Der Historiker Wolfgang Benz im Gespräch nach den Anschlägen von Paris

Ausgabe 236

„Eben weil man bestimmte, die Fremden, die zu Fremden gemachten, die in Fremdheit gehaltenen als Schuldige stigmatisieren will. Das hat sozialpsychologische Gründe. Es geht uns als Mehrheit besser in unserem Selbstverständnis, in unserem Selbstbewusstsein, wenn wir böse Andere ausmachen können.“

(Deutschlandfunk). Für den Historiker Wolfgang Benz steht fest: Wenn die Ängstlichen, welche Muslime unter Generalverdacht stellen, in Kontakt träten zum Islam, dann hätte Pegida nicht so viel Zulauf. Aber, beklagt er im DLF, Scharfmacher behaupteten in vielen Veröffentlichungen, dass ein Muslim böse sei – weil er Muslim sei.

Der frühere Leiter des Instituts für Antisemitismusforschung an der FU Berlin sagte weiter, die Denkmuster habe es schon im 18. und 19. Jahrhundert gegeben – damals gegen Juden.

Er betonte, heute müsse man einfach genau hinschauen – und eben keinen Generalverdacht erheben. Als Beispiel nannte er die Katholische Kirche. Niemand denke doch, dass alle Katholiken engstirnige Fundamentalisten mit Obsessionen seien. Und man glaube auch der Amtskirche, wenn sie sich von bestimmten Entwicklungen distanziere. Benz rät dazu, keine Scheuklappen zu tragen und sich kundig zu machen. Aufklärung, sagt er, sei das Wichtigste.

Frage: Es war wohl ein Zufall, aber dass die Bertelsmann Stiftung so kurz nach dem Terrorangriff von Paris eine Studie über das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen hier in Deutschland veröffentlicht hat, das hat dieser Untersuchung eine breite Wahrnehmung gesichert. (…)

Herr Benz, schauen wir doch noch mal auf zwei, drei Zahlen aus dieser Studie: 90 Prozent der hochreligiösen Muslime hierzulande identifizieren sich mit unserem Land und unserer Demokratie und 57 Prozent der Deutschen halten den Islam für bedrohlich, mehr als 60 Prozent glauben sogar, der Islam passe nicht in die westliche Welt. Da fragt man sich doch, ob die beiden Gruppen, die hochreligiösen Muslime und die befragten Deutschen, im selben Land leben.

Wolfgang Benz: Ja, die leben natürlich im selben Land. Aber sie nehmen zu wenig Notiz voneinander. Und wenn alle, die aufgeregt sind, die Ängstlichen, die jetzt schnelle Maßnahmen fordern, die Muslime unter Generalverdacht stellen wollten, wenn die sich etwas mehr öffnen würden und mit Muslimen in Kontakt treten, die ja eindrucksvoll bewiesene Integrationsbereitschaft wahrnehmen wollten, dann hätte Pegida nicht so viel Zulauf von ahnungslosen Furchtsamen.

Frage: Gibt es diese Tendenzen, Muslime unter Generalverdacht zu stellen? Wo genau sehen Sie die? Haben Sie ein Beispiel für uns?

Wolfgang Benz: Na ja, die habe ich natürlich in einer ganzen Reihe von publizistischen Beispielen der letzten ungefähr zehn Jahre, wo Scharfmacher in Büchern und Artikeln daran arbeiten, deutlich zu machen oder herauszuarbeiten, zu behaupten, der Muslim sei böse, weil er Muslim ist, weil er nämlich einer bestimmten Religion angehört.

Einen Vorurteilsforscher bewegt das nicht so schrecklich als etwas Neues, denn diese Vorwürfe kennt man, die sind im 18., im 19. Jahrhundert genauso gegenüber den Juden wegen ihrer Religion erhoben worden.

Frage: Nun gibt es ja hierzulande, die Forderungen, die jetzt immer wieder erhoben werden, man möge doch zwischen dem Islam und dem Islamismus unterscheiden. Dann gibt es allerdings Stimmen, die sagen, na ja, so wirklich kann man diese Unterscheidung gar nicht treffen – zum Beispiel der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach, der so eine feinsinnige Unterscheidung nicht treffen mag. Er hat auch bei uns hier im Deutschlandfunk sinngemäß gesagt, irgendwie stecke der Islamismus doch in den Genen des Islam. Was halten Sie davon?

