Der Berliner Ali Osman Özkök erinnert sich an seinen Studienaufenthalt am „Islamic College“ in Großbritannien

Ausgabe 213

(iz). Wer sein Abitur macht, will erst einmal reisen, Spaß haben und Erfahrungen sammeln, bevor man sich nach 13 Jahren Schule erneut an etwas bindet. Gute Idee! Warum dann nicht einfach ein spiri­tuelles Auslandsjahr in England, am „Islamic College“ verbringen? Fern der Heimat, fremde Kultur und islamische Exkurse in einem.

Eine bessere Idee, den Alltag loszuwerden und gleichzeitig doch was mitzuneh­men, gab es für mich nicht. Bloß raus und Luft schnappen. Die Welt kennenlernen und doch sein innerstes Gut nicht verlieren. Die Zeit, meine Religion – den Islam – endlich zu hinterfragen, sich zu besinnen und sich mit ihren Facetten auseinander zu setzen, gab es in der Schul­zeit nur all zu selten. Doch nun habe ich der Treppe meines Lebens endlich einen Schritt abgerungen und möchte mich auf den Weg machen, ein Auslandsabenteuer auf die islamische ­Weise zu genießen.

Den Segen meiner noch skeptischen Eltern errungen und die letzten ­Klausuren geschrieben, nahm ich den ersten ­Flieger nach England. Freude, Erwartung und Argwohn mischten sich, als ich vor dem islamischen College in Blackburn stand und nicht wusste, was mich nun erwarten wird. Schräge und rückständige ­Typen, die ich nicht verstehe, weil ich in Deutschland sozialisiert wurde, ­fürchtete ich insgeheim. Nein, solche Ängste versuchte ich zu unterbinden. Ich bin in England, welches vor wenigen Jahrzehnten noch ein Weltreich war, dachte ich mir. Ein Land mit einer großen und alten muslimischen Minderheit und entwickelten ­Tradition muss mehr zu bieten haben.

Und so kam es auch. Trotz der langen weißen Gewänder und Käppchen, die wir alle als Schuluniform trugen, ­bildete das College eine erstaunliche Symbiose aus islamischer Tradition und englischem Schulsystem. Schließlich war der Tag am „Islamic College“, wie es auf Englisch hieß, erstaunlich gut organisiert und geprägt von Eifer und Wissensdurst.

Wie toll, dass der Durst auf akademische und auch islamische Art gestillt werden konnte, dachte ich stets. Bis in den Mittag hinein gab es von Montag bis Samstag ein beeindruckendes Pensum an islamischen Fächern. Grundsätzlich wurde der Unterricht mit der Lehre der Qur’an­rezitation begonnen, Islamisches Recht, Islamische Geschichte, Urdu und Hocharabisch folgten. Prophetenkunde ­wurde vorwiegend in Urdu oder schon in einfa­chem Hocharabisch gehalten. Hadith- Bücher übersetzten wir regelmäßig ins Englische.

Ich habe, um mein Englisch mit aufzufrischen, Unterrichtsthemen gerne gleich noch ins Deutsche übersetzt, welches sich zu eine Art Hobby entwickelte bei mir. Die Bücher häuften sich wie von allein. Nach einer ­Mittagspause waren Fächer wie Englisch, Mathematik und Chemie dran. Selbst in diesen Fächern wurden wir teils von islamischen Gelehrten unterrichtet, die die linearen Funktionen mindestens genauso gut beherrschten wie die Rezitation aus dem Qur’an.

Es war toll mitzuerleben, wie farbenfroh und interessant die Kombination aus den mir bislang fremden Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Islam und Alltag war. So ist es gar nicht schwer, am Abend für die Shakespeare-Klausur in Englisch zu lernen und bevor das obligatorische Gebet ausgerufen wird, noch ein paar ­Seiten islamischer Literatur zu lesen.

Vor allem erstaunlich ist die Akzeptanz, auf die man in der englischen Gesellschaft trifft, wenn man vom „Islamic College“ spricht und mit Pluderhose und islamischen Gewand durch die „Shopping Mall“ spaziert. Es ist ein Zeichen der Toleranz und Akzeptanz, die das englische Land mir so lieb machte. Eine bisher unbekannte Offenheit und Sympathie ­ergab sich mir, in der Islam und Fortschritt, eine deutlich stärkere Verbindung eingehen können, ohne sich gegenseitig verleugnen oder reduzieren zu müssen. ­Islam – in all seinem Facettenreichtum – und Großbritannien – mit seinem ­kulturellen Charme – eröffneten mir auf meinem Abenteuer als ein gemeinsames und vor allen Dingen durchaus einheitliches Bild.

Ich absolvierte ein Jahr am „Islamic College“, lernte mehr vom Islam und lebte ihn, wie ich es noch nicht gewohnt war. Tagtäglich verbrachte ich Zeit mit jungen Briten aus den verschiedensten Regionen des Landes, reiste in den Ferien mit meinen neuen Freunden durch Schottland und den belebten Städten Englands und beendete mein Jahr mit einem vollwertigem College- Abschluss. Grundsätzlich ging es mir nicht darum, ein Jahr einfach zu vergeuden und sich berieseln zu lassen. Nein es ging um kulturelle und spirituelle Erfahrung, die mir das Jahr am „Islamic College“ in England brachte. Ich wünschte mir eine persönliche, aber auch akademisch fundierte Erfahrung, in meine deutsche Heimat zurücknehmen zu können. Neben ­vielen Büchern, gutem Essen und viel Spaß, bleibt mir die Freundlichkeit in Erinne­rung, mit der mich Muslime und Nicht-Muslime auf der Insel aufnahmen.

Sozialisiert und aufgewachsen in Deutschland, lebe ich nun Religion und soziale Teilhabe in der Gesellschaft mit einem neuen und gefestigten Verständnis. Die Erfahrung am „Islamic College“ ­brachte mir vor allem die Vereinbarkeit einer modernen Informationsgesellschaft mit den Traditionen des Islam zu Augenschein und begeisterte mich. Abschließend möchte ich behaupten, dass beide Komponenten sich nicht nur mit einander vertragen, sondern sich sogar gegenseitig beflügeln und eine vielseitige, positive Grundeinstellung zu den akademischen Wissenschaften und dem Islam bewirken können.