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Der schwierige Bündnispartner USA

Foto: Gage Skidmore, Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

BERLIN/WASHINGTON(Eigener Bericht). Für die Zeit nach der US-Präsidentenwahl fordert Außenminister Heiko Maas einen „Neuanfang in der transatlantischen Partnerschaft“. Dabei dürfe „Partnerschaft … nicht blinde Gefolgschaft“ bedeuten, erklärt Maas: Es gelte, „unterschiedliche“ Perspektiven „Europas“ und der USA anzuerkennen und sich künftig außenpolitisch „besser abzustimmen“.

Nach Optionen für einen transatlantischen Interessenabgleich suchen bereits seit Monaten mehrere einflussreiche Außenpolitik-Think Tanks auf beiden Seiten des Atlantik. Ziel ist es, einerseits die heftigen Auseinandersetzungen der vergangenen vier Jahre zu überwinden, andererseits angesichts der eskalierenden Krisen und Konflikte „enger zusammenzurücken“, wie Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, Vorsitzender der Atlantik Brücke, erklärt. Dabei liege, heißt es bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), einer der Gründe dafür, dass die Vereinigten Staaten auch mit einem etwaigen Präsidenten Joe Biden „ein schwieriger Bündnispartner“ bleiben würden, in der wachsenden Ungleichheit und der massiven Polarisierung in den USA.

„Enger zusammenrücken“
Mit Blick auf die Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten haben Außenpolitik-Think Tanks auf beiden Seiten des Atlantik ihre Suche nach einem neuen Interessenabgleich zwischen Deutschland bzw. der EU und den USA intensiviert. Anlass sind einerseits die heftigen Auseinandersetzungen mit der Trump-Administration, die die Bestrebungen Berlins und Brüssels, „auf Augenhöhe“ mit Washington zu gelangen, mit diversen Zwangsmaßnahmen beantwortet, darunter die Verhängung von Strafzöllen, die Anwendung extraterritorialer Sanktionen gegen Unternehmen aus Europa, der Versuch, den Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 zu verhindern, und das Bemühen, eine einheitliche EU-Außenpolitik durch eine feste Einbindung insbesondere Polens und der baltischen Länder in US-Strategien zu verhindern.

Andererseits heißt es regelmäßig, die aktuell eskalierenden Krisen und Konflikte von der Covid-19-Pandemie und der mit dieser verbundenen Wirtschaftskrise über den Klimawandel bis hin zu den historischen Machtverschiebungen wegen des Aufstiegs der Volksrepublik China ließen ein abgestimmtes gemeinsames Vorgehen eines weltpolitisch geschlossen auftretenden Westens heute notwendiger erscheinen denn je. Es gelte „enger zusammenzurücken“, verlangten vergangene Woche Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, Vorsitzender der Atlantik Brücke, und John B. Emerson, Ex-US-Botschafter in Deutschland, heute Vorsitzender des American Council on Germany, in einem gemeinsamen Namensartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Transatlantic Task Force
Die Bedeutung, die dem Bemühen um einen Interessenabgleich beigemessen wird, lässt sich schon daran ablesen, dass einflussreiche Think Tanks eigens zu diesem Zweck zum Teil prominent besetzte Gremien gebildet haben. So hat der German Marshall Fund of the United States (GMF) gemeinsam mit der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung schon im Dezember 2019 eine Transatlantic Task Force gegründet, die soeben „Empfehlungen“ für die zukünftige transatlantische Politik vorgelegt hat. Geleitet wird die „Task Force“ von GMF-Präsidentin Karen Donfried sowie dem Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger; beteiligt sind mehrere US-Parlamentarier, zwei ehemalige EU-Kommissarinnen sowie Vertreter von Unternehmen und Denkfabriken aus den USA und mehreren Staaten Europas.

Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) wiederum hat im Frühjahr 2020 eine „Expertengruppe“ ins Leben gerufen, die sich aktuell mit der Analyse langfristiger Trends in der US-Politik und mit deren Auswirkungen auf die transatlantischen Beziehungen befasst. Ihr gehören rund zwei Dutzend Personen an, darunter außer Spezialisten aus diversen Think Tanks Wissenschaftler, Mitarbeiter der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen, Funktionäre von Wirtschaftsverbänden sowie mehrere Vertreter des Auswärtigen Amts. Die Tätigkeit der Expertengruppe, die soeben eine kurze Analyse zum Thema vorgelegt hat, wird vom Berliner Außenministerium finanziert.

