihr. Andererseits werde die außenpolitische Schwächung der EU weltweit genauestens registriert; sie mindere ebenfalls die Wertschätzung des Staatenbundes seitens anderer Länder. So hätten sich zum Beispiel die Beziehungen zwischen der EU und der Volksrepublik China “im Verlauf der Krise zunehmend auf Fragen der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen verengt”. Davon profitiere übrigens in besonderem Maß Deutschland, das aufgrund seiner Wirtschaftsstärke zum präferierten und privilegierten Partner Chinas aufstieg”.

Minus 40 Prozent
Ganz besonders schwer wiegen laut SWP die Einschnitte in die Militäretats. Zwar gelinge es den größten EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien bislang, ihre Kürzungen unter acht Prozent zu halten. Gleichzeitig hätten jedoch “die meisten mittleren EU-Staaten” zuletzt “Kürzungen von 10 bis 15 Prozent” beschlossen; bei den kleinen Mitgliedstaaten streiche man “bis zu 30 Prozent” der Mittel. Österreich und Portugal hätten bereits 2012 in Aussicht gestellt, “ihre verteidigungspolitischen Ausgaben in den nächsten vier Jahren um 40 Prozent zu senken”. Wie die SWP schreibt, zeichne sich “eine Umkehr dieses Trends (…) in naher Zukunft nicht ab”. Dies führe zur Verkleinerung der Truppenkörper und – wegen eingeschränkter Möglichkeiten zur Aufrüstung – auch zur Reduzierung der Operationsmöglichkeiten. Könnten die größten EU-Staaten wohl “auch künftig nahezu das gesamte Fähigkeitsspektrum abdecken”, so gäben inzwischen die mittleren und die kleineren ganze “Fähigkeitsbereiche” auf.

Abgehängt
Geldmangel veranlasse immer mehr Staaten darüber hinaus zum Rückzug aus Auslandseinsätzen, schreibt die SWP. So hätten Griechenland und Portugal bereits entschieden, “Personal und Material aus der Kosovo-Operation KFOR abzuziehen”, kritisiert das SWP-Papier: “In solchen Fällen stehen finanzielle Fragen über der Bündnissolidarität.” Eine Beteiligung an neuen Militär-Interventionen werde “sehr viel kritischer geprüft”. Letztlich münde die Entwicklung in eine “Renationalisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik”. Dabei klafften die Kapazitäten der jeweiligen nationalen Streitkräfte immer weiter auseinander. Die größten EU-Staaten modernisierten ihre Armeen “zwar langsamer, aber dennoch kontinuierlich weiter”, während mittlere und kleinere EU-Staaten oft dazu gezwungen seien, “Beschaffungs oder Modernisierungsprojekte zu verschieben oder ganz aufzugeben”. Damit werde “die Lücke zwischen Modernisierern und Zurückbleibenden (…) immer größer”. Dies stelle die Möglichkeit, zur Kriegführung auch künftig Truppen kleinerer und mittlerer EU-Staaten zu nutzen, prinzipiell in Frage: “Die abgehängten Staaten” könnten “nicht mehr ohne weiteres an Operationen teilnehmen, weil ihre Ausrüstung immer weniger interoperabel ist”.

Noch nützlich?
Die Option, mit einer gemeinsamen Außen- und Militärpolitik der EU die eigene Schlagkraft zu erhöhen und langfristig wenn möglich zur Weltmacht aufzusteigen , galt in Berlin als wichtiges Motiv für den Auf- und Ausbau der EU. Den wirtschaftlichen Nutzen des Euro stellen inzwischen Teile des deutschen Establishments in Frage (german-foreign-policy.com berichtete ). Dagegen wird immer wieder eingewandt, eine Preisgabe des Euro gefährde den Bestand der EU, die wegen ihres außen- und militärpolitischen Nutzens für Deutschland unbedingt zu bewahren sei. Bei einer weiteren spürbaren Schwächung der EU-Außen- und Militärpolitik entfiele in der Debatte um die Beibehaltung des Euro und womöglich auch der EU dieses Motiv.