Der deutsche Staatsbürger Sinasi Ates ist seit 7 Jahren ohne Anklage inhaftiert

Ausgabe 227

Der deutsche Staatsbürger Sinasi Ates sitzt seit 7 Jahren ohne Prozess im berüchtigten Rumiye-Gefängnis im Libanon. Dort soll er auch Folter ausgesetzt worden sein. Das Militär wirft ihm die Mitgliedschaft in einer militanten Gruppe vor. Er selbst bestreitet dies. Hier ein Interview mit der besorgten Mutter Leyla Aksu (Nachnahme wegen neuer Heirat geändert).

Islamische Zeitung: Frau Aksu, wann haben Sie ihren Sohn das letzte Mal gesehen?

Leyla Aksu: Das letzte Mal habe ich ihn im Jahr 2010 gesehen. Ich besuchte ihn drei Mal im Libanon. Die Deutsche Botschaft organisierte mir in den letzten sieben Jahren nur einen Besucherschein. Eine libanesische Familie aus Bonn half mir, weitere Besucherscheine zu beantragen. Seit kurzem haben wir Kontakt übers Telefon. Bis dahin bekam ich nur manchmal Informationen über ihn vom Roten Kreuz.

Islamische Zeitung: Warum war ihr Sohn im Libanon?

Leyla Aksu: Er war verheiratet, die Ehe ging in die Brüche und er ließ sich scheiden. Er wollte wieder heiraten, am besten eine Frau, die arabisch spricht und den Koran versteht. Freunde meinten zu ihm, solche Frauen seien schwer in Deutschland zu finden und das sie jemanden in Syrien kennen, der Kontakte nach Saudi-Arabien habe und Ehen abwickeln könne. Das war vor mehr als acht Jahren. Er ging zunächst in die Türkei. Dort entschloss er sich, nach Syrien zu gehen und blieb dort drei Monate. Zunächst lernte er eine Frau kennen, bei der sich später rausstellte, dass sie keine Kinder bekommen konnte, also wurde daraus nichts. Einer der mit ihm war, hatte Bekannte im Libanon. So entschieden sie, dorthin zu gehen und es dort zu versuchen. Sinasi meinte, sie waren an einem Ort, an dem viele aus Deutschland und der Türkei waren; sie hatten dort Ferienhäuser und machten Urlaub. Sie waren mehrere Monate dort und lebten bei der Familie seines Freundes.

Islamische Zeitung: Das libanesische Militär wirft ihm vor, er wäre an Kämpfen beteiligt gewesen.

Leyla Aksu: Mein Sohn verneint dies und weist auf die Tatsache hin, dass er sich schon im Libanon befand, bevor die Kämpfe ausbrachen. Er kann nicht verstehen, dass Behörden ihm vorwerfen, Deutschland verlassen zu haben um „in den Dschihad zu ziehen”. Er sagte, er sei drei Monate in Syrien gewesen. Hätte er in den Krieg gewollt, wäre er gleich über die Grenze ins Nachbarland Irak gereist. Und er wiederholte, dass er zudem kein Arabisch konnte.

Islamische Zeitung: Warum wurde er dann vom Militär verhaftet?