Ungleichheit und Polarisierung
In ihrer Untersuchung warnt die SWP-Expertengruppe – übereinstimmend mit der überwiegenden Mehrheit der Beobachter –, die Vereinigten Staaten blieben „auch unter einer Biden-Administration aller Voraussicht nach ein schwieriger Bündnispartner“. Das liege nicht nur daran, dass in den USA die „wachsende Ungleichheit“ in der Bevölkerung eine immer stärkere „gesellschaftliche Spaltung“ und damit eine beträchtlich „zunehmende politische und gesellschaftliche Polarisierung“ mit sich bringe und so die „innenpolitischen Grundlagen“ der „außenpolitischen Ambitionen der USA“ unterminiere.

Hinzu komme, dass auf konkreten transatlantischen Konfliktfeldern nicht nur bei einem Wahlsieg von Donald Trump, sondern auch bei einem Wechsel im Weißen Haus mit transatlantischen Differenzen zu rechnen sei. So sei „zu erwarten“, dass auch die Wirtschaftspolitik der nächsten US-Administration „von nationalistischen und protektionistischen Tendenzen durchzogen sein“ werde – mit dem Ziel, „das verarbeitende Gewerbe in den USA [zu] stützen bzw. [zu] fördern“. Darüber hinaus sei von fortdauernden Differenzen in der Chinapolitik auszugehen.

In der Klimapolitik werde man sich im Falle eines Wahlsieges von Joe Biden vielleicht etwas annähern können; doch werde auch dabei jede „US-Regierung ihren eigenen Vorstellungen über den Umgang mit den Klimafolgen und dem Klimaschutz Vorrang geben“, die wiederum „nicht automatisch im Einklang“ mit „klimapolitischen Prioritäten europäischer und anderer internationaler Partner“ stünden.

Militärisch „im selben Boot“
Konkrete Erwägungen für gemeinsame transatlantische Aktivitäten nach der US-Präsidentenwahl trägt die vom GMF gegründete Transatlantic Task Force vor. So plädiert sie etwa dafür, die Anstrengungen zur wirtschaftlichen Erholung nach der Covid-19-Pandemie eng zu „koordinieren“.[5] In der Klimapolitik schlägt sie eine Kooperation unterhalb der bundesstaatlichen Ebene vor: So könnten, heißt es, einzelne Gemeinden, Unternehmen oder Nicht-Regierungsorganisationen etwa bei der Förderung erneuerbarer Energien kooperieren. US-Städte und -Gemeinden stehen in puncto Klimapolitik zuweilen in schroffem Gegensatz zur Trump-Administration.

Darüber hinaus spricht sich die Transatlantic Task Force für die Beibehaltung einer „robusten“ US-Militärpräsenz in der EU sowie für eine sorgfältig koordinierte, entschlossene Aufrüstung in der NATO aus. Die massive Aufrüstung der Bundeswehr und eine Stärkung des westlichen Kriegsbündnisses inklusive einer „Fortsetzung“ der „nuklearen Teilhabe“ hat am 23. Oktober auch Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer verlangt. Beides ist weitgehend Konsens; auf eine „Stärkung der Nato als gemeinsames Verteidigungsbündnis“ dringen auch Sigmar Gabriel (Atlantik Brücke) und John B. Emerson (Atlantic Council on Germany): „Wir sitzen im selben Boot.“

„Keine blinde Gefolgschaft“
Dabei bestehen die Bundesregierung wie auch deutsche Think Tanks einmütig darauf, gegenüber der künftigen US-Administration die eigenen Interessen klar durchzusetzen. „Das Ziel lautet: europäische Souveränität“, teilte Außenminister Heiko Maas am Wochenende in der transatlantisch festgelegten „Welt am Sonntag“ mit; „Partnerschaft“ bedeute „nicht blinde Gefolgschaft“.

„Amerika und Europa“ blickten „unterschiedlich auf Russland, China, den Nahen Osten, Afrika oder den Indopazifik“: Das treibe mittlerweile „einen immer tieferen Keil … zwischen Europa und Amerika“. „Besser wäre es anzuerkennen“, äußerte Maas, „dass auch unterschiedliche Ansätze zum Ziel führen und sich gegenseitig verstärken können“. Es gelte, „unsere Sanktionspolitik, aber auch mögliche Kooperationsangebote“ etwa gegenüber Russland besser abzustimmen. US-Bemühungen, eine einheitliche EU-Außenpolitik zu verhindern, sollen beendet werden; so fordern Gabriel und Emerson etwa eine „gemeinsame Unterstützung der Drei-Meere-Initiative“.

Letztere zielt darauf ab, die östlichen EU-Staaten vom Baltikum bis nach Kroatien und Bulgarien unter enger Anbindung an die USA gegen Russland in Stellung zu bringen. Eine maßgebliche Berliner Beteiligung an ihr nähme den USA diesen Einflusshebel aus der Hand.