Der Joystick-Krieg schafft neuen Terror

Ausgabe 268

Foto: Sgt. Brian Ferguson, USAF | Lizenz: Public Domain

(iz). Emran Feroz arbeitet seit Jahren als freier Journalist mit dem Schwerpunkt Naher und Mittlerer Osten sowie Zentralasien. Als solcher schreibt er unter anderem für renommierte Medien wie „DIE ZEIT“, taz, „Al Jazeera“, die „New York Times“ oder „The Hindu“.
Als Autor zeichnet sich Feroz auch durch einen solidarischen Blick auf das Leben der Zivilbevölkerung sowie auf die Folgen, welche die politischen und militärischen Entscheidungen dieser Tage für ihr Leben haben, aus. Im Gegensatz zu manch anderem hat er sich in seiner relevanten Berichterstattung der einfachen Parteinahme enthalten.
Zu den regelmäßigen Themen gehört Afghanistan sowie der global geführte Drohnenkrieg des US-Militärs. Diesem Thema hat Emran Feroz mit Drone Memorial (dronememorial.com) eine virtuelle Gedenkstätte für die zivilen Opfer des Todes aus der Luft gewidmet. Zum Thema erscheint von ihm beim Berliner Westend Verlag passend zur Buchmesse das Buch „Tod per Knopfdruck“.
Islamische Zeitung: Lieber Emran Feroz, Sie behandeln in Ihrem Titel „Tod per Knopfdruck“ den US-Drohnenkrieg. Können Sie uns kurz nachzeichnen, um was es sich dabei handelt?
Emran Feroz: In „Tod per Knopfdruck“ geht um den Drohnenkrieg der Vereinigten Staaten. Er wird seit Ende 2001 geführt und begann in Afghanistan. Sein Titel leitet sich vom Tötungsprozess ab, wie er vom Piloten beziehungsweise von der Drohnencrew abgewickelt wird. Predator- oder Reaper-Drohnen feuern die Raketen nach Knopfdruck ab. Dadurch werden Menschen getötet. Geführt wird dieser Krieg in Afghanistan, Pakistan, dem Jemen, Somalia, Syrian, Irak und Libyen. Das sind die bekanntesten Länder, in denen gegenwärtig US-Drohnenangriffe geführt werden. Es ist hierbei erwähnenswert, dass das Pentagon und die CIA mit jedem neuen Land eine erneute Ausweitung in Erwägung ziehen. Jüngst wurde bekannt, dass auch in den Philippinen Drohnenangriffe stattfinden könnten. Es gibt diesbezüglich in letzter Zeit Berichte, wonach einige Attacken dort bereits geführt wurden.
Islamische Zeitung: Stimmen für den Drohneneinsatz sprechen häufig davon, dass sie viel weniger Schaden anrichten würden als „konventionelle“ Angriffe. Ist diese Position überhaupt haltbar? Wie viele Opfer haben die Drohnen bisher gefordert?
Emran Feroz: Bei den Opferzahlen variieren die Zahlenangaben. Es ist nicht wirklich bekannt, wie viele die Drohnen bis jetzt gefordert haben. Vor allem nicht, wie groß der Anteil an Zivilisten ist. Es gibt hinreichend Indizien, die meines Erachtens nach dafür sprechen, dass die Mehrheit der Drohnenopfer Zivilisten waren.
Laut dem Weißen Haus seien weniger als 200 Zivilpersonen während des Drohnenkrieges unter der Obama-Regierung getötet worden. Diese Zahl wurde erstmals im Juli 2016 bekanntgegeben. Das war das allererste Mal, dass es Zahlen zum Drohnenkrieg veröffentlichte. Laut diesen Angaben seien alle anderen getöteten Terroristen gewesen – mehrere Tausend. Diese Angaben sind sehr problematisch. Zum einen wurden nur drei Länder darin behandelt – Pakistan, Jemen und Somalia. Zum anderen wurde überhaupt nicht definiert, wer als Zivilist gilt und wer als Terrorist. Des Weiteren wurde auch nicht konkretisiert, wann diese Attacken stattfanden und wann diese Zivilisten ums Leben kamen. Dieses Papier war nicht ausführlich und umfasste nur vier Seiten.
