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Der Geschmack Südafrikas

Ausgabe 303

Foto: Autorin

(thestreetjournal.org). Außerhalb vom Rose Corner Café im Bo-Kaap, dem muslimischen Viertel Kapstadts, steht ein bekanntes Schild. „Frische Koeksisters, täglich vorhanden“, heißt es da übersetzt.

Beworben wird hier ein beliebtes, zu einem Zopf geflochtenes, frittiertes ­Gebäck, das nach dem Ausbacken durch einen speziellen Sirup gezogen und ­getrocknet wird. Seine Füllung enthält Gewürze wie Ingwer und Zimt. Diese Teigteile wurden traditionell von Afrikaanern gebacken, den weißen Nachkommen holländischer und anderer ­europäischer Siedler, die Südafrika ab 1652 kolonisierten. Genau genommen müsste das Gebäck „Koe’sisters“ heißen. Dieser Tippfehler passt. Worte in diesem Teil der Welt enthüllen und verbergen mehr, als man glaubt.

Wie im Rest des Landes erscheint ein Großteil des Essens und der mit ihm verbundenen Bräuche mysteriös. Diese Sonntagstradition wurde von Kap­malaien oder Kapmuslimen geschaffen. Verallgemeinert gesagt sind das Nachkommen von Exilanten und Sklaven aus Kolonien in Südostasien – wie niederländisch Ostindien (dem heutigen Indonesien), Malaysia, Indien und Sri Lanka (damals Ceylon).

Betroffen waren auch ostafrikanische Zonen wie Madagaskar und umliegende Regionen. Diese Menschen wurden gefangen genommen und ans Kap gebracht. Hier unterhielt die holländische Ostiendienkompanie einen Handelshafen und eine Versorgungsstation. Während sich „Malayen“ also auf diese Gruppe bezieht, umfassen die kulturellen und kulinarischen Wurzeln eine weitere Geografie.

Wurzeln in der Sklaverei

Die pastellfarbigen Häuser der Straße am Fuße des Signal Hill im Bo-Kaap sind Heimat eines Teils der kapmalaiischen Gemeinschaft. Das ist ein ideologischer und politischer Begriff, der in vielen ­Zirkeln benutzt wird.

Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts war das südliche Afrika von den Fesseln des Sklavenhandels verschont – im Gegensatz zu Ost- und Westafrika. Der genaue ­Ursprung ihrer Vorfahren ging mit der Zeit verloren, als die Sklaven ihrer Identität beraubt wurden und Aufzeich­nungen von den Händen neuer Meister eingefärbt wurden. Diese vergaben die Namen, die scherzhaft sein sollten oder einem für sie relevanten Feiertag oder Monat entsprachen.

Eine der häufigsten Sprachen, die von den Seeleuten und Sklaven aus Südostasien (und die damals von Madagaskar bis Neuguinea gebräuchlich war), war Melayu. Darauf verwiesen Yusuf da Costa und Achmat Davids in ihrer Geschichte über die Kapmalaien. Sie wurde zur ­Redeweise des Islam am Kap. Und später zum Vorläufer eines kreolisierten ­Holländisch, dass von Versklavten und dann von den Sklaventreibern benutzt wurde. Die erste Aufzeichnung des heutigen Afrikaans wurde mit arabischen Buchstaben geschrieben.

Melayu klingt wie „Malaiisch“. Und die geografische Region, die als malaiisches Archipel bekannt ist, steht für viele Herkunftsgebiete der Sklaven. Das mag einer der Gründe sein, warum die muslimische Gemeinschaft am Kap ­immer noch fälschlich als „Malaien“ bezeichnet wird. „Als Kind begriff ich, dass ‘kapmalaiisch’ ein Begriff der Apartheid war und dass meine eigentliche Identität ‘muslimisch’ war“, meint der Forscher und Dichter Rustum Kazain.

Als Direktive der Regierung diente sie dazu, die Gemeinschaft der Muslime ­unter ein Dach zu zwängen (auch jene, die nicht direkt mit dem Sklavenhandel verbunden waren), um sie von denen zu unterscheiden, die als „farbig“ gelten. Aber die Mischung durch Heirat, und folglich das gemeinsame Essen, ereignete sich häufig und verwischte die restriktiven Beschränkungen des Staates. Currys ­wurden dank des Einflusses indischer Muslime zu einem Grundnahrungsmittel am heutigen Kap. Ein kapmalaiisches Curry unterscheidet sich jedoch von ­einem aus Durban an der Ostküste.

Suche nach Ursprüngen
Die Wurzeln der kapmalaiischen ­Gemeinschaft liegt mehr in Indonesien als in Malaysia – in Orten wie Aceh ­(Sumatra), Sulawesi und Java.

Menschen aus Aceh genossen wegen ihres offenen Widerstands gegen die ­Holländer ein hohes Ansehen. Einige der einflussreichsten islamischen Lehrer der Region waren politische Exilanten, Gefangene und Aufständische aus Sulawesi, Tidore, Batavia (das heutige Jakarta), Ceylon und Bengalen. Ihr Widerstand gegen die Herrschaft der Holländer setzte sich am Kap fort. Mit dem Aufstieg des Islam in der Region sind Feste, religiösen Zeremonien und Ernährungsgewohn­heiten wie die Halal-Regeln verbunden – wie das Verbot von Alkohol und Schweinefleisch.