Leyla Aksu: Sinasi erzählte, dass er ein paar Monate bei der Familie lebte und sich dann mit seinem Freund eine eigene Wohnung leistete. Er kann sich noch erinnern, dass er eines Nachts um drei Uhr draußen Schüsse hörte und der Krieg ausbrach. Er hielt sich zwei, drei Tage in der Wohnung auf und einige Bewohner der Stadt meinten, es sei ganz normal, dass gelegentlich kleinere bewaffnete Konflikte ausbrächen – die sich dann wieder legten. Zu fliehen bräuchten sie nicht. Aus dem Grund verliess er die Stadt nicht. Dann nach etwa acht Tagen schlug in der Nähe seiner Wohnung eine Bombe ein. Die Explosion verletzte ihn an Arm und Schulter. Der Freund, der mit ihm war, brachte ihn ins Krankenhaus und verschwand darauf hin. Sinasi sprach immer noch kein arabisch. Er meinte, ihm wurde bewusst, dass dieser Konflikt länger anhalten würde und er fliehen sollte. Da er verletzt war und sich alleine nicht auskannte, konnte er sich nicht in Sicherheit bringen. Vier Wochen später sagte er dann, dass er die Stadt verlassen wolle, jedoch erklärte man ihm im Krankenhaus, ein gewisser Abu Huraira verbiete es. Sinasi sagte, erst später im Gefängnis bekam er heraus, dass dieser Abu Huraira ein Verantwortlicher der Gruppe „Fatah Al-Islam” war, die gegen das libanesische Militär kämpfte. Im Krankenhaus gab es auch verletzte Kämpfer aus der Gruppe. Nach etwa drei Monaten im Krankenhaus hörte er von einem Weg, aus der Stadt zu fliehen. Als er die Flucht versuchte, wurde auf ihn geschossen und er rettete sich ins Meer. Als das Militär ihn mit einem Boot auflies, erklärte er ihnen auf Englisch, dass er mit diesem Krieg nichts zu tun habe und aus Deutschland komme. Er nannte ihnen seinen Namen, damit sie es überprüfen konnten.

Islamische Zeitung: Was geschah dann mit ihm?

Leyla Aksu: Er sagte, er kam in ein Gefängnis, in dem er sich vorübergehend aufhielt. Dort wurde er gefoltert und man gab ihm Papiere, die er unterschreiben sollte, die er aber nicht lesen konnte. Ein Dolmetscher erklärte ihm, er würde weiter gefoltert werden solange er nicht unterschreibe. Er unterschrieb. In der ersten Woche soll er schrecklich gefoltert worden sein. Als dann klar wurde, dass er Deutscher Staatsbürger war, wurde mehr Rücksicht genommen, eingestellt wurde die Folter allerdings nicht. Nach etwa 40 Tagen brachte das Militär ihn dann in das Rumiye-Gefängnis nahe Beirut, in dem er noch heute einsitzt. Der Beweis für seine „Mitgliedschaft in der militanten Gruppe“ ist nun das schriftliche Geständnis und kann, falls es zu einem Prozess kommt, gegen ihn verwendet werden. Als ich im Libanon war, sagten Einwohner mir, dass es vielen in diesem Gefängnis wie Sinasi ergeht. Sinasi sagte, ein paar Mal habe er Kontakt zu einem Roten-Kreuz-Mitarbeiter gehabt, der deutsch sprach. Auch er beklagte, dass dieses Gefägnis viele Unschuldige beherberge. Das war sein einziger Kontakt mit einem unabhängigen Außenstehenden, Kontakt zu Menschenrechtsorganisationen hatte er bislang keine.

Islamische Zeitung: Es gibt erstaunlicherweise nur einen Artikel im Internet über diese Geschichte. Der ist im SPIEGEL erschienen und aus dem Jahr 2007.

Leyla Aksu: Und er beinhaltet viele Unwahrheiten. Ich war schockiert, als ich den Artikel damals las. Ich wollte den SPIEGEL anklagen für das, was sie schrieben, ich hatte dort auch angerufen und mich beschwert. Sie meinten jedoch nur, die Behörden hätten ihnen diese Informationen gegeben. Als ich meinem Sohn erzählte was sie über ihn schreiben, sagte er mir: „Mutter mach Dir nichts draus, es sind alles Lügen.”

Islamische Zeitung: Hat Ihr Sohn einen Anwalt? Leyla Aksu: Ja, er hat seit etwa 4-5 Jahren einen libanesischen Anwalt, der 24.000 US-Dollar kostet. Mir wird vorgeworfen, dass er mit deutschen Steuergeldern bezahlt wird, aber das stimmt nicht. Mein Sohn muss die Kosten selbst tragen.

Islamische Zeitung: Der SPIEGEL schreibt, als er 2007 gefangen genommen wurde, hat er auf einen Anwalt verzichtet. Stimmt das?

Leyla Aksu: Das kann ich mir nicht vorstellen. Mein Sohn bekam mehrere Anwälte zur Auswahl und er hat sich diesen ausgesucht. Das Deutsche Konsulat hat den Anwalt gestellt.