Es gibt auch Zahlen von anderen, unabhängigen Organisationen wie dem Buereau of Investigative Journalism in London. Demnach seien seit Beginn 10.000 Menschen ums Leben gekommen. Die Arbeit solcher Einrichtungen ist wichtig, allerdings gibt es auch hier Lücken. Ein Beispiel dafür kann erneut Afghanistan sein. So werden die Opfer hier erst seit 2015 gezählt. Nun wissen wir aber, dass der Drohnenkrieg dort seit Ende 2001 stattfindet. Das heißt, wir haben seitdem bis Ende 2014 überhaupt keine Daten von unabhängigen Beobachtern. Hinzu kommt, dass viele Regionen, in denen es zu solchen Attacken kommt, sehr abgelegen sind. Dort wird sehr heftig Krieg geführt und die Distrikte stehen unter Kontrolle der Taliban. Und sie sind demnach auch sehr schwer zugänglich für sehr wenige unabhängige Beobachter, Menschenrechtler oder Journalisten. Dieser Aspekt gilt auch für alle anderen Länder, in denen der Drohnenkrieg geführt wird. Deshalb weiß man auch nicht wirklich, was vor Ort geschieht und wie viele Menschen getötet wurden.
Es gibt noch eine andere Quelle; ehemalige Militärangehörige, die sich in einem offenen Brief gegen den Drohnenkrieg wandten. In ihm werden alle Länder genannt. Das Dokument spricht von rund 6.000 Menschen, die „unrechtmäßig getötet wurden“. Auch in diesem Fall ist nicht klar, wer diese Personen waren, aber das Wort „unrechtmäßig“ sagt schon einiges aus…
Die Wirklichkeit zeigt, dass Drohnenangriffe überhaupt nicht präzise sind. Bei vielen Einsätzen werden Zivilisten getötet. Meiner Erfahrung nach – das bezieht sich vor allem auf Afghanistan und Pakistan – werden in der Regel vier bis fünf Zivilisten für zwei militante Kämpfer durch Einzelangriffe getötet. Es gibt Einrichtungen wie das Council on Foreign Relations in Washington. Es stellte vor einigen Monaten eine Untersuchung an. Dabei wurden die Todeszahlen konventioneller Luftangriffe mit denen von Drohnen in Pakistan, Jemen und Somalia verglichen. Dabei kam man zu dem Schluss, dass Drohneneinsätze deutlich unpräziser sind als konventionelle Bombardements. Letztere waren zehn oder zwanzig Mal genauer als Erstere. Der Schluss ist offenkundig: Durch Drohnen werden mehr Zivilisten getötet als durch konventionelle Einsätze.
Islamische Zeitung: Wie funktioniert der Drohneneinsatz? Wer befiehlt ihn und wer führt ihn aus? Gibt es eine funktionierende zivile Aufsicht?
Emran Feroz: Im Falle der USA ist es so, dass die Angriffe einerseits von der US-Luftwaffe, also dem Militär, durchgeführt werden und andererseits von der CIA. Man muss sich dabei bewusst sein, dass es hier keine Einzeltäter gibt, sondern ein gesamter „Tötungskomplex“, wie ich ihn in meinem Buch nenne, dahinter steht. Es gibt Piloten, Sensoroperatoren, Analysten, Techniker sowie übergeordnete Zivilisten, welche die Tötungsziele befehlen. Teil dieser ganzen Industrie sind auch das Weiße Haus und der US-Präsident. Die berühmt-berüchtigte Kill-List, die ausgesuchten Ziele, werden von Analysten identifiziert. Unter Obama war es so, dass sie jeden Dienstag auf dem Tisch vor hohen Militärs, Beratern, Geheimdienstleuten vor dem Präsidenten landete. Dieser beschloss dann, wer getötet werden sollte.
Bei dem ganzen Komplex fehlt es an Transparenz. Für viele Angriffe ist die genaue Kommandostruktur unbekannt. Man weiß nicht, wer das Sagen hatte oder hat. Der allererste Drohnenangriff in der Geschichte, im Dezember 2001, in Kandahar scheint überhaupt nicht vorgesehen gewesen zu sein. Da hat irgendwer auf den Knopf gedrückt. Es blieb unklar, wer dafür verantwortlich war und wer den endgültigen Befehl gab. Einige Militärs bereuten diese Operation, weil das eigentliche Ziel, Talibanführer Mullah Muhammad Omar, fliehen konnte. Laut dem Journalisten Anan Gopal, der hervorragende Arbeit zu Afghanistan leistet, wurde dabei unter anderem der Sohn der Zielperson verletzt, der später seinen Verletzungen erlag. Man kann also sagen, dass dieser allererste Drohnenangriff der Geschichte bereits ein Kind tötete.
