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"Wir brauchen einen gerechten Handel!" (2)

Ausgabe 201

(iz). In der letzten und in dieser Ausgabe dokumentieren wir den relevanten Beitrag des bekannten US-amerikanischen Gelehrten Hamza Yusuf Hanson beim letztmaligen „Reviving the Islamic ­Spirit“-Meeting (Dezember 2011) im kanadischen Toronto. Hanson erinnert ­darin an die Verpflichtung aller Muslime, sich für Gerechtigkeit in ihren wirtschaftlichen Transaktionen einzusetzen, die von ihren rituellen Obligationen nicht zu trennen ist.
Es gibt über 50.000 muslimische Ärzte in den Vereinigten Staaten und es ist klar, dass sie ­einen Einfluss auf ihre Gesellschaft haben. Die Menschen legen ihr Leben jeden Tag in die Hände muslimischer Mediziner. Im Gegenzug müssen diese jeden Monat hunderte Millionen US-Dollar für ärztli­che Berufsversicherungen zahlen. Wir haben im Islam eine Tradition namens Takaful, die den Versicherungen überlegen ist. Hier investiert man sein Geld wirklich. Geschieht etwas, wird die Inves­tition liquidiert. Angehörige anderer Religionen oder Atheisten würden hier mitmachen wollen, weil sie bei diesem Modell nicht jeden Monat ihr Geld ­verlieren, sondern etwas zurückbekommen.
Alle Muslime zahlen für die KFZ-Versicherungen. Wo gibt es nicht-gewerbli­che KFZ-Versicherungen, die etwas an die Gemeinschaft zurückgeben? Wo bleibt unsere Kreativität? Warum denken wir nicht ökonomisch? Wir geben so viel Geld für diese Unternehmen aus, und was erhalten wir zurück? Einigermaßen gute Straßen und Infrastruktur, nette Rathäuser usw., aber das meiste Geld geht an Firmen, die unser Geld verschwenden. Liest man das Kleingedruck­te in den Verträgen dieser Versicherungen, ist es erstaunlich, was sie sich alles erlauben dürfen. Man muss nur sehen, was den Überlebenden von Katrina widerfahren ist: Viele hatten zwar Versiche­rungen gegen Wirbelstürme, weil aber ein Damm brach, wiegelten die Versiche­rer die Schuld darauf ab. Und so ­verloren viele Menschen ihre Häuser.
Der Prophet riet uns, es den Menschen einfacher zu machen, bis sich ihre Lage bessert. Muslime veranstalten keine Zwangsversteigerungen von Familienhäusern. Bankräuber verjagen keine Menschen aus ihren Häusern, Banker schon. Woodie Guthrie, der große amerikanische Dichter sagte: „Manche berauben dich mit einem Füllfederhalter und manche mit einem sechsschüssigen Colt.“
Die Banken verteilten Kredite, Deriva­te usw. Sie haben nicht nur ihre Hypothekenkunden beraubt, sondern auch die Pensionskassen der Feuerwehrmänner und aller anderen, die glaubten, ihre Renten wären hier krisensicher angelegt. Ratingagenturen wie Standards & Poor haben die Menschen betrogen. Die Finanziers wetteten gegen sich selbst! [Der Philosoph] Spinoza sagte, dass Geiz und Habgier verschiedene Arten des Wahnsinns seien. Wir vergessen, dass diese ­Leute klinisch wahnsinnig sind, und wir ihnen trotzdem unseren Wohlstand übergeben. Allah sagt, dass man Leuten sein Eigentum nicht anvertrauen darf, die es missbrauchen. Mit jedem Scheck, den wir unterschreiben, ermächtigen wir diese Idioten! Benutzt keine Kreditkarten, benutzt Bargeld, und enthaltet ihnen ­diese vier Prozent [Gebühr] vor. Die ­Banker versuchen, das Bargeld abzuschaffen. Aber auch dies ist nur eine Übergangslösung.
Das durch Realvermögen [wie Gold, Silber etc.] gedeckte Eigentum ist die einzige Art echten Wohlstands. Lasst mich etwas Studenten der Wirtschaftswissenschaften sagen: Sie durchlaufen einen Prozess der Gehirnwäsche. Sagt man ihnen, dass wir zu einer bimetallischen [Gold und Silber] Währung zurückkehren müssen, antworten sie: „O nein, das ist die Vergangenheit. Das galt früher einmal. Das war ein schlechtes System, das nicht funktionierte.“ Wer sagt, dass es nicht funktioniert? Es gab dieses System tausende Jahre lang. Bei Gold gibt es kaum Inflation. Dies kann nur passie­ren, wenn neue Minen entdeckt werden. Aber die globale Goldmenge steigt pro Jahr minimal. Betrachten wir doch die heutige Inflation. [Der amerikanische Dichter] Robert Frost schrieb ein Gedicht über Währung, das er niemals veröffentlichte. Darin sprach er über den Schmerz, wenn „10 Cents nur noch 5 wert sind. Wir ergreifen unsere Glieder, in denen wir ihn spüren: das Herz und den Verstand. Es schneidet uns jemand entzwei. Wirft jemand einen gefährlichen Blick von unserer Ruhestätte zum Ort der inthronierten Könige von Erde und Himmel, wissen sie nur zu gut, über was sie lachen können“. Er schrieb 1919 über Inflation, als Präsident Woodrow Wilson – um die Kosten des Krieges zu bezahlen – neues Geld drucken ließ.
