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„Die DITIB nimmt Kritik immer ernst“

Ausgabe 281

Foto: akparti.com.tr

(iz). Seit geraumer Zeit ist nicht nur das deutsch-türkische Verhältnis auf außenpolitischer Ebene belastet. Damit verbunden ist, dass der größte deutsche Moscheeverband DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.) selbst seit Längerem immer wieder in die Schlagzeilen gerät. Jüngstes Beispiel war der öffentlich kritisierte Ablauf der Eröffnung der großen Moscheen in Köln-Ehrenfeld. Hierzu sprachen wir mit Abdurrahman Atasoy, dem stellvertretenden DITIB-Generalsekretär.

Islamische Zeitung: Die Eröffnungsfeierlichkeiten der neuen Moschee in Köln waren im Vorfeld durch Verstimmungen sowie die Nichtteilnahme der Lokalpolitik gekennzeichnet, die sich ja vorab auch für den Bau eingesetzt hat. Was lief da im Vorfeld schief?

Abdurrahman Atasoy: Erlauben Sie mir vorab die Bemerkung, dass wir als ­DITIB am stärksten von den Diskussionen rund um die Moscheeeröffnung betrübt sind. Unsere Absicht war eine Eröffnung mit breiter Teilnahme, sowohl von muslimischer Seite, als auch der nichtmuslimischen Gesellschaft. Allen voran natürlich unsere Nachbarn aus Köln und gerade natürlich die Politiker und Personen des öffentlichen Interesses, die sich über Jahre für den Bau dieser sehr schönen Moschee eingesetzt haben. So wie der Bau ästethisch den Orient mit dem Okzident verbindet, so wäre eine Eröffnung, die die Menschen zusammenbringt unser Wunsch.

Natürlich war neben unserem Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier, der bereits im Frühjahr eine allgemeine Einladung von uns mit der Bitte, uns mögliche Terminvorschläge zu  machen, erhalten hat, auch die lokale Politik eingeladen. Allen voran Frau Reker als Oberbürgermeisterin und auch Herr Wirges als Bezirksbürgermeister von Ehrenfeld.

Vor der schriftlichen Einladung hatten wir, auch wegen der am Ende sehr zeitnahen Planung, Frau Reker und Herrn Wirges mündlich eingeladen. Dass insbesondere Frau Reker eine kurze Rede im Namen der Stadt Köln und auch als Mitglied des Moscheebeirates halten sollte, war für uns eine Selbstverständlichkeit und es wurde auch nie etwas in die Richtung von uns formuliert, dass unsere Oberbürgermeisterin nicht sprechen sollte. In der Hektik der Vorbereitungen wurde wohl die Irritation, die auf Seiten der Oberbürgermeisterin entstanden war, von uns nicht erkannt bzw. konnten wir darauf nicht rechtzeitig reagieren. An dieser Stelle müssen wir uns als DITIB selbstkritisch analysieren und zugeben, dass wir die Kommunikationsprobleme nicht rechtzeitig erkannt beziehungsweise deren Wirkung unterschätzt haben. Das betrübt uns zutiefst und es wird unsere Aufgabe sein, den hier entstandenen Eindruck wieder zu korrigieren.

Islamische Zeitung: Streit gab es auch um das nötige Sicherheitskonzept für die Menschenmassen. Wieso ist man da nicht gemeinsam zu einem Konsens ­gekommen?

Abdurrahman Atasoy: Das Thema Sicherheit und die daraus resultierende ­Absage der Teilnahme von tausenden von Interessierten und Gemeindemitgliedern am Abend davor hat uns kalt erwischt und auch überrascht. Nicht zuletzt, weil es davor insgesamt vier Termine mit Sicherheitsbehörden vor Ort bei der Zentralmoschee ­gegeben hat, bei denen man alle Sicherheitsaspekte durchgegangen war. Bei den ersten beiden Gesprächen, bei denen neben der Kölner Polizei das LKA NRW und auch das BKA anwesend waren, wurde das Thema großer Menschenmengen, die zur Eröffnung kommen, angesprochen. Es wurde uns vermittelt, dass die Sicherheit vor der Moschee Aufgabe des LKA sei.

Gerade mal zwei Tage vor der Eröffnung wurde mit dem Argument, dass die DITIB eine offene Einladung über soziale Medien ausgesprochen habe, gesagt, dass DITIB selber ein Sicherheitskonzept vorlegen müsse. Dass zehntausende kommen könnten, war wie gesagt bereits bei den ersten ­Terminen angesprochen worden.

