Die Ära der Großmachtrivalitäten

Ausgabe 285

Foto: © Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz

(GFP.com). Mit düsteren Prognosen stimmten die Organisatoren der Münchner Sicherheitskonferenz auf die Großveranstaltung ein, die am 15. Februar begann. Die Welt befinde sich gegenwärtig in einer „Ära der Großmachtrivalitäten“, in der „zentrale Bausteine der internationalen Ordnung“ neu sortiert würden, urteilt Wolfgang Ischinger, Leiter der Konferenz.
In den zentralen außen- und militärpolitischen Strategiepapieren der Vereinigten Staaten habe der neue „Großmächtewettbewerb“ den „Anti-Terror-Krieg“ als zentrales Kampffeld abgelöst, heißt es im neuen Munich Security ­Report, einem Hintergrundbericht zu der Veranstaltung. Dabei könne sich der Konflikt mit China aus Sicht des US-Establishments „zumindest“ zu einem neuen Kalten Krieg entwickeln. Der Report geht davon aus, dass die Konflikte mit US-Präsident Donald Trump in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit noch zunehmen werden. Der EU bescheinigt das Papier unzureichende Bemühungen um „strategische Autonomie“. Ob die „Übergangsperiode“ zu einer neuen „Ordnung“ der Welt „friedlich sein“ werde, das sei, heißt es, keinesfalls klar.
„Die Welt“ durchlaufe gegenwärtig „nicht bloß eine Reihe kleinerer oder größerer Krisen“, urteilt Ischinger. Vielmehr bestehe „ein fundamentaleres Problem“. Demnach gebe es in der bisherigen „sogenannten liberalen Weltordnung“ ein „Führungsvakuum“, das mit einer neuen „Ära der Großmachtrivalitäten zwischen den Vereinigten Staaten, China und Russland“ einhergehe. Zur Zeit würden „zentrale (…) Bausteine (…) der interna­tionalen Ordnung“ neu sortiert. Entsprechend befasst sich die Tagung, an der in diesem Jahr 600 Personen, darunter 35 Staats- und Regierungschefs sowie 80 Außen- und Verteidigungsminister teilnehmen, insbesondere mit den „Aus­wirkungen einer neuen Ära des Großmächtewettbewerbs“.
Der „Großmächtewettbewerb“ wird, wie der am 11. Februar als Hintergrundbericht zu der Konferenz publizierte ­Munich Security Report 2019 konstatiert, mittlerweile in zentralen Grund­dokumenten der US-Außen- und Militärpolitik, etwa in der Nationalen Sicherheitsstrategie, als der prägende Faktor der derzeitigen internationalen Entwicklung beschrieben. Er hat, so heißt es, den „Anti-Terror-Krieg“ der vergangenen ­beiden Jahrzehnte abgelöst.
Der Begriff bezieht sich auf die US-Rivalität sowohl gegenüber Russland als auch gegenüber China; Washington stuft beide explizit als Rivalen ein. Zu China heißt es im Munich Security Report, in den USA werde heute die Auffassung weithin geteilt, das Land sei zum „dynamischsten und schwierigsten Konkurrenten der modernen Geschichte“ geworden. Unter Trump hätten sich die US-Beziehungen zu Peking denn auch „mehr und schneller verschlechtert als zu jedem Zeitpunkt seit der Aufnahme offizieller Kontakte im Jahr 1979“. Die derzeitige Regie­rung scheine „zum Mindesten“ bereit „zu akzeptieren, dass das Ergebnis ein neuer Kalter Krieg sein könnte“.
Zur Frage, wie Russland zum Rivalen der Vereinigten Staaten geworden ist, zitiert der Munich Security Report aus einer im vergangenen Jahr publizierten Analyse von Wladislaw Surkow, einem früheren Stellvertretenden Ministerpräsidenten Russlands und Berater von Präsident Wladimir Putin. Surkow, der dem engeren Moskauer Machtzirkel zugehört, nimmt in der Analyse Bezug auf die wiederholten Bemühungen Russlands bereits seit der Ära Peters des Großen, sich im Westen zu verankern. Zuletzt hatte Moskau seit den 1990er Jahren versucht, mit den USA, dann, als dies als gescheitert eingeschätzt wurde, insbesondere mit Deutschland und der EU enger zu kooperieren. Im Jahr 2014, als der Westen den Umsturz in Kiew erzwang, um die Ukraine umfassend in seinen Hegemonialbereich zu ziehen, sei dieser Versuch definitiv gescheitert, konstatiert Surkow und urteilt: „Russlands episches Streben nach Westen ist endgültig vorbei.“ Die „wiederholten und ausnahmslos fehlgeschlagenen Versuche“, integraler Teil des Westens zu werden, seien „abschließend zum Stillstand gekommen“. Moskau ­bereite sich auf hundert, vielleicht auch zwei- oder dreihundert Jahre „geopolitischer Einsamkeit“ vor.
Pessimistisch gibt sich der Munich Security Report bezüglich der künftigen Politik der Trump-Administration. Der US-Präsident lege eine ungebrochene „Verachtung für internationale Institutionen und Vereinbarungen“ an den Tag, heißt es in dem Papier. Verbündete würden „ignoriert“, zuweilen gar „behandelt wie Konkurrenten oder Rivalen“. Konferenzleiter Ischinger urteilte bereits im Sommer vergangenen Jahres, „die Ära der gutartigen Hegemonie Amerikas“ sei möglicherweise „vorüber“.
„Gutartig“ bezog sich dabei auf die ökonomischen und politischen Wachstumschancen, die Verbündete wie die Bundesrepublik unter der US-Hegemonie vor dem Amtsantritt von Präsident Trump hatten. Freilich wurden derartige Chancen stets durch brutale Aggressionen gegenüber nicht verbündeten Staaten erkauft. Mit einer Wiederkehr solcher Chancen sei nicht zu rechnen, urteilt der Munich Security Report: Weil Trump im Inland zunehmend unter Druck stehe und sein außen- und militärpolitisches Team inzwischen ausschließlich aus engen Gefolgsleuten bestehe, gäbe es wenig Anlass zur Hoffnung auf einen Kurswechsel und vielmehr sogar „Grund, in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit sogar noch stärkere Turbulenzen zu erwarten“.
„Die Nach-Kalte-Kriegs-Ära – und die allgemeine Zuversicht, die mit ihr verbunden war – ist zum Ende gekommen“, heißt es im Munich Security Report. ­Allerdings sei völlig unklar, welche Art von globaler „Ordnung“ nun herauf­ziehe, ob möglicherweise eine Welt mit konkurrierenden „Ordnungen“ im Entstehen begriffen sei – „und ob die Übergangsperiode friedlich sein wird“.
Klar scheine nur, „das Interregnum“ werde „eine Phase anhaltender Instabilität und Unsicherheit sein“. Pessimistisch ­äußert sich auch der – im Munich Security Report zitierte – US-Publizist Robert Kagan. „Wahrscheinlich schon früher als wir erwarten“, schrieb Kagan im vergangenen Sommer, „wird der globale Friede aus den Fugen geraten. Trotz unserer menschlichen Sehnsucht, das Beste zu hoffen, werden die Dinge nicht in ­Ordnung sein. Die Weltkrise sitzt uns im Nacken.“