Warum sind die Chinesen wütend? Sie erkennen, dass all das Geld [die enormen Mengen US-Dollar, mit denen die Amerikaner bei ihnen bezahlen] dauernd an Wert verliert. Kürzlich erschien das Buch „Währungskriege“, über den Zusammen­bruch des US-Dollars. Was im Augenblick in Europa geschieht, ist ein Währungskrieg gegen den Euro. Dies geschieht überall, aber wir nehmen es nicht wahr, weil dies Papiergeldwährungen sind, die keinen Wert haben. Wirklicher Wert liegt in Gold und Silber.
Zur Zeit des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, bestand zwischen Gold und Silber ein Verhältnis von 10:1. Unter Präsident Hamil­ton, zu Beginn der US-amerikanischen Bimetallwährung, war das Verhältnis 14:1. 1873 wurde Silber als Zahlungsmit­tel in den USA verboten. Warum ­haben sie Silber verboten? Weil die Banker wussten, dass es mehr Silber als Gold gab, und sie in Gold bezahlt werden ­wollten. Vorher war es für Farmer und arme Leute einfach, ihre Schulden zu bezahlen. Und so wurde das Silber aus den USA verbannt. „Der Zauberer von OZ“ ist in Wirklichkeit eine Metapher des Kampfes gegen Silber. In der Originalgeschichte waren die Dorothys Schuhe aus Silber. Der Autor Frank O. Baum machte die Vogelscheuche zum Gleichnis für die Bauern in den ländlichen Gebieten, und den Metallmann zur Metapher für die Arbeiter im industrialisierten Nordosten. Sie verloren ihr Herz wegen der Entfremdung von ihrem eigenen Leben.
Muslime sollten die bimetallische Wäh­rung unterstützen. Wir brauchen Ökonomen, die dieses Thema studieren. Wir brauchen keine oberflächliche ­Lehre, die das herrschende System akzeptiert. Die muslimischen Ökonomien glauben, sie könnten das System reformieren. Das entspricht einem Pflaster auf einer ­großen Wunde. Riba [Wucher] ist die große Sünde im Qur’an. Allah erklärte denjeni­gen, die Wucher nehmen, den Krieg. Der Prophet sagt, dass eine Zeit kommen wird, in der alle Wucher nehmen und geben. Heute reden wir von Zinsen, aber was hier wirklich gemeint ist, ist „Wucher“. Seine Gefährten fragten ihn „alle?“, weil sie wussten, was für eine schwerwiegende Sache Riba ist. Und er, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Und derjenige, der ihn nicht verzehrt, wird von seinem Staub bedeckt sein.“ Hier muss man die Gabe die prophetischen Gabe des Gesandten Allahs erkennen. Er hat die Wahrheit gesagt!
Eine andere Sache, die wir tun können, ist die Unterstützung unserer lokalen Wirtschaft. Überall in den USA gibt es Bauernmärkte, die wiederbelebt werden, um den Farmern zu helfen, die vom Agrobusiness vom Markt gedrängt werden. Außerdem müssen wir über das Problem der Lebensmittel nachdenken. Heute haben wir ein total ungerechtes Lebensmittelsystem. Obwohl wir Zucker aus anderen Ländern essen können, der dort billiger und besser produziert wird, gibt es im Westen Handelsbeschränkun­gen für die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Und so nehmen wir ungesunde Maisglukose [aus einheimischer Produktion] zu uns, die eine schlechte Zuckerquelle ist.
Unabhängige und renommierte Forscher aus den USA und Großbritannien führten eine Studie durch, um das Verhältnis von Ernährungsgewohnheiten und Krankheiten – die so genannte „China-Study“ – zu erforschen. Ihre erschreckenden Ergebnisse wurden von der US-Lebensmittelindustrie verfälscht. Die Wissenschaft dient nicht mehr Menschen, sondern ökonomischen ­Interessen. Bei der Originalstudie kam heraus, dass in Gebieten Indiens, in denen es nur wenig Protein aus Fleisch und Molkereipro­dukten gab, sehr geringe Krebsraten vorlagen. Zuerst wurde gemunkelt, die Forscher hätten sich bei den Ergebnissen geirrt; Campbell, der Forschungsleiter, wiederholte die Erhebung mehrfach an anderer Stelle.