Es wurde allerdings da noch kein Sicherheitskonzept gefordert. Vielmehr gesagt, dass die Polizei für die Sicherheit sorgen werde. Daher können wir die Entwicklung nicht nachvollziehen, auch wenn sie legitim sein mag, so muss man auch hier zumindest von einer Kommunikationspanne sprechen. Sicherheitstechnisch war es jedenfalls nicht entspannter, dass als Folge tausende Menschen unkontrolliert in den Straßen rund um die Moschee sich versammelt und Zugang zur Moschee gesucht haben. Ich muss an dieser Stelle die Beamten vor Ort positiv erwähnen, die noch am Tag der ­Eröffnung zusammen mit uns versucht haben, Möglichkeiten zu finden, um einigen Grup­pen, zum Beispiel 700 Besuchern dennoch eine Teilnahme in unserem Konferenzsaal zu ermöglichen, auch wenn dieses leider nicht umsetzbar war.

Islamische Zeitung: Der Staatsbesuch von Präsident Erdogan sowie sein Köln-Besuch standen insgesamt unter keinem guten Stern. Hat das deutsch-türkische Verhältnis nach Ihrer Meinung seinen bisherigen Tiefpunkt erreicht?

Abdurrahman Atasoy: Die DITIB hat, auch wenn es aktuell in der Politik und den Medien allzu oft anders dargestellt wird, keine Bindung zur türkischen Politik, sondern eine enge religiöse Kooperation mit der Diyanet. Die Diyanet unterstützt uns dabei, unseren Moscheen qualitativ gute Imame, und somit eine adäquate und authentische religiöse Dienstleistung anbieten zu können. Des Weiteren ist die Diyanet unsere oberste theologische Referenz bei Entscheidungsfindungen.

Das zwischenstaatliche Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist für uns daher kein primäres Thema und erst recht sehe ich es nicht als unsere Aufgabe an. Wir sind eine Religionsgemeinschaft, die sich um die religiösen Belange und Bedürfnisse der in Deutschland lebenden Muslime kümmern muss. Da die größte Zahl unserer Mitglieder türkischstämmig, viele sogar weiterhin auch türkische Staatsbürger sind, beeinflusst ein schlechtes zwischenstaatliches Verhältnis auch unsere Gemeindearbeit. Dieses ist primär ein emotionaler Einfluss.

Ein Großteil unserer Basis sieht Anfeindungen gegenüber der Türkei im All­gemeinen auch als ein Votum gegen die türkischstämmigen in Deutschland. Daraus können manchmal auch Diskriminierungsgefühle erwachsen. Hier hat auch Deutschland eine Bringschuld und muss sich die Frage stellen, ob und wie weit es sich um seine Muslime kümmern möchte, oder ob man es weiterhin dabei belassen will, dass diese als Vertreter eines anderen Landes wahrgenommen werden. Die gleiche Frage müssen wir uns als DITIB natürlich auch stellen. Das muss an dieser Stelle auch offen gesagt werden, ohne dass ich das näher kommentieren möchte.

Gleichwohl muss ich an dieser Stelle bemerken, dass das Thema DITIB und Türkeibindung von der deutschen Politik und durch die mediale Berichterstattung aufgebauscht wird. Hier wird der DITIB viel Unrecht getan. In die eigene Darstellung passende Einzelfälle werden hochstilisiert und als stellvertretend für die ganze Organisation dargestellt, bundesweite Angebote und Aktionen der DITIB für diese Gesellschaft jedoch einfach übersehen. Dieses Bild beeinträchtigt natürlich auch unsere Arbeit sehr stark. Unsere Mitglieder werden zunehmend diskriminiert, unsere Gemeinden von vielen Plattformen, sogar von ­Dialogplattformen ausgeschlossen. Wir­ leben und wirken jedoch in Deutschland und für die Muslime in Deutschland.

Es ist in der Tat ein Tiefpunkt erreicht, dieser jedoch beim Umgang unserer Politik und unserer Öffentlichkeit mit seinen ­Muslimen.

Islamische Zeitung: Sehen Sie Ihrerseits die Möglichkeit, dass Deutschlands Muslime aktiv etwas an der Verbesserung dieses Verhältnis beitragen könnten?

Abdurrahman Atasoy: Ich bin mir sicher, dass das zwischenstaatliche Verhältnis zwischen Ankara und Berlin bald wieder besser sein wird. Das werden die Politiker auf beiden Seiten auch ohne unsere Hilfe schaffen, Auch wenn nicht, ist dies nicht unsere Aufgabe als DITIB. Aber das Verhältnis zwischen der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland und seinen Muslimen ist tiefer zerrüttet, als wir es momentan wahrnehmen wollen. Dieses zu verbessern wird eine sehr lange Zeit und sehr große Anstrengung brauchen.