Es gibt natürlich keine zivile Aufsicht. Zahlreiche Zivilisten, die bei privaten Sicherheitsfirmen angestellt sind, arbeiten wiederum für das US-Militär oder die CIA auf Drohnenbasen in Nevada oder in Georgia. Der Arbeitsalltag solcher Personen ist recht deprimierend. Sie sitzen da wie bei einer normalen Arbeit, aber töten fortlaufend Menschen per Knopfdruck. Sie wissen oftmals nicht, um wen es sich handelt oder können nur selten erkennen, was auf dem Boden geschieht. Über ihnen stehen Militärs oder Sicherheitsbeamte. Diese sagen in vielen Fällen den Piloten, was sie zu tun haben. Häufig entscheiden andere Personen, wann abgedrückt werden soll. Alles, was wir über diesen Arbeitsalltag wissen, kennen wir von Whistleblowern, die aus den Drohnenprogrammen ausgestiegen sind. Es gibt bisher nur ein einziges Drohnenprotokoll, in dem aufgezeichnet wird, was vor sich geht. Darin ging es um einen Angriff in Afghanistan 2012. Hier kamen mehr als 20 Zivilisten ums Leben. Alle Opfer waren Nichtkombattanten. Darin wird deutlich, dass die unteren Chargen, die Piloten und Operatoren, überhaupt keine Ahnung haben, was am Boden geschieht. So sehen sie betende Menschen in Afghanistan und assoziieren damit, dass sie einen Angriff planen. Sie können auch nicht zwischen Frauen und Männern, Kindern und Erwachsenen oder zwischen Bewaffneten und Unbewaffneten unterscheiden. Die Sprache der Piloten während eines Angriffes macht deutlich, dass man sich währenddessen bewusst ist, abdrücken zu müssen, und sich einredet, es sei gerechtfertigt. Diese Entmenschlichung ist kein Wunder, denn seit 2012 stuft die US-Regierung jeden wehrfähigen Jungen im Umfeld der Ziele als feindlichen Kämpfer ein.
Islamische Zeitung: Lieber Emran Feroz, oft fallen Begriffe wie asymmetrische Kriegführung oder Aufstandsbekämpfung. Was hat die US-Regierung überhaupt veranlasst, sich dieses tödlichen Mittels zu bedienen? 
Emran Feroz: Es gab einmal eine Zeit, in der waren viele hohe US-Sicherheitsbeamte der Meinung, dass es keine Drohnenangriffe geben kann und darf. Nach dem 11. September hat sich das verändert. Man wollte effektiv Terroristenführer wie Osama bin Laden finden und ausschalten, ohne die eigenen Truppen zu gefährden. Dieser Gedankte hat sich fortgesetzt. Das ganze Bild der heimkehrenden Soldatensärge fällt weg. Diese Szenen, welche die Öffentlichkeit bedrücken, fallen weg. Und so verschwindet auch der Fokus der Öffentlichkeit auf die Kriege. Keiner interessiert sich mehr für sie. „Drohnen in der Luft, statt Stiefel auf dem Boden“, heißt das und es ist auch billiger für die Vereinigten Staaten.
Islamische Zeitung: Sind Drohnen eine neue Waffe in einem ansonsten konventionellen Krieg oder stehen sie für eine Veränderung von Konflikten selbst?
Emran Feroz: Ich denke, sie sollten als neue Waffen in konventionellen Kriegen betrachtet werden sowie als eine neue Form der Konfliktführung.
Islamische Zeitung: Gibt es eigentlich Stimmen von Seiten des Militärs und anderen, welche den Drohneneinsatz nicht befürworten?
Emran Feroz: Ich habe vorher den offenen Brief von Militärangehörigen erwähnt. In ihm haben Veteranen sich zu Wort gemeldet und das Personal aufgefordert, solche Waffen nicht mehr zu bedienen, weil eben so viele Unschuldige sterben, Radikalität und Hass auf die USA geschürt werden. Neben den Veteranen gab es einige Whistleblower, die aus dem Programm ausgestiegen sind und das Ganze stark kritisiert haben. In Deutschland ist Brandon Bryant relativ bekannt. Er sei bei Einsätzen beteiligt gewesen, die über 1.100 Menschen töteten. Bryant sagt selbst, das bei vielen Angriffen gar nicht klar gewesen sei, wen er getötet habe beziehungsweise er sei sich ziemlich sicher, vielen Unschuldigen den Tod gebracht zu haben. Dieser Aussteiger sagte auch vor dem NSA-Untersuchungssausschuss aus und erläuterte, dass Deutschland mit AFRICOM in Stuttgart und Rammstein eine Mittäterrolle spiele. Des Weiteren gibt es ausgestiegene Techniker, die betonen, dass die Drohnentechnik selbst zweifelhaft und gefährlich sei, wodurch Unschuldige ebenfalls ums Leben kämen.
Islamische Zeitung: Der Einsatz von Drohnen wurde und wird mit dem weltweiten „Kampf gegen den Terror“ begründet. Nun gibt es immer noch erschreckende terroristische Phänomene. Warum ist diese Gleichung nicht aufgegangen?