Es muss angemerkt werden, dass das Fleisch, das unsere Vorfahren aßen, nicht den heutigen Produkten entspricht. Die Tiere lebten in Freilandhaltung und man könnte ihr Fleisch als „organisch“ oder „Bio“ bezeichnen. Man hatte früher kein Wort dafür, weil alles „Bio“ war. Mein Großvater hatte eine Rinderfarm, auf der ich meine Ferien verbrachte. Von ihm lernte ich Respekt für Tiere, den früher alle Bauern hatten. Tierrechte sind nichts neues. Der Islam gesteht Tieren eigenständige Rechte zu. Einer der Prophetengefährten legte Brotkrumen auf einen Ameisenhügel. Ein Muslim der ­nächsten Generation (Tabi’in) fragte ihn, warum er das getan hatte. „Ich will nicht, dass die Ameisen Zeugnis gegen mich ­ablegen am Tag des Jüngsten Gerichts, wenn ich nicht die Rechte meiner Nachbarn achte“, entgegnete der Sahaba.
In der Muwatta’ [der Hadith- und Rechtssammlung von Imam Malik] gibt es zwei Stellen über Fleisch. An einer heißt es: „Das Fleisch ist der Meister des Essens.“ Das heißt, dass es der beste Teil des Essens ist; aber man geht auch nicht jeden Tag zum Meister! Während seines Khalifats verbot ‘Umar ibn Al-Khattab, jeden Tag Fleisch zu essen. Von ‘Umar findet sich in der Muwatta’ auch: ­“Hütet euch vor zu viel Fleisch, denn es hat die gleiche Suchtwirkung wie Wein.“ ­Heute gibt es Muslime, die drei Mal täglich Fleisch essen! Und dann wundern sie sich, warum sie Krankheiten wie Gicht haben!
Wir müssen uns transformieren und uns gesund ernähren. Und zwar mit Lebensmitteln, die lokal erzeugt werden. Imam Sahl At-Tasturi machte seinen neuen Studenten zur Bedingung, dass sie nur einmal die Woche Fleisch essen sollten. Im malikitischen Recht hat selbst eine reiche Frau nur zwei Mal wöchentlich ein Anrecht auf Fleisch. In den Hadithsammlungen finden sich Überlieferungen, wonach der Prophet einmal zwei Monate lang nur von Wasser und Datteln lebte. Wir essen viel zu viele industri­ell erzeugte Lebensmittel. Heute erkrankt jeder vierte an Krebs. 70 Prozent der Erwachsenen über 40 Jahren in einigen Golfstaaten leiden heute an Diabetes Typ II. Esst gute, frische und gesunde Lebens­mittel! At-Tasturi sagte, dass die Rechtschaffenen nur zwei Mal am Tag essen.
Schließlich können wir auch jene Firmen unterstützen, die sozialverträglich arbeiten. Mittlerweile gibt es Apps, mit deren Hilfe man diese Firmen und ihre Erzeugnisse finden kann. Wählt Fluglinien aus, die mehr Geld als andere spenden und ihre Mitarbeiter besser behandeln. Heute gibt es die Freegans; Menschen, die aussteigen, weil sie nicht mehr Teil dieses ungerechten Systems sein wollen, das unseren Planeten tötet. Ich kenne Nichtmuslime, die haben ihre Kredit­karten zurückgegeben, weil sie nicht mehr Teil dieses Banksystems sein wollten. Als Muslime müssen wir Veränderungen wirklich wollen. Wir können unsere eigenen Systeme schaffen. Es ist unsere Pflicht.
Am Ende geht es vor allem um die Vorbereitung für den Tag des Jüngsten Gerichts. Vielleicht können wir nichts ändern, und vielleicht ist das die vorherbestimmte Richtung unserer Welt. Allah, der Allerhöchste, hat die Führung, und Er entscheidet, was geschieht. Unsere Religion ist eine Religion der Hoffnung. Wir hoffen auf Allah und auf unseren Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, der uns niemals betrügen wird – unabhängig davon, wie viel Betrug es in der Welt geben mag. Der Prophet wird sich um euch kümmern, er wird euch über den Sirat ­führen und von seinem Haud zu trinken geben. Er wird euch beistehen, solange ihr ihm beisteht.
Wir müssen unseren Kindern Hoffnung geben. Hoffnung ist jene Sache in unserer Seele, die ohne Worte singt und niemals endet.
Ändert euer Leben, reinigt euer Zuhau­se und hört auf, dieses ungerechte Wirtschaftssystem zu unterstützen.