Natürlich hat die DITIB und haben die muslimischen Religionsgemeinschaften hier viel zu tun. Aber auch Politik und Gesellschaft müssen sich an die eigene Nase fassen und endlich aufhören, ihre Muslime wie Auswärtige beziehungsweise Aussätzige zu behandeln.

Die Muslime hingegen müssen den Weg, den sie in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren eingeschlagen haben, noch entschiedener gehen. Sie müssen sich institutionell integrieren. Damit ist keine Anpassung an sich gemeint, sondern eine institutionelle Teilhabe in allen Bereichen, die die Muslime betreffen.

Aber auch darüber hinaus müssen wir Muslime, uns stärker als bisher um Themen vor Ort, nicht nur um theologische, ­sondern auch um ethische und gesellschaftliche, kümmern und unseren Beitrag bei gesellschaftlichen Diskursen erbringen.

Zum Beispiel sind wir leider nicht dazu gekommen, uns dazu zu äußern, was wir zu der Diskussion um den Hambacher Forst gleich vor unserer Tür denken. Das Thema Naturschutz war ja vor zwei Jahren unser Motto beim Tag der offenen Moschee. Natürlich haben auch Muslime dazu eine Meinung und müssen diese auch haben. Ebenso bei Fragen wie dem Dieselskandal, bei Finanzkrisen oder anderen ethischen Diskussionen wie Organspende, was ja wieder aktuell ist, oder der Pränataldiagnostik können und müssen auch Muslime einen Beitrag in die Debatte einbringen.

Das kann auch zu Entspannungen ­sowohl bei Debatten rund um die DITIB führen, aber auch dazu, dass man die ­außenpolitischen Themen auch als solche belassen kann. Muslime sind aber in Deutschland definitiv kein Thema der Außenpolitik, genauso wenig wie der Sicherheitspolitik. Sie sind Thema der gemeinsamen Zukunftsgestaltung.

Islamische Zeitung: Sieht die DITIB ihrerseits die Notwendigkeit, Teile ihres bisherigen Kurses zu ändern, um auf von außen geäußerte Kritik zu reagieren?

Abdurrahman Atasoy: Die DITIB nimmt Kritik immer ernst und als Ansporn für sein Handeln, besonders dann, wenn sie als solche gemeint ist und nicht als ­Islamkritik verpackte Islamfeindlichkeit darstellt. Aber auch beim letzteren machen wir uns natürlich unsere Gedanken. Das bedeutet aber nicht, dass man nach jeder Kritik sofort etwas machen und immer auf Forderungen reagieren muss.

Vielmehr ist die DITIB seit über zehn Jahren in einem Veränderungsprozess, der noch bei weitem nicht abgeschlossen ist. Noch bevor in Deutschland irgendwelche Politiker nach deutschen Sprachkennt­nissen für Imame gerufen haben, hat die ­DITIB den Bedarf gesehen und sein ­Programm für den Internationalen Studiengang für Theologie im Jahr 2006 ­gestartet. Hier bilden wir Imame aus, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Sie müssen sogar Deutsche, also deutsche Staatsbürger sein. 2009 hat die DITIB seine gesamte Organisationsstruktur dem föderalen System in der Bundesrepublik angepasst und seine Landesverbände gegründet.

Als Folge dieser Entwicklung wurden in zwei Bundesländern Staatsverträge mit den Landesregierungen abgeschlossen und in vielen Bundesländern wird ein Beitrag für einen Islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen geleistet. Ebenso kann man hier die Gründung unserer Frauen-, Jugend-, und Elterngruppen und Verbände zählen, die ebenfalls die Arbeit vor Ort ­unterstützen. Aktuell sind wir dabei, Strukturen für Wohlfahrtsarbeit aufzubauen. Dieser Bereich wird daher sehr wichtig sein, weil die Dienstleistungen, die dort angeboten werden, nicht nur Muslimen, sondern der gesamten Gesellschaft zu Gute kommen.

Sie sehen also, dass die DITIB keineswegs starr und unflexibel ist, was strukturelle Veränderungen angeht. Auch sind wir übrigens die einzige Religionsgemeinschaft bundesweit mit einer Frauenquote in den Vorständen auf allen Ebenen. Damit sind wir sogar innovationstechnisch den Dax-Konzernen voraus.

Die DITIB wird auch in Zukunft sich nötigen Veränderungen nicht verschließen, sofern sie diese als Notwendigkeit erachtet. Ein Diktat von außen kann hierbei aber nicht hilfreich sein.

Islamische Zeitung: Lieber Abdurrahman Atasoy, wir bedanken uns für das Gespräch.