Gerichte aus Sumatra, insbesondere aus Aceh, enthalten Gewürze der indischen und arabischen Küche wie Ingwer, Kardamom, Sternanis, Nelken und Muskatnuss. Speisen aus Sulawesi sind feurig. Das setzte sich in der kapmuslimischen Küche fort.

Köche waren zur Anpassung von ­Gerichten gezwungen. Im Laufe der Zeit veränderte sich die kulinarische Kultur am Kap durch den großzügigen Gebrauch von Gewürzen und Kräutern. Sie waren gefragt und wurden vom brutalen Sklavereisystem geschätzt, das die Menschen zur Ware machte. Der Afrikaaner-Koch C. Louis Leipoldt schreibt in ­seinem regionalen Kochbuch: „Zweifelsohne kam der größte Einfluss auf die ­Küche am Kap von den Methoden, Vorlieben und Gebräuchen malaiischer Köche.“ Es ist bezeichnend, dass Leipoldt die Kunstfertigkeit und Kochkunst der malaiischen Köchinnen ausführlich beschreibt und die reichhaltige Küche des Kaps ihren Fähigkeiten und ihrem ­kulturellen Einfluss zuschreibt, ihre ­Versklavung jedoch selten kommentiert.

Definitionen
Wie aber definieren wir die kapmalaiische Küche, wenn deren Geschichte komplex und Aufzeichnungen unzuverlässig sind?

1988 war die inzwischen verstorbene Faldela Williams die erste kap-muslimische Köchin, die mit „The Cape Malay Cookbook“ zum Mainstream-Narrativ über die Entstehung dieser kulinarischen Tradition beitrug.

Kulinarische Revolution der Cass Abrahams
Die Historikerin und Köchin Cass Abrahams forderte den Status quo heraus. 1995 bezeichnete sie die kapmalaiische Küche in ihrem Kochbuch als „Essen aus Afrika“. Es war das erste Mal, dass eine Autorin von ihrer kreolisierten Natur sprach, und die bisher unbeachteten KhoeKhoe-Einflüsse erwähnte, die aus der Vergangenheit entfernt wurden. ­Innerhalb der kapmalaiischen Gemeinschaft wurde das traditionell nicht weithin anerkannt. Den östlichen Wurzeln wurde ein höherer Wert beigemessen. Die 76-jährige Abrahams, die vor fünf Jahrzehnten vom Katholizismus zum ­Islam konvertierte, als sie in eine kapmalaiische Familie einheiratete, habe nach eigenen Worten einen Teil ihrer Karriere als Außenseiterin verbracht.

Hausmanskost
Die Kochshow-Moderatorin und ­Autorin von „Cape, Curry & Koeksisters“ Fatima Sydow musste mit ähnlichem ­Widerstand umgehen. In ihrem Zuhause in den Cape-Flats (einem Viertel auf der anderen Seite der Stadt), berichtet sie: „Mir wird manchmal gesagt, dass ich meine Rezepte ‘kapmalaiisch’ nennen sollte, denn ich stamme nicht aus dem Bo-Kaap. Ich antworte dann immer, dass kapmalaiisch keine Geografie ist, sondern eine Lebensweise in Verbindung zu den eigenen Wurzeln.“

Bei unserem Gespräch teilen wir uns eine herzhafte Portion Lamb Akhni, ­einem Reisgericht, dass mich an indonesische Gerichte erinnert. Die Kochbuchautorin Sri Owen macht deutlich, wie gegenwärtig Reis in der täglichen Ernährung der Muslime am Kap ist.

Der Archivist Mogamat Kamedien wuchs im 6. Bezirk auf. Unter der Apartheid wurde seine Familie (unter dem Group Areas Act) aus dem Viertel vertrieben. Seine Vorfahren stammten aus Aceh. Er definiert die kapmalaiische Küche einfach als „Huiskos“ oder Hausmannskost. Ein wichtiger Unterschied zu anderen Traditionen sei allerdings, dass solche Mahlzeiten zubereitet werden können, um viele Menschen zu speisen, und dass sie voller Gewürze sind – die sich selbst Arbeiterfamilien leisten können.

Bredies, oder Eintöpfe mit Gemüse und Sauce, fallen eindeutig unter diese Kategorie. Sydow hat in ihrem Kochbuch ein Rezept für ein Bredie mit grünen Bohnen und nur wenig Fleisch, das für acht Portionen reicht. Owen nutzt in ­ihren Büchern den Begriff „lange ­kochend“ – für Speisen, die langsam ­gekocht werden. Wird der Begriff ­wörtlich aus Afrikaans übersetzt, klingt er wie „lange Sauce“.

Doppelte Natur
Am Kap scheinen Gerichte ein ­Doppelleben von Versklavten und Unterdrückern zu führen: Kapmuslime und Afrikaaner haben Versionen von Koeksisters, Bobotie, Sosatie und Bredies. Das ist eine Erinnerung, dass versklavte KöchInnen selbst unter den repressivsten Bedingungen eine neue kulinarische Sprache schufen. Während sie den Gaumen der Unterdrücker beeinflussten, ­gestalteten Kapmuslime eine Küche, die ihrer komplexen und fragmentierten ­Geschichte, ihrer Erfindungsgabe und Widerstandsfähigkeit entsprechen. Damit etablierten sie eine der bleibenden, kulturellen ­Hinterlassenschaften am westlichen Kap.