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Der Tisch – die Form bewahren

Ausgabe 291

Foto: Freepiks.com

(iz). Für jene, die Essen lieben, leben wir im Zeitalter kulinarischer Auswahl. Aber während wir mit Kochbüchern, Zeitschriften über das Kochen und von Fernsehköchen bombardiert werden, die uns zeigen, wie alles richtig gemacht wird, machen wir uns da jemals Gedanken, wie wir essen?

Das Leben hat die Angewohnheit, eine Familie gleichzeitig in eine Million verschiedene Richtungen zu zerren. Zu einer angemessenen Zeit nach Hause zu kommen, Besorgungen in der ganzen Stadt zu machen, während unsere Kinder an einer Unmenge außerschulischer Aktivitäten beteiligt sind. Diese ganze Hektik verwandelt etwas, das eigentlich einfach sein sollte, in eine monumentale Herausforderung.

Ich spreche darüber, sich als ganze Familie gemeinsam hinzusetzen und eine der grundlegendsten Handlungen zu ­vollziehen: die Einnahme einer gemeinsamen Mahlzeit. Es mag eine Umstellung des Tagesablaufs bedeuten und individuellen Willen bei allen Beteiligen erfordern, aber wer sich die Mühe macht und damit Erfolg hat, wird die Erfahrung machen, dass sich die Mühe lohnt.

Mahlzeiten in der Familie sind dynamisch – ein Austausch von Ideen, Gesprächen und Gefühlen. Sie sind eine Gelegenheit für Familien, miteinander in Verbindung zu treten, zu planen und voneinander zu lernen. Und eine Chance, Informationen und Neuigkeiten des Tages auszutauschen sowie unseren Kindern zusätzliche Aufmerksamkeit zu schenken.

Mit einer Prise Geduld und Überzeugung erwartet uns so eine Möglichkeit, unseren Kindern angemessene Tischsitten, Höflichkeit und soziale Fähigkeiten zu vermitteln. Damit dies gelingt, muss das Essen im familiären Kreis verständlicherweise eine erfreuliche Sache für alle sein. Ist jemand angespannt, gereizt oder unglücklich, dann wird es weder viele Gespräche bringen noch nutzbringend sein. Nach einer prophetischen Weisheit wissen wir, dass das Gespräch bei Tisch entspannt und leicht sein sollte.

„Dies ist nicht die Zeit, um über das Aufräumen von Zimmern oder Hausarrest zu sprechen“, meint die Ernährungswissenschaftlerin Susan Moore. „Konzentrieren Sie sich stattdessen auf offene Fragen über Dinge, an denen Ihre Kinder Interesse haben oder die sie zum Reden bringen.“ Wichtige Fragen, die unserer elterlichen Aufmerksamkeit entgangen sind, können bei Tisch beobachtet werden. Dies ist nicht möglich, wenn die Kinder mit einem Snack vor dem Fernseher oder dem Computer allein ­gelassen werden.

Wie bei allen anderen Dingen auch ist hier die Absicht entscheidend. Essen ist zweifelsohne eine der größten Freuden des Lebens. Aber vor allem anderen gibt es Nahrung – im weitesten Sinne des Wortes. „Gutes Essen verlangt wie alles Gute – sei es ein Musikstück, ein Gemälde, ein Spiel, ein Gespräch oder eine menschliche Beziehung – etwas von uns. Wir müssen uns mit ihm auseinandersetzen und erfahren, was es wirklich bedeutet“, rät Gudrun Jonsson, Bestsellerautorin und Therapeutin im Bereich des Essens.

Köche mögen manchmal vor der Zubereitung einer Mahlzeit innehalten (unabhängig davon, wie klein oder vernachlässigenswert sie sein mag), wenn sie die Absicht haben, dass diese köstlich, nahrhaft und voller Baraka sein soll. Bereits in diesem Augenblick ist das Essen mit Güte und Größe versehen. Essen wir, dann nehmen wir nicht nur Inhaltsstoffe des Essens zu uns, sondern auch die Art und Weise, in der es zubereitet wurde und die Stimmung des Tisches, an dem wir sitzen. Dies ist eine Tatsache, für die es heute klinische Beweise gibt.

Die Energie, mit der wir eine Mahlzeit zubereiten und in der wir sie zu uns nehmen, beeinflusst uns bis hinab auf eine zelluläre Ebene. Und noch wichtiger ist: Wie wir unsere Kinder ernähren, übermittelt ihnen eine Erfahrung, wie Versorgung zu ihnen kommt. Sind wir angespannt und nervös, ob unsere Kinder essen oder ob nicht, riskieren wir, dass wir ihnen eine Furcht vor der Versorgung einimpfen, mit der sie für den Rest ihres Lebens zu kämpfen haben.

Wir sind darauf abgerichtet, alles in der kürzest möglichen Zeit zu absolvieren. Und Nahrung ist oft das erste Opfer dieses auf Zeitersparnis ausgerichteten Lebensstils. Nehmen Sie ernst, was und wie Ihre Familie isst. Genießen Sie ihr Essen, sprechen Sie darüber, zeigen Sie Interesse dafür und betrachten Sie es niemals als einen weiteren Teller voller Treibstoff, den man schnell herunterschlingen muss, um sich der nächsten drängenden Herausforderung des Tages zu stellen.

Kinder lernen von Menschen in ihrer Umwelt. Indem wir ihnen bei Tisch ein Vorbild sind, können wir ihnen bei der Herausbildung guter Angewohnheiten helfen, die ein Leben lang halten. Es kann auch eine gute Sache sein, die gesamte Familie dazu zu ermutigen, bei der Vorbereitung der Mahlzeiten zu ­helfen, den Tisch zu decken und den Abwasch zu machen. Ein Teil davon zu sein, befördert Wärme und Sicherheit, aber auch Identität und ein Gefühl für Zugehörigkeit – eine vereinende Erfahrung für alle Beteiligten.

Aber glauben Sie nicht, dass es sich bei dem gemeinsamen Essen ausschließlich um die psychologische Bindung handelt. Jüngste Studien ergaben, dass Kinder und Jugendliche, die ihre Mahlzeiten regelmäßig im Kreis ihrer Familie einnehmen, effektiver ihre Nahrung aufnehmen, bessere schulische Leistungen bringen und weniger gefährdet sind, Essstörungen und Drogenmissbrauch zu entwickeln.

Sich Zeit für das Essen in der Familie zu nehmen, erhöht die gemeinsame Alltäglichkeit. In der Zeit, in der wir leben, ist dies nichts weniger als Heroismus.