Islamische Zeitung: Wie bemüht sich das Auswärtige Amt in diesem Fall?

Leyla Aksu: Ich habe dem Auswärtigen Amt gesagt, dass ich will, dass mein Sohn einen Prozess bekommt. Wenn er schuldig ist, dann ist er schuldig. Wenn er es nicht ist, dann nicht. Aber es soll zu einem Prozess kommen. Doch ein Jahr nach dem anderen verstrich, ohne das es zu einer Anhörung kam. Als ich das letzte Mal im Deutschen Konsulat im Libanon war, sagte man mir, bei dieser Verhandlung, würde man die Todesstrafe verhängen. Ich bestand jedoch weiterhin auf einen fairen Prozess. Das Auswärtige Amt sagte nur, wir sollen abwarten. Das hat mich stutzig gemacht. Als ich sie fragte, warum sie sich nicht um ihn kümmern, meinten sie nur, sie würden es tun. Das sagen sie nun seit 7 Jahren, ohne das etwas passiert.

Islamische Zeitung: Konnte der Anwalt bisher helfen?

Leyla Aksu: Der Anwalt kann nur helfen, wenn ein Prozess beginnt. Allerdings sagte er auch, von Deutscher Seite müsse endlich was geschehen. Es müsse Druck gemacht werden, aber es geschieht nichts.

Islamische Zeitung: Warum reagiert der Staat nicht?

Leyla Aksu: Ich weiß es nicht. Mich hat einmal ein Pressevertreter angerufen. Als ich geschimpft habe, warum mein Sohn in den Medien so verunglimpft wird, sagte er mir, er habe seine Informationen von bestimmten Behörden und „Sinasi wolle sowieso niemand haben”. Mich rief auch mal jemand an und meinte „für 10.000 US-Dollar würde Sinasi frei kommen”. Ich lehnte ab und bestand weiterhin auf einen fairen Prozess. Die unbekannte Person rief nie wieder an.

Islamische Zeitung: Mit welchen Medien und Organisationen sprachen Sie bis jetzt?

Leyla Aksu: Mit der „Goslarer Zeitung“, dem SPIEGEL und einigen anderen, aber ich wollte irgendwann nicht mehr. Ich habe den Pressevertretern die Türen geöffnet, doch die Journalisten haben nur Vorwürfe verbreitet. Sie schrieben sogar, überall in meinem Haus würde der Koran hängen und ich sei streng-religiös. Ich hatte Kontakt mit Frauen denen ähnliches passierte. Manche hatten ebenfalls Söhne im Libanon, denen erst nach fünf oder mehr Jahren ein Prozess gemacht wurde und die dann frei kamen. Ich denke mir bei meinem Sohn wird es auch so kommen.

Islamische Zeitung: Haben sich keine Menschenrechtsorganisationen um Sie gekümmert?

Leyla Aksu: Ich kannte niemanden und habe lange nach Unterstützung gesucht. Ich habe Menschen gefragt und war in Moscheen. Niemand konnte mir helfen und mit dem Internet kenne ich mich nicht aus. Ich wollte damit ins Fernsehen, aber habe keinen der mir hilft. Mein Sohn beruhigte mich und war überzeugt er würde bald frei gelassen werden. Das so viel Zeit vergehen würde, hatten wir nicht gedacht. Nie hat sich jemand bei mir gemeldet, selbst die Deutsche Botschaft nicht. Immer war ich es, die die Anfragen stellen musste. Und sie sagten immer nur “wir kümmern uns darum”. Ich wusste nicht wohin.

Islamische Zeitung: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zur Deutschen Botschaft?

Leyla Aksu: Ich habe dort vor zwei Wochen angerufen und nach Informationen gefragt. Sie haben wie immer dasselbe gesagt, ich kenne die Antwort mittlerweile schon. Man kümmert sich nicht um einen fairen Prozess. Es wird kein Druck ausgeübt und es passiert nichts. Seitdem mein Sohn im Gefängnis ist, weiss ich, dass niemand unsere Stimme hört.

Islamische Zeitung: Frau Aksu, alles Gute für die Zukunft und danke für das Interview.