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Der Garten der Gegenwart

Foto: Bizkettel, Freepik.com

(iz). Allah, der Erhabene, sagt in Seinem Edlen Buch: „Und beeilt euch um Vergebung von eurem Herrn und einen Garten, der so breit ist wie die Himmel und die Erde. Vorbereitet für die Leute, die Taqwa haben.“ (Al-i-’Imran, Sure 3, 133) Wer sind die Leute der Taqwa? „Diejenigen, die sowohl in Zeiten der Erleichterung und der Beschwernis geben.“ (Al-i-’Imran, Sure 3, 134)

Das ist das Handbuch für den Menschen: Zu geben, wenn die Dinge leicht sind und wenn sie schwer werden. Und man erhält sämtliche Vergebung sowie einen Garten so weit wie die Himmel und die Erde.

„Und diejenigen, die ihre Wut im Zaum halten.“ (Al-i-’Imran, Sure 3, 134) Das hier benutzte Wort im arabischen Original (ghaidh) ist intensiver Ärger angesichts einer wahrgenommen Ungerechtigkeit seitens einer dritten Person. „Kathama“ bedeutet, etwas zu unterdrücken oder unter Verschluss zu halten. Es tritt häufig in Verbindung mit ghaidh auf.

„Und anderen Leuten vergeben.“ (Al-i-’Imran, Sure 3, 134) Menschen werden uns Unrecht tun. Wir müssen unseren Ärger bezwingen und ihnen vergeben.

Wie verhindern wir, dass uns die Wut übermannt? Der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Ärger ist wie Feuer. Wenn wir wütend werdet, dann macht Wudu (die Gebetswaschung).“ Er sagte ebenfalls: „Werdet ihr wütend, dann setzt euch nieder. Seit ihr es immer noch, dann legt euch hin.“ Dieser Rat reflektiert ein elementares Verständnis von Wut als einem Feuer, dessen Flammen durch Stehen und das Erheben des Leibes angeheizt werden. Die Heilung ist das gegenteilige Element: Wasser sowie die physische Absenkung des Körpers.

Dies aber muss gefolgt sein von Vergebung. Denn bleibende Wut wird zu Hass – und dieser ist Gift für das Herz. Wird einem Unrecht getan und man lässt nicht davon ab, dann muss man sprechen. Andernfalls wird Wut zu Groll. Allah ta’Allah sagt: „Allah liebt es nicht, wenn böse Worte laut geäußert werden; außer im Fall desjenigen, dem Unrecht getan wurde.“ (An-Nisa, Sure 4, 144)

Im Qur’ankommentar (arab. tafsir) Al-Dschalalain heißt es hierzu: „(…) ‘außer im Fall desjenigen, dem Unrecht getan wurde’. In dem Fall wird Er ihn nicht für das laute ­Sprechen bestrafen, wenn dieser zu anderen über das Übel spricht, das ihm durch andere widerfuhr.“

Es ist nicht falsch, über etwas zu sprechen, das uns angetan wurde, wenn die Absicht in der Beilegung der Dinge liegt. Kommt die Stimme aber von einem Ort der Wut, wird sie zu mehr Wut führen. Wenn sie aus einem Moment der Reinigung unseres Herzens und der Lösung einer festgefahrenen Sache kommt, dann ist es nicht nur erlaubt, sondern manchmal auch nötig, bevor Vergebung möglich ist. Manches muss ausgesprochen werden.

Nach der Bezwingung von Wut und der Verzeihung der Leute sagt Allah, der Erhabene: „Allah liebt die Rechtschaffenen.“ (Al-i-’Imran, Sure 3, 134) Bezwingung des Ärgers und das Vergeben des Anderen sind Handlungen, die einen zum Muhsin machen. Das sind schöne Taten.

Er fährt fort: „(…) und diejenigen, die, wenn sie eine Abscheulichkeit begangen oder sich selbst Unrecht zugefügt haben.“ (Al-i-’Imran, Sure 3, 135) Das heißt, die Leute der Taqwa sind keine Leute, die das nicht auch tun würden. Sie sind jene, die, wenn sie sich so verhalten, „Allahs gedenken und dann für ihre Sünden um Vergebung bitten“. (Al-i-’Imran, Sure 3, 135)

Dieser Qur’anvers geht noch weiter: „Und wer sollte die Sünden vergeben außer Allah? Und (die) nicht auf dem beharren, was sie getan haben, wo sie doch wissen. (Der Lohn jener ist Vergebung von ihrem Herrn und Gärten, durcheilt von Bächen, ewig darin zu bleiben. Und wie trefflich ist der Lohn derjenigen, die (gut) handeln!“ (Al-i-’Imran, Sure 3, 135-6)

