Die Entdeckung der Zwickauer Zelle erzeugt bei Türkischstämmigen nicht gerade Vertrauen. Von Yasin Bas

Ausgabe 201

(iz). Eine repräsentative Umfrage des Instituts für Migrations- und Politikforschung der Hacettepe-Universität Ankara sowie des Berliner Meinungsforschungsinstituts SEK-POL/Data4U zeigt, dass die Nazimorde das Vertrauen türkischstämmiger Einwanderer in den deutschen Staat offenbar stark erschüttert haben. 55 Prozent der Befragten glauben, dass die Rechtsterroristen vom deutschen Staat beschützt oder gar gefördert worden seien. Etwa 21 Prozent glauben dagegen nicht an ­diese Verbindung. Das Vertrauen in den Staatsapparat scheinen viele Befragte verloren zu haben. Lediglich 35 Prozent meinten, die Morde könnten noch aufge­klärt werden. Die Beileidsbekundungen der Politiker werden ebenfalls nicht ernst genommen. Die öffentliche ­Anteilnahme wird von 70 Prozent der Befragten nicht als echte Reue gewertet.

Einige Wochen nach dieser Studie wurde die Öffentlichkeit durch ­folgende Schlagzeile der von „Welt-Online“ geschockt: „BKA ließ Ermittlungsdaten des Neonazi-Trios löschen.“ Die Internetre­dakteure der „Welt“ schrieben, dass „sensible Ermittlungsdaten“ sowie die Han­dydaten des 32-jährigen Terror-Helfers André E. auf Wunsch(!) des Bundeskriminalamtes (BKA) gelöscht wurden. Zuvor hätten Spezialisten der ­Bundespolizei die Daten eigens in aufwändigen Verfah­ren entschlüsselt.

André E. wurde Ende November 2011 durch Spezialkräfte der GSG 9 in Brandenburg festgenommen und sitzt momentan in Haft. Bei ihm handelt es sich um einen mutmaßlichen Macher und Regisseur der Hass-DVD der Nazitruppe. In der DVD werden die ­Terroropfer sowie Türken in Deutschland auf ­übelste Weise verhöhnt. Der unsensible Umgang von Teilen staatlicher Behörden mit „sensiblen Ermittlungsdaten“ lässt erahnen, wieso die zu Beginn zitierte repräsentati­ve Umfrage der Hacettepe-Universität zu den genannten Ergebnissen kam. Nach Informationen der „Bild am Sonntag“ (ebenso wie die „Welt“ in Springer-Bestiz), wurde auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) durch diesen „unsensiblen Vorgang“ seitens der Behörden aufgeschreckt. Sein Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche habe nach Angaben eines Ministeriumssprechers eine „umfassende Erklärung durch die Amtsleitung des BKA angefordert“. Auch der eloquente und uns besonders durch TV-Präsenz bekannte ­Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses Wolfgang Bosbach (CDU) sagte: „Hier handelt es sich um einen gravierenden Vorgang, der unverzüglich aufgeklärt ­werden muss. Es darf nicht einmal der Verdacht entstehen, dass etwas verheimlicht werden sollte.“

Bosbach bringt es auf den Punkt. Es steht die Frage im Raum, warum es dem BKA in dem Fall so wichtig war, dass die Bundespolizei nach der Entschlüsselung keinerlei Zugriff mehr auf die Handy­daten haben sollte? Beide Zeitun­gen stellten fest: „Tatsache ist: Mit der Löschakt­ion hat sich das BKA die alleinige ­Hoheit über die Auswertung der Daten gesichert“ und lässt einen ­Sicherheitsexperten zu Wort kommen, der folgendes erklärt: „Für die zielgerichtete Vernichtung von Beweismitteln durch eine Polizeibehörde in einem laufenden Ermittlungsverfahren, noch dazu auf Wunsch des BKA, kann es keine harmlose Erklärung geben. Der dubiose Vorgang riecht nach Beweisunterdrückung durch das BKA.“ Die Zeitung schrieb weiter: „Doch welches Geheimnis bergen die Handydaten? Polizeiexperten halten es für eine ­mögliche Erklärung, dass das BKA Informanten im Umfeld der Neonazi-Bande schützen will“, und möchte wissen: „Führen die Spuren der auf den Handys gespeicherten Telefonnummern, Text- und Bildnachrichten direkt ins BKA?“

Vor diesem Hintergrund verdient ­zumindest die Frage, ob es sich bei den „Neonazimorden“ um eine systematische, von langer Hand geplante Lynchmordserie handelt oder ob dies lediglich eine Operation von „Einzeltätern“ beziehungsweise dem so genannten „Trio“ oder doch einer viel größeren und mächtigeren „Terrorgruppe“ war, ein großes Fragezeichen. Trotz aller peinlichen Enthüllungen ist es sehr ­bedenklich, dass noch immer kein einziger Innen- und Justizminister oder gar Ministerpräsident aufgrund dieser „tiefen Sicher­heitspanne“ zurückgetreten ist. Dagegen wurde aber sehr ausgiebig über eine ganz andere Rücktrittsforderung diskutiert. So ausgiebig, dass andere Themen in den Medien kaum noch Beachtung fanden.