„Der Frieden ist erst seit kurzem oberstes Ziel der Politik“

Atomwaffen Europa
(Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin, Foto: I. Desnica

Münster (exc). Das politische Ziel des Friedens hat Historikern zufolge noch nie einen so hohen Stellenwert eingenommen wie heute. „Wer etwa 1913 Frieden für das wichtigste politische Ziel hielt, gehörte zu einer Minderheit“, sagt der Zeithistoriker Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster vor Beginn des 101. Deutschen Katholikentags, der am Mittwoch in Münster unter dem Motto „Suche Frieden“ beginnt.
„Heute dagegen rangiert Frieden auf Platz eins der Bevölkerungserwartungen an die Politik – das verwundert, da Menschen in allen Epochen Frieden ersehnten und vielfältig in der Kunst ausdrückten.“ In Europa habe die Friedensbewegung erst nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs an Gewicht gewonnen. Zur Mehrheitsmeinung sei die positive Sicht auf den Frieden erst mit der Friedensbewegung der 1980er Jahre geworden. Heute sei die Friedensbewegung in einer „Latenzphase“, so Thamer. „Sie ist weniger sichtbar, doch es gab immer ein Auf und Ab: Sollte sich die internationale Lage verschlechtern und Bedrohungsgefühle wachsen, lässt sich der Traditionsbestand aktivieren. Friedensdemos sind wahrscheinlich, wenn die Angst wächst.“
Die Kirchen- und Katholikentage in Deutschland hätten stets zur Kontinuität der Friedensbewegung beigetragen, so der Historiker. Dass der anstehende Katholikentag das Motto „Suche Frieden“ trägt und sich Ausstellungen dem Thema widmen, sei kein Zufall. „Das Thema liegt in der Luft, viele empfinden angesichts internationaler Krisen eine Kriegsbedrohung. Wird diese konkreter, ist eine erneute Mobilisation möglich. Vor wenigen Jahren war das noch undenkbar.“ Allerdings werde die weltpolitische Lage als deutlich komplexer empfunden als noch in der bipolaren Weltsicht des Kalten Krieges. Angesichts dieser „neuen Unübersichtlichkeit“ sei der Glauben an die Umsetzbarkeit des Friedens deutlich zurückgegangen. „Das Ende des Kalten Krieges hatte noch den Übergang in eine friedliche Welt versprochen. Die Friedensbewegten hatten das Gefühl, ihr Friedenswunsch sei politisch realisierbar. Aber schon die Golf- und Balkan-Kriege ernüchterten, ebenfalls die heutigen asymmetrischen Kriege wie der in Syrien.“
Plakate der Friedensbewegung: Bilder der Zerstörung, nicht des Friedens
Ob Friedenstaube, Atompilz oder Peace-Zeichen: Die bis heute bekannte Bildsprache der Friedensbewegung war für diese soziale Bewegung von großer Bedeutung, wie der Historiker erläutert, der auf die Untersuchung sozialer Bewegungen spezialisiert ist. Die Bildsprache hielt die Friedensbewegung zusammen, da sie sehr unterschiedliche Akteure umfasste – von kommunistischen über ökologische bis christlichen Gruppen.  „Die Plakate der nur locker organisierten Friedensbewegung waren das gemeinsame Erkennungszeichen, sie schufen einen Minimalkonsens und zeigten immer wieder ein Thema auf: die Bedrohung und Zerstörung der friedlichen Welt.“
Die Friedenstaube, die bis heute stark präsent ist, war damals allerdings nur ein Symbol von vielen, wie der Historiker sagt. „Die zentrale Bedeutung kam ihr erst in der Rückschau zu.“ Die Plakate zeigten häufiger Bilder aus dem Vietnamkrieg, Hiroshima und anderen zerstörten Städten. „Den Frieden selbst hingegen stellten Künstler und Friedensakteure des gesamten 20. Jahrhunderts nur sehr selten dar. Wie die Ausstellung ‚Frieden. Von der Antike bis heute‘ zeigt, steht das im starken Gegensatz zu früheren Epochen, die ihre Friedensideale in vielfältigen Allegorien und Symbolen verbildlichten.“
„Entrüstet Euch“
Der Zeithistoriker Hans-Ulrich Thamer hält am 24. Mai unter dem Titel „‘Entrüstet Euch‘: Frieden und soziale Bewegungen“ einen Vortrag über die Geschichte der Friedensbewegung. Er spricht auf der Tagung „FRIEDEN. Theorien, Bilder und Strategien von der Antike bis heute“, die Teil des Ausstellungsprojektes „Frieden. Von der Antike bis heute“ ist. Sie ist derzeit in Münster an fünf Orten zu sehen. Das LWL-Landesmuseum zeigt unter dem Titel „Wege zum Frieden“ Bilder vom Frieden und von Friedensbemühungen im Lauf der Geschichte, darunter zahlreiche Plakate der Friedensbewegung.
Mit Blick auf das Motto „Suche Frieden“ des 101. Katholikentags, führt der Wissenschaftler aus: „Das Engagement christlicher Gruppen hat der Friedensbewegung bis heute Kontinuität verliehen.“ Bei Kirchen- und Katholikentagen hätten so viele Zuhörer in Kundgebungen, Diskussionsforen und Friedensgebeten erreicht werden können wie bei kaum einem anderen Ereignis. „Gerade in den achtziger Jahren waren sie wichtige Mobilisierungsorte der Friedensbewegung, die in Reaktion auf den NATO-Doppelbeschluss zur Massenbewegung wurde. Sie stellte dem damals immer noch extremen Bellizismus in den westlichen Ländern eine positivere Sicht auf den Frieden entgegen und führte langsam einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel herbei.“ (sca/vvm)