Emran Feroz: Das Vorhaben ist wie gesagt nicht aufgegangen. In allen Ländern, in denen Drohnen zum Einsatz kamen, ist der Terror beziehungsweise die Militanz in der jeweiligen Region gestiegen. Wir haben gesehen, dass Al-Qaida im Jemen seit Beginn des Drohnenkrieges zehn Mal so stark wie zuvor ist. Seitdem die Drohnenangriffe in Pakistan stattfinden, insbesondere im Grenzgebiet von Waziristan, sind auch die pakistanischen Taliban ungemein stärker geworden. Ähnlich sieht es in Afghanistan aus. Alle militanten Gruppierungen in den betroffenen Ländern profitieren vom Drohnenkrieg. Im Jemen wurden nach UN-Angaben zwischen 2014-16 mehr Menschen durch Drohnen getötet als durch Al-Qaida. Das spricht für sich. Afghanische und pakistanische Taliban tun sich leichter beim Rekrutieren.
Erwähnenswert ist hier auch, dass die Radikalisierung dank Drohnen sowohl lokal, als auch global geschieht. Lokal sind die Menschen in den betroffenen Gebieten viel leichter geneigt, sich radikalen Gruppierungen anzuschließen. Global hat sich seit einigen Jahren gezeigt, dass Attentäter und militante Extremisten – die zuvor Videos produzierten oder nachher verhört wurden – immer wieder den Drohnenangriff als Paradebeispiel westlicher Ungerechtigkeit genannt haben.
Der Drohnenkrieg hat weder Terroristen ausgeschaltet noch Zivilisten geschont. Vielmehr hat er viele neue Terroristen geschaffen.
Islamische Zeitung: Längst sind Drohnen und ihre Verwendung nicht mehr auf die USA beschränkt. Welche Folgen könnte ihre Ausbreitung auf Parteien in Konflikten haben?
Emran Feroz: Das ist richtig. Die Kriegsführung durch bewaffnete Drohnen wurde von den USA wie beschrieben kreiert. In diesem Fall haben sie eine sehr zweifelhafte Vorreiterrolle gespielt. Dies sorgte dafür, dass andere Staaten sowie nichtstaatliche Akteure angefangen haben, diese Technologie ebenfalls zu kopieren.
Um auf der staatlichen Ebene zu bleiben: Drohnen werden mittlerweile von anderen Staaten produziert und bei Konflikten eingesetzt. Neben den USA gibt es beispielsweise Israel, welches wenige Jahre nach dem ersten Drohnenangriff auf diese Technologie zurückgriff und sie gegen Palästinenser einsetzte. Es ist wenig über dieses Programm bekannt; außer, dass es technologisch als weit fortgeschritten gilt. Mittlerweile wurden dadurch unzählige Menschen im Gazastreifen getötet. Israel ist mittlerweile zum Hauptexporteur dieser Technologie geworden.
Andere Staaten setzen sie nun auch ein. Ich spreche hier natürlich von bewaffneten Drohnen. Dazu gehören die Türkei, der Iran, Russland, mehrere europäische Staaten haben eigene bewaffnete Systeme. Man sieht, dass Drohnen zu einem Trend geworden sind. Anhand mehrerer Konflikte wird ersichtlich, wie ihr Einsatz eskaliert.
Ein weiteres Beispiel hierfür wäre der Konflikt im Südosten der Türkei. Die Türkei benutzt mittlerweile bewaffnete Drohnen im Kampf gegen die PKK. Dabei hat sie die Sprachregelung der USA übernommen, wonach sämtliche Todesopfer als Terroristen gelten. Offensichtlich werden auch hierbei Zivilisten getötet. Unabhängige Beobachter sind nicht im Kriegsgebiet vor Ort. Ein anderer Fall ist der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Auch hier sind Drohnen aus israelischer Produktion zum Einsatz gekommen. Es gab unter anderem eine Kamikaze-Drohne, die ihr Ziel selbst aussucht und sich gewissermaßen „selbst abwirft“.
Das führt uns zur Zukunft der Technologie. Sie weist darauf hin, dass Piloten wegfallen werden und dass diese Maschinen wie Roboter aus Science-Fiction-Filmen – ausgestattet mit künstlicher Intelligenz – ihre Ziele selbst aussuchen und dann töten. Gerade gab es den offenen Brief von Elon Musk, dem Tesla-Chef, und 113 anderen Technologieköpfen, welche an die UN appellierten, dass die Produktion von automatisierten Waffen mit künstlicher Intelligenz nicht mehr weitergehen dürfe. Die Frage ist, inwiefern sich das noch verhindern lässt. Bereits im letzten Jahr testete das US-Militär eine Drohne, die völlig autonom handelt und mit einer künstlichen Intelligenz versehen ist.
Islamische Zeitung: Lieber Emran Feroz, vielen Dank für dieses Gespräch.