Das ist der Garten, von dem Allah, der Erhabene sagt, er ist „vorbereitet“. Qadi ‘Ijad betont dies, wenn er sagt, dass der Glaube eine Bedingung der Glaubenslehre ist: „Dass der Garten und das Feuer wirklich sind. Dass sie beide existieren; vorbereitet für die Leute des Elends und des Glücks.“

Was bringt uns den Garten ein, der bereits besteht und gegenwärtig ist. Allah, der ­Erhabene, sagt: „Diejenigen, die ihre Verpflichtung einhalten, wenn sie eine einge­gangen sind, und diejenigen, die standhaft bleiben in Not, Leid und in Kriegszeiten, das sind diejenigen, die wahrhaftig sind, und das sind die Gottesfürchtigen.“ (Al-Baqara, Sure 2, 177)

Das sind die Leute des Sidq. Schaikh Dr. Abdalqadir As-Sufi sagt in seinem Buch „Die Hundert Stufen“ über die Sadiqun: „Die Leute des Sidq haben ein Parfüm, das nicht von Reinlichkeit oder Düften kommt, sondern direkt aus dem Garten der Gegenwart.“ Der Garten ist Gegenwart. Er ist nicht durch Zeit begrenzt. Er ist „zeitlos, für immer“. Daher ist er niemals außerhalb der Existenz. Er ist gegenwärtig. Allah sagt im Qur’an: ­„Jedes Mal, wenn sie mit einer Frucht daraus versorgt werden, sagen sie: ‘Das ist ja das, womit wir zuvor versorgt wurden’; doch es ist ihnen eine ihr ähnliche gegeben worden.“ (Al-Baqara, Sure 2, 25)

Diejenigen, die die Wahrheit bedecken, ­behaupten in der Reflexion ihrer inneren Situation, dass diese Welt alles sei oder sein sollte. Und dass man nach seinem Sterben zu nichts als Abwesenheit werde. Das ­Gegenteil ist wahr. Diese Welt ist der Bereich der Grenzen und Pflichten. Nicht Verpflichtung im deprimierend puritanischem Sinne, sondern im Sinne dessen, was wir bereit sind, für einen Geliebten zu tun. Und diese Welt ist der Hort des Anscheins (arab. mutaschabiha) und Illusion. Nicht Illusion im nihilistischen Sinne, dass sie nicht zählt, sondern so, dass die Dinge dieser Welt bestehen, um zu zeigen, was auf uns wartet. Das Jenseits (arab. akhira) ist der Bereich der Grenzenlosigkeit und Realität. Der „so breit ist wie die Himmel und die Erde“, denn nicht nur ist Zeit beendet, sondern auch die räumlichen Dimensionen.

Von Abu Said Al-Khudri wurde überliefert, dass der Prophet sagte: „Im Garten gibt es einen Baum, dessen Umkreisung einen Reiter auf einem schnellen Pferd hundert Jahre ­kosten würde.“ Es gibt andere bekannte ­Beschreibungen der Größe seiner Früchte in unvorstellbaren Ausmaßen. Die Eigenschaften des Gartens haben keine Maße, die wir begreifen könnten.

Der Garten ist gegenwärtig, ungebunden durch Zeit oder Raum.

Wenn wir für uns Kinder und deren Nachkommen Sicherheit im Din wollen, dann reicht es nicht, nur die obligatorischen Dinge zu tun, obwohl unser Gesandter sagte, dass diese uns den Garten garantieren – und Allah kennt das Urteil über Menschen.

Aber er warnte uns vor einer Welt, in der es keine Obligationen mehr für uns gibt. Eine Welt, in der nicht ausreichend Geld vorhanden ist, sodass wir nicht mehr spenden müssen. Eine Welt, in der wir so viele Schulden angehäuft haben sowie Hypotheken und Kreditkarten, sodass wir nicht mehr zur Zahlung der Zakat gebunden sind. Eine Welt, in der Gastfreundschaft so sehr von Unternehmensinteressen gekidnappt wurde, sodass die Hadsch zu teuer ist und wir nicht länger gehen können – oder, in welcher der Staat so umfassend in unsere Pflichten eingreift, dass er entscheidet, wann wir auf die Hadsch gehen können.

Es reicht nicht, auf unsere eigenen Familien und unsere eigene Gemeinschaft zu schauen. Wir müssen darüber hinaus schauen und ­anderen dienen.

Dieser Text ist Bestandteil einer Sammlung editierter Freitagsansprachen des Autors. Veröffentlichtung mit Genehmigung des Autors. Das gebundene Buch ist über verschiedene ­online-Anbieter erhältlich.

Abdussabur Kirke, The Garden of Presence, Lifeboat Press, 2020, gebunden, 124 Seiten, ISBN 9780620880695