Wolfgang Benz: Da halte ich überhaupt nichts davon, denn mit solchen Formeln, irgendwie ist doch alles irgendwo schlimm, irgendwie muss doch irgendwo etwas böse sein, kann man natürlich lange im Nebel stochern mit dem Ergebnis, dass man Leute nicht beruhigt, sondern dass man sie in ihren Ängsten aufrührt.

Man muss genau hinschauen und kann ganz genau die Unterscheidung treffen. Wir sehen ja doch auch nicht alle Katholiken als engstirnige Fundamentalisten, die irgendwelchen ganz bestimmten Obsessionen anhängen. Wir glauben doch der Amtskirche, die sich von so etwas distanziert.

Und stärker als es die Muslime seit Jahr und Tag, seit den Anschlägen in Paris umso mehr tun, dass sie sich von diesen Terroristen distanzieren und sagen, das hat mit unserer Religion nichts zu tun, die missbrauchen unsere Religion für ihre bösartigen Zwecke, das muss man doch beachten und dann muss man nicht mit „irgendwie” mit der Stange im Nebel rühren.

Frage: Ich möchte gerne Ihre Meinung noch zu einem zweiten Beispiel hören, das mir aufgefallen ist. Ich weiß nicht, ob Sie das Heute-Journal nach den Anschlägen mit Klaus Kleber gesehen haben. Der geschätzte Kollege hat dort ein Interview mit einer Islamexpertin geführt und dabei mit Blick auf den Anschlag von Paris eine Frage gestellt: „Nun wird natürlich gebetsmühlenartig dauernd wiederholt, das hat mit Islam nichts zu tun, was einerseits sicher richtig ist. Auf der anderen Seite aber sind die Terrortaten, die jetzt passiert sind, von Syrien, den Irak bis Paris über London und New York und so weiter, im Namen des Islam verübt worden. Kann man da wirklich sagen, es hat nichts mit Islam zu tun?“

Also auch hier die Frage, die ja in der Tat viele Menschen in unserem Land beschäftigt und die deshalb natürlich auch wirklich diskutiert werden muss. Lassen Sie mich noch kurz ein Gedankenspiel anstellen: Warum – so lautet dieses Gedankenspiel – wurde nach den 77 Morden, die Anders Breivik in Norwegen verübt hat, oder nach den zehn Morden des NSU hier in Deutschland nicht die Frage aufgeworfen, ob solche Mordtaten vielleicht irgendwie im Wesen westlicher Gesellschaften oder in den Genen weißer Mitteleuropäer stecken?

Wolfgang Benz: Eben weil man bestimmte, die Fremden, die zu Fremden gemachten, die in Fremdheit gehaltenen als Schuldige stigmatisieren will. Das hat sozialpsychologische Gründe. Es geht uns als Mehrheit besser in unserem Selbstverständnis, in unserem Selbstbewusstsein, wenn wir böse Andere ausmachen können. Und noch einmal zurück zu der Frage: Es ist Usurpation und bleibt Usurpation. Wenn jemand im Namen der katholischen Kirche ein Verbrechen verübt, wenn jemand im Namen des Islam ein Verbrechen verübt, dann ist das nicht das Wesen oder ein Teil des Wesens der katholischen Kirche oder des Islam.

Frage: Sie haben eben gesagt, dass es solche Denkmuster auch schon im 18., im 19. Jahrhundert gegeben habe, wahrscheinlich auch schon viel früher. Wie kommt man da raus, wie bricht man diese Denkmuster auf? Die Antwort, die Sie eingangs gegeben haben, dass wir sozusagen Muslime kennenlernen, das klingt etwas, darf ich sagen, hilflos?

Wolfgang Benz: Ja natürlich! Wir haben nur eine Chance: Aufklärung, genau hinschauen, Information, sich kundig machen, die Scheuklappen von den Augen reißen. Das dauert lange, es gibt keine Patentmedizin und man kann nicht, wenn etwas passiert ist, mit irgendwelchen schnellen Maßnahmen die Aufklärung überholen. Wir brauchen einen langen Atem. Das Beispiel Antisemitismus zeigt, dass das erfolgreich ist. Aber es dauert eine lange Zeit, bis die Bevölkerung aufgeklärt ist über die Hintergründe, über die Interessen, die hinter Generalverdächtigungen stehen, bis die Bevölkerung aufgeklärt ist über die Mechanismen, mit denen die Geschäfte mit der Angst gemacht werden.

Das Interview wurde am 9. Januar im Deutschlandfunk veröffentlich. Geführt wurde es von Peter Kapern. Nachdruck mit Erlaubnis des Autors.