Deutschland radikalisiert seine Sprache

Ausgabe 277

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(iz). Vom bekannten preußischen Militärtheoretiker und Reformer Carl von Clausewitz stammt die Unterscheidung zwischen ­“absolutem“ und „wirklichem“ Krieg. Mitnichten ist damit eine Vorformulierung des grauenhaften „totalen Krieges“ gemeint. Vielmehr zeichnete der Preuße in dem ­Konzept die Denklogik des konventionellen Krieges nach, dessen eskalierende Wechselwirkungen das Absolute ergeben. Es könne aber, und hier weist er die Totalisierung zurück, in der Wirklichkeit gar nicht dazu kommen, weil es auf unrealistischen Annahmen beruhe. Für Von Clausewitz war der „absolute Krieg“ ein Denkmodell, während der „wirkliche Krieg“ den Normaltyp darstellte.
Dem preußischen Denker, der mal zum ­Bildungskanon zählte, war die Gefahr der Eskalation und Entgrenzung von Konflikten – als Augenzeuge der napoleonischen Kriege – schmerzhaft bewusst. Und darum dachte er nicht nur die Theoreme des Krieges ­konsequent zu Ende, sondern sah auch die Notwendigkeit seiner Einhegung. Leider wurden diese Lektionen zwei Mal im letzten Jahrhundert in Deutschland vergessen. Und auch momentan hat es den Anschein, dass die fortschreitende Lagerbildung des politischen wie öffentlichen Deutschlands einer Erinnerung bedarf.
Was wir erleben – auf allen Seiten –, ist die Politisierung und auch Militarisierung einer Sprache bei der Behandlung hochkomplexer Sachverhalte. Die Eskalation der letzten Wochen bei Migration und Europapolitik ist umso erstaunlicher, als dass es keine massiven systemischen Veränderungen gab. Scheinbar werden die Aktiven von anstehenden Wahlen, Angst und hochsymbo­lischen Verbrechen einzelner Flüchtlinge vor sich her getrieben. Die Folgen sind offenkundig: Die regierende Koalition ist stellenweise handlungsunfähig und die Gräben vertiefen sich. Der Wille zur Vermittlung und Differenzierung scheint manchen ­verlorengegangen zu sein. Mit Begriffen wie „Asyltourismus“, „Achsen“, „Asylkrieg“, „Staatskrieg“, „Staatsversagen“ und anderen Angstwörtern finde, so die Berliner „tageszeitung“, eine Entmenschlichung von ­Sprache statt.
Es wäre aber verfehlt, hier nur die üblichen Verdächtigen zur Verantwortung der verbalen Radikalisierung ziehen zu wollen. Auch die Gegenseite, sich im Empörungs­lager der Moral wähnend, ist mit den ­Zuschreibungen „Nazis“ und „populistisch“ viel zu schnell bei der Hand. Ja, es stimmt wohl, dass CSU und Medien derzeit den Diskurs und die Sprache von Parteien wie der AfD kopieren. Das kann und muss ­kritisiert werden. Es muss aber – und wer wüsste das besser als wir Muslime? – möglich sein, kritische Fragen an die jetzige Lage zu stellen, ohne in Verdacht zu geraten.
Und denen, die heute als „Konservative“ gelten, sei gesagt, was der bekannte konservative britische Denker Roger Scruton als die wichtigste Eigenschaft des Konservativen bezeichnete: Anstand und gute Manieren.